Gestern kam Robert Schwentkes neuer Film „Der Hauptmann“ in die Kinos. Die bitterböse Köpenickiade erzählt die wahre Geschichte des „Henker vom Emsland“ genannten Gefreiten Willi Herold kompromisslos, zitatenreich und für den deutschen Film ungewöhnlich – aus ungeschönter Täterperspektive.
Zu Beginn des Filmes sehen wir Willi Herold, wie er von einem Transportwagen voller besoffener Wehrmachtssoldaten durch das öde Norddeutschland des Jahres 1945 gehetzt wird und sich nur mit Müh und Not vor seinen Kameraden verstecken kann. Das macht Regisseur Robert Schwentke geschickt, denn in den ersten Minuten des Filmes kann man gar nicht anders, als mit dem Flüchtenden mitzufiebern. In tristem schwarz-weiß sieht man, wie der zerlumpte Deserteur Herold durch die menschenleere und karge Landschaft irrt, ohne Ziel und der ständigen Gefahr ausgesetzt von anderen Wehrmachtssoldaten aufgegriffen zu werden, oder von wachsamen Bauern beim Lebensmittel klauen erwischt und am nächsten Baum aufgeknüpft zu werden.
Wie eine Rettung erscheint da der am Wegesrand liegen gebliebene Offizierswagen, in dem der ausgehungerte und abgewetzte Herold einen Korb Äpfel und die Uniform eines Luftwaffenoffiziers findet. „Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder, das ist zu schön um wahr zu sein“, singt er, frei nach dem damals populären Gassenhauer von Lilian Harvey. Doch das vermeintliche Glück erweist sich schon kurz darauf als direkter Weg in den Abgrund, als er in einem nahegelegenen Dorf gezwungen ist einen beim Diebstahl von Lebensmitteln erwischten Deserteur zu erschießen, um in seiner neuen Rolle als Hauptmann nicht aufzufliegen.
Herold, der nach und nach weitere versprengte Wehrmachtssoldaten um sich schart, wirkt als vermeintlicher Hauptmann alles andere als überzeugend, mit seiner schlecht sitzenden Uniform und seinem knabenhaften Gesicht. Hauptdarsteller Max Hubacher gelingt hier ein Meisterstück: Ein hervorragender Schauspieler, der einen schlechten Schauspieler spielt. Doch keiner macht Herolds Bauerntheater ein Ende, denn der vermeintliche Hauptmann merkt schnell: Je brutaler und menschenverachtender er sich verhält, umso bereitwilliger, ja begeisterter, erkennen die Menschen um ihn herum seine Autorität an.
Und während sich Herold immer weiter in einen Rausch aus Mord und Genuss hineinsteigert, schafft es der Film trotz aller schonungslosen Gewaltdarstellungen, nicht an den falschen Stellen die Kamera draufzuhalten, nicht zu psychologisieren und die Verbrechen als das darzustellen, was sie sind. Das ist insbesondere auch dem Kameramann Florian Ballhaus zu verdanken, der es schafft einen distanzierten und kalten Blick auf das Geschehen mit einem Gefühl der Unmittelbarkeit zu verbinden.
Robert Schwentke gelingt mit seinem ersten deutschsprachigen Film seit 14 Jahren ungewöhnlicher und bemerkenswerter Blick auf wenig beachtete Täter aus den hinteren Reihen in einer wenig beachtete Zeit des Zweiten Weltkrieges. Durch die mit vielen filmerischen Zitaten angereicherte, stellenweise fast ins Groteske hineinreichende Inszenierung, schafft er es, einen Film spannend und sehenswert zu machen, der andernfalls kaum anzuschauen wäre. Hierzu trägt nicht zuletzt auch bei, dass Schwentke, der auch Drehbuchautor war, der Versuchung widerstehen konnte, den Film übermäßig dialoglastig zu machen.
Durch gute Inszenierung, Kamerarbeit, und schauspielerische Leistung ist „Der Hauptmann“ ein eindrucksvoller Blick auf Wahnsinn und Weltungergangsstimmung der Endphase der nationalsozialistischen Herrschaft. Und so viel sei verraten: „Der Hauptmann“ ist ein Film, bei dem man auch nach Beginn des Abspanns das Kino noch nicht verlässt.