„Journalisten sind wahrscheinlich die Bergarbeiter des 21. Jh.“, kommentierte Andrzej Rybak in der NDR-Reportage „FTD – Der Tod einer Zeitung“ den derzeitigen Niedergang seiner Zunft. Als entlassener Redakteur der eingestellten Financial Times Deutschland weiß er, wovon er spricht. Bergarbeiter – Ruhrgebiet. Da schrillen besonders hier in der Region die Alarmglocken. „Nach den Zechen sterben die Zeitungen“ titelte denn auch erst vor wenigen Tagen Andreas Rossmann in der FAZ. Dabei holt die Krise des Papiers das Ruhrgebiet nicht erst jetzt ein.
Die WAZ-Axt holzt bereits seit 2008, wenngleich mit dem aktuellen Kahlschlag der Westfälischen Rundschau eine neue Dimension erreicht ist. „Journalismus ist nicht mehr erstrebenswert. Ich rate allen, tut euch diesen Beruf nicht an“, wählte Zeitungsforscher Horst Röper unlängst klare Worte in Richtung Nachwuchsschreiber. Anschließend habe ich mich gefragt, ob ich ihm da zustimme. Bis heute habe ich keine Antwort darauf, wahrscheinlich drücke ich mich vor ihr. Weil ich 33 Jahre alt bin und es mir mehr und mehr naiv vorkommt, daran zu glauben in 30 Jahren noch mit einem Journalistenausweis in der Tasche rumzulaufen.
Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, wie lange ich noch Journalist sein werde. Was ich aber weiß, ist, dass ich mich im Herbst 2006 zum ersten Mal wie einer gefühlt habe. Und die Geschichte dazu geht so:
Spätherbst 2004. Seit einigen Wochen schreibe ich sonntags für die Sportredaktion der NRZ Dinslaken über Kreisliga B-Gebolze und Tischtennis. Dann steht in der Fußball-Bezirksliga das Nachholspiel von Glückauf Möllen gegen Alfa SV an und der Sieger eigentlich schon vorher fest, haben die Gäste aus Duisburg doch bis dato nicht eine einzige Begegnung in der Saison gewonnen. Es gießt in Strömen, kalter Wind peitscht einem zusätzlich ins Gesicht. Mir aber ist das an diesem Mittwochabend alles egal, es ist mein erster Außeneinsatz für eine Zeitung.
Von diesem Zeitpunkt an bin ich Woche für Woche für den Vorortverein aus Voerde am Niederrhein verantwortlich. Die Kollegen in der Redaktion um Friedhelm Zielinski sind erleichtert, dass sie nicht mehr zum „Chaosclub“ von der Rahmstraße müssen. Ich hingegen kritzel euphorisch meinen Block voll, als Jasmin Hadzibajramovic zwei Meter von mir entfernt seinem Gegenspieler mit einer Kopfnuss die Nase bricht.
An der Möllener Seitenlinie dirigiert mit Franz Raschid ein ehemaliger Bundesligaprofi von Bayer Uerdingen das nur allzu gerne undisziplinierte Team. Für einen jungen Schreiber wie mich ist beides ein Glücksfall. Im Aufstiegsrennen mit dem „Bonzenverein“ SuS Dinslaken 09 gießt Raschid noch genüsslich Öl ins Feuer. „Wenn die am Rotbach ein Heimspiel haben, gucken mehr Enten als Zuschauer zu.“ Als ich ihn einmal am Freitag vor einer Partie frage, ob er Mike Lentzen nicht lieber wegen Formschwäche auf der Bank lassen will, lässt er mich als Reaktion die Aufstellung für das Spiel am Sonntag bestimmen.
In der Spielzeit 2005/2006 liefern sich der haushohe Aufstiegsfavorit SuS 09 und das Überraschungsteam von Glückauf bis zum Saisonende einen dramatischen Kampf um den Sprung in die Landesliga. Anstatt am vorletzten Spieltag für eine Vorentscheidung zu sorgen, versagen den Möllenern im direkten Duell auf eigenem Platz die Nerven. „SuS eine Klasse besser“ lautet am nächsten Tag meine fällige Überschrift. „Das kannst du doch so nicht schreiben! Gestern beim Training hatten deswegen einige Spieler in der Kabine sogar Tränen in den Augen“, ärgert sich Raschid maßlos. Und ich? Bekomme kleine Gewissensbisse. Denn insgeheim wünsche ich mir den Aufstieg für Glückauf. Nicht nur weil ich dann in der nächsten Saison über Landesliga-Spiele schreiben dürfte, sondern vor allem weil mir der Verein ans Herz gewachsen ist. Wenige Tage später kollektive Erleichterung. Ein Genistreich von Coskun Erbay sichert Möllen auswärts in Unterzahl tatsächlich die Bezirksliga-Meisterschaft.
Der Aufstieg ist für Glückauf zwar der größte sportliche Erfolg in der Vereinsgeschichte. Dochn noch in der Hinrunde der folgenden Saison häufen sich hinter den Kulissen die Brandherde und finden sich eines Montags Ende Oktober 2006 gebündelt in der NRZ wieder. Daraufhin ruft mich Franz Raschid völlig aufgebracht an. Von wem ich denn die ganzen Informationen hätte? Als Konsequenz werde er am nächsten Tag von seinem Amt zurücktreten! Am darauf folgenden Wochenende gegen Fichte Lintfort stehe ich halb stolz, halb verschämt an der Bande. Auf der Möllener Bank sitzt Interimscoach Wolfgang Rodzynski.
Franz Raschid war acht Jahre lang Trainer von Glückauf Möllen und führte den Verein von der Kreisliga B in die Landesliga. 2010 verstarb er viel zu früh mit nur 56 Jahren an Krebs.
Dieser Text sei ihm gewidmet.
Hallo Herr Blatt!
Ich finde Ihren Text gut geschrieben und freue mich über meinen geliebten Bruder jetzt wieder etwas lesen zu können.
Er war mit Leidenschaft Fußballer und auch Trainer.
Ich habe nie verstanden, warum er so eine „Gurkenmanschaft“, wie Glück auf Möllen trainiert hat.
Er hatte eben so seine Probleme mit den Amateuren !!
Ich bin seine Schwester, sehe meinem Bruder ähnlich und lebe in Berlin.
Bei Heimatbesuchen war ich natürlich, ( wie die ganze Familie Raschid) immer auf dem Fußballplatz, wo mein Bruder gerade Trainer war. Bei Wind und Wetter! Das war so Tradition, auch als der Franz noch bei Bayer gespielt hat.
Wir konnten innerhalb unserer Familie unglaublich viel zusammen lachen.
Wir vermissen Ihn sehr. Immer Noch.
Vielen Dank!!
VG Lisa Raschid
I
Hallo Frau Raschid,
vielen lieben Dank für Ihre Antwort. Freut mich, dass der Text sie erreicht hat. Warum Franz so lange in Möllen Trainer war? Vielleicht weil der Club bei allem Chaos auch Charme hatte. Der ungepflegte Underdog, der es den Etablierten zeigt. Das hat ihn sicherlich gereizt.
Schöne Grüße aus Bochum
Michael