Zuletzt hatten wir uns zum Jahrestag der Starkregenereignisse im Juli 2021 gesprochen. Wer Ihnen in den Sozialen Medien folgt, bemerkt sehr schnell, der Mensch will sich nicht wirklich beruhigen, sondern spricht immer neue Erinnerungen und Mahnungen aus. Das lässt uns heute nach der Lage im Allgemeinen und in den Speziellen Szenarien Waldbrand und Blackout erkundigen.
Gercek: Sie laden die Bevölkerung im östlichen Ruhrgebiet in Ihrem Facebookprofil zum Bevölkerungsschutztag nach Dortmund ein (06.08.2022) und versprechen, wir sehen uns. Außerdem äußern Sie sich zur Waldbrandbekämpfung und zum möglichen Szenario eines Blackouts. Warum sind Sie aktuell wieder so umtriebig? Was sollte uns Sorge machen?
Memmeler: Wann, wenn nicht jetzt sollte ich mich äußern? Die Politik hat das Thema Bevölkerungsschutz endlich als relevant eingestuft, unsere Wälder brennen und die möglichen Szenarien, die uns in Herbst und Winter drohen, sind bekannt, wenn diese auch von vielen Mitmenschen fahrlässig ausgeblendet werden.
Beim Thema Waldbrandbekämpfung zitiere ich die Spezialisten und kommentiere lediglich, um auch der Bevölkerung den Zugang zu diesen Erkenntnissen zu erleichtern. Einer dieser Spezialisten ist Dr. Ulrich Cimolino. In einem gemeinsamen Positionspapier stellen die Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) und der Deutsche Feuerwehrverband (DFV) eindeutige Forderungen zusammen, um eine verbesserte Einbindung von Luftfahrzeugen in die Bekämpfung von Vegetationsbränden zu erreichen. https://www.vfdb.de/media/doc/positionspapiere/vfdb_DFV_Positionspapier_Luftfahrzeuge.pdf An diesem Papier hat Dr. Ulrich Cimolino wohl maßgeblichen Anteil.
Die Bundesrepublik, als Land der Normen, hat für den Einsatz von Luftfahrzeugen im Bevölkerungsschutz leider nichts konkret oder besser zielführend geregelt. Im Gegensatz zu Frankreich gibt es keine geregelte Ausbildung von Trupps, die den Einsatz von Luftfahrzeugen am Boden steuern und begleiten. Die Anforderungswege und Kostenübernahmemöglichkeiten sind je nach zuständiger Gebietskörperschaft bzw. Bundesland völlig unterschiedlich, was regelmäßig zu Verzögerungen im Einsatz führt und das föderalistische Verwaltungsdilemma im Bevölkerungsschutz sehr gut beschreibt. Den 16 Landesinnenministerien und dem Bundesinnenministerium kann man dieses Positionspapier nur als Lektüre empfehlen, um sich hernach ordentlich abzustimmen, damit wir endlich Anforderungswege und erforderliche Ausbildungen bundesweit vereinheitlichen können.
Zusätzlich muss allen Beteiligten klar sein, dass ein Vegetationsbrand am Ende nur am Boden gelöscht werden kann, da es gilt alle Glutnester zu beseitigen, bevor aufkommender Wind die Feuer neu entfacht. Obwohl das Risiko von Waldbränden jährlich größer wird, gibt es auch zu dieser wichtigen Aufgabe kaum ausreichend gut ausgebildete Spezialisten in der Bundesrepublik. Geschweige denn ausreichend ausgebildete Einsatzkräfte für diese spezielle und körperlich anspruchsvolle Aufgabe. Diese Spezialisten braucht es aber, um auch das Leben am und unter dem Waldboden zu retten. Gleiches gilt für die erforderlichen Einsatzmittel, deren Beanspruchung und Aufgabe deutlich vom gewöhnlichen Wohnungsbrand abweicht.
Leider wird diese Einsatzerfordernis, anders als leider häufig verbreitet, fast ausschließlich durch Fahrlässigkeit und Absicht von Menschen verursacht.
Auch wenn immer wieder Polizeidirektionen die Ermittlungen einstellen, weil sich zufällig eine Scherbe findet, muss hier endlich mit diesem Blödsinn aufgehört werden, von Selbstentzündungen und Scherben mit Brennglaseffekt zu fabulieren, als seien Waldbrände einfach nicht zu vermeiden. Bis Vegetation brennt, braucht es Temperaturen von 250 Grad und mehr. Heiße Katalysatoren auf Stoppelfeldern oder im Wald, Zigarettenkippen, Grillen und andere absolute Hirnlosigkeiten sind die Auslöser von Waldbränden. Wir können also festhalten, dass die Bevölkerung nicht nur unzureichend zur Selbsthilfe befähigt ist, sondern Katastrophen auch noch hervorragend selbst verursachen kann.
Und mit dieser Aussage sind wir auch schon beim täglich zunehmenden Risiko eines Blackouts. Der drohende Gasmangel könnte im kommenden Winter zu einem „rollierenden Lockdown“ führen, weil einzelne deutsche Regionen der Reihe nach zeitweise von der Energieversorgung abgekoppelt werden müssen, um den gesamtwirtschaftlichen Schaden zu minimieren. Aktuell ist dies lediglich ein mögliches und kein extrem wahrscheinliches Szenario. Durch den Kauf von abertausenden Heizstrahlern, aus Angst vor einer kalten Wohnung oder zum Sparen von Gas, wird dieses Szenario aber plötzlich viel wahrscheinlicher.
Zum einen kann unser Stromnetz diese eventuell auftretende extreme Beanspruchung kaum kompensieren und zum anderen würde der Gasverbrauch zur Stromerzeugung rapide ansteigen. Panik und Dummheit sind keine guten Ratgeber, wenn es heißt Vorbeugung betreiben zu wollen. Hierzu sprechen zwar der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Grüne) und der Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller tägliche Warnungen aus, aber so ganz kann sich die breite Öffentlichkeit eine echte Notlage wegen fehlendem Gas wohl noch nicht vorstellen. Zwar sollen Kohlekraftwerke in der Stromproduktion Gaskraftwerke unterstützen und zum Teil ersetzen, doch leider greift hier ein massives Logistikproblem.
Die Wasserwege lassen aktuell keine vollbeladenen Lastkähne zu, die Spediteure haben sich anders orientiert, da die Abschaltung von Kohlekraftwerken als beschlossen galt, viele der in Kohlekraftwerken erforderlichen Fachkräfte müssen überzeugt werden, noch einmal tätig zu werden und so weiter, und so weiter. Nicht zuletzt brauchen auch Kohlekraftwerke zum Anfahren ihrer Blöcke Gas für die Zündung und zur Entschwefelung. Es gibt bei einer echten Gasmangellage mit „rollierendem Lockdown“ noch mehr Probleme. Diejenigen Betriebe und Haushalte, deren Gasthermen wegen zu geringem Gasdruck ausfallen, müssten per Hand wieder zugeschaltet werden – sofern wieder ausreichend Gas zur Verfügung steht. Hierzu benötigt es Fachkräfte aus dem Heizungsbau. Da dies einige Tage dauern kann, würden diese Verbraucher alternativ mit Strom heizen, was das Stromnetz über seine Belastungsgrenze treiben könnte.
Eine Lösung zum Schutz unserer Stromnetze böte die sogenannte Spitzenglättung. Bei diesem Szenario würden „steuerbare Verbrauchseinrichtungen“ temporär vom Netz genommen. Neben Industriebetrieben zählen hierzu auch Autoladestationen der Elektromobilität und Wärmepumpen. Im Bedarfsfall würden diese für zum Beispiel zwei Stunden pro Tag von der Versorgung ausgeklammert, wenn andernfalls eine Überlastung des Netzes drohen würde. Auch dies ist bislang ein mögliches aber kein unwahrscheinliches Szenario, wenn die Netzstabilität bedroht ist. An einer abschließenden Empfehlung wird im Bundeswirtschaftsministerium derzeit gearbeitet. Es wäre ja auch kaum vermittelbar, wenn die Heilsbringer des Klimaschutzes als Erste von der Abschaltung betroffen wären.
Was sollte uns Sorge bereiten? So lautete Ihre Frage. An diesen beiden Beispielen sehen wir, dass sich im Bevölkerungsschutz noch nichts verbessert hat, die kritische Infrastruktur tatsächlich in einem kritischen Zustand ist und die behördlichen Strukturen sich bei vielen möglichen Antworten selbst im Wege stehen. Ohne Panik verbreiten zu wollen, kann ich an dieser Stelle nur feststellen, dass die Selbsthilfebefähigung unserer Mitmenschen schleunigst ertüchtigt werden muss.
Gercek: OK, wir sollten uns also tatsächlich Sorgen machen und Vorsorge betreiben. Aber warum hat sich nach 2021 und zahlreichen Forschungsergebnissen noch nichts im Bevölkerungsschutz verändert? Und warum sind die Verwaltungswege im Bevölkerungsschutz so hinderlich?
Memmeler: Es gibt, wie auch beim Einsatz von Luftrettungsmitteln zu erkennen, zu viele konkurrierende, weil nicht aufeinander abgestimmte, Rechtsvorgaben, die sich gegenseitig beeinflussen, da der Behördenschimmel nur ungern über den eignen Schreibtisch hinaus schaut. Kellner in Brandenburg würden schlicht sagen; „ist nicht mein Tisch.“ Beamte verweisen hier auf andere Dezernate und übergeordnete Fachbereiche. Außerdem stehen sich im föderalen System zahlreiche Player gegenüber, die zunächst Eigeninteressen gewahrt wissen wollen, bevor man Bereitschaft entwickelt, sich im gemeinsamen Dialog neu aufzustellen.
Zur Verdeutlichung bleiben wir einfach kurz beim Thema Strom. Die Kapazität von Windkraft- und Solaranlagen soll, so lautet die Vorgabe, in kürzester Zeit verdoppelt werden. Dabei gibt es allerdings ein erhebliches Problem. Der Netzausbau kann dieser Ausbaugeschwindigkeit nicht folgen. Deshalb müssen immer mehr Wind- und Solaranlagen abgeregelt werden. Das Stromnetz ist schlicht am Limit. Dem Wusch von mehr erneuerbarer Energie stehen die Interessen der Netzbetreiber gegenüber, preiswert anbieten und vorhalten zu können (Eigeninteresse) und dies wird durch extrem aufwändige Genehmigungsverfahren begleitet, die der Bürokratie und Einspruchsverfahren (Eigeninteresse) geschuldet sind. Egal wie erforderlich schnelle Lösungen sind, möchte niemand seine Eigeninteressen zurückstellen, um selbstlos dem Gemeinwohl dienlich zu sein. Der Beitrag https://www.abendzeitung-muenchen.de/bayern/stromleitungen-in-deutschland-das-netz-ist-voll-art-822754 beschreibt das Dilemma bei der Energiewende recht anschaulich.
Wie der Blogbeitrag der Freien Universität Berlin https://blogs.fu-berlin.de/disasterresearchblog/archive/91undd und viele andere Beiträge zeigen, gibt es unendlich viele Erkenntnisse, um den Bevölkerungsschutz nachhaltig stärken zu können. Leider zerbröseln diese Erkenntnisse zunehmend, da Bund, Länder, Landkreise und Kommunen weiterhin um die Zuständigkeiten im Bevölkerungsschutz rangeln, obwohl Bundes- und Landesinnenminister im ersten Halbjahr andeuteten, dass nun alles recht schnell zu einer einvernehmlichen Lösung, zumindest für länderübergreifende Lagen, geregelt werden könnte.
Die Problematik wird im Blog so beschrieben:
„Aus der Perspektive der sozialwissenschaftlichen Katastrophenforschung muss der Bevölkerungsschutz viel stärker als bisher als komplexes Netzwerk, welches sehr unterschiedliche Akteure, Praktiken und Ressourcen beinhaltet, die verschiedene Interessen verfolgen, gedacht werden. Es braucht eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz, dass der Bevölkerungsschutz auf allen Ebenen wichtig ist, aber entsprechende Erwartungen an ihn auch zu managen sind sowie Grenzen der Leistbarkeit erkennbar gemacht werden müssen. Dies gilt insbesondere unter den gegenwärtigen zunehmend komplexer werdenden Rahmenbedingungen……… Inwieweit hier administrative vertikal organisierte Zuständigkeiten insbesondere auch was die Warnketten angeht, funktional sind, sollte diskutiert werden. Es wäre zu überlegen, stärker auch horizontale Modelle wie z.B. das in den Niederlanden erfolgreich etablierte Organisationsprinzip der Sicherheitsregionen aufzubauen.“
Leider finden wir hier, wie bei der politischen Aufarbeitung, noch viel zu viel Konjunktiv. Zum Teil liegt dies am Beharren an Partikularinteressen. Statt ggf. Zuständigkeiten zu übertragen, erfolgt reflexartig der Schrei nach sehr viel Geld. Die Kooperationsbereitschaft der Länder, Landkreise und Kommunen wird wohl recht teuer für den Bund. Wo der Deutsche Städte und Gemeindebund noch recht offen die Resilienzstrategie des Bundes in einem eigenen Papier zusammenfasst https://www.dstgb.de/publikationen/positionspapiere/dstgb-positionspapier-bevoelkerrungsschutz-090622.pdf?cid=qev&fbclid=IwAR2lgQvRuOvwzK82Zk-Fb-GnZqBV-ok6QFidh8N8ojJjG7WhY63_z59EuZo werden Kommunalvertreter um den SPD-Bundestagsabgeordneten Ingo Schäfer schon deutlicher und fordern eine Milliarde Euro jährlich für den Bevölkerungsschutz https://www.demo-online.de/artikel/zivil-katastrophenschutz-ausgebaut?fbclid=IwAR2wqWzccLd-iAmRZUdJRcRs2nYxVq2-M22c8o_uj9sUZDEdFCgHCmFxzmk .
Aber auch in der Forderung von Ingo Schäfer finden sich sofort die realexistierenden Hürden und Pferdefüße innerhalb der aktuellen Debatte um notwendige Verbesserungen im Bevölkerungsschutz. Die Landkreise und kreisfreien Städte sind für den Bevölkerungsschutz in Deutschland zuständig. Das betonen auch Bund und Länder gebetsmühlenartig. Wenn wir aber sehen, dass von der geforderten Milliarde direkt 750 Millionen an THW und BBK gehen, wissen wir, was bei den Kommunen ankommen könnte. Überschuldete Städte im Ruhrgebiet werden sich nun die Augen reiben und mit Recht sagen, dass auf der kommunalen Ebene nicht alles kompensiert werden kann, was sich Bund und Länder an Maßnahmen nach der Aufarbeitung so einfallen lassen.
Dass es im Kleinen sehr wohl anders geht, zeigt https://metropole.ruhr/wissensmetropole-ruhr/iresilience?fbclid=IwAR3qMwaSmtj4LiozFjfSwmg51KHO6PmayAEntOwhzFg8LD9ro8sjyn6NxLw die Metropole Ruhr am Beispiel von kommunalen Maßnahmen beim Hochwasserschutz, in die die Bevölkerung direkt mit eingebunden wird. Solche Projekte müssen aber auch in Förderprogrammen von Bund und Ländern mitgedacht werden. Und schon generieren sich ganz andere Summen, denn Bevölkerungsschutz betrifft alle an der Daseinsvorsorge beteiligten Ebenen.
Der von mir sehr geschätzte Thomas Kuhn, auch Mitglied in der Expertenkommission Starkregen, beschreibt den Sachstand im Bevölkerungschutz für die Wirtschaftswoche am Beispiel der Notfallkommunikation. https://www.wiwo.de/technologie/digitale-welt/nach-super-gau-der-notfallkommunikation-ein-netzausfall-wie-im-juli-2021-koennte-sich-auch-ein-jahr-spaeter-wiederholen/28508244.html Erbarmungslos legt Thomas Kuhn offen, woran die Notfallkommunikation im Sommer 2021 gescheitert ist und warum sich das ganze wiederholen wird, weil Erkenntnisse im Wiederaufbau unberücksichtigt blieben. Deshalb kann Kuhn direkt zu Beginn des Beitrages sagen: „Auf das Versagen des Netzes folgte das Versagen von Bund und Ländern, die Technik katastrophensicher nachzurüsten.“
Auch das Beispiel der Notfallkommunikation zeigt, was sich hinter den Kulissen abspielt. Statt gemeinsam nachhaltige Verbesserungen zu erreichen, erfolgt nach wie vor der Verweis auf die Zuständigkeiten des jeweils anderen. „Nicht mein Tisch.“
Es bleibt allen Bevölkerungsschützern nur die Hoffnung, dass sich engagierte MdB wie Leon Eckert von den Grünen beharrlich am Thema Bevölkerungsschutz festbeißen und sich die zahlreichen Experten zum Gespräch einladen, die wir hier in unseren Interviews bereits namentlich benannt haben, denn Organisationsvertreter werden zunächst Lobbyismus für ihre eigenen Organisationen betreiben. Deshalb ist es weiterhin wichtig, dass sich alle engagierten Bevölkerungsschützer öffentlich äußern und den Kontakt zur Landes- und Bundespolitik suchen.
Eventuell wird die Bevölkerung sogar sensibilisiert, wenn es gelingt, ausreichend Besucher zu Veranstaltungen des Bevölkerungsschutzes zu locken. Am Samstag den 06.08.2022 präsentiert sich der Bevölkerungsschutz der Bevölkerung in Dortmund und die Veranstaltung ist so angelegt, dass man im Nachgang auch noch vor dem Anpfiff ins Stadion kommen kann. Ohne eine ausreichende Selbsthilfebefähigung der Bevölkerung, nutzt auch der beste Bevölkerungsschutz nur wenig. Bis Bundes- und Landespolitiker erste nachhaltige Prozesse anstoßen werden, wird es wohl auch noch dauern.
Bis dahin gilt liebe Mitmenschen, besuchen Sie die Seiten des BBK und informieren sich in der Mediathek, wie Sie im privaten Umfeld Vorsorge betreiben können.
Gercek: Herzlichen Dank und einen schönen Stadionbesuch am Samstag.