Eine „Entführung“ kündigte Dirk Kurbjuweit, seit etwa drei Wochen Chefredakteur beim „Spiegel“, am Montagabend beim Hauptstadtfest des Nachrichtenmagazins an. Melanie Amann, das politische Schwergewicht des „Spiegel“, bekannt für ihre Stahl schneidenden Kommentare und brillanten Analysen, wird zukünftig an der Seite von Kurbjuweit das gesamte Magazin von Hamburg aus prägen. Kurbjuweit sagte, er benötige Amann „ganz und gar“ an seiner Seite für die immensen Aufgaben in Hamburg. Von unserem Gastautor Josef-Umair Schöningh.
Das geht aus einem iCloud-Video des Abends hervor, das seit Dienstag über Whatsapp geteilt wird und auch uns vorliegt. Kurbjuweit, der Grandseigneur der deutschen Reportage, dessen Vorbild nur der „New Yorker“ sein kann und der als erste Amtshandlung einen täglichen Kommentar ins Blatt hob, holt sich mit Amann die prägende, digitale Stimme der jüngeren Spiegel-Generation direkt an seine Seite.
„Ich muss eine Entführung ankündigen. Eine Entführung von Berlin nach Hamburg. Ich bin ja auch von Berlin nach Hamburg gegangen. Und ich kann nicht nach Hamburg gehen ohne Melanie Amann. Melanie Amann war bislang schon in der Chefredaktion und war auch Leiterin des Hauptstadtbüros, und in dieser Doppelfunktion hat sie gearbeitet. Und ich brauche sie aber ganz und gar an meiner Seite und deshalb wird sie auch als Mitglied der Chefredaktion nach Hamburg wechseln. Sie wird auch von hier aus arbeiten, aber sie ist nicht mehr eine der Chefinnen des Hauptstadtbüros. Das ist einerseits schade, und andererseits brauche ich Melanie einfach in Hamburg. Liebe Melanie, tausend Dank für die großartige Arbeit, die du hier geleistet hast. Berlin verabschiedet sich von Melanie heute Abend“, kündigte Kurbjuweit an. Für ihn und Amann gab es danach viel Applaus.
Kurbjuweit sprach in seiner Rede auch über das politische Selbstverständnis vom „Spiegel“: „Wir sehen uns als Schutzschild der liberalen Demokratie. Sie macht schwere Zeiten durch, dass wissen Sie“, so Kurbjuweit. „In den USA, in Europa, auch in Deutschland wird sie seit einiger Zeit angefochten. Gegner der liberalen Demokratie sind unsere Gegner. Das verbindet uns mit vielen der hier vertretenen Politiker. Wir haben ein gemeinsames Projekt, die Verteidigung der liberalen Demokratie. Aber es ist auch für uns ein Problem, ein gemeinsames Projekt mit der Politik zu haben. Denn eigentlich haben wir auch eine andere Aufgabe“, unterstrich Kurbjuweit. Und machte klar: „Deshalb sagen wir Schutzschild der liberalen Demokratie heißt auch, wir sind die Beobachter und Kritiker der politischen Akteure“, so der „Spiegel“-Chef.
Der Ruf Amanns nach Hamburg war am Abend dann auch das Thema Nummer Eins unter den knapp 500 Gästen aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Medien und Wissenschaft.
Was von Amann erwartet wird, liegt dabei auf der Hand – sie muss das Magazin weiter digitalisieren, neue Themenfelder finden, die Qualität hochhalten, die Leserschaft verjüngen, Hand in Hand mit Kurbjuweit für die Zukunft arbeiten und dabei aus Sicht der Redaktion einer Geschäftsführung Einhalt gebieten, die sich in den vergangenen Monaten laut diverser Berichte in den Fachmedien zu oft in den Redaktionsalltag eingemischt hat. Das kann eine Redaktion, der die Mehrheit am Verlag gehört, nicht gut finden, dafür muss sich Kurbjuweit einsetzen und nötigenfalls auf den Tisch hauen.
Edelfeder Kurbjuweit weiß, er braucht Amann an seiner Seite, die zu den führenden Digitalexpertinnen des Landes gehört und nicht nur Politiker, sondern auch zu selbstbewusste ZDF-„Philosophen“ wie Richard David Precht in die Schranken weist. Der Lanz-Abend zur Situation der Medien https://www.zdf.de/
Mit der Berufung Amanns gelingt es dem neuen Chefredakteur auch, nach turbulenten Wochen die Redaktion wieder zu befrieden. Schließlich hat es der „Spiegel“ auch der selbstbewussten Journalistin aus Siegburg zu verdanken, dass das Haus zum Beispiel nach dem Fall Relotius (ist auch schon etwas länger her) wieder zu neuem Glanz gekommen ist und als erste Adresse für exklusive und seriöse Berichte gilt. Amanns Loyalität zum Haus haben viele in Redaktion und Verlag nicht vergessen.
Vor Ort am Spreeufer dabei waren laut diverser Bilder in den Sozialen Netzwerken und aus persönlichen Gesprächen, die der Autor dieses Artikels führte, die führenden Köpfe der Berliner Republik: Bundestagspräsidentin Bärbel Bas aus Duisburg, die stellvertretende Bundestagspräsidentin Yvonne Magwas, die stellvertretende Bundestagspräsidentin Aydan Özoguz, Bundeskanzler Olaf Scholz, die Minister Karl Lauterbach, ein völlig erschlankter Hubertus Heil, Cem Özdemir, Robert Habeck, Wolfgang Schmidt, Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner, seine Stellvertreterin Franziska Giffey und beider Vorgänger Michael Müller, Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg aus Köln, SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil, Sinan Selen, Vizepräsident vom Verfassungsschutz, zahlreiche Bundestagsabgeordnete wie der stellvertretende Linken-Parteichef Ates Gürpinar aus Bayern oder Sozialdemokrat Macit Karaahmetoğlu aus Baden-Württemberg, SPD-Fraktions-Managerin Katja Mast, der frühere Unions-Fraktions-Manager Michael Große-Brömer und sein Nachfolger Thorsten Frei, die Verteidigungsexpertinnen Marie-Agnes Strack-Zimmermann aus Düsseldorf und Serap Güler aus Köln, der Abgeordnete Prof. Günter Krings aus Mönchengladbach oder Volker Ullrich von der CSU, Schatzmeisterin Julia Klöckner, Marco Wanderwitz aus Sachsen, Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann, Linken-Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch, „Bild“-Chefin Marion Horn (die am selben Tag massive Einschnitte verkündet hatte), Wall-Street-Journal-
Was auffällt – wie vielfältig alleine dieser kleine Auszug der Gästeliste ist, der lange nicht vollständig sein kann.
Nicht gesehen: FDP-Minister von Lindner bis Stark-Watzinger, die Grüne Baerbock, der frühere Unions-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus oder sein Nachfolger Friedrich Merz. Ob der Sauerländer in Sorge war, auf seine Kontrahenten Hendrik Wüst oder Markus Söder zu stoßen? Unnötig, denn beide Politiker fehlten an dem Abend.
Amann wird zukünftig das ganze Haus gemeinsam mit Kurbjuweit prägen, Martin Knobbe leitet weiterhin zusammen mit Sebastian Fischer und Christoph Hickmann das „Spiegel“-Hauptstadtbüro.