Die Wehrmacht kapituliert in Reims und Göring wird festgenommen. Von unserem Gastautor Manfred Barnekow.
Der Schlussakt, Montag, 07. Mai 1945
In Prag, wo die Deutschen noch herrschten, brach am 5. Mai einer der Aufstände in allerletzter Stunde los, die Wehrmacht, ohnehin im Aufbruch, reagierte eher unwillig, die SS hingegen schlug brutal zurück. An diesem 7. Mai rückte eine russische Division unter dem General Bunjatschenko zur Unterstützung der Aufständischen in die tschechische Hauptstadt ein. Allein, diese unterstand nicht Konew, dem später das Denkmal gebaut wurde, ihre Soldaten trugen deutsche Uniformen. Die Befreiung Prags war der letzte, ein Verzweiflungsakt der 600. (russischen) Infanterie-Division, der ROA, der russischen Befreiungsarmee, die als Wlassow Armee in die Geschichte eigegangen ist.
Auch Bunjatschenko war ein General der Roten Armee gewesen, der Ende 1942 in Kriegsgefangenschaft geraten war. Hitler hatte allen Bestrebungen, antitstalinistischen Russen das Kämpfen in eigenen Einheiten zu ermöglichen, jahrelang seinen entschiedenen Widerstand entgegengesetzt. Sein Krieg war nie „Kreuzzug gegen den Bolschewismus“, wie die deutsche Propaganda ihn nannte, es war der bewusste Vernichtungskrieg gegen die Völker der Sowjetunion. Als die Menschen im Sommer 41 seine Truppen mit Brot und Salz begrüßten, vergalt es ihnen mit Unterdrückung, Hunger und Mord. Er brachte 3,5 Millionen von 5 Millionen Kriegsgefangenen den Tod, von denen doch anfangs viele mitmarschieren wollten, sein größtes Verbrechen nach der Shoa. Lenins und Stalins millionenfache Morde seit den 20er Jahren hatten einen ungeheuren Hass in der eigenen Bevölkerung wachsen lassen. Wehrmachtseinheiten gingen ohne Anweisung dazu über, kooperationswillige Gefangene in ihre Einheiten einfach zu integrieren, aus nichtrussischen Völkern und Kosaken wurden mit den Jahren zögernd Freiwilligeneinheiten aufgestellt, die SS rekrutierte Volksdeutsche und Ukrainer, später auch Russen. Gefangene meldeten sich, auch um den unerträglichen Bedingungen der Lager zu entgehen. Trotz der entsetzlichen Behandlung der Zivilbevölkerung dienten bis zum Kriegsende rund eine Million ehemaliger Sowjetbürger in deutschen Verbänden. Die Aufstellung einer russischen Befreiungsarmee aber genehmigte Hitler erst 1944, als ohnehin alles verloren war und Russland geräumt. Dennoch liefen selbst Anfang 1945 Rotarmisten zu Wlassows Truppen bei deren ersten Gefechten über.
Bunjatschenkos Pragaktion nutzte seinen Soldaten und ihm natürlich nichts mehr. Die Tschechen lehnten ihn ab, er zog mit seiner Division den Amerikanern entgegen, die alle an Stalin auslieferten. Wlassow, Bunjatschenko und die anderen Anführer wurden hingerichtet, viele Offiziere und einfache Soldaten von der NKWD umgebracht, der Rest kam in die Lager, wo sie jene überlebenden ehemals kriegsgefangenen Rotarmisten wieder trafen, die nicht mit den Deutschen kollaborieren wollten. Stalin hatte höchst eigenwillige Kriterien.
Hermann Göring war nach Hitlers Tod von der SS an die Luftwaffe übergeben worden. Noch immer träumte er vom Treffen mit Eisenhower. Am 7. Mai gab er sich der US Armee gefangen.
Göring nach seiner Festnahme auf einer Pressekonferenz der Alliierten Foto: Autor unbekannt/US Army Lizenz: Gemeinfrei
Von Friedeburg war kaum von Lüneburg nach Flensburg zurückgekehrt, wo Dönitz sich als Reichspräsident einrichtete, als wäre das Reich nicht gerade vernichtet worden und seine einzige Aufgabe, den formalen Akt dazu zu vollziehen, da wurde er zu Eisenhower nach Reims geschickt. Dieser bestand auf der Gesamtkapitulation. Diesmal wurde dem neuen Marine OB Hitlers Stabsgehilfe Alfred Jodl an die Hand gegeben, ein Hitlerverehrer an der Spitze des Wehrmachtsführungsstabes, der noch in der Vorwoche an der Seite von Keitel die Befehlshaber beschworen hatte, für ein paar weitere Lebenstage des primitiven Mannes an der Spitze, Zehntausende von Soldaten und Zivilisten krepieren zu lassen.
Derweil ließ Dönitz jene erschießen, die für sich den Krieg beendet hatten, weil sie glaubten, mit dem 4. Mai wäre der in Norddeutschland Geschichte und bildete am 5. Mai eine Regierung aus den abgehalfterten Gestalten der Massenmörder. Der Sklavenherrscher Speer war ebenso darunter, wie der Ernährungsminister Backe, der das Reich mit Hungersnöten im besetzten Osten genährt hatte, Dorpmüller, der mit seiner Eisenbahn die Deportationen durchgeführt hatte, Stuckart, der Teilnehmer der Wannseekonferenz. Dönitz und seiner Kamarilla fehlte jede auch nur geringste Einsicht in Lage und Schuld. Diese „Regierung“ begann sogleich einen geschäftigen Tagungsmodus aufzunehmen. Dabei hatte Hitlers Nachfolger eine zweifelhafte Legitimation, die Machtübergabe per Testament war nicht einmal im Führerstaat vorgesehen. Für die Alliierten war er praktisch, weil sie eine Instanz brauchten, mit der die bedingungslose Kapitulation durchgeführt werden konnte und offenbar alle noch vorhandenen deutschen Dienststellen dem Großadmiral gehorchten. Anerkannt aber haben sie ihn als Reichspräsidenten zu keinem Zeitpunkt, die Urkunden unterschrieben die Wehrmachtsbefehlshaber.
Auch Jodl versuchte das elende Spiel der Teilkapitulation, es galt zu verzögern, um weitere Soldaten von den Russen weg zu den Alliierten zu bringen, aber auch auszuloten, ob nicht doch die Amerikaner sich kurzfristig mit den Deutschen gegen die Russen verbünden würden. Die ganze Hybris dieser vom Wahn befallenen Nazihirne kam in Reims noch einmal zum Ausdruck.
Sie konnten kaum glauben, dass Eisenhower sich auf gar nichts einließ. Bedingungslose Gesamtkapitulation oder die US Truppen würden niemanden mehr durch ihre Linien lassen oder gefangen nehmen, der vor den Russen flüchtet. Der Schlächter seiner U-Bootfahrer empörte sich und fühlte sich erpresst. Und bevollmächtigte Jodl zu unterschreiben.
Es vollzog sich in den ersten Morgenstunden des 7. Mai, drei Wochen, nachdem Schukow bei den Seelower Höhen den Angriff befahl. Aber selbst dieser Abschluss blieb nicht ohne den Siegern würdelos die ganze Erbärmlichkeit dieser Satrapen Hitlers vorzuführen, die mit dem Tod des Monsters plötzlich selber handeln mussten, während bis dahin ihre einzige Qualifikation darin bestand, laut und zackig, „jawohl mein Führer“, hervorstoßen zu können.
Jodl bat um ein paar Worte und sagte zum alliierten Oberbefehlshaber: „Herr General! Mit dieser Unterschrift sind das deutsche Volk und die deutsche Wehrmacht auf Gedeih und Verderb dem Sieger ausgeliefert. In diesem Krieg, der über fünf Jahre dauerte, haben beide mehr geleistet und gelitten, als vielleicht irgendein anderes Volk der Welt. In dieser Stunde bleibt mir nichts, als auf den Großmut des Siegers zu hoffen.“
George S. Patton (links), Omar Bradley (zweiter von links ) and Dwight D. Eisenhower (rechts) besuchen das Lager Ohrdruf nahe Gotha nach seiner Befreiung durch die US-Truppen Foto: Unbekannt/ http://www.gettyimages.com/license/119460599 : Lizenz: Gemeinfrei
Eisenhower, dessen Truppen das ganze Ausmaß der deutschen Verbrechen bei ihrem Vormarsch vor Augen gekommen war, der selber in Buchenwald gewesen, der befohlen hatte, dass die Menschen Weimars gefälligst anzuschauen hätten, was sie schulterzuckend jahrelang nicht zur Kenntnis nahmen, Eisenhower muss übel geworden sein, bei so viel Selbstgerechtigkeit, so viel Ignoranz eines Mitschuldigen der furchtbarsten Verbrechen der Menschheit. Die Wehrmacht verabschiedete sich, wie sie es verdient hatte, als absoluter moralischer Tiefpunkt deutscher Militärgeschichte.
Jodl bezahlte für Mordbefehle und die Verantwortung für Kriegsverbrechen, als sich im Folgejahr in der Turnhalle des Nürnberger Gefängnisses die Falltür öffnete. Er hatte bis zuletzt nichts erkennen können, wofür er Hitler verdammen müsste, hingegen jenen, die gegen das singuläre Verbrechen aufstanden, „mexikanische Gangstermethoden“ vorgeworfen. Mehr noch als der eher hündisch veranlagte und mit eng begrenzten Fähigkeiten ausgestattete Keitel, repräsentierte Jodl eine verabscheuungswürdige Pervertierung des Soldatentums, die Deutschland in den Abgrund geführt hatte.
Der zweite Weltkrieg in Europa war zu Ende, Stalin verärgert, dass sich die Kapitulation vor Eisenhower abgespielt hatte. Um ihn zu besänftigen, wurde die Prozedur in der vormaligen Pionierschule in Berlin-Karlshorst am Folgetag wiederholt, sie verzögerte sich bis kurz nach Mitternacht, weshalb die Russen bis heute das Kriegsende am 09. Mai feiern. Tatsächlich haben sie damit nur Wilhelm Keitel durch die historischen Fotos seinen einzigen großen Auftritt in der Geschichte ermöglicht.