scrrenshot: vfl4u.de
Alles wächst zusammen. Die Unterschiede zwischen Print, Online, TV, Radio lösen sich auf. Dagegen ist nichts zu machen, warum auch? Vielleicht deshalb:
Natürlich haben Regionalzeitungen wie die WAZ oder die Allgemeine Laberzeitung seit Jahren eine ständige Vertretung im Internet. Überall wird kräftig an Medienportalen gewerkelt. Was fast alle eingeführt haben, sind Foren, Leserkommentare. Im Internet kann der Leser seine Meinung unter Artikel setzen oder sich über Themen der Berichterstattung austauschen. Was auch für uns Journalisten interessant ist.
Tageszeitungen vollzuschreiben ist ein ziemlich einseitiges Gewerbe. Wie jeden Tag Briefe zu schreiben, die nicht beantwortet werden. Sinnvolle Reaktionen, Leserbriefe sind die Ausnahme. Durchs Internet wandelt sich der einstige Blackboxberuf. Die Hemmschwelle ist im Virtuellen niedriger, also äußern sich die User. Doch was zunächst nach einem Plus an Demokratie klingt, einem Mehr an Partizipation und Meinungsvielfalt ist eine Täuschung und führt zur Zunahme des Populismus.
Denn User äußert sich im Netz als Pseudonym, als Unperson, als Fantasiefigur. Klarname und Adresse gibts nicht. Die Anonymität des Internets ist nun nicht zu ändern. Sie gehört zur Faszination und zu den Freiheiten im Netz. Doch die Wirkung der Pseudonymen geht leider weit über den Diskurs im Internet hinaus.
So werden Tag für Tag in der Print-WAZ Meinungen von "derwesten" Usern abgedruckt, die dann "tom 0815" oder "hirschkuh" oder sonstwie heißen. Müssen klassische Leserbriefverfasser Name und Adresse haben, um zu erscheinen, wird der im Schutze des "www" agitierende pseudonyme Meinungsfreund abgedruckt und aufgewertet. Vermutlich mangels klassischer Leserpost verzichtet kaum eine Regionalzeitung auf diese auch presserechtlich problematische Veröffentlichungspraxis. Macht sich gut in Sachen Leserblattbindung.
Auch das wäre halb so schlimm – eine Meinung zu Roland Koch, die mit "hirschkuh" gezeichnet abgedruckt wird, bleibt die Meinung von "hirschkuh" und nicht die Zuschrift des CDU-Bezirkschefs. Doch anonyme User, ob in Leserkommentaren oder Internetforen, sind längst zu Stichwortgebern geworden, ihre Postings dienen Journalisten als Stimmungsbarometer.
Zum Beispiel Fußball: Vor allem Sportjournalisten scheinen die Foren, die sich um die Proficlubs gegründet haben, intensiv zu verfolgen. Sie tun das, weil in den Online-Presseschauen gerne über ihre Artikel diskutiert wird. Sie tun das aber auch, um vermeintlich aus dem Innersten der jeweiligen Fanszene berichten zu können, ohne richtige Menschen sprechen zu müssen. Also zitieren sie aus dem Internet, als würde das zeigen, was die Leute auf den Tribünen so denken? Ob Trainer wegsollen? Wie der Manager gelitten ist? Meinungsfreudige aber halt erzfeige Internetuser werden so prominent eingeschmuggelt in die Medienlandschaft. Trainerstühle wackeln deshalb, Spieler fallen in Ungnade, so Sachen…
Ob die Fußballnerds wirklich öffentlich was zu sagen hätten, ob die überhaupt ins Stadion gehen, was die anderen Zuschauer von ihnen halten, was ihre Ziele sind, all das wird ausgeblendet. Früher warf man Boulevardblättern vor, dem Volk zu sehr aufs Maul zu schauen, Stammtischjournalismus zu betreiben – heute gehört das in führenden deutsche Qualitätszeitungen zum guten Ton.
Ich habe das gestern rund um den Fall Thomas Zdebel und den VfL schon angedeutet. Auch in Bochum ist dieses wenig erfreuliche Phänomen der anonymen Meinungsmache zu beobachten, die verstärkt Aufnahme in die professionelle Berichterstattung findet; drei Beispiele vom Tage: klick / klack / klock
Dazu muss man wissen: Im unabhängigen Bochumer Fanforum wird seit Monaten Stunk gemacht gegen die sportliche Leitung und Vereinsführung. Und die emsigsten Teilnehmer sind so von ihrer Meinung überzeugt, dass abweichende Meinungen derbe niedergemacht wurden. Und zwar so lange, bis nur noch eine Lesart, eine Meinung zu finden war. Vielleicht fehlt die andere Sicht auch deshalb, weil es ja (noch) keine Pflicht gibt, sich an übellaunigen Diskussionen im Internet zu beteiligen, schließlich tratscht im Internetforum nur ein kleiner Meinungsausschnitt. Doch leider werden die Aktionen, wird die Agitation der Internetfans in FTD oder SZ als Ausdruck der Meinungslage DER Fans zitiert.
Fazit: Mir macht das Angst. Ich will nicht, dass die "meichis", "emsis", das "hirschkuh" oder "tom0815" Meinung machen. Nicht im Fußball, nicht in der Politik, nicht in der Gastronomie, nicht in der Musik, nirgends. Wer eine Meinung hat, muss mehr zu bieten haben als einen Usernamen.
Hallo,
ich sehe das ein bißchen anders, obwohl ich die Problematik verstehen kann. Geht es „nur“ um Fußball, kann man noch einer Meinung sein, doch gibt es auch Foren oder Blogs, in denen über Personen oder Thmematiken geschrieben wird, von denen das eigene Schicksal abhängen kann. Wenn man dort anonym bleiben möchte, kann ich das absolut verstehen, denn überall gibt es Hierarchien, die von oben nach unten auch schon wegen belangloserer Sachen schamlos ausgenutzt werden/ wurden. Die Alternative heißt dann nur Repressalien fürchten oder schweigen und das kann es auch nicht sein. Solange Foren und Blogs zensiert werden und strafbewerte Inhalte draußen bleiben, kann ich nichts an einer Anonymität im Netz bemängeln. Wenn man mit einer Stimmungsmache nicht einverstanden ist, kann man sich immer noch selber (anonym) äußern und versuchen, andere User zum umdenken zu bewegen, oder nicht?
Grüße
„Im unabhängigen Bochumer Fanforum wird seit Monaten Stunk gemacht gegen die sportliche Leitung und Vereinsführung.“ – Das Verhalten der Fans ist aus meiner Sicht absolut unverständlich. Ich dachte VfL-Anhänger sind schon glücklich wenn sie mal wieder in der ersten Liga vorbeischauen dürfen :-). Ein klarer Fall von überzogener Erwatungshaltung! Gibt es da nicht den schönen Satz bei denen „Wir steigen auf, wir steigen an und zwischendurch UEFA-Cup“? Sie sollten ihr Schicksal mit Demut ertragen!!!
Ansonsten: Angst machen mir die Kommentatoren nicht – und wenn mich die Kommentare in Blogs oder Foren nerven besuche ich sie einfach nicht mehr. Zum Teil gibt es gute Gründe (siehe RVR-Kenner) anonym zu bleiben – zum Teil gibt es sie nicht: Aber das soll ejder selbst entscheiden. Und wenn Leute in einem Forum fertig gemacht werden hat vor allem der Admin versagt. Man muss nicht jeden Scheiß freischalten. Und nein, das hat nix mit Zensur sondern viel mehr mit Kommunikationskultur zu tun.
Es liegt im Ermessen des Forumbetreibers, wie weit er „Trolls“ gewähren lässt. In unserem Stadtforum werden Beiträge, die ein gewisses Niveau unterschreiten gelöscht. Natürlich schreit der Nutzer sofort nach dem Recht der Meinungsfreiheit, aber „persönliche Beleidigungen“ etc. werden nicht geduldet.
Foren, wie bei heise.de, aber auch derwesten.de, stern.de usw. erreichen durch das gewähren der Trolls leider nur eins. Sie werden nicht mehr von mir gelesen.
Hi, ich finde es ok, wenn die Blogteilnehmer anonym bleiben wollen. Dann heißt einer halt Gaga2 oder Gaga4. Ein User mit dem Namen hat weniger Glaubwürdigkeit als einer, der seinen vollen Namen oder vielleicht auch nur seinen Vornamen nennt. Problematisch wird es erst, wenn ein Schreiberling meint, anonyme User können als Quelle dienen. Das ist billig, da bin ich voll bei Dir.
@all nur zur erklärung: ich habe nichts gegen leute, die anonym im internet ihre meinung posten, sich in foren auseinandersetzen, ich freue mich auch über insider, die geschützt aus dem nähkästchen plaudern. ich habe aber was dagegen, dass anonyme bekundungen wie leserbriefe behandelt werden oder als sprechendes meinungsbild eingang in die berichterstattung finden. meinungsfreiheit heißt nicht die freiheit des heckenschützen. aber das geschieht andauernd. und außerdem finde ich, die sich zur volksbewegung aufkröppenden internetfußballnerds etwa rund um vfl4u.de total daneben, die machen den fußball kaputt, jawollja.
Zumal es in dem VfL Forum so paradox daher geht das andere Meinungen, besonders die von nicht alt eingesessenen Usern unter dem Deckmantel des Offtopics gelöscht werden, und Beleidungen meistens stehen bleiben.
Das ist schon ein ziemlich inzestiöse profilierungssüchtige Veranstaltung die dort betrieben wird. Und auf unterstem sachlichen Niveau.
Aber auch nur exemplarisch dafür wie Meinungen verflachen und polemisieren wie zB die Kommentarmöglichkeit unter den Artikeln auf Newsportalen.
Spätestens dann wenn die mehr als notwendige von VfL4u geplante Aktion tatsächlich im Stadion gelaufen ist, werden aus den anonymen „Nerds“ echte Menschen, die live im Stadion ihre Meinung zur Führungstroika in Bochumer Fußball ausdrücken.
Denn in Wahrheit sind nicht die Foren die die den Fußball kaputt machen, beim VfL erledigt dies der sogenannte Aufsichtsrat ganz alleine.
Guter Artikel. Das Forum habe ich vor einigen Jahren verfolgt. Da gab es gute (=strenge) Moderatoren und interessante Debatten. Jetzt ist auf dem Niveau unserer Mannschaft: emotional gescheitert. Es stellt sich sowieso die Frage, wie viel Zeit manche Leute haben, um sinnlos das Internet mit Text zuzumüllen.
Chapeau! – Sehe ich auch so. Auch nach mehr als einem Jahrzehnt trifft das zu!
Andererseits scheint der „kleine Mann“ das zu bleiben, was er immer war: Ein kleiner Mann.
Man kann so viele Bühnen und Podien bauen wie man will: Der „kleine Mann“ stellt sich nicht hin, selbstbewusst, um Persönlichkeiten (Unternehmer, Politiker, Kunstschaffende) zu kritisieren. Er flüstert ein: Aus dem Versteck.