Armin Laschet gilt als Zukunftshoffnung der NRW-CDU. Morgen tritt er gegen Karl-Josef Laumann für den Fraktionsvorsitz der CDU an. Vor gut 20 Jahren aber veröffentlichte der Aachener ein zweifelhaftes Buch über eine skandalöse Rede
Armin Laschet ist auf dem Sprung. Der 49-jährige Christdemokrat wird nach dem Zusammenbruch der Rüttgers-CDU in Nordrhein-Westfalen hoch gehandelt. In der Presse gilt er als „Vertreter der Großstadt-CDU“ („FAZ“), als „Modernisierer“ („Spiegel“). Die Christdemokraten seien dank Integrationsminister Laschet „im Einwanderungsland Deutschland angekommen“, lobte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Sylvia Löhrmann in der „taz“. Ausländerfreundlich, offen, modern – der Katholik und ehemalige Journalist scheint bei seinem Aufstieg kaum noch aufzuhalten.
Wer ist dieser Armin Laschet, der sich so geschickt als besserer, mitfühlender Konservativer darzustellen versteht? Was sind seine politischen Wurzeln und Grundüberzeugungen? Aufschluss darüber kann unter anderem ein schmales Büchlein aus dem Jahr 1989 geben. Gemeinsam mit dem Autor Heinz Malangré gab Laschet den Band „Philipp Jenninger – Rede und Reaktion“ heraus -in einer Schriftenreihe des „Rheinischen Merkur – Christ und Welt“.
Jenninger? Da war doch was? Der damalige CDU-Präsident des Deutschen Bundestags löste am 10. November 1988 mit seiner Rede bei der offiziellen Gedenkfeier zum damaligen 50. Jahrestag der Kristallnacht/Reichspogromnacht einen Skandal aus. In einem eigentümlich buchhalterisch-hobbyhistorischen Stil referierte Jenninger in kühlem Tonfall über die Jahre 1933 bis 1938. Er bezeichnete die „Erfolge“ von Adolf Hitler als ein „Faszinosum“. Und „was die Juden anging“, fragte Jenninger, ob sie „sich nicht doch eine Rolle angemaßt hatten, die ihnen nicht zukam“, ob sie es „nicht vielleicht sogar verdient hatten, in ihre Schranken gewiesen zu werden“. Abgeordnete von SPD und Grünen verließen aus Protest gegen Jenningers Rede den Sitzungssaal. Die Weltöffentlichkeit reagierte irritiert bis empört. Jenninger trat zurück und machte alles noch schlimmer, als er in einem ARD-Interview beleidigt sagte: „Man muss daraus lernen, nicht alles darf man beim Namen nennen in Deutschland.“ Im übrigen sei er missverstanden wollen.
So weit, so schlecht. Jenningers Rede ist als Teil der neokonservativen, revisionistischen 80er-Jahre-Debatte in die Geschichte der Vergangenheitspolitik eingegangen. Im Windschatten des Historikerstreits, in dessen Zuge rechte Gelehrte und Publizisten die Besonderheit der Shoa anzweifelten, war die Rede ein weiteres Beispiel für einen Diskurs, der böse Nazis sorgsam von „verführten“ Deutschen trennte und die Mitläufer und Mittäter entlastete. Auf dem langen Weg der Selbstzuschreibung der Deutschen als Unbeteiligte und indirekten Opfer der Nazis (durch Bombennächte und Vertreibung) war Jenningers Vortrag ein wichtiger Meilenstein.
Und Laschet? Bei dem gemeinsam mit Malangré herausgebenen Büchlein – im schwarz-rot-goldenen Design übrigens – sollte es sich nach Angaben aus dem Vorwort nicht um ein „Rechtfertigungswerk“ für Jenninger handeln. Dennoch ist der gesamte Tonfall des Werks apologetisch. Im Vorwort weisen die Herausgeber sogleich darauf hin, dass Jenninger „mehrfach den Staat Israel besuchte und seine Solidarität bekundete“. Zerknirscht fragen sich die Herausgeber, wie Jenninger „so gründlich mißverstanden werden konnte“. Der Wortlaut der Rede sei vielen gar nicht bekannt, jammern Laschet und Malangré. Die Reaktion auf die Rede in Italien sei zunächst von „unerbittlicher Härte“ gewesen – eine im Zusammenhang mit den Nazi-Verbrechen bedenkliche Wortwahl, auch wenn Italiens Gazzetten Jenninger besonders harsch attackiert hatten. Als ultimative Rechtfertigung drucken die Herausgeber seitenlang zahlreiche lobende-rechtfertigende Briefe an Jenninger ab. Etliche Briefe stammen von emigierten Juden und anonymen Sozialdemokraten – wer will da nicht widersprechen? Die Herausgeber „verbürgen“ sich dafür, dass die Auswahl der abgedruckten Pro-Jenninger-Briefe repräsentativ ist für die insgesamt etwa 10 000 Zuschriften, mit denen Jenninger „überschwemmt“ worden sei.
Nach der Lektüre des Bandes bleiben viele Fragen. Warum hat Laschet dieses Buch herausgegeben? Damals war er offenbar noch kein „linker“ CDUler. Laschet arbeitete nach Angaben auf dem Buchumschlag zu dieser Zeit als „wissenschaftlicher Referent beim Deutschen Bundestag in Bonn“ und hat die Aufregung um Jenninger hautnah miterlebt. Das Buch wirft Fragen über den jungen politischen Menschen Armin Laschet auf. Er hat auf knapp 150 Seiten eine fragwürdige Reinwaschung einer skandalösen Rede veröffentlicht. Vielleicht schämt sich Laschet heute für dieses Werk und es ist eine Jugendsünde. In jedem Fall zeigt das Buch Brüche im Leben des möglichen künftigen CDU-Fraktionschefs.
„Aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen, ist das Verlangen vieler. Schon zu erkennen, was war, um zu verstehen, was ist, und zu erfassen, was sein wird, das scheint doch die Aufgabe zu sein, die der Geschichtserkenntnis zugeschrieben wird. „
Es sei daran erinnert, dass der seinerzeitige Vorsitzende des Zentralrates der Juden, Ignaz Bubis, Jenningers Rede am 9. November 1989 in der Frankfurter Synagoge zitierte und dafür Applaus erhielt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Philipp_Jenninger#Rede_am_10._November_1988_im_Deutschen_Bundestag
Das Problem bei Jenningers Vortrag war die Art des Vortrages, nicht der Inhalt der Rede. (Und natürlich, dass gewissen Linke den Konservativen an sich als per se nationalsozialistisch ansehen und immer bereit sind, sich über vermeintliche Belege zu empören… Die selbe Rede von Johannes Rau vorgetragen hätte frenetischen Beifall erzeugt….)
Gute, ausführliche Analyse zur Jenninger Rede: https://buecher.hagalil.com/lang/jenninger.htm
Bevor sich hier alle Laschet-Fans mit Wikipedia-Wissen die Jenninger-Rede schönsaufen, einfach mal ein passender Satz, den Sebastian Haffner zu dieser unsäglichen Rede gesagt hat. Er merkte damals an, dass man besser „am frischen Grab des Ermordeten nicht über die interessanten Seiten seines Mörders“ sprechen sollte. Zu einer solchen Rede ein Pro-Büchlein zu schreiben, spricht Bände über Laschet? Der Mann ist mir ein Rätsel. Er steht für alles und nichts…
Das Fragezeichen streiche ich. Das Buch spricht Bände über Laschet! Er war damals noch jung, aber den Kontext der damaligen Debatte dürfte er geschnallt haben
Die Jenninger-Rede kann man bequem nachlesen:
https://www.mediaculture-online.de/fileadmin/bibliothek/jenninger_rede/jenninger_rede.pdf
E I N Grund, warum Jenninger zurücktreten mußte, war der Umstand, daß man schlecht ein halbes Parlament in die Wüste schicken kann, weil es unzureichend Deutsch versteht.
@ Obermanns und Konsorten
Ja, genau, is klar. Keiner hat die ach so tolle Rede verstanden. Haffner nicht, Broder nicht, Gräfin Dönhoff nicht, Hans-Jochen Vogel nicht und israelische Regierungsmitglieder auch nicht. Das ist doch Unsinn. Tatsache ist, dass es grottenschlechte Rede war – in jeder Beziehung. Jenninger hat ohne offensichtliche und scharfe Distanzierung antisemitische Stereotypen wiederholt. Das sollte man weder heute noch damals schönreden.
Lustig und treffend ist auch der Werbelink, den die Barone oben passend zu Jenningers Grotten-Vortrag anpreisen:
„Endlich sicherer reden? Verbessern Sie mit der bewährten AudioCD Ihre Rhetorik und Reden! http://www.KunstDesAuftritts.de“ Gelungen, aber kommt für Herrn Jenninger viel zu spät.
Sehr geehrte Frau Joeres offensichtlich hat Herr Laschet im Leben dazugelernt. Bleibt zu hoffen, dass Ihnen das auch gelingt.
Sehr geehrter Herr Torti und to whom it may concern,
es gibt in diesem Blog so eine Tendenz, argumentfrei jedweden Autoren anzugehen, wenn einem der jeweilige Artikel nicht in den politischen Kram passt.
Kollegin Joeres kommt das Verdienst zu, ein interessantes Detail aus Laschets Lebenslauf beleuchtet zu haben. Das wird sie hoffentlich nie verlernen. Das Jenninger-Buch kommt interessanterweise in den meisten (oberflächlichen) Zeitungsporträts über den Kandidaten nicht vor. Dass Jenningers Rede kein Persilschein-Buch verdient, dürfte unumstritten sein. Bleibt die Frage: Warum hat Laschet 1989 ein Buch in Stil und Optik der Stahlhelm-CDU veröffentlicht?
@ #7 Mittelvielwisser
Gräfin Dönhoff ist während der Rede Jenningers in Tränen ausgebrochen. Nach eigenem Bekunden jedoch nicht wegen des Vortrags, sondern weil sie der Anlaß als solcher so berührte.
Mit Haffner und Broder muß man nicht einer Meinung sein (das war Haffner z. T. nicht mal mit sich selber).
Israelische Regierungsmitglieder mußten auf Nachfrage einräumen, daß sie die Rede auf Hörensagen hin verurteilt hatten.
Bei Jochen Vogel kenne ich die Motive nicht, ein plausibles könnte gewesen sein: „Hier zieht mein Volk, ich muß ihm nach, denn ich bin sein Führer“ (Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord). Er wäre nicht der erste und nicht der letzte, dem das passiert.
Die später unter Beifall stattfindende, ganze Passagen zitierende Rede von Bubis deutet eher nicht auf eine kompetente Rezeption im Bundestag hin.
Dönhoff hat ihre kritik an jenninger später wiederholt. Haffner wußte glaub ich, was er sagt. Die behauptung, dass all diese nicht ganz dummen menschen die rede nicht kapiert haben, ist hochmütig. Vielleicht waren die ganzen 1000 jahre ja auch nur ein mißverständnis?
wenn ich Heute die Kommentare lesen nichts verstanden oder nichts dazugelernt, ewig gestern geblieben, Leute wo ist das Vorwärts?
Gruss
[…] Armin Laschet: Der Kandidat von morgen und eine Rede von gestern (Ruhrbarone) – Armin Laschet (CDU), derzeit noch Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen, will neuer CDU-Fraktionsvorsitzender werden (gegen seinen noch-Regierungskollegen Karl-Josef Laumann). Eine eher unbekannte Seite Laschets decken die Ruhrbarone aktuell auf. So hat er ein zweifelhaftes Buch über die berühmt-berüchtigte Jenninger-Rede verfasst. […]
@ #13 Wähler
Aber wer ist der Ewiggestrige?
Selbsternannte, schwarz uniformierte Blockwarte, die Immigranten erklären welcher Hausschmuck in Deutschland politisch opportun ist, wie es in Berlin z. Z. geschieht?
Was ist vorwärts gewandt?
Auf einer Gedenkveranstaltung für Millionen barbarisch ermordeter sein tagespolitisches Mütchen zu kühlen, indem man einen Redner als Lügner diffamiert, bevor der kaum über die Einleitung hinausgekommen ist?
@ #12 Mittelvielwisser
Das „1000 jährige-Mißverständnis“ sollten wir lieber ganz schnell vergessen. Godwins Law ist auch Ihnen ein Begriff, und Sie wissen auch, daß die persönliche Einhaltung dieser Regel ein Ausweis für Argumentationsschwäche und Ahnungslosigkeit ist.
Haffners Kritik war eher Stilkritik und weniger eine inhaltliche. Einen argumentativ haltlosen Ausflug in eine Diffamierung Jennigers als Ewiggestrigen hatte er nicht nötig. Es gab und gibt fundierte Kritik an der Rede, diese Kritik rechtfertigte es aber an keiner Stelle die Veranstaltung zu sprengen.
Sie haben eine Quelle für die wiederholte Kritik von Gräfin Dönhoff? Meine Quelle war übrigens die FAZ.
Bevor wir hier seitenlang aneinander vorbei schreiben, lassen Sie mich folgendes klar stellen: Jenninger war und ist kein begnadeter Redner, seine Ausführungen waren inhaltlich banal und in der Diktion eher fade. Darüber brauchen wir nicht streiten.
Jenninger brach aber auch mit wohlfeiler Betroffenheitsrhetorik. Die berühmte und gefeierte Weizsäcker Rede 1985 ist im Rückblick genau bei diesem Thema, im dritten Abschnitt, ausgesprochen schwach. Er konstatierte ein allgemeines „nicht wissen wollen, was man hätte wissen können/sollen/müssen“, nur um später über seinen Vater Ernst, Staatssekretär und SS-Ehrenführer, zu sagen, der habe von allem nichts gewußt.
Während also Weiszäcker in wohl gesetzten Worten niemandem wirklich weh tat und so sich selbst und seinen Vater schützte, präsentierte Jenninger peinliche Fragen. Peinliche Fragen und ein mäßiger Redner verlangen ein aufmerksames Publikum, wenn die Botschaft verstanden werden soll. Ein z. T. völlig anders gestimmtes wartete aber im Plenarsaal.
@ Obermanns
Zu Dönhoff siehe DIE ZEIT 18.11.1988 Ein langer Contra-Beitrag gegen die Rede…
Zunächst eine Richtigstellung von mir, es war nicht Gräfin Dönhoff, die während der Rede in Tränen ausbrach sondern Ida Ehre.
Die Kritik Dönhoffs an der Rede findet sich hier: https://www.zeit.de/1988/47/Ein-verfehltes-Kolleg
Ich bin nicht unbedingt immer einer Meinung mit Broder aber in diesem Fall bin ich es: https://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/872426/
Direkt hintereinander gelesen ergibt sich ein Sinn, der einem nicht gefallen kann. Gräfin Dönhoff leitet ihre Kritik mit dem späteren Jenninger Zitat ein: „daß man in Deutschland nicht alles beim Namen nennen kann“ und beschließt sie mit Stimmen des Widerstands. Aber welche gesellschaftliche Relevanz hatte dieser Widerstand von 1932 bis 38 bzw. 44.? Das wissen wir beide sehr gut, praktisch keinen, und der Schluß, den man ziehen könnte, ist: sie wollte sich lieber an dieses Feigenblatt klammern, als sich mit der Arbeit ihrer Kollegen Henri Nannen, Jürgen Eick oder Josef Müller-Marein während des Dritten Reiches beschäftigen.
es ist, glaube ich, sehr wichtig, sich vor augen zu halten, dass eine rede – egal wieviel wahres sie enthalten mag – auch gut vorgetragen werden muss, damit man sie versteht.
ich habe in einem seminar die sehr lange rede gehört – wenn man teile derselben verpasst, kann man die fragmente schnell falsch deuten, zumal zitat und eigentliche rede teilweise sehr schlecht auseinanderzuhalten waren.
es hat also nicht so viel mit dummheit oder ignoranz zu tun, sondern vielmehr mit aufmerksamkeit und rhetorik.
auch hat die presse meiner meinung nach zu schnell und überzogen reagiert.
was ich jedoch interessant finde, ist das laschet jenninger verteidigt und jahre später faruk sen wegen einer kolumne in einer türkischen zeitung rauswirft…
Ihre Ansichten zur Qualität der Rede im Bundestag teile ich.
Dummheit und Ignoranz des Publikums dürften aber trotzdem einen gehörigen Anteil am Eklat gehabt haben.
Vergessen Sie bitte nicht, daß der Vortrag nicht während eines Proseminars oder einer Allerweltsbundestagssitzung stattfand. Stellen Sie sich vor auf einer Beerdigung würde jemand ähnlich „begnadet“ über den Verstorbenen reden. Die gebotene Reaktion, wenn man meint sich „verhört“ zu haben, ist nicht sofort unter Protest den Raum verlassen sondern Ohren spitzen. Zu dieser „Anstrengung“ waren Teile des damaligen Auditoriums nicht in der Lage oder bereit.
Faruk Şen war nicht zu halten. Schon mit seinen Einlassungen zum Genozid an den Armeniern 2006 geriet er ins Kreuzfeuer der Kritik und sein haltloser Ausbruch 2008 stellten seine Befähigung zur wissenschaftlichen Arbeit am Thema endgültig in Frage. Wenn z. B. in Deutschland sich jemand wie Sarrazin in einem eher unbeachteten Medium zu Tiraden versteigt, die nur als faschistoid bezeichnet werden können, dann ist daraufhin er selbst in seiner bürgerlichen Existenz bedroht, aber eben nicht die von ihm geschmähten türkischen Gemüsehändler. Şen schien zunehmend seine (Stiftungs-) Professur mit einer Propagandastelle türkischer Nationalisten zu verwechseln, und so hat der Stiftungsvorstand Şen von seinen Aufgaben entbunden und die Abberufung bei Laschet beantragt.