Der Traum vom Zusammenbruch des Westens

Putin bei den Olympischen Spielen 2022 in Peking Foto: kremlin.ru Lizenz: CC-BY 4.0

Die Destabilisierung der westlichen Gesellschaften ist eine mächtige Waffe ihrer Feinde.

Einen perfekten Sturm nennt man das seltene Zusammentreffen unterschiedlicher Wetterphänomene, die dazu führen, dass ein Hurrikan entsteht, der ungleich heftiger und brutaler ist, als es die normalen, angsteinflößenden Stürme sind. Gerät ein Schiff in einen solchen Perfekten Sturm, stehen die Chancen schlecht, dass es ihn übersteht. Überlebt die Mannschaft, wird das Boot sich nur schwer beschädigt in einen Hafen retten können.

Die Welt befindet sich am Anfang eines solchen perfekten Sturms: Der Überfall Russlands auf die Ukraine kann militärische Folgen haben, die noch nicht abzusehen sind. Sowohl Gefahr einer großen konventionellen Auseinandersetzung in Europa als auch eines Atomkriegs sind real.

Im bereits laufenden Wirtschaftskrieg fügt durch sein Sanktionsregime Russland schwere Schäden zu. Explodierende Energiepreise werden allerdings auch in absehbarer Zeit die Volkswirtschaften Europas schwer treffen und könnten nicht zu Energiearmut, sondern auch Insolvenzen und Massenarbeitslosigkeit führen.

Die Ankündigung Russlands, bis mindestens weit in den Sommer hinein kein Getreide zu exportieren und der Ausfall der Ukraine als Lebensmittelproduzent wird in den USA und Europa zu steigenden Preisen und Versorgungsengpässen führen. Millionen Menschen in Afrika und im Nahen Osten könnten hungern müssen. Eine Flüchtlingswelle Richtung Norden wäre eine wahrscheinliche Folge.

Weitet sich der begonnene Konflikt auf China aus, würde nicht nur der wichtigste Exportmarkt der deutschen Industrie wegbrechen, auf deren Erfolg nach wie vor der Wohlstand dieses Land beruht. Die Preise für Güter aller Art, die in China hergestellt werden, von der günstigen Kinderkleidung bis zum Apple Studio, würden explodieren. Stellt China den Export seltener Erden ein, kämen weite Teile der Produktion im Westen zum Erliegen.

Auch wenn die meisten demokratischen Gesellschaften sich in den vergangenen Jahrzehnten als sehr robust erwiesen haben, gehört nicht viel Fantasie dazu, sich klarzumachen, dass eine solche Kombination von Krisen sie auf eine harte Probe stellen. Eine massive, durch steigende Energiepreise getriebene Inflation, Probleme bei der Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Gütern des täglichen Bedarfs, Massenarbeitslosigkeit und unkontrollierte Armutseinwanderung sind und dazu möglicherweise ein Krieg, ganz sicher aber eine wachsende Kriegsangst mit alle ihren psychologischen Folgen bilden zusammen einen perfekten Sturm. Und der bedroht, da muss man sich nichts vormachen, die offene Gesellschaft, die Demokratie, die soziale Absicherung und der Wohlstand, die unser Leben prägen. Das ist kein Nebenprodukt der Krise, sondern von Autokraten wie Wladimir Putin und Xi Jinping gewollt. Wir befinden uns in einer globalen Auseinandersetzung, in der die Art, wie wir leben angegriffen wird. Und in der das Modell der westlichen, aufgeklärten Gesellschaft zerstört werden soll, das mit seiner Mischung aus Freiheit und Wohlstand für Menschen auf der ganzen Welt ein Ideal darstellt: Die von den Taliban verfolgte Akademikerin in Kabul, der Bürgerrechtler in Honkong und der Handwerker in Nigeria träumen davon, so zu leben wie die Menschen in München, Paris oder Denver: Frei, reich, sicher und all das mit dem Versprechen, zumindest die Chance zu haben, nach dem eigenen Glück zu streben. Uns erscheint all dies als selbstverständlich und banal. Das ist es nicht und in den kommenden Monaten könnte uns das auf unangenehme Weise bewusst werden.

Die Destabilisierung der westlichen Gesellschaft ist eine mächtige Waffe in der Hand ihrer äußeren Feinde. Sie nutzt die Schwächen und Ängste der Menschen, nimmt ihnen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und das Selbstbewusstsein. Sie sind uns militärisch und wirtschaftlich unterlegen. Sie haben keine gesellschaftliche Idee, die Menschen überzeugt. Ihre Ideologie besteht nur aus dem Erhalt der eigenen Macht, das Individuum mit all seinen Rechten und seiner Unvollkommenheit ist für sie nur eine austauschbare Verbrauchseinheit bei der Umsetzung ihrer Ziele.

Und Destabilisierung ist auch das Ziel der Extremisten in den westlichen Gesellschaften, die ebenfalls jenseits ideologischer Resterampen und der Verherrlichung von Armut keine attraktive Idee der Zukunft im Angebot haben. Die Anhänger des postmodernen Ideologienbouquets haben es sich, in der Regel Gebühren- oder steuerfinanziert zur Aufgabe gemacht, den Westen auf allen Ebenen zu diskreditieren. Ihre Kritik zielt nicht auf Verbesserung, sondern auf Zerstörung. Die, wenn auch fehlerbehaftet und weit davon entfernt perfekt zu sein, freieste Gesellschaft, die es jemals gab, erscheint in ihren Predigten als rassistischer und sexistischer Moloch, die Ideen der Aufklärung als eine Missgeburt des Kolonialismus. Rechte und viele Linke sind sich in der Ablehnung des Kapitalismus ebenso einig wie in der des Individuums. Hier kennt man nur noch Stämme und Gruppenrechte.

Umweltschutz dient als Argument, einen Wohlstand zerstören zu wollen, den die eigenen Ideologien nie hätten aufbauen können.

Und wo immer es geht, konfrontiert man die Politik mit sich widersprechenden Forderungen: Flüchtlinge sollen aufgenommen, aber keine neuen Wohnungen gebaut werden. Energie muss günstig sein, aber man soll sie nirgendwo erzeugen können. Das Land soll wohlhabend bleiben bei geschlossenen Grenzen und immer weiter um sich greifender Technologieangst.

Die Aufzählung der Paradoxen lässt sich beliebig fortsetzen. Es ist nur verwunderlich, wieso viele so etwas als ernsthafte Politik einordnen und nicht als das, was es ist: Versuche, die Gesellschaft zu destabilisieren. Am besten natürlich öffentlich alimentiert.

Es wird nun darauf ankommen, unsere Art zu leben, unsere Gesellschaft mit all ihren Freiheiten und die liberalen Ideen, auf denen sie beruht zu verteidigen. Wenn es darauf ankommt auch mit Waffen. Aber vor allem müssen wir wieder uns selbst sicherer werden. Die demokratischen Gesellschaften die in den vergangenen Jahrhunderten aufgebaut wurden bieten den Menschen die größten Freiheiten, die es jemals in der Geschichte gab. Nie waren Wohlstand und soziale Sicherheit größer, nie wurden mehr technologische Fortschritte erzielt. Wir haben jeden Grund, für diese Gesellschaften zu kämpfen, egal wo ihre Gegner stellen. Natürlich gibt es viel zu verbessern, es wäre dumm, das nicht zu sehen, aber diese Arbeit werden nur die Freunde der offenen Gesellschaft leisten können und nicht ihre Feinde.

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nussknacker56
nussknacker56
2 Jahre zuvor

Dem Autor ist zuzustimmen. Es ist überfällig, stärker für unsere Freiheit einzutreten und sie gegen Anfeindungen klarer und nachhaltiger zu verteidigen. Hier glauben viel zu viele, Freiheit gäbe es zum Nulltarif.

Ein Fehler hat sich in der Gegenüberstellung eingeschlichen: "Das Land soll wohlhabend bleiben bei geschlossenen Grenzen und immer weiter um sich greifender Technologieangst." Es muss hier heißen: bei offenen Grenzen. Sonst ergibt der Satz keinen rechten Sinn, denn bei offenen Grenzen gehen Wohlstand, Sicherheit und Stabilität in die Brüche.

Guiseppe Bottazzi
Guiseppe Bottazzi
2 Jahre zuvor

Wie wollen Sie denn unsere Freiheit mit einem Land von Wehrdienstverweigerern und einer Vielzahl von Menschen, die meinen Müßiggang (vulgo BGE) sei ein Menschenrecht, verteidigen? Stuhlkreis? Teelichter? Kirchentag?

Freiberg
Freiberg
2 Jahre zuvor

Ganz krass gesagt: Man muss denen sagen, dass wir im äußersten Notfall lieber die Menschheit vernichten als die freiheitliche-soziale Weltordnung!

Berthold Grabe
Berthold Grabe
2 Jahre zuvor

Nun ja, es zeigt sich das Russland militärisch jenseits der Atomdrohung nicht in der Lage wäre einen Krieg mit der Nato zu führen ohne zu verlieren.
Das war bis zum Ukrainekonflikt und auch an seinem Anfang nicht abzusehen nach der Informationslage.
Es zeigt sich auch, das die möglichen Folgewirkungen zu 90% selbst verschuldet sind, durch mangelnde Absicherung der idealistischen Politik, egal ob es um Energie oder Migration geht.
Die hier aufgelisteten Risiken zeigen deutlich, das man sie selbst aus Naivität und Leichtsinn massiv vergrößert hat.
Und damit das Risiko eine größeren Krieges paradoxerweise massiv erhöht, statt vermindert hat.

Berthold Grabe
Berthold Grabe
2 Jahre zuvor

#2
Natürlich ist mit der Generation Friedenbewegung da kein Staat zu machen, wir sind zu alt und nicht mehr ernstlich belastbar und mehrheitlich ideologisch naiv.
Aber die junge Generation besteht mehrheitlich nicht aus "Fridyas for Future" Kids, die haben bloß keine öffentliche Stimme, das war auch schon 68 so.
Man darf die Öffentlichkeits Junkies nicht mit der Bevölkerung verwechseln.
Nirgendwo wurde das so deutlich wie in der Flutkatastrophe, wo ganz andere junger Leute die Szene bestimmten

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