Die Zeit vor Weihnachten wird gerne als Zeit der Besinnung und der Betrachtung des zu Ende gehenden Jahres gesehen. Dem wollen wir uns nicht verschließen und werfen einen Blick zurück auf die Politik in unserer Stadt. Was liegt da näher, als mit der ersten Bürgerin der Stadt – der Oberbürgermeisterin Karin Welge – zu beginnen. Auch Journalisten beginnen ihre Arbeit mit der Eingabe eines Stichworts in einer digitalen Suchmaschine. Schon da wird klar, dass facebook für die Oberbürgermeisterin das Medium der Wahl ist. Ihre Geschichte hat dort schon vor drei Jahren im Wahlkampf begonnen. Wobei die Realität der sozialen Medien nicht unbedingt die Realität auf den Straßen einer Stadt abbildet.
Zwischen Kochtopf und Kultur
Es begab sich im Juli 2020 ein Posting von Karin Welge in den sozialen Netzwerken. Die Kandidatin der SPD für das Amt der Oberbürgermeisterin war dort bei der Zubereitung von Spaghetti zu sehen. Was das mit Politik zu tun hat, erschloss sich mir schon damals nicht und einigen anderen Menschen erging es ähnlich.
Zu dieser Zeit wurden bereits wichtige Themen lokaler Politik öffentlich diskutiert. In der Sommerausgabe der isso in diesem Jahr gab es einen Bericht mit dem Titel „Die Stadt hat nichts zu verlieren“. Zum Wahlkampfauftakt waren Vertreter der Parteien und der Kulturszene geladen, um über die Kulturpolitik und die Vorstellungen der Parteien zu diskutieren. Das wäre ein gutes Thema für den Wahlkampf einer angehenden Oberbürgermeisterin gewesen.
Die Macht der Zahlen und die kleinen Rechenfehler
Im September 2020 fanden die Wahlen zum Rat der Stadt und zum Amt des Oberbürgermeisters statt. Die SPD bekam mit rund 35 Prozent der Wählerstimmen den größten Zuspruch. Allerdings gab es mit 41,5 Prozent eine historisch einmalig niedrige Wahlbeteiligung. Also haben nur 14 Prozent der Wahlberechtigen ihr Kreuz bei den Genossen gemacht. Für Karin Welge als Oberbürgermeisterin stimmten in der Stadt mit 260 000 Einwohnern gerade einmal rund 31 000 Bürger. Für den Wahlsieg hat das gereicht, aber es waren nur 16 Prozent der Wahlberechtigten.
Für den Vorsitzenden des Unterbezirks der SPD Markus Töns (MdB) war das kein Problem. Er bedankte sich auf Facebook für die über 113.000 Stimmen für seine Partei: „Danke an alle GenossInnen, die in den letzten Wochen unfassbar gekämpft haben“. Was also tun, wenn das Ergebnis nicht so großartig ist? Er zählt halt alle Wahlen an diesem Tag einfach zusammen – also Kommunalwahl, OB-Wahl, Bezirksvertretungen und Ruhrparlament. Liest sich einfach besser, aber erinnert doch eher an Fake News.
Gaza und Geburtstage
Im Oktober 2023 versammeln sich auf dem Bahnhofsvorplatz in Gelsenkirchen etwa 130 Menschen, um gegen Israel zu demonstrieren. „Gaza, Gaza ist in Not – kein Wasser, kein Brot!“ und „Deutschland finanziert und Israel bombardiert“ wurden skandiert. Transparente, Plakate und Fotos wurden von der mit einem Großaufgebot vertretenen Polizei auf strafbare Inhalte kontrolliert. Es gab keine Solidaritätskundgebung oder symbolische Aktionen der Demokratischen Initiative (DI) vor der Synagoge oder an einem anderen Ort. In der DI sind 29 Organisationen (u.a. Parteien, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften) vertreten und die Schirmherrin ist Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD). Von der Partei wird der Verzicht auf Aktivität damit begründet, dass Polizei und Versammlungsbehörde keine weiteren Kundgebungen erlaubt haben. Auf Nachfrage der Redaktion bestätigt die Polizei, dass es keine Anfragen gegeben hat.
Die Oberbürgermeisterin ist in diesen Tagen auf Gratulationstour und besucht den Lions Club Gelsenkirchen: „50 Jahre Lions Club Gelsenkirchen: Das war am Sonntag ein schönes Fest in Schloss Berge, ein Anlass zu Rück- und Ausblicken, und natürlich habe ich auch im Namen unserer Stadt gratuliert. Ich habe dazu gratuliert, dass es den Lions-Freundinnen und –Freunden gelungen ist, den guten Geist ihrer Gemeinschaft über eine so lange Zeit zu bewahren und so viel Gutes in unserer Stadt zu tun“. Auf Facebook gibt es einen netten Text und viele schöne Bilder.
Verfall der Innenstadt und es lebe der Sport
Im November 2023 berichten isso. und die WAZ über einen offenen Brief alteingesessener Geschäftsleute der Hauptstraße an Karin Welge. Die Straße macht heute einen heruntergekommenen Eindruck, ist verschmutzt und es wird die „Fehlbelegung“ der Ladenlokale beklagt. Der Brief liest sich wie ein letzter Notruf: „Mit Schrecken beobachten wir, dass sich unser Viertel seit etwa zehn Jahren in einem ungebremsten Sinkflug befindet.“ Als Antwort kommt erstmal ein Textbaustein aus dem Büro der Oberbürgermeisterin: „Der von Ihnen beschriebene Sachverhalt wurde bereits aufgegriffen“.
Die Oberbürgermeisterin zu dieser Zeit ist wieder mit Gratulationen beschäftigt und diesmal sind die Sportler der Stadt geladen: „Wir haben am Freitagabend die Besten im Gelsenkirchener Sport geehrt: die Sportlerinnen und Sportler, die im vergangenen Jahr besondere Akzente gesetzt haben, die Mannschaft und auch die Persönlichkeit des Jahres – und all das bei einer wirklich gelungenen Feier im Bürgerforum des Hans-Sachs-Hauses“. Läuft also in der Stadt. Das Hans-Sachs-Haus ist nur knapp 100 Meter von der „verfallenden“ Hauptstraße entfernt.
Die bröckelnde Zeche Oberschuir – das schöne Gelsenkirchen
Für Elke Schumacher war der Stadtbauraum in der Feldmark mehr als 20 Jahre ein ganz besonderer Ort für Kulturveranstaltungen in Gelsenkirchen. In der Zeche Oberschuir fanden Konzerte, politische Diskussionen und Versammlungen statt. Damit ist jetzt Schluss und die freiberufliche Kulturmanagerin hat ihren Vertrag mit der Stadt gekündigt. Das denkmalgeschützte Gebäude ist seit Jahren in einem schlechten Zustand und gammelt vor sich hin. Eigentümer ist die Stadt Gelsenkirchen, aber notwendige Reparaturen werden aufgeschoben, der Putz fällt von der Decke, die Boden ist voller Trittfallen und vom Dach lösen sich größere Gebäudeteile.
Karin Welge kennt den Zustand der Zeche und ist auch mehrfach angeschrieben worden, aber eine verbindliche Antwort gab es bisher nicht. Ende Juli postet sie auf Facebook ein Foto von einem festlich gedeckten Tisch auf einem Balkon in Gelsenkirchen. Der Himmel ist blau und die Sonne steht schon tief – also Zeit für ein Glas Wein und ein paar kleine Speisen. Deutlich ist im Hintergrund der Förderturm der Zeche Oberschuir zu erkennen. „GElungener Ausklang des Tages bei Freunden. Wo? In unserem schönen Gelsenkirchen! Schönen Abend Euch!“ schreibt Karin Welge dazu. Auf 249 Kommentare bringt es dieser Post und der Spott ist der Autorin sicher. „Alles ist eine Frage der Perspektive“, ist da noch eine sehr freundliche Formulierung. „Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, wie man sieht geht es Ihnen gut“.
Hohe Werte für die AfD und Stollen für die Stadt
Nach einer Trendanalyse des Berliner Instituts Wahlkreisprognose von Anfang Dezember 2023 würde die SPD – wenn jetzt Wahlen wären – in keinem der Wahlkreise des Ruhrgebiets mehr die stärkste Partei werden. Schimmer noch: In Duisburg, Oberhausen, Herne, Gelsenkirchen und Hagen wäre die AfD die stärkste Partei. Markus Töns wäre sein Direktmandat für den Deutschen Bundestag los.
Das Thema der Oberbürgermeisterin in diesen Tagen ist das Sammeln von Winter- und Arbeitsschutzkleidung für die ukrainische Partnerkommune. Ein paar Tage später geht es um 110 Kilogramm Teig für den längsten Christstollen der Stadt. Auch hier sind bunte Bilder garantiert: „Die Organisatoren rund um Bezirksbürgermeister Wilfried Heidl beglückwünsche ich zu dieser tollen Aktion und danke für die stimmungsvolle vorweihnachtliche Veranstaltung in Resse“.
Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe!
Begonnen hat unsere kleine Weihnachtsgeschichte mit Nahrungsmitteln und Wahlergebnissen – so endet sie hier auch. Das in einer Stadt mit Medien, die kaum noch größeren Zuspruch haben, die sozialen Medien für die Kommunikation der Politik genutzt wird, ist keine schlechte Idee. Die Lokalausgabe der WAZ kommt aktuell auf eine Auflage von 14 600 Exemplaren und das ist in einer Stadt mit 260 000 Einwohnern sehr bescheiden. In dieser Zahl sind die 2400 elektronischen Ausgaben bereits enthalten. Allerdings kommt es immer auf die Inhalte an und nur schöne Bilder sind keine Kommunikation. Das dient nur der Beförderung und positiven Darstellung der eigenen Person. Seit einiger Zeit hat Karin Welge einen Hochzeitsfotografen engagiert, der für heimelige Bilder im Hochglanzformat sorgt. Das hat wenig mit der rauen Realität der Stadt zu tun.
Wer sich nicht mehr an alles erinnert und das passiert uns allen ja täglich, der kann das isso-Archiv aufrufen und nachlesen, was in den letzten Jahren in Gelsenkirchen so alles passiert ist.