Der nächste Bundesparteitag des Bündnis Sahra Wagenknecht könnte im Hinterzimmer einer Kneipe in Suhl stattfinden

Sahra Wagenknecht auf dem BSW-Bundesparteitag in Bonn im Januar 2025 Foto: Laurin

Für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) läuft es nicht gut. Krieg und Frieden, die Leib- und Magenthemen der jungen Partei, die sich bestens mit Hetze gegen den Westen verbinden lassen, spielen im Wahlkampf keine Rolle.

Migration und Wirtschaft sind die Themen, die die Wähler beschäftigen. Der Einzug in den Bundestag ist nach der Wahl am 23. Februar eher unwahrscheinlich, in den Umfragen sackt die Partei ab. Dazu kommen interne Streitigkeiten und Austritte. Das BSW zerbröselt und Sahra Wagenknecht hat klar gemacht, dass es, wenn es nichts wird mit dem Bundestag, ihre politische Karriere zu Ende ist. Vor einem Monat,  als sich das BSW zu seinem zweiten Bundesparteitag in Bonn traf, war die Euphorie schon zu Ende. Die vor einem Jahr gegründete Partei beschloss ihr Wahlprogramm  und den treuesten Unterstützern die Parteimitgliedschaft zu ermöglichen.

Hier war es, das Zentrum der alten Bundesrepublik. Gegenüber dem World Conference Center in Bonn, in dem am Sonntag der Bundesparteitag des Bündnisses Sahra Wagenknecht stattfand, liegt das Bundeshaus, zu dem der alte Plenarsaal des Bundestages gehörte. Der Nachfolgebau, in dem das Parlament nur bis zum Umzug nach Berlin tagte, liegt genau gegenüber dem Kongresszentrum.

Die Wahl des Tagungsortes passt zum Anspruch der Wagenknecht-Partei, nach der Bundestagswahl am 23. Februar mit einer möglichst großen Fraktion in den Bundestag einzuziehen und ein wichtiger und dauerhafter Faktor in der deutschen Politik zu werden. Auf dem Parteitag kamen die Mitglieder des BSW zusammen. Gut 1000 davon hat die Partei bislang. Zu wenige, um ein Delegiertensystem aufzubauen, wie es sonst bei Parteien üblich ist. Bis gegen Mittag hatten sich gut 600 von ihnen in Bonn eingefunden, weitere kamen nach und nach dazu. Nichts erinnerte an das Chaos, wie es bei der Linken und anderen gerade gegründeten Parteien üblich war und ist. So straff und professionell wie das BSW organisiert ist, verlief auch das Treffen in Bonn.

BSW-Generalsekretär Christian Leye, einst Landessprecher der Linken in NRW, eröffnete den Parteitag: „Wir haben das Land im BSW-Tempo verändert“, erklärte er zufrieden. Die Partei sei ein Jahr nach ihrer Gründung nun im Europarlament, in drei Landtagen und wäre Teil von zwei Landesregierungen. Man sei nicht angetreten, um nett zu sein, sondern um die Verhältnisse zu ändern. Wer sich dabei keine Feinde mache, mache etwas falsch: „Das politische Berlin kann sich warm anziehen in diesem Winterwahlkampf.“ Unter Bundeskanzler Scholz habe Politik für die Reichen und Mächtigen gemacht, vier Familien besäßen in Deutschland so viel wie die Hälfte der Bevölkerung. Doch wie für die meisten Redner, die auf Leye folgen sollten, waren nicht die Parteien der Ampel das wichtigste Ziel, sondern die direkte Konkurrenz der AfD. „Musk unterstützt die AfD und die AfD macht Politik für Milliardäre. Das ist doch kein Zufall.“ Die AfDler seien die nützlichen Idioten des Systems.“

Auch Amira Mohamed Ali, die gemeinsam mit Sahra Wagenknecht die Partei führt, rühmte sich der Ablehnung durch die politische Konkurrenz: „Die hassen uns. Und das ist auch gut so. Wir halten ihnen den Spiegel vor.“ Die AfD sei ein Fan-Club für Milliardäre. Ihre Unterwürfigkeit gegenüber Trump und Musk sei kein Stück besser als die von Scholz gegenüber Biden, der die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen durchgewunken habe. Ali beklagte, dass das Leben durch die Politik der Grünen immer teurer werde und eine Million Rentner mit weniger als 1200 Euro im Monat auskommen müssten. Das BSW will das ändern, indem es ein Rentensystem wie in Österreich fordert, in das alle, auch Beamte und Freiberufler, einzahlen müssten. Doch solche Momente ernsthafter Realpolitik blieben rar. Musk, Weidel, Milliardäre und das, was das BSW Frieden nennt, standen bei Ali wie fast allen Rednern im Zentrum. Kriege würden durch Verhandlungen beendet und natürlich verurteile man alle Kriegsverbrechen, sagt die Ko-Vorsitzende, auch die in Gaza: „Gaza ist der größte Kinderfriedhof der Welt.“ Die Medien würden versuchen, das BSW herunterzuschreiben, aber man habe ein tolles Programm und mit Sahra Wagenknecht die beste Kanzlerkandidatin von allen.

Nachdem die angekündigte Grußbotschaft von VW-Betriebsrat Stavros Christidis ausfiel, weil er nicht im Saal war, pries Shervin Haghsheno, Mitglied des Parteivorstandes, das vorgelegte Bundestagswahlprogramm. Es sei ein Gemeinschaftswerk. Bei der Wahl im Februar ginge es nicht um Klein-Klein, sondern um die großen Linien.

In dem Programm spricht sich das BSW dafür aus, wieder das preiswerteste Gas zu kaufen, das aus Russland komme. Keine Aufrüstung, mehr Sozialausgaben, Ende des Verbrennerverbots und des Gebäudeenergiegesetzes. Sie will irreguläre Migration stoppen, das „Unrecht der Corona-Zeit“ aufarbeiten und die Deindustrialisierung stoppen. Ökonomen kritisierten das Wirtschaftsprogramm in der FAZ als unbezahlbar und von Misstrauen gegenüber dem Markt geprägt. Tobias Hentze vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln erkannte einen rückwärtsgewandten Grundtenor im BSW-Programm. Ein Beispiel sei für ihn die Klimapolitik. Die geplante Abschaffung der CO2-Abgabe, zitierte ihn die FAZ, würde „sämtliche Bemühungen der Transformation zur Klimaneutralität konterkarieren.“

Das BSW beschwört im Wahlprogramm zum Teil die alte Bundesrepublik, die viele ihrer Mitglieder im Osten und auch Sahra Wagenknecht nur aus dem Fernsehen kannten. Denn mit der Wiedervereinigung und ihren Kosten begann letztendlich der immer wieder beklagte Verfall der Infrastruktur und die Überlastung der Sozialsysteme durch Anspruchsberechtigte aus der ehemaligen DDR, die nie etwas zum Wohlstand des Landes beigetragen hatten, aber ab 1990 versorgt werden mussten.

Es lag an Katja Wolf, die das BSW in Thüringen in eine Koalition mit CDU und SPD führte und auf dem Weg dahin in Streit mit der Bundespartei geriet, den einzigen kritischen Satz gegenüber der eigenen Partei zu formulieren: „Wir wissen, dass wir für die Gesamtpartei eine Zumutung waren in dem Ringen darum, wie wir den Weg richtig gestalten“, sagte Wolf über die Koalitionsverhandlungen. Der Bundesvorstand habe in dem Konflikt „nicht immer nur im feinen Ton gestritten.“ Wolf bekam artigen Applaus.

So moderat war der Umgang mit den Hamburger BSW-Rebellen Dejan Lazić und Norbert Weber nicht. Die beiden hatten einen eigenen Landesverband gegründet und weigerten sich, sich der Parteidiszipiln zu unterwerfen. Nun  sollen sie aus dem BSW ausgeschlossen werden. Der Zutritt zur Tagunsghalle wurde ihnen verweigert. Leye rechnete mit ihnen ab: “Wenn da zwei Unzufriedene einen Fake-Landesverband aufstellen und einen Bundestagskandidaten küren, bekommen die Aufmerksamkeit, die sie nicht verdienen.“ Während Leye auf Lazić und Weber einging, wurde die kleine Gruppe von Demonstranten, die vor dem Parteitag gegen die Nähe des BSW zu Putin und für Solidarität mit der Ukraine demonstrierte ignoriert.

Für die Neu-Berlinerin Sevim Dagdelen wird der beginnende Wahlkampf zum „Schaulaufen der US-Milliardäre.“ Jeder US-Milliardär habe seine Partei und seine Diener. Aber nicht US-Milliardäre entschieden hier über die Politik, sondern das deutsche Volk. Man wolle Frieden mit Russland, ein Ende der Stationierung von „US-Angriffswaffen“, keine Waffen für die Ukraine und keine deutschen Waffen für den Tod von Palästinensern. Die USA sollten auch ihre 37.000 noch in Deutschland stationierten Soldaten abziehen. „Ami go home“, rief sie den vor Begeisterung tobenden BSW-Mitgliedern im Saal „New York“ des World Conference Centers zu.

Brandenburgs BSW-Finanzminister Robert Crumbach war stolz darauf, dass sein Land im Bundesrat gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland und Bundeswehrsoldaten in Litauen gestimmt habe. Sabine Zimmermann, die BSW-Vorsitzende von Sachsen, erklärte das Scheitern der Koalitionsverhandlungen in dem Ostland mit der Blockade der SPD gegenüber Vorschlägen zur Eindämmung der Migration und der Weigerung der CDU, eine „wahre Friedenspolitik“ mitzutragen. Paul Schreyer, der Chefredakteur von Multipolar, das zu den verschwörungstheoretischen Alternativmedien gerechnet wird und die die Veröffentlichung der Corona-Protokolle vor Gericht erzwang, forderte eine breite Debatte über die Folgen der Corona-Politik, bei der alle Beteiligten auf Augenhöhe miteinander reden sollten. Für ihn ist wahrscheinlich dass das Virus nicht aus China stammt, sondern aus einem Biowaffenlabor im US-Bundesstaat North Carolina. Im Vergleich zu Schreyer wirkte der “Nahost-Experte Michael Lüders schon fast moderat. Der Spitzenkandidat des BSW in Sachsen-Anhalt sprach sich generell für ein gutes Verhältnis zu den USA aus, bezeichnete aber das angeblich Ausbleiben von diplomatischen Friedensinitiativen durch die Bundesregierung als Zeichen „moralischer Verwahrlosung“.

 

Über Mittag beriet die Partei ihr Programm und beschloss es fast einstimmig. Streit um Änderungsanträge gab es nicht, man ging freundlich und diszipliniert miteinander um. Alles ging zügig, denn es standen noch zwei Reden an, denen viele Delegierte entgegenfieberten. Die erste hielt Sahra Wagenknecht. Ihr Pech war, dass ihr fast nur noch zu wiederholen blieb, was ihre Vorredner bereits gesagt hatten. Sie beruhigte die Mitglieder: Dass das BSW in den Umfragen zuletzt ein wenig runter gegangen sei, sei normal: „Viele Menschen wissen noch nicht, wen sie wählen sollen und im Gegensatz zu allen anderen Parteien haben wir keine Stammwähler. Wir werden um jeden Wähler kämpfen müssen, aber auch kämpfen können.“ Alice Weidel nannte sie ein Fan-Girl von Elon Musk und auch von ihr gab es die üblichen Seitenhiebe auf US-Milliardäre. Neben Frieden mit Russland, einer angeblich drohenden Atomkriegsgefahr und billigem Gas stellte Wagenknecht die Freiheit in das Zentrum ihrer Rede: Dem BSW sei Meinungsfreiheit wichtig, viele Mitglieder seien in der Corona-Zeit politisiert worden: „Wer Ukrainepolitik ablehnt, wer die Verbrechen der Netanjahu-Regierung in Gaza benennt, der überlegt sich, ob er sowas noch sagen kann. Vor allem, wenn er in der Kultur, an einer Uni oder Schule arbeitet.“ Am Ende eröffnete sie den Wahlkampf: „Jetzt lasst uns gemeinsam kämpfen. Ich möchte die dummen Gesichter im Bundestag sehen, wenn wir dort eine starke Fraktion haben.“

Der zweite Redner, der schon am Morgen unter Jubel angekündigt worden war, war Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine. Er kündigte gleich zu Beginn an, keine große Rede halten zu wollen, weil „Sahra eine fulminante Rede gehalten hat.“ Um zwei Themen würde es im Wahlkampf gehen: Frieden und Deindustrialisierung. Die Energiepreise in Deutschland seien zu hoch und keine Partei außer dem BSW habe eine Vorstellung, wie man dieses Problem in den Griff bekommen könne. Lafontaines Lösung: „So wie die Welt beschaffen ist, kann man die Energiepreise nicht senken ohne Gas und Öl aus Russland, weil die anderen zu teuer sind.“ Das abzulehnen, weil Putin ein Kriegsverbrecher sei, der einen Angriffskrieg begonnen habe, sei nichts als Doppelmoral: „Wenn das zählt, dürften wir bei den USA kein Frackinggas kaufen, weil sie viele Angriffskriege begonnen haben.“

Er sei immer dafür gewesen, die AfD fair zu behandeln. Aber nun würde Alice Weidel mehr als fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung ausgeben wollen, was nicht einmal theoretisch zu machen wäre. „Schon deshalb hat die AfD nicht das geringste Programm, um die Wirtschaft wieder nach vorne zu bringen.“

Das BSW sei die einzige Friedenspartei. Alle anderen stünden für Aufrüstung, Auslandseinsätze der NATO und unterstützten „Waffenlieferungen in den Gaza-Streifen: „Wer das macht, begeht Kriegsverbrechen.“

Das BSW zieht in den Wahlkampf. Mit Themen, die niemanden interessieren. Der Parteitag zeigte die Geschlossenheit der Kaderpartei. Man war bereit, sich selbst zu feiern. Standing Ovations gab es auch bei eher schwachen Reden. Ging es gegen den Westen, Milliardäre, die USA und Israel, war im Saal echte Begeisterung zu spüren. Hauptgegner ist die in den Umfragen steigende AfD. Sie gewinnt zurzeit die Wähler, die auch das BSW braucht, um in den Bundestag zu kommen. Die AfD wurde konsequent als Partei der US-Milliardäre bezeichnet. In den Umfragen blieb das bislang wirkungslos. Das AfD-Milieu ist wie das des BSW stramm antiwestlich, aber Musk und Trump sind das auch. Sollte das BSW in den Bundestag kommen, will die Partei sich normalisieren, Mitglieder aus dem Kreis der „treuesten“, wie Lafontaine sie nannte, Unterstützer aufnehmen und wie alle anderen Parteien auch eine Stiftung gründen. Scheitert sie an der Fünf-Prozent-Hürde, könnte der dritte Bundesparteitag in einem Hinterzimmer einer Kneipe in Suhl stattfinden. Am 23. Februar geht es für das BSW um alles.

Der Text erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Jungle World

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