Mitte der 80er Jahre lernte ich den ersten Juso meines Lebens persönlich kennen.
Hubertus Heil. Foto: Hubertus Heil.de
Ein paar Jahre vorher sah man Jusos noch fast jeden Tag im Fernsehen: Jungbärte, die sich auf anscheinend nie enden wollenden Konferenzen an Helmut Schmidt abarbeiteten und über Begriffe wie Staatsmonopolkapitalismus diskutierten. Jusos waren ein ganzen Stück älter als ich. Schon in der Oberstufe gab es bei uns auf dem Gymnasium keinen einzigen mehr: Es gab ein paar Punks mit Anarchozeichen auf der Jacke, natürlich etliche Friedensbewegte, von denen sich einige später bei den Grünen wieder fanden und eine ganze Clique die in der jungen Union war. Sie trugen Aktenkoffer aus Kunstleder und wurden auf dem Schulhof von den Punks angepöbelt und im Unterricht von den Lehrern in ihren Latzhosen verhöhnt. Sie hatten es echt schwer. Nur Jusos gab es nicht. Vielleicht waren ja einige der Lehrer Jusos, aber wenn es so gewesen sein sollte, haben sie es uns verschwiegen.
Ich glaube nicht, dass uns die Jungbärte damals vermisst haben. Sie waren ein mächtige Organisation. Ein paar kleine Schüler hätten da nur gestört. Und sie haben sich immer so wild gebährdet – aber man hat es ihnen niemals abgenommen. Man wußte, dass sie ihre Sprüch nicht ernst meinten. Die wollten nur spielen. Und Jugendliche wollen nicht spielen, sie meinen es ernst – zumindest ein paar Jahre lang. Aber dann lernte ich doch noch einen Juso kennen, denn Michael – der nicht so hieß, denn ich glaube nicht, dass er gerne möchte, dass ich hier seinen richtigen Namen nenne – war in die SPD eingetreten. Das wunderte uns alle, weil Michael sich eigentlich nicht besonders für Politik interessierte. Er hatte eine große Sammlung an obskuren Rockabilly-Singles und trug meistens elegante Anzüge. Im Aratta viel er damit auf, vor allem den Mädchen. Und war er in der SPD. „Ich musste“, erklärte uns Michael und betonte, dass er natürlich kein Sozialdemokrat geworden sei und auf keinen Fall einer diese fürchterlich frisierten Jusos. Denn Michael machte nach dem Abi eine Ausbildung bei der Sparkasse und da wurde ihm erklärt, dass er sich nach dem Ende der Ausbildung einen neuen Job suchen müsste. Die Zeiten seien schlecht und nicht mehr alle Auszubildenden könnten später übernommen werden. Michael hörte sich ein wenig im Kollegenkreis um, sprach mit dem Personalrat und handelte dann. Nein, er schrieb keine Bewerbungen, er trat in die SPD ein. Er ist noch heute bei der Sparkasse.
In den 80er Jahren sah es so aus: Die konservativen Jugendlichen gingen in die Junge Union. Die eher linken in die Grünen. Die die einen Job bei der Stadtverwaltung oder eine billige Wohnungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft wollten in die SPD. Das ist sicher ganz schrecklich vereinfacht, aber leider war auch ich nur einmal um die 20 und damals war es so. Zumindest Gladbeck. Zumindest in meinem erweiterten Bekanntenkreis.
Und ganz so eine Ausnahme scheint Gladbeck nicht gewesen zu sein. Wo sind heute die Hoffnungsvollen SPD-Nachwuchspolitiker Mitte 40? Die jungen Ministerpräsidenten wie damals Lafontaine? Die Bundestagsabgeordneten die wie damals Schröder für Schlagzeilen sorgten? Ich sehe sie nicht. Die Enkelgeneration bestand aus Lafontaine, Schröder, Scharping und Engholm. Ein paar die früher noch dazu gezählt wurden, habe ich sicher vergessen. Gehörte Clement auch dazu? Und Beck? Zumindest konnte sich die SPD schon Mitte der 80er auf eine ganze Kohorte offensichtlich talentierter Jungpolitiker, die damals ja schon alle nicht mehr jung, sondern Ende 30 bis Anfang 40 waren, verlassen. Da wuchs was nach.
Aber nicht an den Wurzeln: Die SPD hat eine ganze Generation von jungen eher linken Jugendlichen an die Grünen verloren. Im Moment verliert sie eine an die Linkspartei. Die SPD hat ein Nachwuchsproblem, denn die Michaels haben die Partei zwar nicht Richtung Linkspartei verlassen, das ist ihnen Karrieretechnisch zu risikoreich, aber die Michaels werden nicht um Mandate kandidieren. Bei Nieselregen in der Fußgängerzone zu stehen und Wahlkampf zu machen, ist ihnen komplett fremd. Sicher gibt es Ausnahmen. Ich kannte sie damals nicht und so richtig viele sind es wohl auch nicht gewesen. Schon Steinmeier ist eine ganz andere Liga. Wahlkampferfahrung? Als Kandidat? Null! Das gleiche gilt für Heil, Nahles und – ja, da wird es schon eng mit den Namen. Die Urenkel der SPD haben sich in der Partei durchgesetzt. Haben ihre Seilschaften und Netzwerke – aber Wahlen haben sie noch nie gewonnen. Noch nicht einmal auf kommunaler Ebene. Als Bürgermeister, wie Lafontaine. Vielleicht werden wir in zeh Jahren zurück schauen und sagen: Das waren die letzten guten Tage der SPD.
Das erinnert mich an die werte Unizeit: Die wenigen JuSos, die nicht von weiter links kamen, mussten spätestens beim Samland-Desaster oder ähnlichem einsehen, dass sie nie mehr als Schergen sein würden – und dass „draußen“ andere Pferdewetten-Regeln gelten. Die Linken waren weitgehend gebrieft genug um weiter zu machen, aber ähnlich wie die Grünen dann meist untauglich für die Realpolitik jenseits von (anti-)ismen und Lokalsport. Der RCDS hat in diesem Sinne selbst wohl am meisten vom eigenen „Nur Hochschulpolitik!“-Dogma profitiert: Man verzettelte sich wenigstens nicht und konnte sich (später) auch für andere Dinge interessieren – außer die radikalen natürlich.
Und seit einiger Zeit lernen nun ja auch die ASten nur noch Management plus etwas Kür bzw Showbusiness. Könnte gut sein für die Karrieren zukünftiger FDP-Generationen.
Ganz fürchterlich natürlich für alle immer: Die aufkommende Demut, wenn mensch plötzlich nicht mehr Chef im Sandkasten, sondern Diener von Partei und äh Umfeld sein soll. Damit kommen tendenziell wohl am besten immer drei Archetypen klar: Die braven Beamten, die Polit-Popstars und die Handaufhalter.
Im Grunde finde ich es aber gut, dass der Fetisch Parteibuch auf dem Rückzug ist. Das stört nämlich nur bei der freien Meinungsbildung und -äußerung. Und das Fußvolk wird ja eh durch die Bank nur dumm gehalten: Es ist ja grundsätzlich immer alles so fürchterlich geheim, kompliziert, Personalsache und/oder nur global bzw. ganzheitlich zu betrachten.
Hi,
ein schöner Bericht der die Situation der heutigen SPD treffend beschreibt. Ich würde sogar noch tiefer gehen und sagen: ?Es fehlt an Nachwuchs so um die 30?.
Nur dieser Nachwuchs kann Führungs- und Leitungspositionen erfolgreich übernehmen, der in 10 Jahren der dann vorherrschenden Realität entsprechen kann. Die Welt verändert sich täglich, man kann es gut finden, man kann es schlecht finden, aber Tatsache bleibt, sie verändert sich täglich.
Das Problem mit den ?alten Herren? der heutigen ?alten Riege? der SPD und vielen der anderen Parteien ist, dass ihre Zeit einfach vorbei sein müsste, ? sie es aber offenbar nicht sehen können oder es nicht sehen wollen. Null kompetenter Nachwuchs in Sicht!
Wie können Menschen mit weit über 60 Jahren und mehr noch dynamisch etwas für das Volk bewegen? Ich meine bewegen und nicht nur immer darüber sprechen.
Seit der Ölkrise (ich glaube so um 1973 herum) wird von einem Problem der Arbeitslosigkeit gesprochen.
Ich denke, heute wird auch noch darüber gesprochen! ? und nur mittels Dumpinglöhne hat sich in jüngster Zeit etwas getan. Ob das gut für diese Menschen war, wird sich noch zeigen!?
Man gewöhnt sich naturgemäß ein und hat auch keine Sorgen wie ?der? Normalbürger, sofern und soweit es ihn noch gibt. Das alles macht nicht unbedingt beweglich und sicher nicht dynamisch, zumindest ist das mein persönlicher Eindruck.
Der Vorteil der jungen Generation war und ist; sie sind hungrig und wollen etwas bewegen. Dadurch eröffnen sich naturgemäß große Chancen und letztlich würde eine Mischung von „Jung und Alt“ in Führungspositionen jeder Partei gut zu Gesicht stehen, aber bitte nicht mit einer festen Quote geregelt ? (Thema Frauenquote).
Wie will eine SPD von heute – nach solch einem erzwungenen Abgang von Herrn Beck – morgen erfolgreich Wahlen gewinnen?
Wie alt sind doch noch einmal Herr Müntefering und Herr Steinmeier? ? obwohl letztgenannter ja noch richtig jung sein müsste. Oder?
In diesem Sinne und viele LG von Tom