Der SPD Sonderparteitag: Demokratie als Salamitaktik


Die SPD hat mal wieder knapp die Kurve gekriegt. Andrea „Bätschi“ Nahles ist laut Bild auf einmal der „einzige Kerl in der SPD“, und Martin Schulz muss ihr laut Welt „ ganz lange dankbar sein“. Wenn die, die Merkels emotionslos pragmatischen Stil über den Klee loben, eine Brüll- und Heul-Rede als rhetorisches Meisterwerk feiern, und die, die die Königin des Zickzack Kurses toll finden, das Vor und Zurück von Martin Schulz als Desaster beklagen, ist allerdings allergrößte Vorsicht geboten.

Ja, Martin Schulz ist eine politische Nulpe, die nur bei einem Parlament, das in Wirklichkeit nichts zu sagen hat, zu dessen Präsident werden konnte. Aber das ändert nichts daran, dass auch Angela Merkel keine politische Führungsstärke zeigt. Ganz im Gegenteil. Sie klammert sich genauso an die Macht, wie die Spitzenfunktionäre der SPD. Das einzige was CDU/CSU und SPD diesbezüglich unterscheidet, ist der vor großem Publikum ausgetragene innerparteiliche Streit.

Dass die SPD dabei alleine den schwarzen Peter hat, liegt einzig und allein an der offensichtlichen Schützenhilfe eines großen Teils der deutschen Medien. Sie haben von Anfang an die einzige Neuwahlen vermeidende Alternative zum, nun schon monatelang andauernden, Koalitionsgewürge in das Reich des Instabilen und Chaotischen geschrieben: Die Minderheitenregierung. Das ist – außer das Merkel sie nicht will – zwar politischer Unsinn, war aber das entscheidenden Mittel um die  SPD in die Enge zu treiben.

Lindner war so klug, sich davon nicht ins Bockshorn jagen zu lassen. Die SPD, und dort vor allem ihre Mandats- und Posteninhaber, konnten nicht so klug sein. Nicht nur weil sie Neuwahlen fürchten wie der Teufel das Weihwasser, sondern weil sie bei einer Merkel geführten Minderheitenregierung auch ihrer Minister- und Staatssekretär-Positionen verlieren. Da fehlten nur noch ein paar staatstragende Peitschenhiebe ihres Genossen und Bundespräsidenten Steinmeier, und schon fiel die SPD Führung komplett um.

Eine Übung die sie schon lange beherrscht, die dieses Mal aber den Basiszorn in einer Weise anheizte, dass die bislang einflusslosen Jusos zur Speerspitze des innerparteilichen Aufstandes werden konnten. Und das obendrein mit einem ausgesprochen talentierten Anführer. Dagegen half nur noch das, was seit Menschengedenken nicht nur in linken Parteien gegen solche Rebellion der Basis von der Führung eingesetzt wird:  Die Salamitaktik.

Wenn du für sofortige Koalitionsverhandlungen garantiert keine Mehrheit bekommst, gehst du stattdessen in „ergebnisoffene“ Sondierungsverhandlungen. So gewinnst du zwar nicht die Hardliner unter deinen Gegnern, aber um die geht es bei der Salamitaktik auch nicht. Es geht um die Zweifler und die Unsicheren. Um die, die denken, lass sie es doch wenigstens probieren. Nur so kriegen wir raus, was möglich ist. Wenn nicht, geht’s halt nach der Sondierung nicht weiter.

Geht es aber bei der Salamitaktik immer. Und zwar nach ihrem ersten Prinzip: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Wobei der Spatz so groß wie eine Taube geredet wurde, denn die Vorbedingung war die Durchsetzung wesentlicher SPD Forderungen. Wer auf dem Parteitag am letzten Sonntag daran erinnerte, dem wurde mit ihrem zweiten Prinzip gekontert: Der kleine Mann und die kleine Frau auf der Straße findet wenige Verbesserungen immer noch besser als gar keine.

Wenn sie das wirklich täten, hätten sie allerdings die SPD nach jeder Koalition mit der CDU/CSU mit mehr statt mit weniger Wahlstimmen versorgt. Das Gegenteil war aber passiert, weil sie  offensichtlich dringend ein paar größere Schritte wünschen und die auch noch in die richtige Richtung. Weil sie anscheinend überhaupt so etwas wie eine Richtung bei der Lösung der wichtigen Zukunftsfragen dieses Landes wollen und keineswegs so kurzfristig orientiert sind, wie viel Politiker meinen.

Ein großer Teil der Delegierten hat das begriffen und sich auch nicht ausreden lassen. Ohne die 40 stimmberechtigten Vorstandsmitglieder, die sehr wahrscheinlich alle für die Koalitionsverhandlungen gestimmt haben,  wäre die Salamitaktik deswegen fast gescheitert. Für solche Fälle hatten andere linke Parteien früher noch die Androhung der Liquidierung in Petto. Bei der SPD musste am letzten Sonntag stattdessen ein 3 minütiger weiblicher Fast-Schreikrampf herhalten.

Er bestand bei Andrea Nahles im inhaltlichen Kern aus drei Sätzen: Wenn wir nicht weitermachen, haben wir gar nichts. Wenn wir weitermachen haben wir auf jeden Fall etwas. Wenn ich toll für euch und die Menschen im Lande kämpfe, vielleicht sogar mehr als jetzt. Und da es dabei auch um ihren eigenen Kopf ging, war sie genauso aufgeregt wie es sein muss, um dabei als absolut authentisch und leidenschaftlich rüberzukommen, die Salamitaktik in ihrer unwiderstehlichsten Form.

Der dauervibrierende und sich immer wieder überschlagende Oberton hatte, jenseits seiner erpresserischen Seite, jedoch einen geradezu flehenden Subtext: Ich habe es endlich nach ganz vorne geschafft.  Bitte, bitte schickt mich nicht zurück ins zweite Glied! Ein Gefühl dass sie mit all denen im Saal teilte, die bei Neuwahlen um ihre Mandate und Posten fürchteten. Eins, das im Prinzip jeden treffen kann, der seine Karriere ausschließlich seinem innerparteilichen Aufstieg zu verdanken hat.

Eines, das von Anfang an Teil der Salamitaktik war und weiterhin sein wird. Denn ohne diese Angst, hätten die Groko-Befürworter auf diesem Parteitag mit Pauken und Trompeten verloren und die Frau, um die es bei dem ganzen Manöver wirklich geht, gleich mit: Angela Merkel. Für sie und ihre Merkelianer war Andrea Nahles dramatischer Überlebenskampf jedoch nicht mehr als einer von vielen Spielbällen, die notfalls auch gegeneinander gedroschen werden, um das eigentliche Ziel zu erreichen: ihr die Kanzlerschaft zu sichern.

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discipulussenecae
discipulussenecae
6 Jahre zuvor

Die hysterische Brandrede von Andrea Nahles wird in der rot-grünen Mehrheit des politischen Journalismus gern als die 'weibliche Stimme' oder das 'weibliche Gesicht' der SPD hochgeschrieben. Zudem hat, was bisher ständig unterschlagen wird, "die politische Nulpe" versprochen, er würde nur einen Koalitionsvertrag unterschreiben, wenn genauso viele Frauen ein Ministeramt bekämen wie Männer – eine Arithmetik, auf die er mit seinen 20% überhaupt keinen Einfluß hat.

Das zeigt wieder einmal deutlich, daß die SPD jede politische Analysfähigkeit aufgegeben hat und zu einem bloßen Kuschelverein verkommen ist, in dem sich jeder wohlfühlen soll, und in dem das Gefühl das Argument ersetzt hat.

Brüder und Schwestern unter der wärmenden Parteisonne, die auf Licht und Zukunft verzichten …

Helmut Junge
Helmut Junge
6 Jahre zuvor

Bleibt nur noch die Überprüfung sämtlicher Mitgliedsbücher.

Walter Stach
Walter Stach
6 Jahre zuvor

Arnold Voss,
im letzten Halbsatz stellst Du das für mich Wesentlichste fest

– und das gilt für die bisherigen 12 Jahre "Merkelismus", das gilt für den zurückliegenden Wahlkampf, das gilt für die gescheiterten sog. Jamaika-Verhandlungen, das gilt für das jetzigen Gerangel um eine GroKO und das würde auch für 4 weitere Merkel-Jahre gelten-:

Es geht darum "Ihre Kanzlerschaft zu sichern".

Und zwar ihrem politischen Naturell gemäß um eine Kanzlerschaft des "einfachen Regierens", was für Merkel nicht möglich gewesen wäre mit einer Jamaika-Koalition, was für Frau Merkel erstrecht nicht möglich wäre mit einer sog. Minderheitenregierung, was ihr aber gewiß wäre mit einem von Schulz, Gabriel , Nahles und Co ins Regierungsgeschäft eingebundenen Koaltiionspartner SPD;

An anderer Stelle hier bei den Ruhrbaronen hast Du gefragt und habe ich ergänzend dazu gefragt,
w a r u m d a s in der medialen Diskussion pro/contra Jamaika , pro / contra GroKo , pro/contra Minderheitenregierung ganz und gar nicht problematisiert wird.

"Drauf auf die SPD, auf Schulz, Gabriel, Nahles"…….
Und Frau Merkel…………..??
Diejenige, um die es letztendlich, um die es primär geht, nämlich um Frau Merkel, um ihren Machtanspruch auf weitere 4 Jahre Kanzlerschaft ,hält sich "aus Allem so weit eben möglich 'raus", was ich mir erklären kann, und sie wird medial aus Allem herausgehalten, was ich mir nicht erklären kann und was ich ein politisch skandalöses Medienverhalten zu nennen pflege.

ke
ke
6 Jahre zuvor

Frau Merkel hält sich raus: ja
Sie kam auch nicht auf die Idee, sich erst über 1000 Instanzen jede Handlung absichern zu lassen. Außerdem folgt ihr die CxU in jede Richtung. Ankündigungen im Interview eine Frauenzeitung und schon ist ein Wahlkampfthema weg. Wobei ich mich immer noch frage, ob dem Durchschnitts-SPD Wähler wirklich viel an einer Ehe für alle Kombinationen liegt und die Konzentration auf Randgruppenthemen nicht eher die alte Kernwählerschaft irritiert.

Spannend ist auch, warum bspw. die Jusos nicht einfach zu den Linken gehen. Da scheint es viel mehr Schnittmengen zu geben. Das gilt auch für viele SPD Berufspolitiker. Aber irgendwie scheinen dann die Sitze der SPD doch sicherer und wärmer zu sein.

Angelika
Angelika
6 Jahre zuvor

"…und sie wird medial aus Allem herausgehalten, was ich mir nicht erklären kann und was ich ein politisch skandalöses Medienverhalten zu nennen pflege." (Walter Stach #3 zu Merkel)

So ist es!

Angelika
Angelika
6 Jahre zuvor

@KE

Liegt dem "…dem Durchschnitts-SPD Wähler…" denn etwas an Familiennachzug in großem Umfang?
Sind für den durchschnittlichen SPD-Wähler wirklich Kitas, Kitas und nochmals Kitas wichtig?

Walter Stach
Walter Stach
6 Jahre zuvor

Angelika-6-,
die Fragen erscheinen mir nahe zu liegen.
Meine Antworten:
Frage 1.)
" Den Durschnitts-SPD-Wähler" interessiert m.E. das Thema Familiennachzug bestenfalls "ganz am Rande", wahrscheinlich gar nicht,; folglich auch nicht die darauf bezogene Quoten-debatte.
Das zu bedauern, würde nichts an diesem Verhalten ändern.

Frage 2.)
"Den Durschnitts-SPD-Wähler", so scheint mir, interessiert sehr wohl alles was mit dem Thema Kita zu tun hat, denn unter den "Durchschnitts-SPD-Wählern" werden alle Eltern, Großeltern, speziell alle Alleinerziehenden um die Problematik der Kitas wissen und unter ihr " zu leiden haben" ( begrenzte Aufnahmekapazitäten vor allem in Großstädten, zu viele Kindern in den einzelnen Gruppen, zu wenige und unterbezahlte Betreuerinnen, zu hohe Kita- Beiträge, eine zeitlich unzureichende Ganztagsbetreuung.)
Aber….
Ich kann nicht erkennen, daß die Lösung der " Kita-Problematik " von den Wählern als ein zentrales, als ein gewichtiges SPD-Thema, und zwar als alleiniges SPD-Thema wahrgenommen wird.
Und mir scheint -leider aus meiner Sicht-, daß das Thema "Bildung" insgesamt, z.B. unter dem Aspekt "gleiche Bildungschancen für alle Kindern", nicht (mit-) entscheidend für das Wählervotum ist. Warum ist das so? Darüber ließe sich diskutieren.

PS
Und wenn, wie ich heute morgen höre und lese, die SPD gehe jetzt mit der Bedingung (??) in Koalitionsverhandlungen , daß auf jeden Fall vereinbart werden müsse, die derzeitige Differenz zwischen den Arzthonoraren, die seitens der Privatversicherungen getragen werden, und den Arzthonoraren, die die gesetztlichen Versicherungen zahlen, müsse deutlich reduziert werden, um so die Ungleichbehandlungen -ambulant und stationär- von gesetzlich Versicherten im Vergleich mit den Privatversicherten zu reduzieren, dann wird das durchaus den "Durchschnitts-SPD-Wähler " interessieren, denn der dürfte mehrheitlich gesetzlich versichert sein (oder?) interessieren und bei ihm Zustimmung finden, aber ich sehe nicht, daß allein das ihn anhalten könnte wider seine bisher ablehnende Einstellung gegenüber der aktuellen SPD-Politik und gegenüber aktuell agierendem SPD-Spitzenpersonal sich pro SPD, z.B. bei kurzfristigen denkbaren Neuwahlen, zu entscheiden.
Ich vermute sogar, und darum geht es ja kurzfristig, daß dann, wenn es im zu erwartenden Koalitionsvertrag seitens der CDU/CSU zu grundsätzlichen Zugeständnissen gegenüber der SPD bezüglich der von mir umschriebenen "Honorar-Annäherungen" kommt, sich davon allein all diejenigen, die derzeit in der SPD Nein zu einer neuen GroKo sagen werden, nicht von ihrer jetzigen Positon abbringen lassen werden ("….bloße kosmetische Korrekturen an der sog. Zweiklassen-Medizin ;was bleibt von der zu Beginn der Sondierungsgesprächen gemachten Aussage der SPD-Spitze ,"ohne eine grundsätzliche Einigung über eine Bürger -(kranken-)versicherung für alle " gibt es keine konkreten Koalitionsverhandlungen "?
Mir scheint, daß das der Widerstand vieler SPD-Mitglieder gegen eine neue GroKo und gegen 4 weitere Merkel-Jahre bei diesen so tief verwurzelt ist, daß auch im Falle neuer (Teil-.)Zugeständisse von CDU/CSU an die SPD -z.B. in Sachen " Familiennachzug", z.B. in Sachen " Honorarangleichung, dieser Widerstand nicht weniger werden wird.

Angelika
Angelika
6 Jahre zuvor

@Walter Stach #7
"…Ich kann nicht erkennen, daß die Lösung der " Kita-Problematik " von den Wählern als ein zentrales, als ein gewichtiges SPD-Thema, und zwar als alleiniges SPD-Thema wahrgenommen wird…"

Es ist eben ein allgemeines Thema. Wer Kinderbetreuung braucht, der braucht sie – egal welche politische Richtung. Und vielleicht ist es so, dass Bürger es eigentlich als selbstverständlich ansehen, dass es das gibt, was gebraucht wird, was kein unnötiger Luxus, kein Firlefanz ist. Also wie Wasser- und Stromversorgung, Krankenhäuser mit guten hygien. Zuständen usw. usw. .

Und vielleicht ist es so, dass die Bürger gar nicht mehr hinhören, wenn es heißt: "Wir…(Partei X, Y, Z …) werden für mehr Kita-Plätze sorgen!" "Wir werden in Bildung investieren!" "Wir werden…"

Wenn Steuereinnahmen sprudeln – so sagen sie doch dauernd, die von uns gewählt werden wollen – dann sehe ich nicht ein, dass man Selbstverständlichkeiten (s.o.) als Speck nimmt um Mäuse (sprich Wähler) zu fangen.

Helmut Junge
Helmut Junge
6 Jahre zuvor

Kinderbetreuung, Schulbildung, Studium gehören zu den Lebenserhaltungssystemen jeder menschlichen Gesellschaft. Es sollte also jeder Partei gleich wichtig sein.
Wenn aber mein Gefühl stimmt, ist es jeder Partei gleich unwichtig.

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