Top Stimmung in Bochum und lange Gesichter in Dortmund – mit einer kampfstarken Leistung hat der VfL Bochum am Wochenende drei Punkte aus der Nachbarschaft entführt. Nun sind noch zwei Spieltage in der laufenden Saison zu spielen. Unsere Autoren Tommy Junga und Peter Hesse erklären, ob der BVB im nächsten Jahr deutscher Meister werden kann, wie die Aufstiegschancen beim FC Schalke bestellt sind und das Pyro eindeutig ‘zurück‘ in die Fankurve gehört, wie es gerade ein Spieler vom FC Everton vorgemacht hat.
Peter Hesse: Der VfL Bochum gewann eine turbulente Partie in Dortmund trotz einer zwischenzeitlich verspielten Zwei-Tore-Führung und einem Dreierpack von Haaland mit 4:3 – damit bleibt der Aufsteiger aus dem schönen Bochum erstklassig. Auch in der dritten Halbzeit punkteten die Jungs von der Castroper Straße und verwandelten das Bermudadreieck in eine blau-weiße Partymeile. Die VfL Euphorie scheint unbremsbar zu sein, wie lange hält das an?
Tommy Junga: Das Sportliche ist die eine Seite, da sind die Bochumer nach dieser Saisonleistung angesichts der prominent besetzten Ligakonkurrenz über fast jeden Zweifel erhaben. Dahinter stehen aber auch ein paar fähige handelnde Personen, die nun in der ersten Liga weiter am neuen VfL arbeiten können und die Ausrichtung bestimmen werden. Dieser Verein muss nun seine neue Rolle annehmen: es wird schmerzhafte Abgänge geben, es werden neue Identifikationsfiguren gefunden werden müssen. Gelingt dieser Übergang, dann kann diese Geschichte einen Verlauf nehmen, wie die von Union Berlin oder dem SC Freiburg. Das Potenzial ist fraglos vorhanden, auch für weitere euphorische Erlebnisse.
Peter Hesse: Dortmund hingegen schwächelt. Von den sechs vergangen Spielen hat der BVB gleich viermal verloren: vor Bochum gegen Dynamo Kiew, Bayern München und die 1:4-Blamage gegen Leipzig. Wäre da nicht das 6:1 gegen Wolfsburg gewesen, würden die Medien ganz anders mit BVB-Trainer Rose umgehen. Woher kommt zum wiederholten Male diese fehlende Konstanz?
Tommy Junga: In den Spitzenspielen fehlt oft das letzte Bisschen. Innerhalb der Top Fünf gab es für Dortmund kaum etwas zu holen. Ein weit verbreitetes Phänomen in den Ligen mit dominanten Topteams. Auch in Frankreich und Spanien hat der ‚Best of the Rest‘ häufig das Problem 30 Spiele im Jahr Favorit zu sein, aber in den vier Top-Spielen plötzlich als Außenseiter auftreten zu müssen. Das ist einerseits sicher Kopfsache, aber natürlich auch die Aufgabe der sportlichen Führung diesem Umstand taktisch Rechnung zu tragen. Und dieses ständige Umbauen in der Defensive hat sicher auch nicht geholfen.
Peter Hesse: Im kommenden Jahr wird der BVB einen großen Mannschaftsumbruch erleben. Haaland, Witsel und vielleicht noch weitere Spieler werden die Dortmunder verlassen, dafür werden mit Süle und Schlotterbeck, sowie eventuell auch Bensebaini und Adeyemi gleich mehrere Hochkaräter in die schwarzgelbe Metropole kommen. Wird das für die Meisterschaft reichen oder werden die Bayern doch wieder die Nase vorn haben?
Tommy Junga: Die Bayern schlagen sich in Regel ja eher selbst. Wenn der Serienmeister schwächelt, dann musst du das aber eben auch nutzen. Die Dortmunder Mannschaft, die sich momentan abzeichnet, wird viel Entwicklungspotenzial haben, dabei scheinen es auch durchweg emotionale Charaktere zu sein. Aber nicht nur auf dem Rasen wird sich ein neuer Stil etablieren müssen. Noch bevor Punkteabstände zu den Bayern und Tabellenplätze interessant sein werden, gilt es wohl zuerst wieder den Schulterschluss mit den Anhängern zu erreichen. Das wird für Dortmund die Basis von allem sein.
Peter Hesse: Am Wochenende gab es eine sehr kuriose Szene beim 1:0-Sieg des FC Everton gegen Chelsea: Der Brasilianer Richarlison erzielt den entscheidenden Treffer, dabei fallen Rauchtöpfe auf den Rasen entflammen blauen Qualm. Der Torschütze nimmt einfach einen dieser Feuerwerkskörper und wirft ihn zurück zu den Zuschauern in die Fankurve. Muss Pyro einfach in der Kurve bleiben?
Tommy Junga: Zumindest sieht das Richarlison wohl so. Naja, im Ernst: das ist doch immer der gleiche Ablauf, ähnlich wie bei den jüngsten Becherwürfen in der Bundesliga. Da wird aus Dingen, die schon ewig stattfinden plötzlich ein riesiges Thema für fünf Tage geschustert. Nur weil jetzt mal ein Hirsch seit einem Jahrzehnt mit einem Becher getroffen hat oder weil mal eine Rauchbombe zurückgeworfen wird. Alles nicht schön, aber die Becher fliegen weiter und die Bengalos werden weiter geschmuggelt werden. Eric Cantona ist mal einem Fan in das Gesicht gesprungen und es wurden deshalb auch keine Zäune aufgestellt.
Peter Hesse: Auch für Schalke sieht es gerade gut aus. Die Königsblauen stehen gerade in der zweiten Liga auf dem ersten Platz. Doch das Feld ist so eng, dass man mit Jubelarien noch vorsichtig sein sollte. Denn wenn es an den letzten beiden Spieltagen für das Team Gelsenkirchen schlecht läuft, vermasseln sie nicht nur die Meisterschaft, sondern auch den direkten Aufstieg und verbaseln schlimmstenfalls sogar die Relegation. Wer sind deine drei Aufsteiger? Ich tippe auf Schalke, Darmstadt und Bremen in der Relegation. Wie sieht es bei dir aus?
Tommy Junga: Schalke hat momentan den Dusel, den du in so einer Phase brauchst – deshalb glaube ich an den direkten Aufstieg für die Königsblauen, zumal der St.Pauli gerade nach dem internen Corona-Ausbruch wohl kaum 11 Leute zusammenbekommt. Werder ist es zuzutrauen, dass sie den Lauf mitnehmen und weiter punkten. Darmstadt sehe ich hingegen in der Relegation, Düsseldorf und Paderborn sind keine Laufkundschaft, da könnten Punkte liegen bleiben. Ich muss Dich also enttäuschen, einen spektakulären Außenseitertipp hab ich leider auch nicht parat.
In der Saison 2015/16 spielte der SV Darmstadt 98 das letzte mal in der 1. Bundesliga
Puh, wäre wirklich ätzend wenn der FC St. Pauli nicht aufsteigen sollte – und wie Darmstadt sich halten will, wenn sie es tatsächlich schaffen – das könnte auch eine Herkules-Aufgabe werden…
Wer ist jetzt die berühmt-berüchtigte „graue Maus“ im Pott? Der VFL jedenfalls nach dieser Saison und diesem Sieg nicht.Saubere Leistung.