Der Sommer wird laut und heiß

Juicy Beats


2022 finden wieder zahlreiche Festivals in Nordrhein-Westfalen statt. Doch die Corona hat der Branche hart zugesetzt und nicht alle Veranstaltungen sind ausverkauft.

Endlich, nach zwei Jahren Corona-Pause finden in diesem Sommer wieder Festivals in Nordrhein-Westfalen statt: Am Wochenende waren Hunderttausende bei Bochum Total und haben  Bands wie Jupiter Jones, The Woodentops und ZSK auf den Bühnen im Kneipenviertel Bermudadreieck gesehen. Die Fans werden Ende Juli bei Parookaville in Weeze in einer extra für sie gebauten Stadt zu elektronischer Musik tanzen und im Dortmunder Westfalenpark KIZ und Drunkmaster feiern. Sie werden trinken, sich einen Sonnenbrand holen, schwitzen und das alles endlich wieder ohne Abstand und Maske. Musiker und DJs können zurück auf die Bühnen und Veranstalter ihren Gästen einen langen, heißen Partysommer bereiten.

Einer von ihnen ist Björn Gralla und für ihn hat die Saison gut begonnen: „Wir haben die ersten Tourneen hinter uns gebracht, und alles scheint wie vor der Pandemie. Die Leute feiern in ausverkauften Hallen, als hätte es Corona nie gegeben. Keine Masken, kein Abstand, keine Einschränkungen. Alles ist sehr schnell wieder auf „normal null“ zurückgesprungen. Das ist schön zu sehen, denn es gibt uns etwas von dem Glauben an das zurück, was wir die letzten Jahrzehnte aufgebaut haben.“ Grall ist Managing Director der Bochumer Agentur Contra Promotion. Das Unternehmen organisiert Konzerte für bekannte Künstler wie Die Fantastischen Vier, Electric Callboy oder Sunrise Avenue und veranstaltet mit dem Zeltfestival Ruhr in Witten ein dreiwöchiges Festival auf dem Pop-Acts wie Silbermond und Comedians wie Kurt Kröner auftreten. „Nach diesen wirklich schweren und entbehrungsreichen Jahren“, sagt Gralla „freut man sich eigentlich auf alles, was wieder einschränkungsfrei möglich ist.“ Vor allem die großen Shows in Arenen böten wieder eindrucksvolle Bilder: „Eine mit 15.000 Personen ausverkaufte Show hat immer eine sehr eigene Magie, die uns natürlich in letzter Zeit enorm gefehlt hat. Inhaltlich wie auch betriebswirtschaftlich.“ Durch die Pandemie sei sein Unternehmen wie die ganze Branche nur dank der staatlichen Hilfen gekommen. Das habe sie vor dem GAU, dem größten, anzunehmende Unfall bewahrt.

3.052 Beschäftigte arbeiten nach Angaben des Wirtschaftsministeriums Nordrhein-Westfalen im Bereich „Theater- und Konzertveranstaltung“. Während der Pandemie wurden sie über einen von der Bundesregierung aufgelegten Sonderfonds für Kulturveranstaltungen mit einem Volumen von 2,5 Milliarden Euro unterstützt. Das Land half bei der Verteilung der Mittel und legte Überbrückungs- und Neustarthilfen obendrauf. Es wurde viel Geld in die Hand genommen, um einen kulturellen Kahlschlag zu verhindern.

Im Kulturministerium in Düsseldorf ist man stolz auf die hiesige Festivallandschaft: Die Festivals seien für Künstler, ein vielfältiges Publikum und auch für Nordrhein-Westfalen „als Standort avancierter und künstlerisch anspruchsvoller Pop-Musik von großer künstlerischer, identitätsstiftender und kulturpolitischer Bedeutung.“

Seit 20 Jahren entwickelten sich Konzerte für Musiker zur wichtigsten Einnahmequelle, sagt Dominik Nösner. „Entsprechend hart war die Pandemie nicht nur für Konzertveranstalter und Techniker, sondern auch für Bands und Solisten.“ Nösner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter

im Bereich Eventmanagement mit den Schwerpunkten Popmusikkulturen und digitale Medienkulturen am Lehrstuhl von Professorin Beate Flath an der Universität Paderborn. Im Gegensatz zum Klassik- und Theaterpublikum würden die Fans von Pop- und Rockmusik wieder Festivals und Clubkonzerte besuchen und das unabhängig vom Alter. „Auf Konzerten stehen Teenager neben Senioren. Das Publikum deckt wie die Bands ein breites Altersspektrum ab.“ Die Rolling Stones, aktuell wieder auf Tour, seien ja auch um die 80 Jahre alt.

Einen grundsätzlichen Unterschied gäbe es jedoch zwischen Club- und Festivalbesuchen: „Wer in den Club geht, will eine bestimmte Band sehen. Beim Festival geht es hingegen nicht nur um die Musik, da wollen viele einfach auch mal für ein paar Tage Abstand vom Alltag gewinnen, das Handy ausschalten und feiern.“ Was Nösner allerdings beobachtet, ist ein Überangebot: „In diesem Jahr werden Konzerte nachgeholt, die 2020 und 2021 wegen Corona ausfielen. Dazu laufen dann noch die für dieses Jahr geplante Tourneen. Nicht alles wird ausverkauft sein, das Zeit- und Geldbudget der Fans ist begrenzt.“

Auch für Haldern-Pop, wo im August Musiker wie Erdmöbel, Aaron Smith und Nilüfer Yanya auftreten werden, gibt es noch Karten, obwohl die Besucherzahl auf 7000 begrenzt ist: „Wir müssen aber noch ein paar Karten verkaufen“, sagt Stefan Reichmann, einer aus dem Kreis der Veranstalter. Man freue sich, wieder ohne Auflagen arbeiten zu können. In der Pandemie habe man die Zeit mit kleineren Konzerten überstanden und versucht, den Kontakt zum Publikum und den Bands nicht abreißen zu lassen. Würden einzelne Künstler wegen Corona absagen, könne man das auffangen. Auch wenn die Musik bei Haldern-Pop im Zentrum steht, will das Festival auch ein Ort der Debatte sein. Ein Alleinstellungsmerkmal in der Szene. Autoren wie Welt-Redakteur Deniz Yücel werden mit den Besuchern über Themen wie künstlerische Allianzen und die Überwindung der wachsenden Angst diskutieren.

Einen Überblick über Festivals in ganz Deutschland bietet der Rolling Stone

Der Artikel erschien bereits in einer ähnlichen Version in der Welt am Sonntag

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Ke
Ke
2 Jahre zuvor

Am Wochenende Festival, dann AU wg. Corona. Läuft, alles wie früher – Geht’s noch?
Kenne auch einige die die gekauften Karten aus 2020 nicht mal verschenken konnten, weil keiner Lust hatte sich anzustecken.

Das Verantwortungsbewusstsein der Veranstaltungsbranche geht gegen zu oft gegen 0.
Gewinne privatisieren, Verluste oder Auszeiten solidarisieren.

Björn Wilmsmann
Björn Wilmsmann
2 Jahre zuvor

@Ke #1: Der wohlfeile Gemeinplatz vom Privatisieren der Gewinne und Sozialisieren bzw. Solidarisieren von Verlusten ist an dieser Stelle nicht einmal mehr ein schlechter Scherz, sondern eine Unverfrorenheit denjenigen gegenüber, welche die Kosten für Lockdowns und übrige Kontaktbeschränkungen getragen haben und weiterhin tragen.

Nicht nur sind länger andauernde Lockdowns und Kontaktbeschränkungen ein wissenschaftlich kaum begründbares Mittel mit zweifelhaftem Effekt.

Diejenigen, die aufgrund dieser Einschränkungen de facto ein Berufsverbot erteilt bekommen hatten, bekamen ihre Einbußen auch nicht ersetzt. Jene Unternehmer, die schließen mussten bzw. Veranstaltungen nicht durchführen durften oder als Zulieferer von solchen Einschränkungen betroffen waren, erhielten zwar gnädige Hilfszahlungen oder – noch gnädiger – Kreditbürgschaften vom Staat, durften diese aber z.B. nicht für den eigenen Lebensunterhalt verwenden, mussten alles exakt auf Amtsformularen dokumentieren – der Bürokratie will schließlich weiter Genüge getan werden – und durften diese Hilfen dann in vielen Fällen am Ende auch noch ganz oder teilweise wieder zurückzahlen.

Richtig und solidarisch wäre es gewesen, diesen Unternehmern ihren entgangenen Umsatz vollumfänglich und unbürokratisch in Form von Steuerrückzahlungen zu ersetzen. Dann wäre so manchem im deutschen Beamten- und Angestelltenstaat aber doch noch aufgefallen, dass „Lockdown“ nicht einfach gleichbedeutend ist mit „Vor Netflix versumpfen“, sondern derlei auch Konsequenzen hat und schlicht eine Menge Geld kostet.

Statt dessen durften viele kleine Unternehmer ihre Altersversorgung aufbrauchen und sich darüber hinaus noch selber verschulden, mit oft recht unsicherer Perspektive, ob sie diese Schulden in ihrem Leben jemals wieder werden zurück zahlen können.

So läuft Solidarität im deutschen Beamten- und Angestelltenstaat: Als Einbahnstraße. Und nur für diejenigen, deren Lebensentwurf und -realität dem deutschen Standardmodell entspricht.

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