Arye Shalicar ist Major der Reserve der israelischen Armee und ehemaliger Pressesprecher der israelischen Streitkräfte. Der in Göttingen geborene und in Berlin aufgewachsene Politologe ist heute Abteilungsleiter im Geheimdienstministerium im Büro des Ministerpräsidenten Israels. In seinem aktuellen Buch hat er sich mit dem neuen Antisemitismus in Deutschland auseinandergesetzt.
Ruhrbarone: Sie beschreiben in Ihrem Buch, wie stark Juden in Deutschland gefährdet sind. An welchen Orten ist die Gefahr am größten?
Arye Shalicar: In vielen Großstädten und in vielen Mittelstädten im Westen gibt es Viertel mit einer muslimische Mehrheit. Dort und in Teilen Ostdeutschlands, wo viele Nazis unterwegs sind, ist es für Juden gefährlich. Diese beiden Gruppen haben Deutschland untereinander aufgeteilt. Natürlich ist es nicht so, dass in jeder Stadt im Westen die Muslime den Ton angeben und im Osten überall Nazis sind, aber an Orten an denen sie das Sagen haben ist es riskant. Im besten Fall werden Juden angepöbelt, im schlimmsten Fall geschlagen, getreten und bespuckt.
Ruhrbarone: Die Statistiken belegen, dass die allergrößte Gefahr für Juden in Deutschland nach wie vor von Rechtsradikalen ausgeht.
Shalicar: Diese Statistiken sind absoluter Schwachsinn. Ich berichte in meinem Buch ja auch von der Jugend meines Bruders und mir im Wedding: Es gab hunderte Zwischenfälle, zum Teil mit dem Messer und wir haben keinen der Polizei gemeldet. Das machen viele Juden in Deutschland so. Der Anschein, das in erster Linie rechtsradikale Juden bedrohen, stimmt nicht. In einem großen Teil Deutschlands geht die Gefahr von Arabern, Muslimen und den Clans aus.
Der Hass vieler Muslime gegenüber Juden ist bedauerlich. Juden haben nichts gegen Muslime und es ist traurig, dass der Hasse das Zusammenleben so schwierig macht.
Ruhrbarone: Lange Zeit galt das Verhältnis zwischen Juden und Türken sogar als ausgesprochen gut.
Shalicar: In den 80er und 90er hatten Israel und die Türkei sehr gute Beziehungen. Ich hatte im Wedding viele gute türkische Freunde und einige diese Freundschaften halten bis heute. Mittlerweile ist das anders. Die heutige Generation junger Türken ist schon mit Erdogan groß geworden. Das einzige Land auf der Welt das Erdogan als Terrorstaat bezeichnet ist Israel. Im türkischen Fernsehen laufen antisemitische Filme und Serien. Spätestens seit der Flotilla, als ein türkisches Schiff mit Gewalt die Blockade nach Gaza durchbrechen wollte und israelische Soldaten angegriffen und verletzt wurden, ist das Verhältnis schwer belastet.
Ruhrbarone: Wie ist die Lage von Juden in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern in Europa?
Shalicar: Es ist überall ähnlich: Ob in Frankreich, Belgien, Holland oder Skandinavien – in all diesen Ländern haben sich zahlreiche muslimische Gemeinschaften etabliert. In Deutschland war der Antisemitismus aufgrund der Geschichte lange versteckt, es war kaum sichtbar, obwohl er immer da war. Bei den Arabern ist Antisemitismus normal. Sie wachsen mit Antisemitismus auf und bekommen schon in der Schule ein bestimmtes Bild von Juden und Israel vermittelt. Und weil es für sie normal ist, nehmen sie auch kein Blatt vor den Mund. Und das färbt auf andere ab, die keine Araber sind und nicht diesen Hintergrund haben. Wenn jemand in einer Gegend aufwächst, in der Antisemitismus normal ist, dann wird er das übernehmen. Und so wird Jude dann zum Schimpfwort. In vielen Gegenden Deutschlands ist das mittlerweile so.
Ruhrbarone: In Ihrem Buch berichten Sie davon, wie Sie bedroht wurden. Haben Sie auch Solidarität und Unterstützung erlebt?
Shalicar: Ja und die kam von anderen Muslimen: Die einen wollten mich töten, die anderen haben mich beschützt. Einmal als ich bedroht wurde hat sogar ein türkischer Freund seine Pistole gezogen. Aber ich konnte mich nicht an die Polizei wenden und auch nicht an die Lehrer.
Damals schon wurden Lehrer und Polizisten im Wedding als Gäste angesehen. Sie waren Fremde und sie lebten ja auch nicht dort. Die sind gekommen, haben gearbeitet und gingen wieder.
Ich habe mich einmal, da ging es aber nicht um Antisemitismus, an die Polizei gewandt. Und das war ein Fehler. Eine Stunde später war das in meiner Gegend bekannt und dann war ich der Verräter und bis zum Gerichtstermin zum Abschuss freigeben.
In dem Jahr bis zum Gerichtstermin wurde ich mehrmals angepöbelt und bedroht, aber ich hatte Leute, die hinter mir standen. Dann kam Termin und im Wartesaal des Gerichts war einer den Angeklagten. Der kam zu mir und flüsterte mir ins Ohr: „Ich habe acht Brüder und wir werden Dich finden“. Vor Gericht habe ich dann aus Angst nichts gesagt.
Ruhrbarone: Was muss geschehen, damit die Situation für Juden wieder sicherer wird?
Shalicar: An den Orten wo Clans und Gangs das Sagen haben, muss die Polizeipräsenz verstärkt werden. Das schafft mehr Sicherheit und das würde allen nutzen. In diesen Viertel haben ja nicht nur Juden ein Problem, sondern auch Muslime, die sich nicht unterwerfen, Polen, Schwule, Deutsche ohne Migrationshintergrund oder Frauen. Wenn der Staat Schwäche zeigt, wird das ausgenutzt. Sowohl von den Clans als auch von den Nazis und Islamisten. Die waren übrigens zu meiner Zeit im Wedding noch kein großes Problem. Aber die Clans, über die sich heute alle aufregen, die gab es schon vor 20 Jahren.
Und natürlich muss über den neuen Antisemitismus geredet werden: Viele Deutsche trauen sich nicht mehr, Juden anzugreifen. Wer heute Jude meint, sagt Israel. Was früher der „scheiß Jude“ war ist heute „scheiß Israel“. Früher hieß es „Kauft nicht bei Juden“, heute ist es der Israelboykott durch Gruppen wie den BDS. Der Hass auf Juden ist auf den Staat Israel übertragen worden. Allein das Wort Israelkritik – so ein Wort gibt es für kein anderes Land. Von Frankeichkritik, Dänemarkkritik oder Belgienkritik habe ich noch nie gehört.
Ruhrbarone: In Deutschland ist man auf Israel fixiert.
Shalicar: Ja – wegen des Nahostkonflikts. Aber der wirkliche Nahostkonflikt findet zwischen Sunniten und Schiiten statt, es ist der Krieg in Syrien mit hunderttausenden Toten und Millionen Flüchtlingen. Mir kann keiner erzählen, dass die Deutschen so ein großes Herz für Palästinenser und all die anderen Araber haben. In Deutschland selbst ist davon ja sehr wenig zu spüren. Dass die Deutschen so auf Israel fixiert sind, hat mit der Vergangenheit zu tun.
Die Vergangenheitsbewältigung hat bei den Israelis gut funktioniert: Sie mögen heute Deutschland, empfangen freundlich deutsche Besucher und reisen gerne hierher. Die Deutschen hingegen kritisieren kein Land härter als Israel, die einzige Demokratie im Nahen Osten.
Ruhrbarone: Was glauben Sie, wie kann sich das ändern?
Shalicar: Vieles liegt an der Berichterstattung. Das moderne Israel, das erfolgreiche Industrie- und Startupland wird in den Medien kaum erwähnt – es geht immer nur um Konflikte. Das verzerrt das Bild. Wäre die Berichterstattung nicht so einseitig, könnte das Verhältnis besser werden – das würde auch den Juden in Deutschland helfen.
Ruhrbarone: Sollten Juden Deutschland verlassen?
Shalicar: Nein, das wäre nicht gut. Es wäre für die Juden in Deutschland nicht gut und es wäre auch für Deutschland schade. Im Zusammenleben liegen so viele Chancen, es wäre traurig, wenn sie nicht genutzt würden. Und es gibt natürlich auch sehr viele Deutsche, die solidarisch mit den Juden und Israel sind. Das darf man nicht übersehen. Klar, es gibt Probleme, aber es gibt auch starke Zeichen der Hoffnung.
Buch: Arye Shalicar: Der neu-deutsche Antisemit: Gehören Juden heute zu Deutschland? Eine persönliche Analyse, Hentrich und Hentrich Verlag, Berlin 2018,
Die Situation muß nicht nur für Juden, sondern für alle verbessert werden die in einem freien Rechtsstaat leben möchten. Sonst übergibt man den Clans und den Islamisten die Stadtteile. Sieht man ja in Berlin. Dort lassen die Verantwortlichen Politiker die Menschen im Stich.
Der Mann bringt es wieder und wieder auf den Punkt. Aber er hat einen vergessen. Linken Antisemitismus. Israel ist ein ethnisch definierter Nationalstaat, die Bürger sind verglichen mit uns religiös, kapitalistisch und patriotisch. Lauter Sachen, die westliche Linke entschieden ablehnen.
Deswegen sind Linke gegen Israel.
Ein starkes Interview, das es verdient hätte, etwas sorgfältiger redigiert zu werden. Shalicar redet wie immer mit einer erfrischenden Offenheit. Ja, wir haben ein immer größer werdendes Problem, das in der Regel totgeschwiegen, kleingeredet und in Einzelfällen sogar zensiert (ARTE!) wird.
Dabei ist es keineswegs nur ein Problem der hier lebenden Juden sondern es ist vor allem das einer freien Gesellschaft, die seelenruhig zusieht, wie immer mehr Bereiche von Gruppen gekapert werden, die mit ebendieser Freiheit bestenfalls nichts am Hut haben.
Da bringt es endlich mal jemand auf den Punkt! Nicht die paar rechtsradikalen Hohlköpfe sind das Problem. Die massenhafte Migtation von judenhassenden Muslimen ist mittlerweile das Hauptproblem der Juden in Deutschland [danke Frau Merkel] . Ein friedliches Zusammenleben wird es hier nicht geben solange der Antisemitismus bei den Muslimen derart ausgeprägt ist und von Generation zu Generation "vererbt" wird.
Wer jemals in den letzten Jahren in Israel war, wird sicherlich über die generell positive Einstellung gegenüber Deutschland überrascht sein. Ich habe da nie auch nur ein böses Wort über Deutschland gehört; im Gegenteil: Viele Israelis haben Freunde oder Verwandte, die in Deutschland leben, ohne damit irgendein Problem zu haben. Aber der muslimisch begründete Antisemitismus oder Israelhaß macht ihnen Sorgen – für das deutsch-israelische Verhältnis, das ja eigentlich von einer Freundschaft geprägt ist.
Wie viele Angriffe auf Juden gab es denn dieses Jahr durch Moslems und wie viele durch "Nazis"? Würde das gerne wissen für eine Studie an der ich arbeite, ich studiere in Göttingen 1 Semester Rechtsintegration in Europa und Politikwissenschaft doch finde leider keine aussagekräftige Statistik.
Gruß M.Marx
Zwei Tips zum Thema Deutschland-Israel
PLAYOFF, ein Film, der "inspiriert von einer wahren Begebenheit" zeigt, dass 82 dieses heutige positive Bild Deutschlands in Israel noch weit in ungewissen Zukunft lag.
Für den 30.November kündigt DIE WERKSTATT Göttingen den Titel EINE DEUTSCGH-ISRAELISCHE FUßBALLFREUNDSCHAFT an.
Als die Maccabis aus Tel Aviv im Rahmen der Euroliga 2013 in Frankfurt gastierten, bilanzierten sie ihren Auftritt in FFM als "zu Besuch bei Freunden." Sehen wir zu, dass es bei diesem Stand der Dinge bleibt. Deshalb muss der Rechtsstaat Flagge zeigen und gegenüber muslimischen Migranten und biodeutschen Judenhassern klare Ansagen machen und diese natürlich mit allen zur zur Verfügung stehenden Mitteln durchsetzen. Alles andere ist der blanke Unfug und führt zu nix.
Thomas Weigle, -7
sh. vorletzter Satz: " Deshalb muß der Rechtstaat……..".
Ja, und da lag und liegt "Einiges im Argen".
Ja, gilt im übrigen nicht nur für staatliches Tun/Nichtstun, wenn es um den wachsenden Judenhass in Deutschland geht -durch sog. biodeutsche, durch muslimische Migranten vor allem aus arabischen Ländern-, sondern ganz generell, wenn es darum geht, die Einhaltung staatlicher Normen durchzusetzen und Rechtsverstöße konsequent -Null-Toleranz-Politik- zu ahnden, auch wenn es "nur" um millionenfachen Betrug seitens "der" deutschen Autoindustrie oder um Steuerhinterziehungen in Millionen-Höhe geht oder wenn es……!
Ja, wir brauchen einen starken, einen handlungsfähigen und handlungswilligen Rechtstaat und keinen aus welchen Gründen auch immer bei Rechtsverstößen welcher Art und welcher Ausmaßes auch immer wegschauenden, duldenden. Und das gilt selbstverständlich unterschiedslos gegenüber allen Menschen, die in Deutschland leben!
Ja, aber…
Thomas Weigle,
nicht nur der Rechtstaat ist gefragt.
Jeder von uns hat häufig die Gelegenheit, alleine oder als Mitglied einer Gruppe/einer Organisation, sich einzumischen, sich einzubringen, wenn z.B. gegen Juden gehetzt wird – durch sog. biodeutsche am sog. Stammtisch, bei Sportveranstaltungen, während privater Feiern, ggfls. an Schulen, am Arbeitsplatz pp. und selbstverständlich (!!) auch dann, wenn diese Hetze von Muslimen ausgeht , ob türkisch-, ob arabisch stämmig, ob im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit oder nicht.
"Man" kann sich fragen, ob der Rechtstaat Probleme hat,
(wenn es darum geht, ohne Wenn und Aber gegen Judenhass vorzugehen -bzw. ganz grundsätzlich immer dann, wenn es um konsequentes Vorgehen gegen jede Art von Rechtsverstößen geht),
weil "die Mehrheitsgesellschaft" den Judenhass – bzw. eine grundsätzliche Respektlosigkeit gegenüber dem Staat und seinen Gesetzen- nicht nur erträgt, sondern mehr oder weniger als "normal" akzeptiert,
oder
ob "die Mehrheits-Gesellschaft " diesen Judenhass zumindest bedenkenlos/tatenlos hinzunehmen scheint, weil der (Rechts-) Staat nicht, nicht hinreichend aktiv ist, wenn es darum geht, gegen jede Art, jede Form von Judenhass -durch wen und wo auch immer- vorzugehen.
Konkret und jenseits jeder Abstraktion frage ich mich, ob ich stets und stets hinreichend aktiv war und aktiv zu sein bereit bin, wenn mir Judenhass begegnet, und sei es "bloß" in Form eines sog. Judenwitzes. Das ist für mich die erste Frage. Erst zweitrangig ist für mich die Frage ob, wie und wann "die Anderen" agieren, vor allem ob, wann und wie der Staat, die staatlichen Organe agieren und ob dieserhalb meinerseits Kritik angesagt sein sollte.
PS
Ein interessantes, ein nachdenkenswertes Interview, auch wenn die Aussagen von
Arye Shalicar für mich substantiell nichts Neues beinhalten und ich alle seine persönlichen Wertungen nachvollziehen, allerdings nicht in allen Details zustimmen kann.
Interessantes, sehr vielschichtiges Interview. Schade nur, dass einige Kommentatoren hier wieder nur das herauslesen, was sie lesen wollen.
Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und Leute, die in autoritären Strukturen denken und leben, sind dafür besonders anfällig, egal ob es Muslime, Linke oder „stolze Deutsche“ sind. Bei einigen hier kann man förmlich die Erleichterung spüren: puh, der „Muselmane“ ist eben doch der schlimmere Judenhasser. Wenn man sich das Interview durchliest, hat Shalicar eben genau das nicht gesagt. Und es war auch nicht die so genannte „Flüchtlingskrise“, die dafür gesorgt hat, dass der muslimische Antisemitismus sich manifestiert hat. Es sind vor allem Muslime, die bereits in der zweiten oder dritten Generation hier leben und die sich in abgeschotteten Gemeinschaften bewegen, die den Hass auf Juden offen ausleben.
Weshalb das so ist, sollte im Mittelpunkt der Analyse stehen. Deutlich wird jedenfalls, dass hier konservative, fundamentalistische Einstellungen eine wichtige Rolle spielen, dass es sich oft um Menschen handelt, die autoritäre Verhaltensmuster aufweisen, die auch empfänglich sind für die antiisraelische Propaganda Erdogans oder anderer muslimischer Führer.
@#2 Gerd: Ihre „Argumentation“ ist gewohnt "schlüssig" und "ausdifferenziert". Ich als Linker (ohne Parteibuch und sonstigen Verpflichtungen), der mit Religion, Patriotismus und Kapitalismus wenig bis gar nichts am Hut hat, käme ich nie auf die Idee, das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen, im Gegenteil: Israel ist das einzige Land, das Juden aktiv vor der Verfolgung und Vernichtung schützt, das sich vollends dem Kampf gegen den Antisemitismus verschrieben hat. Gerade Auschwitz hat dies nötig gemacht.
Für Linke, die ihren Antisemitismus als Israelkritik verschleiern, habe ich nur Verachtung übrig. Und da bin ich nicht der einzige – die Debatte gibt es seit vielen Jahrzehnten und hat zu einer Spaltung der „Bewegung“ geführt. Unter anderem kann man das auch in Zeitungen und Magazinen wie „jungle world“ (den Lesern der Ruhrbarone nicht unbekannt) oder „konkret“ nachlesen. Gruppierungen wie „bak-shalom“ (Linkspartei), das ISF oder diverse nicht antiimperialistische Antifas stehen auch dafür. Leider ist der teils latente, teils offene Antisemitismus, der sich hinter der Israelkritik versteckt, nach wie vor ein Problem innerhalb der Linken und leider ist die Israelsolidarität eher eine Minderheitenposition, aber eine, die durchaus Gewicht hat. Und wenn Akademikerinnen wie Judith Butler Hamas oder Hizbollah zur globalen Linken zählen, ist das nur noch zum Kotzen.
Der Versuch, den Antisemitismus Richtung Linke und Muslime zu entsorgen, ist trotzdem sehr durchschaubar, zumal auch Christen und „Patrioten“ letztlich auf eine Jahrtausende alte Tradition des Antisemitismus zurückschauen können. Eines ist aber ziemlich sicher: Mit identitärer Politik löst man das Problem nicht. Der Anfang des Jahres verstorbene Historiker Moishe Postone hat dies auf den Punkt gebracht: „Die Juden waren niemals völlig Teil der größeren Gesellschaften, in denen sie lebten, sie waren auch niemals völlig außerhalb dieser Gesellschaften.“
Und was den Antisemitismus der in Clans und in Parallelgesellschaften lebenden Moslems angeht: Eine verstärkte Polizeipräsenz und konsequent angewendete Gesetze bekämpfen zwar die Symptome, nicht aber die Ursachen. Wenn Israel im Nahostkonflikt vor allem als Täter dargestellt wird und Jugendliche dahingehend sozialisiert werden, Juden zu hassen, ist das natürlich nicht nur ein Problem, das die Familien und Clans betrifft, sondern auch eine Herausforderung für den Unterricht in den Schulen und für die Berichterstattung in den Medien. Andererseits gibt es auch das Problem der Aufstiegsmöglichkeiten, des sich Lösens aus diesem Umfeld: Wenn nur etwa ein Drittel der muslimischen Jugendlichen es schaffen, aus ihrem „Community“ herauszukommen (beim Nachwuchs von deutschen Hartz IV-Empfängern ist es übrigens ähnlich), wird das Problem verstärkt und in die nächsten Generationen weitergetragen. Die Integration wird halt leider von beiden Seiten verweigert.
Übrigens: Ich kenne ein Handvoll israelischer Studenten/Wissenschaftler, die Deutschland mittlerweile wieder verlassen haben, obwohl sie zwischenzeitlich hier ihren Lebens- und Arbeitsmittelpunkt hatten. Der verstärkt auftretende muslimische Antisemitismus war ein Grund, ein anderer der Aufstieg der AfD, der sie, wie vielen anderen Deutschen, ein rein taktisches Verhältnis zum Judentum und zu Israel attestieren. Nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Und wenn eine Partei im Bundestag sitzt, deren Vertreter eine „erinnerungspolitische Wende“ fordern, deren Fraktionsvorsitzender Stolz auf die Leistungen der Wehrmacht ist und für den die NS-Herrschaft, deren letzte Konsequenz Auschwitz war, nur ein „Vogelschiss“ in der „tausendjährigen“ Geschichte Deutschlands war, wird es Zeit, sich Gedanken zu machen, wie lange man es noch in deren Nähe aushalten möchte. Die Konsequenz hieß: Last Exit Israel. Dort kommt die Bedrohung "wenigstens nur" von außerhalb – aus dem Iran, aus dem Libanon, aus Syrien und Palästina.
bob hope -9-
meine nachdrückliche, meine uneingeschränkte Zustimmung zum Inhalt Ihres Beitrages.
PS
Tut sich 'was , und zwar etwas in Quantität und Qualität Neues in der Gesellschaft, wenn es gegen Hass (Fremdenhass, Judenhass, Hass auf Muslime) und Rassismus geht, gegen deren Akzeptanz als Mittel der Politik in Gesellschaft und Staat?
Für mich ist die heutige Demonstration in Berlin mit mehr als 150.000 Teilnehmern "ein Zeichen der Hoffnung" auf eine kampfbereite Gesellschaft, wenn es darum geht, sich gegen eine gesellschaftliche Akzeptanz von Hass als Grundlage menschenunwüdigen Tuns oder Unterlassens zu wehren und rassistischen "Biedermännern und Brandstiftern" in Gesellschaft und Staat -die Antisemiten eingeschlossen- zu zeigen, daß sie kein leichtes Spiel haben werden.
Ein solches demonstratives Zeichen, das die Gesellschaft setzt, trägt -hoffentlich- nachdrücklich und nachhaltig dazu bei , daß auch der Staat konsequenter, radikaler (härter) als bisher alle seine Mittel und Möglichkeiten nutzt, um im Rahmen der Verfassung präventiv und repressiv gegen hasserfüllte Rassisten, gegen hasserfüllte Antisemiten, gegen gewaltbereite /gewalttätige Muslimhasser vorzugehen.
Begeisterndes Statement, Bob Hope! Als anti-religiöse Jesus-Followerin und familien-konservative Linke kann ich Ihnen auch nur voll zustimmen. "Religionen" lassen sich leider immer politisch instrumentalisieren.
Ausgerechnet Beatrix von Storch versucht es grade mit den Muslimen. Soviel zu einigen Versuchen hier immer den Anderen den Judenhass in die Schuhe zu schieben. Musste mir erst nen zweiten Kaffee holen, um zu glauben, was ich da heute morgen las.
Schlüssel scheint mir zu sein: individuelle Verantwortung vor Kollektiv. Egal, ob der Imam am Freitag oder Pegida am Montag, der lutherische Pfarrer mit der Nakab-Ausstellung am Sonntag oder irgendwelche Alt-Stalinisten zur Gewalt gegen Juden oder Verharmlosung der Shoah anstacheln wollen, es ist meine Verantwortung, dem Rad in die Speichen zu fallen.