Der jüdische Freund

Die FPÖ buhlt vor der Nationalratswahlen verstärkt um die Stimmen serbischstämmiger Österreicher. Die Kampagne ist aus Sicht der Partei erfolgreich – aber anders, als man denken würde.

Saša spielt mit seinem Schlüsselanhänger mit dem Logo der FPÖ, während er mit mir redet. „Ihr Österreicher solltet viel mehr an euch denken“, sagt der Besitzer eines Restaurants im 16. Wiener Gemeindebezirk.

Saša ist Neo-Österreicher. Ursprünglich kommt er aus dem südöstlichen Serbien. Seit Jahren ist er FPÖ-Anhänger.

Saša heißt vielleicht nicht Saša sondern Dejan oder hat einen anderen häufigen serbischen Namen. Wir haben mehrmals miteinander über sein Faible für die FPÖ gesprochen.

Bis diese Geschichte entstand, hatte ich nie vor, ihn zu zitieren. Eine Autorisierung für die Zitate gibt es nicht. Deshalb habe ich seinen Namen geändert. Oder auch nicht.

Ich habe nicht das Gefühl, mit diesen Zitaten gegen handwerkliche Regeln zu verstoßen. Saša, der vielleicht anders heißt, bekennt sich auch gegenüber Medien zu seiner politischen Vorliebe.

Seine Aussagen lassen erkennen, wie die FPÖ-Propaganda in der serbischstämmigen Wählerschaft in den vergangenen zehn Jahren auf fruchtbaren Boden fiel.

„Es sind einfach zu viele Ausländer da und das schafft Unordnung“, sagt Saša. „Österreich schadet sich damit selbst. Das Land ist nicht mehr wiederzuerkennen.“

Blau wählen als Überkompensation

Diese Aussage hört man oft von Serben oder serbischstämmigen Österreichern, die FPÖ-Anhänger geworden sind. Vor allem von den Jungen erster und zweiter Generation, sagt Kristina Radosavljević.

Kristina ist eine Vertreterin der zweiten Generation. Ihr Vater kommt aus Serbien, ihre Mutter ist Serbin aus Bosnien. Nationalität hat für beide keine Rolle gespielt. Für Kristina tut sie das auch nicht.

Kristina kandidiert auf der Wiener Landesliste der SPÖ für die Nationalratswahl am 15. Oktober.

Mit ihrer Parteipräferenz steht sie nach allen verfügbaren Daten nach wie vor für die Mehrheit der in serbischstämmigen Österreicherinnen und Österreicher.

So groß wie früher ist diese Mehrheit nicht mehr.

Die Angst vor den anderen Migranten

Daran tragen auch die gesellschaftlichen Entwicklungen schuld. „Für manche der Jungen der zweiten Generation ist ein Zeichen der Integration, wenn sie FPÖ wählen“, erzählt Kristina. „Sie glauben, dass sie damit zeigen, dass sie jetzt echte Österreicher sind.“

Das ist eine Art Überkompensation, sagt Kristina.

Im Alltag werden viele dieser jungen Österreicher bis heute diskriminiert. Ein Nachname, der auf – oder -ović endet, verschließt viele Türen. Auch am Arbeitsmarkt.

Da helfen alle Beteuerungen der FPÖ nichts, „die Serben“ würden ja eh schon „zu uns“ gehören. Es sind gerade FPÖ-Anhänger, die im Alltag ihren Chauvinismus zu Lasten der ersten und zweiten Zuwanderergeneration immer hemmungsloser ausleben. Vor Serbischstämmigen macht das nicht halt.

Diesen Widerspruch wird man auch mit noch so viel Wahlverhalten nicht überbrücken können. Aber viele junge Serbischstämmige reden sich das ein.

Und übersehen, dass sie mit dem aktuellen Slogan „Fairness für Österreicher“ sicher nicht mitgemeint sind. Die FPÖ hat seit jeher eine Blut- und Bodendefinition von Staatsbürgerschaft.

Was sie in den Augen eines serbischstämmigen Aktivisten ebenfalls anfällig macht, ist die Lage am Arbeitsmarkt.

Auch wenn Serben eine der Migrantengruppen sind, die im Vergleich zu Menschen anderer Herkunft vergleichsweise weit oben in der Arbeitsmarkthierarchie stehen – die gläserne Decke hängt für sie weit niedriger als für Österreicher ohne Migrationshintergrund.

Sie befürchten, dass sie von Neueingewanderten am Arbeitsmarkt verdrängt werden. Gerade in den schlechter bezahlten Branchen.

Ganz unbegründet ist die Furcht nicht. Der Zuzug von Bürgern der südöstlichen EU-Staaten bedeutet in manchen Branchen tatsächlich mehr Druck für die dort bereits Beschäftigten.

Der Frust wird nach unten ausgelebt

Nur, dass sich der Frust nicht gegen die Arbeitgeber richtet, die ihre Arbeiter und Angestellten mit dem Schreckgespenst unter Druck setzen, draußen stünden schon 100 Ungarn oder Rumänen und würden für weniger arbeiten.

Er entlädt sich an denen, die in der sozialen Hierarchie noch weiter unten stehen. Das ist keine serbische Spezialität. Wie die Wahlergebnisse zeigen, reagieren vorwiegend Österreicher ohne Migrationshintergrund genau so.

Auf 20 bis 25 Prozent schätzt ein serbischstämmiger Aktivist die FPÖ-Anhängerschaft unter serbischstämmigen Wählern.

Er hat mich gebeten, seinen Namen nicht zu nennen. Er versucht vorwiegend online, Sand in die FPÖ-Propagandamaschinerie für Serben zu bringen. Gelegentlich ist er auch auf einschlägigen Veranstaltungen. Seinen Namen zu nennen, würde diese Aktivitäten kompromittieren.

Außerdem, sagt er, hat er auch schon Drohungen bekommen und wurde beschimpft. Dass er das nicht noch einmal erleben will, ist verständlich.

Für ihn ist es kein Zufall, dass unter serbischstämmigen Wählern die Sympathien für die FPÖ so weit verbreitet sind wie sonst in keiner Migrantengruppe. Auch wenn die Strategie primitiv sei.

Kosovo, Ceca, Titten

„Es geht immer um Kosovo, Ceca und Titten“, sagt er mir. „Damit bestärken sie die nationalistischen Gefühle, die Teile der serbischstämmigen Jugend haben.“

Das betreffe auch die zweite Generation. „Die sind nur selten unten und haben den Krieg von hier aus beobachtet, wenn sie dafür nicht überhaupt zu jung sind. Da ist es leicht, Nationalist zu sein.“

FPÖ-Funktionäre betreiben seit Jahren erheblichen Aufwand, um diese Zielgruppe zu erreichen.

So hat der Wiener Vizebürgermeister Johann Gudenus, Mitglied der ersten Reihe der Parteiführung, vor kurzem Milorad Dodik nach Wien eingeladen.

Dodik ist Präsident des serbisch dominierten Teilstaats Republika Srpska in Bosnien. Er gilt als rabiater Nationalist. Immer wieder droht er offen, die RS von Bosnien abzuspalten.

Dodik hat serbischstämmige Österreicher mehrfach aufgerufen, FPÖ zu wählen. Die FPÖ, die sonst auf die Barrikaden geht, wenn ausländische Politiker andere Parteien unterstützen, freute sich.

Dodik und Gudenus, seinerseits Vertreter des rechten Flügels der FPÖ, sind enge Freunde.

Dodik war Gast bei Gudenus‘ Hochzeit in der Republika Srpska. Die Hochzeit war ein Großereignis für die regierungsnahen Medien in der RS.

Wie die Hochzeit nach orthodoxem Ritus zustande kam, ist nach wie vor ein Rätsel. Gudenus ist nicht zur serbisch-orthodoxen Kirche übergetreten.

Strache unterstützt Aufteilung Bosniens

Die FPÖ revanchiert sich artig. FPÖ-Bundesobmann Heinz Christian Strache hat in einem Interview für den regierungsnahen bosnisch-serbischen Sender RTRS Bosnien als „failed state“ bezeichnet und der Republika Srpska das Recht eingeräumt, sich abzuspalten.

Er forderte auch, dass die Kroaten in Bosnien einen eigenen Teilstaat bekommen sollen, der ebenfalls das Recht haben solle, sich abzuspalten.

Verwoben wurde das mit der üblichen FPÖ-Hetze gegen Muslime. Islamismus sei ein immer größeres Problem in Bosnien. Dort seien 50 Prozent der Bevölkerung muslimisch.

Die Botschaft an serbischstämmige Österreicher ist klar: Wir haben einen gemeinsamen Feind: Die Muslime.

„So offen wie Strache betreibt selbst in Serbien kein nationalistischer Politiker mehr Hetze gegen Muslime. Der einzige, der auf dem gleichen Niveau spielt, ist Vojislav Šešelj“. sagt der serbischstämmige FPÖ-Aktivist.

Komplettiert wird das Arsenal, indem die FPÖ immer wieder die Unabhängigkeit des Kosovo thematisiert – aus einschlägiger Sicht, versteht sich. Eine der wenigen Sätze, die er auf Serbisch könne, sei „Kosovo je srce Srbije“, sagt Strache einmal in einem Interview.

So versucht die FPÖ, sich nationalistischen Serben als einzige Alternative anzubiedern.

„Serbien den Serben“. Eine von vielen nationalistischen Botschaften von Jugendlichen mit ex-jugoslawischen Wurzeln in Wien. In diesem Fall eine serbische.

Die serbischstämmigen Helferleins

Den Rest besorgen serbischstämmige Sympathisanten wie Stevan Radučić. Radučić hat die Slovenska Unija gegründet, die Slawische Union. Die SU besteht praktisch nur aus ihm. Sie ist eine Ein-Mann-Propagandaabteilung, die anrückt, wenn es wirklich dreckig werden soll.

So wie ein wirres Video, in dem Radučić die SPÖ als Partei mit faschistischen Wurzeln zu verunglimpfen versucht.

Leute wie Radučić treiben sich auch auf den Turbofolk-Parties in den Wiener Balkanclubs herum und versuchen dort, Stimmung für die FPÖ zu machen.

Hochrangige FPÖ-Funktionäre bleiben diesen Parties in der Regel so fern es eben geht.

„Vor allem dieser offene Appell an den serbischen Nationalismus tut weh“, sagt der anonyme Aktivist. „Strache stellt uns so dar, als wären wir alle verbohrte Četniks. Dieser Eindruck bleibt dann auch bei den Leuten hängen.“

Der direkte Nutzen ist überschaubar

Der direkte Nutzen für die rechtsradikale FPÖ ist überschaubar.

Rechnet man eingebürgerte bosnische Serben mit ein – und sie sind ja Teil der Zielgruppe -, kommt man mit der ersten und zweiten Generation auf 120- bis 160.000 serbischstämmige Wähler in Österreich.

Selbst wenn die FPÖ die Mehrheit dieser Stimmen hätte, würde ihr das bei durchschnittlicher Wahlbeteiligung höchstens zwei oder drei Mandate im Nationalrat bringen.

Dass sie diese Mehrheit nicht hat, legen die Wahlergebnisse nahe. In den Wahlbezirken, in denen es relativ viele serbischstämmige Wähler gibt, schnitt die FPÖ schlecht ab als österreichweit beziehungsweise wienweit.

Eine der wenigen Ausnahmen ist der 16. Wiener Gemeindebezirk Ottakring. Hier verzerrten die Gebiete in der Nähe des Stadtrands das Ergebnis zugunsten der FPÖ. Dort leben kaum Migranten. Es ist eine Gegend für finanziell bessergestellte Österreicher.

Der wirkliche Erfolg der Serben-Kampagne

Der Erfolg des jahrelangen Werbens um die Stimmen der Serben ist ein anderer.

Dass relativ viele serbischstämmige Wähler für die FPÖ votieren, nutzt die in ihrem Wesen ausländerfeindliche FPÖ, um sich gegen den Vorwurf des Ausländerhasses zu verteidigen.

Wenn wir serbische Wähler haben, können wir doch nicht ausländerfeindlich sein, lautet die Argumentation.

Der serbischstämmige Wähler wird für eine rechtsradikale Partei, was der sprichwörtliche jüdische Freund für einen Antisemiten ist.

Das öffnet die FPÖ potentiell für weitere Migrantengruppen, in denen Vorurteile gegen Muslime ebenfalls weit verbreitet sind.

Aufgebauschte Sympathien sollen SPÖ verunsichern

Genauso wichtig ist, dass der relative Erfolg bei serbischstämmigen Migranten die SPÖ verunsichert.

Sie konnte sich über Jahrzehnte der Stimmen der Einwanderer sicher sein. Das scheint nicht mehr gegeben.

Zumal die FPÖ-Propaganda die Ergebnisse ihrer Kampagne geschickt überhöht und viele Journalisten das unkritisch übernehmen. Die Serben seien eh schon mehrheitlich ins blaue Lager gewechselt, lautet ein gängiges Latrinengerücht.

Beweise gibt es nicht. Es gibt keine Umfragen, die das Wahlverhalten von Migranten und ihrer Nachkommen untersuchen. Das einzige, woran man sich halten kann, sind Wahlergebnisse und anekdotische Geschichten.

Und hier sind die FPÖ-nahen serbischstämmigen Wähler lauter als die anderen. Jeder mit auch nur rudimentären Kontakten in die Community kennt mindestens einen Serben, der FPÖ wählt. Die SPÖ-nahen Serben reden kaum über Politik. Das lässt die blauen Sympathisanten zahlreicher erscheinen, als sie sind,

Allerdings, wer gegen die FPÖ auftritt, bekommt aus der Community viel Zuspruch, sagt Kristina: „Als ich voriges Jahr eine Abrechnung mit den serbischstämmigen FPÖ-Fans für Kosmo geschrieben habe, hab ich in kürzester Zeit 200 Freundschaftsanfragen gehabt. Negative Reaktionen gab es auch, aber das war vielleicht ein Prozent davon.“

Das strahlt allerdings über die Dijaspora kaum hinaus. Das Interesse der österreichischen Gesellschaft, wie Migranten und ihre Nachkommen wirklich leben und denken, ist überschaubar.

Migranten werden gegeneinander ausgespielt

Langfristig birgt das Anbiedern der FPÖ an die serbischstämmige Community eine weitere Gefahr: Es spaltet nicht nur die Dijaspora sondern vertieft die Gräben zwischen den Migrantengruppen. Es spielt Migrant gegen Migrant aus.

Widerstand gegen die offene Hetze der Partei kann sich so deutlich schwerer organisieren und artikulieren.

Einen solchen Widerstand bräuchten vor allem die Migranten in diesem Land. Sie waren die ersten Opfer der FPÖ-Politik und sie werden, sollte die FPÖ nach dem 15. Oktober wieder in der Regierung sein, wieder die ersten Opfer sein.

Das vergessen serbischstämmige FPÖ-Fans gern.

Um zu erkennen, wie ernst es die Partei mit ihnen meint, bräuchten sie nur einen Blick auf die Wahllisten für den Nationalrat werfen. „Auf der Bundes- und der Wiener Landesliste gibt es keinen einzigen serbischstämmigen Kandidaten“, sagt Kristina. „Das sagt doch alles.“

Dieser Beitrag ist auch auf Balkan Stories erschienen.

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