Chinesische Schiffe zerstören Unterseekabel, Hacker greifen Behörden an und Gebäude von Rüstungsunternehmen gehen in Flammen auf. Zufall? Nein: Hybride Kriegsführung.
Walerj Gerassimow, Chef des Generalstabs der russischen Streitkräfte und seit Januar 2023 Oberbefehlshaber über die russischen Truppen im Krieg gegen die Ukraine, skizzierte in einer Rede am 2. März 2019 in der Russischen Akademie der Militärwissenschaften die Bedeutung der hybriden Kriegsführung: „Obwohl die informationelle Sphäre keine klaren nationalen Grenzen besitzt, schafft sie die Möglichkeit, auf Distanz und gedeckt nicht nur auf wichtige informationelle, kritische Infrastruktur einzuwirken, sondern auch auf die Bevölkerung des Landes, die unmittelbar den Zustand der nationalen Sicherheit beeinflusst.“ Neben den bekannten Sphären militärischen Handelns, Land, See, Luft und Weltraum, ist für Gerassimow auch die „informationelle Sphäre“ bedeutend, und auf ihr führt das Land bereits Krieg gegen den Westen.
„Zu den eingesetzten Instrumenten“, teilt der Verfassungsschutz auf Anfrage mit, „gehören beispielsweise Desinformation, Cyberangriffe auf staatliche Stellen und Unternehmen, Spionage, wirtschaftliche Einflussnahme, zum Beispiel durch gezielte Investitionen in Schlüsselindustrien, und Sabotageaktionen.“
Wie das aussieht, hat Bruno Kahl, der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, auf einer Tagung des Nachrichtendienstes des Bundes beschrieben: „Der Kreml sieht den Westen und damit auch Deutschland als Gegner. Die Bereitschaft Moskaus zu weiteren Aktivitäten im Feld der hybriden und verdeckten Maßnahmen hat dabei ein bisher ungekanntes Niveau erreicht. Putin wird „rote Linien“ des Westens austesten.“
Russland steckt nach Recherchen von Correctiv hinter den Kopien bekannter Medien im Internet. Unter dem Logo von Bild, Spiegel oder Welt wird russische Propaganda verbreitet, werden Berichte von Ukrainern, die „unsere Frauen“ vergewaltigen, oder dass die ukrainische Gegenoffensive „Deutschland am härtesten treffen“ veröffentlicht.
So versucht Russland, Einfluss auf die Meinung in der Bevölkerung zu nehmen und die Unterstützung für die Ukraine zu untergraben. Auch Parteien werden zur hybriden Kriegsführung genutzt. Russland tut das schon lange. Seine Geheimdienste können auf Erfahrungen aus der Zeit der Sowjetunion zurückgreifen, in der Parteien wie die DKP aus dem Ostblock finanziert und gesteuert wurden. „Sie zielen auf die europäischen Länder ab, um die EU zu schwächen und den Konsens hinsichtlich der Sanktionen zu zerstören. Das ist sehr ernst zu nehmen. Sie haben eine Menge Zeit und Geld dafür aufgewendet“, zitiert Catherine Belton in ihrem Buch „Putins Netz“ Michael Carpenter, der 2015 Russlandberater des damaligen US-Vizepräsidenten Joe Biden war. Die Linkspartei, der Front National, die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien und die Lega Nord wären finanziell von Russland unterstützt worden. Dass der AfD-Politiker Petr Bystron im Verdacht steht, Geld aus Russland angenommen zu haben, passt ins Bild. Der Kauf von Parteien, auch das ist ein Element der hybriden Kriegsführung und geht wahrscheinlich über den Kreis der genannten Parteien hinaus.
Und dann sind da noch all die merkwürdigen Vorfälle der vergangenen Monate, die ins Bild der von Gerassimow beschriebenen Strategie passen: Rheinmetall-Chef Armin Papperger soll das Ziel mutmaßlicher Anschlagspläne Russlands gewesen sein, Brände in Fabriken des Rüstungskonzerns Diehl, der Waffen an die Ukraine liefert, bei denen Sabotage nicht ausgeschlossen werden kann, Drohnenflüge über NATO-Einrichtungen und immer wieder Warnungen vor Anschlägen gegen Kasernen.
Russland steht auch im Verdacht, Flüchtlinge nach Europa einzuschleusen. Nach einer veröffentlichten Recherche von WDR, Süddeutsche und NDR im Mai vergibt Russland in einigen Ländern bereitwillig Einreisevisa, um gezielt Migranten anzulocken. Diese reisen dann häufig nach Moskau oder St. Petersburg und von dort aus weiter nach Belarus. Von dort aus versuchen sie, in die EU zu gelangen, wie aus Sicherheitskreisen berichtet wird. Praktisch, wenn man dann wie Russland migrantenfeindliche Parteien im Portfolio hat.
Im Frühjahr kam es nach Angaben des Bundesinnenministeriums zu Cyberangriffen der Hackergruppe APT 28, die dem russischen Militärgeheimdienst GRU zugeordnet wird, gegen „die SPD-Parteizentrale sowie gegen deutsche Unternehmen aus den Bereichen Logistik, Rüstung, Luft- und Raumfahrt, IT-Dienstleistungen sowie gegen Stiftungen und Verbände.“
Ähnliche Berichte gibt es aus fast allen europäischen Staaten und auch den USA. Russland führt einen hybriden Krieg gegen den Westen und damit auch gegen Deutschland. Das Ausmaß lässt sich nur abschätzen. Auch das ist Teil der Strategie hybrider Kriegsführung.
Der Text erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Jungle World