Der Tod von Malte C.: Der queerfeministische Obskurantismus

Münster Innenstadt Foto (Bearbeitet): Bernhard Kils Lizenz: CC BY-SA 3.0


Drei Monate ist es nun her: Malte C. wird beim Christopher Street Day in Münster angegriffen und erliegt wenige Tage später an den Verletzungen. Doch es verstreicht wenig Zeit, bis die vermeintlich Schuldigen ausgewiesen werden, bis ans Licht kommt, wer der mutmaßliche Täter ist und aus welchem ideologischen Milieu er stammt. Von unserem Gastautor David Vilentchik

Wir haben es mit einem fatalen Befund zu tun: Die homo- und transfeindlichen Attacken haben zugenommen. In Zeiten gestiegener Toleranz, die sogar Eingang in Institutionen gefunden hatte und zu einem integralen Teil einer Unternehmenskultur avancierte – man denke an den Pride Month 2022 – bedeuten Angriffe auf sexuelle Minderheiten einen gewaltigen Rückschritt. Doch die Angriffe sind auf einem Höchststand – und sichtbarer geworden. Sichtbarer zum einen, weil die öffentliche Berichterstattung im Zuge der Liberalisierung von Sexualität eine dahin gehende Sensibilisierung durchlaufen, zum anderen, weil soziale Medien als Katalysator die Verbrechen nach außen tragen.

Maltes Tod Ende August 2022 ist ein solches Beispiel, dass die Tragik verdeutlicht, wovon sich kaum jemand entziehen kann. Mutmaßlich angegriffen von einem abgelehnten tschetschenischen Asylbewerber namens Nuradi A., weil Malte Lesben vor den Anfeindungen verteidigt hatte, musste er für seine Zivilcourage mit seinem Leben zahlen. Zwar berichteten sämtliche Medien über die Schreckenstat, aber die meisten Blätter blieben beim bloßen Motiv der Homo- und Transphobie stehen, ohne auf den ideologischen Überbau zu schauen. Auch in der queeren Community selbst gibt es nur wenige Stimmen, die eine solche Dethematisierung der Umstände beklagen.

Abenteuerliche Kausalketten

In den sozialen Medien, insbesondere auf Twitter, gipfelte der Obskurantismus vieler Queeraktivisten in eine komplette Umdeutung des Ereignisses. Zahlreiche Kausalketten sollten erklären, wie es zu dem tödlichen Angriff kommen konnte: So sollen sogenannte TERFs (trans exclusionary radical feminists) ein transfeindliches Klima erzeugt haben, weil einige Feministinnen die anatomischen Unterschiede zwischen einer Trans- und einer biologischen Frau hervorheben, um so die Bedarfe der Letzteren zu artikulieren. Daher verwenden Queerfeministen das Akronym oft als Beleidigung, da der radikalfeministischen Konkurrenz eine Annullierung der Transfrau unterstellt wird.

Hierfür wurde Alice Schwarzer, Herausgeberin des Emma-Magazins, als Galionsfigur dieser „Bewegung“ auserkoren, weil sie den transaffirmativen Diskurs auch in Bezug auf das bald kommende Selbstbestimmungsgesetz kritisch beäugt. Gleichwohl vernachlässigen Queeraktivisten Schwarzers Unterstützung für Transpersonen seit 1984, wie sie es kürzlich in der ARD-Sendung Maischberger betonte. Zudem sollen Konservative, Liberale, ja Rechte diese Entwicklung erheblich vorangetrieben haben, die zur Auslöschung von Maltes Leben geführt habe. Da fungieren der schwule Aktivist Ali Utlu aus Köln, die Journalistin Judith Sevinc Basad und die Publizistin Birgit Kelle als dienliche Figuren.

Zu guter Letzt habe ebenfalls die Biologin Marie-Luise Vollbrecht eine substanzielle Mitschuld an der Tötung des Transmannes zu tragen, weil sie im Sommer in der Humboldt-Universität Berlin einen Vortrag über die biologische Zweigeschlechtlichkeit hielt, welcher als transfeindliche Propaganda ausgemacht wurde. Mit dem Hashtag #Mariehatmitgemordet haben queerfeministische Kreise und ihre Anhängerschaft auf Twitter schleunigst eine Komplizin lokalisieren können.

Die Medien verfallen der tendenziösen Berichterstattung

Doch die Bezichtigungen verließen die Sphäre der sozialen Medien und fanden große Berücksichtigung in zwei Formaten der öffentlich-rechtlichen Medien: Da wäre zum einen das Magazin Kontraste. Im Oktober strahlte es eine Sendung über Transfeindlichkeit aus. Es kam nicht umhin, die Gemeinplätze von Queeraktivisten zu übernehmen und Marie-Luise Vollbrecht als Motor für die „Hetze“ gegenüber Transpersonen darzustellen. Zum anderen vollzog kürzlich Deutschlands bekanntester Satiriker Jan Böhmermann in drastischer Weise eine Generalabrechnung mit den üblichen Verdächtigen. Er bezeichnete sie nicht als „TERFs“, sondern als „turds“ (zu Deutsch: Scheißhaufen).

Als ein Rechtsextremist in Bratislava vor einer Schwulenbar im Oktober zwei Menschen erschoss, saß der Schock tief. Prompt wurde zurecht eine Untersuchung eingeleitet, was die Ideologie des Täters war. Die Einordnung dieses Anschlags erfolgte seitens der Medien und der LGBTQ-Community zügig. Doch bei islamistisch motivierten Gewalttaten scheut man sich. Mehr noch: Böhmermann beispielsweise nahm eine Vereinfachung trans- und homofeindlicher Attacken – darunter Maltes Tod – vor, um plump eine rechte Verschwörung zwischen Schwarzer, der AfD und russischen Oligarchen zu konstruieren.

So stößt die Kategorisierung von Gewaltdelikten auf ein weiteres Problem: Die Subsumierung von homo- und transphoben Attacken unter dem Terminus „queerfeindlich“ greift zu kurz. Homosexuelles Begehren stellt für große Teile der islamischen Welt eine gravierende Sünde dar. Deshalb gebietet es der Korrektheit, nicht beim politischen Begriff “queer“ stehen zu bleiben, sondern explizit auf das die islamische Norm wesentlich berührende Begehren zu schauen. Gerade in islamischen Theokratien wie Katar und Iran kann man die Brutalitäten gegenüber Homosexuellen beobachten.

Der Tod von Malte C. ist kein Einzelfall

Dass gerade im Fall Malte die bewusste Verschleierung des Täterprofils nur so vor Bigotterie strotzt, scheint die queeraktivistische Avantgarde nicht zu tangieren. Wer die Aussage tätigt, die islamische Sozialisation könne wesentlich für eine Straftat wie diese sein, dem ereilt ein Verdikt, rassistisch zu sein und für sozialen Unfrieden zu sorgen. So ist das ohrenbetäubende Schweigen bei Attacken von muslimischen Männern kein neues Phänomen: Während die mediale Öffentlichkeit über den islamistischen Hintergrund des Attentäters in Oslo im Juni 2022 berichtete, der an einem schwul-lesbischen Nachtklub zwei Menschen erschoss, mangelte es seitens linker Queerfeministen an fundierter Analyse, geschweige denn einer bloßen Erwähnung des ideologischen Milieus. Ähnlich verhielt es sich mit der Messerattacke eines Islamisten aus Syrien 2020 auf ein schwules Paar in Dresden, die Thomas L. nicht überlebte. Trotz zahlreicher Mahnwachen fand nur unzureichend eine öffentliche Diskussion über das archaische Weltbild des Täters statt. Stattdessen firmieren solche Taten unter dem Begriff des „religiösen Extremismus“, um eine Spezifizierung bemühen sich queere Aktivisten jedoch nicht.

Im Fall Malte C. wäre es unangemessen, den tödlichen Angriff als schlicht „queerfeindliche“ Tat festzumachen, da homophobe Hasstiraden vorangegangen waren, die Lesben auf dem Münsteraner CSDs erdulden mussten. Deshalb sind die bigotten Schuldzuweisungen nicht nur infam, sondern legen eine fortgeschrittene Denkfaulheit offen. Die Vorstellung, dass Nuradi A., aus Tschetschenien und einem streng islamischen Kulturkreis, wo Homo- und Transsexuelle eingekerkert, gefoltert und ermordet werden, sich ausgerechnet bei Feministinnen und Konservativen radikalisiert haben soll, die mit ihrer Islamkritik anecken, ist schlicht absurd. Umso bedauerlicher ist es, dass Maltes Tod die Grabenkämpfe zwischen den feministischen Strömungen offenlegen. Nuradi A. konnte aufgrund seines orthodox-islamischen Glaubens die homo- und transphoben Ideologeme nicht ablegen. Doch diese Erkenntnis wird konsequent verdrängt – nicht nur bei schwulen- und lesbenfeindlichen Attacken, sondern auch bei antisemitischen und misogynen Verbrechen.

Eine fundierte Ursachenforschung ist geboten

Doch die Negation derartiger Zusammenhänge spiegelt sich nicht nur in subkulturellen Zirkeln, sondern auch teils im staatlichen Handeln wider. Das Bundesinnenministerium, welches Wert auf die Beflaggung des eigenen Hauses mit der Regenbogenfahne legte, löste nonchalant den „Expertenkreis Politischer Islamismus“ auf. Dieser Schritt sorgte für Kritik. Die islamistische Bedrohung geht nicht allein von terroristischen Organisationen, sondern auch von Vereinen aus, die mit der hiesigen Politik zusammenarbeitet, obwohl sie Exponenten des legalistischen Islamismus und Kollaborateure autoritärer Regime sind.

Des Weiteren demonstrieren die Ampel-Regierung sowie die deutsche National-Elf in Katar einerseits eine gute Moral, wenn es um die Rechte von sexuellen Minderheiten geht. Im selben Atemzug handelt ebendiese Regierung ein Gasabkommen mit den katarischen Absolutisten aus. Eine Diskrepanz wird von einer weiteren übertroffen. Während islamisch-theokratische Staaten mit Fug und Recht kritisiert werden, werden hiesige Kritiker, unter anderem Ahmad Mansour, Seyran Ates und Hamed-Abdel Samad, als Häretiker gebrandmarkt.

Die kulturellen Differenzen und Spannungen, die sich unter anderem durch die Formierung von Parallelgesellschaften ausdrücken, können augenscheinlich in politische Umbrüche münden, dies zeigt der Wahlsieg der Schwedendemokraten sowie der postfaschistischen Forza d‘Italia. Der Aufstieg rechter Kräfte ist schlicht eine Folge einer Weigerung der Hinnahme desaströser Umstände. Doch nach wie vor relativieren linke Gruppen, darunter Queeraktivisten, die Probleme in den migrantischen Milieus. Zudem platzieren sie radikale Muslime auf einen hohen Platz des Diskriminierungsrankings, ohne aber ihre eigene Vulnerabilität durch ebenjene Gruppierung zu erkennen.

Mehr noch: Sie konstruieren eine Allianz zwischen Queeraktivisten und dem islamisch-migrantischen Milieu, weil beide den westlichen, in deren Augen „weißen“ und „heteronormativen“ Lebensentwurf ablehnen, wobei letzterer in der islamischen Welt streng praktiziert wird. Jedoch wird mit der anti-westlichen Grundhaltung den säkular-universellen Prinzipien eine Absage erteilt, auch zulasten der Homo-, Trans- und Bisexuellen. Solange linke Kulturrelativisten den Islam mit ihren regressiven Ausprägungen als sakrosankt behandeln, bleibt jede Kritik und Verurteilung ungeheuerlicher Taten gegen (sexuelle) Minderheiten nutzlos.

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