Ein Skandal um das Entsorgungsunternehmen EBE erschüttert die Essener Politik. War das Unternehmen ein Selbstbedienungsladen für Sozialdemokraten?
Das Schreiben vom 12. September an Essens Oberbürgermeister Reinhard Paß, war purer Sprengstoff: Der Lünener Konzern Remondis, der zu 49 Prozent an den Entsorgungsbetrieben Essen (EBE) beteiligt ist, hatte auf neun Seiten akribisch aufgeführt, warum er auf einer Gesellschafterversammlung unter anderem die einer Abberufung des EVE-Geschäftsführers Klaus Kunze verlangte:
Freigestellte Betriebsratsmitglieder hätten jährlich Zulagen von bis zu 81.633 Euro zusätzlich ihren Gehältern bekommen, Kunze hätte sich vom Unternehmen Vorsorgeuntersuchungen bezahlen lassen, teure Karten für Udo Jürgens, Jennifer Lopez und Lords of the Dance seien ebenso ohne betrieblichen Anlass verteilt worden wie Einladungen zu Fußballspielen von Borussia Dortmund und Schalke 04. Unter den Begünstigten, geht aus dem vertraulichen Schreiben von Remondis hervor, das dieser Zeitung vorliegt, war auch Roman Brüx, der Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Essen und Paßs Büroleiter Uwe Gummersbach.
24 Dauerkarten für die Bundesligaspiele lagen bei der EBE bereit: 14 für Borussia Dortmund, zehn für Schalke. Allesamt Sitzplätze der Kategorie „Man gönnt sich ja sonst nichts“.
Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft Essen gegen Kunze. Es besteht der Verdacht auf Untreue.
Am meisten von der Großzügigkeit Kunzes profitierte jedoch Harald Hoppensack, bis zu seinem Rücktritt Ende September SPD-Ratsherr: Ohne Ausschreibung soll Hoppensack 2011 von der EBE einen Beratervertrag erhalten haben, der bis Ende 2014 gültig ist. Nach den Remondis-Unterlagen rechnete Genosse Hoppensack allein 2012 210.630 Euro ab. Das Geld erhielt er für IT-Beratungen. Die sind nur ein Bereich im Bauchladen des rührigen Sozialdemokraten, der ausweislich seines Xing- Profils auch Interimsmanagement, die Erarbeitung von Strategieszenarien, Vorbereitung von Bankgesprächen und „Kontakte nach Russland“ im Angebot hat.
Essens Oberbürgermeister Paß hatte im März noch dafür gesorgt, dass der Vertrag des 69jährigen Kunze verlängert wird. Gegen den Willen von Remondis sollte Kunze bis Ende 2015 die EBE leiten. Doch obwohl sich Paß nach den Remondis-Vorwürfen hinter Kunze stellte und darauf verwies, dass dieser so lange als unschuldig zu gelten habe, bis alle Vorwürfe geklärt seien, hielt Kunze den Druck nicht lange aus und trat zurück. Er fühle sich „diffamiert und bloß gestellt“, schrieb Kunze an OB Paß.
Der bedauerte den Abgang Kunzes in einer wortreichen Erklärung: „Ich bedauere nur zutiefst, dass mit der Entscheidung von Herrn Kunze nun eine Art ‘Urteil’ gefällt wird, obwohl die ‘Beweisaufnahme’ noch gar nicht vonstatten gegangen ist. Das hat Herr Kunze, der sich zweifellos große Verdienste um die gute wirtschaftliche Entwicklung der EBE erworben hat, wirklich nicht verdient. Ich zolle Herrn Kunze großen Respekt für seine Leistungen, aber auch für seine Entscheidung.”
Für Elisabeth van Heesch-Orgass, Ratsfrau der Grünen und Mitglied des EBE-Aufsichtsrates sieht die Sache etwas anders aus: „EBE ist ein Beispiel für klassischen SPD-Filz im Ruhrgebiet.“ Zwar streitet auch sie nicht ab, das auch für Kunze die Unschuldsvermutung gilt, aber die Vorwürfe hält sie für verheerend: „Sollten sich die Vorwürfe als wahr erweisen, wurde gegen jeden ethischen Standard verstoßen.“ Kunze und Hoppensack, sagt sie, seien beide noch ein Teil des Systems Willi Nowack gewesen.
Zu dem gehörte auch OB Paß. Willi Nowack, zuletzt 2011 vom Landgericht Essen wegen Insolvenzverschleppung zu einem Jahr und vier Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt, war lange Zeit der mächtige Mann der SPD, ein roter Pate. Nowack war Fraktionsvorsitzender der SPD im Rat, Landtagsabgeordneter und zugleich umtriebiger, wenn auch letztendlich erfolgloser Geschäftsmann der Politik, Geltungssucht und Eigennutz zu verbinden wusste: In seiner Zeit als Vorstand der Sparkasse Essen erhielt sein Immobilien-Unternehmen von derselben großzügige Kredite in Millionenhöhe und auch dem nun zurückgetretenen Ratsherren Hoppensack griff er in seiner Zeit als EBE-Aufsichtsrat unter die Arme: „Als sein Gefolgsmann und Ratsherr Harald Hoppensack mit seiner Agentur in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, half ihm Nowack mit einem EBE-Beratervertrag aus der Patsche,“ schreibt Wolfgang Hippe in seinem Buch „Lokaltermin“. Unter Paß als EBE-Aufsichtsratsvorsitzender, den Hippe als einen der „wichtigsten Günstlinge“ Nowacks beschreibt, geschah dies dann offenbar wieder und auch der nun zurückgetretene Kunze war nicht nur Genosse sondern auch Kumpel Nowacks. Die WAZ beschreibt auch Kunze als seinen engen Vertrauten.
Für die Grüne van Heesch-Orgass ist klar, dass sich die SPD auch nach der Nowack-Zeit nicht gewandelt hat: „Da herrscht noch immer das Denken vor „Essen gehört uns““
Dagegen stellt sich auch Linken-Ratsmitglied Hans-Peter Leymann-Kurtz. In der Aktuellen Stunde des Rates zum Thema EBE-Skandal forderte er, künftig keinen Fraktionsmitgliedern wichtige Funktionen bei städtischen Töchtern zu geben.
Udo Bayer von den Freien Wählern forderte auf der selben Sitzung sich endlich an die vom Rat 2008 beschlossenen Ehtik-Richtlinen zu halten: „Es geht und Ethik und Moral – das ist die Messlatte.“
Thomas Kufen, Landtagsabgeordneter und CDU Fraktionsvorsitzender, erinnerte daran, dass bei der Stadt Aufträge ab 10.000 Euro ausgeschrieben werden müssen. Für ihn waren die Vorwürfe ebenso schwerwiegend wie für fast alle Redner im Rat. „Wenn sie sich bewahrheiten, müssen die Betreffenden bestraft werden.“
Die SPD hingegen hielt sich bedeckt. Deren Fraktionsvorsitzender Rainer Marschan gefiel sich in der Pose des Klassenkämpfers: „Remondis hat nur ein Interesse kommunale Unternehmen zu schwächen.(…) Wir müssen unsere städtische Gesellschaften gegen solche Angriffe schützen.“
Nicht erwähnte Marschan, dass es die SPD war, die Remondis an der EBE beteiligte. Ihr damaliger Fraktionsvorsitzender drängte im September 2000 darauf, die EBE zum Teil Remondis zu verkaufen. Sein Name: Willi Nowack.
Auch Paß versuchte zu beschwichtigen. Er betonte erneut, Vorwürfe seinen keine Urteile. Wohl war, aber Skandal um die EBE zeigt, dass die SPD nicht nur in Essen wieder da angekommen ist, wo sie vor über einem Jahrzehnt war: Im verfilzten Geflecht zwischen städtischen Unternehmen und der Politik. Die nach den Wahlniederlagen in den Städten und 2005 im Land versprochenen Änderungen, das Beteuern sich nunmehr für Transparenz einsetzen zu wollen, sie sind längst vergessen. Das Land, das Ruhrgebiet, sie sind beide wieder fest in der Hand der Sozialdemokraten. Das merkt man nicht unbedingt am Gestaltungswillen der Partei, im Land bestimmen oft die Grünen den Kurs, aber an dem festen Willen, Macht- und Versorgungszentren für die eigenen Leute zu sichern.
„Wir bekommen kaum noch gute Leute für Dezernenten und OB-Posten“, klagt ein Kommunalpolitiker gegenüber dieser Zeitung. „Wer was kann, will zu den städtischen Töchtern.“ Dort seien die Einkünfte höher, die Arbeitszeiten kürzer und die Möglichkeiten Freunde zu bedienen besser.
In Essen wird nun eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft die Remondis-Vorwürfe aufklären. Für die SPD wäre es gut, deren Ergebnisse lägen weit vor der Kommunalwahl im Mai nächsten Jahres vor – oder deutlich später.
Der Artikel erschien in ähnlicher Version bereits in der Welt am Sonntag.
Ich finde, das ist ganz großes Kino. Die eine Filzfirma, die u.A. als Vorgängerin Rethmann in die großen Müllverbrennungs-Korruptionsskandale verwickelt war und auch bei ungenehmigter Giftmüllentsorgung oder Italien-Exporte gern mit Bezirksregierungen „kooperierte“, haut die andere Filz“firma“ SPD lüstern in die Pfanne – natürlich nur um sich weitere Vorteile zu sichern. Bin mal gespannt, wann Remondis – die ja als STEAG-Bieter von den Stadtwerken ausgestochen wurde – auch mal in Dortmund den Fisch in die Zeitung packt;-)
Ich sag’s ja immer wieder: Die einzig verbliebene *und* gleichzeitig florierende Industrie in NRW ist der mafiöse Sumpf rund um Müll-, Altlastenentsorgung und rotgrün gesponserter, von gesetzlichen Auflagen möglichst befreiter Kreislaufwirtschaft. Nur allzu selten ist es halt wie im Film, wenn sich die „Paten“ gegenseitig ihre Betonschuhe gießen.
Stefan,
wenn ich als Sozialdemokrat, der sich primär politisch-administrativ mit dem Kommunalen befaßt hat, feststellen muß „Leider typisch im Revier“, bedarf es dazu durch mich keiner zusätzlichen Erläuterungen.
Ich könnte jetzt mit den üblichen Versuchen einer Erklärung beginnen, auch mit Relativierungen, aber das ändert nichts am Sachverhalt.
„Was sozialdemokratischer Filz im Revier ist, ist CSU-Filz in Bayern“.
Wer will, kann ja jetzt den Streit über strukturelle oder nur graduelle Unterschiede zwischen den beiden „Filzo-Kratien“ beginnen; ich nicht.
@#2 | Walter Stach: “Was sozialdemokratischer Filz im Revier ist, ist CSU-Filz in Bayern”
Allerdings würden CSUler darüber schmunzeln, während die hiesigen SPDler darunter eher eine Beleidung vermuten. Trotz besseren Wissens.
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