Im Kanton Sarajevo in Bosnien ist vor wenigen Tagen ein Baby an Masern gestorben. Es ist das erste Opfer einer Masernepidemie, bei der mindestens 113 Menschen infiziert wurden. Verantwortlich sind Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen. Dieses Problem wächst in allen Ländern Ex-Jugoslawiens.
Seinen ersten Geburtstag wird das kleine Mädchen aus dem Kanton Sarajevo nicht mehr erleben.
Den Ärztinnen und Ärzten der Unibersitätsklinik Sarajevo, die den Säugling wegen einer Maserninfektion behandelten, verblieb am Freitag nur mehr, seinen Tod zu melden.
Das Baby im Alter von sechs Monaten war an schweren Lungenkomplikationen verstorben.
Ein weiteres Baby befand sich gegen Ende der Woche in kritischem Zustand.
Die beiden waren zu jung, um gegen Masern geimpft zu werden.
Sie wurden von einem der bislang mindestens 113 Menschen angesteckt, die laut dem kroatischen Portal des Senders RTL im Kanton Sarajevo an Masern erkrankt worden waren.
Nur 60 Prozent der bosnischen Kinder geimpft
Diese Zahl dürfte mittlerweile deutlich gestiegen sein. Laut Uniklinik kommen täglich Dutzende Infizierte ins Spital.
Laut der Gesundheitsministerin des Kantons, Amela Sofić, ist die Krankheit vorwiegend bei Kleinkindern zwischen zwei und fünf Jahren ausgebrochen.
„Beunruhigend ist, dass 20 Prozent der Erkrankten Kinder unter einem Jahr sind“, sagte die Ministerin gegenüber Medien.
Diese jüngste Epidemie war vorhersehbar.
Impfgegner haben nicht nur in westlichen Industrieländern Eltern eingeredet, Impfungen seien wirkungslos.
Auch in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens ist die beschönigend Impfmüdigkeit genannte Weigerung von Eltern, ihre Kinder gegen gefährliche Krankheiten zu schützen, in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.
Gegenüber Medien gibt etwa Gesundheitsministerin Sofić vom Kanton Sarajevo an, dass nur 60 Prozent der Kinder in Bosnien ausreichend gegen Masern geimpft sind.
Auch in anderen Nachfolgestaaten sind zu wenige Kinder geimpft
In Montenegro schätzt das Gesundheitsministerium den Anteil auf nur 75 Prozent.
Um Masernepidemien zu verhindern müssten 95 Prozent der Menschen geimpft sein. Das sorgt für die so genannte Herdenimmunität, die auch die schützt, die zu jung oder zu krank sind, um geimpft zu werden.
Das serbische Gesundheitsministerium hat Anfang 2018 angeordnet, dass ungeimpfte Kinder keinen Kindergarten mehr besuchen dürfen.
Inwiefern die Maßnahme umgesetzt wird, ist eine andere Frage.
Auch in Kroatien erscheint die Situation gefährlich zu sein. Laut Republika halten es kroatische Medien nur für eine Frage der Zeit, wann eine Masernepidemie ausbricht.
Impfgegner auch hier aktiv
Wien in den anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens ist die Propaganda von Impfgegner dort auf fruchtbaren Boden gefallen.
In der Gruppe Cijepljenje – pravo izbora (Impfungen – freie Wahl, CPI) hat etwa das „european forum for vaccine vigilance“ (Rechtschreibung im Original) einen regionalen Ableger.
Die Vereinigung hat auch ein eigenes Propagandavideo auf Youtube gestellt.
Szenetypisch wimmelt es auf der Homepage vor Falschinformationen, selbst ernannten Experten, einzelnen Ärztinnen und Ärzten, die es mit dem Stand der Medizin nicht so genau nehmen und der einen oder anderen Verschwörungstheorie. Außerdem werden Menschen aufgerufen, eine Petition gegen eine Impfpflicht zu unterschreiben.
Mehr als 200.000 Menschen schlossen sich der – mittlerweile abgeschlossenen – Petition an.
Ob alle aus Kroatien kommen oder das das Ergebnis einer EU-weiten Kampagne war, lässt sich nicht eruieren.
Eindeutig ist, dass die Kampagnen von CPI eher gebildete Eltern aus der Mittelschicht als Zielgruppe haben.
Das ist das Milieu, das auch in anderen EU-Mitgliedsstaaten und anderen Industrieländern am ehesten zur so genannten Impfskepsis neigt – und seine Kinder nicht impfen lässt.
Siehe etwa die regelmäßigen Masernausbrüche in Waldorfkindergärten- und schulen in Deutschland und Österreich.
Es trifft die Verwundbarsten der Gesellschaft
Die Nachfolgestaaten Jugoslawiens haben dieser Entwicklung zusätzlichen Aufschub beschert. Die Impflicht für Masern, die in Jugoslawien 1968 eingeführt wurde, gilt heute nicht mehr.
Dazu kommt ein soziales Problem, das es im Westen in der Dimension nicht gibt.
Seit dem Ende Jugoslawiens hat sich die Situation für Roma dramatisch verschlechtert.
Offene Diskriminierung bis hin zu Gewalt gilt in den meisten Nachfolgestaaten wieder als gesellschaftlich akzeptabel.
Roma werden wieder an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Ähnlich wie etwa in Rumänien geht das mit einer deutlich schlechteren Gesundheitsversorgung einher.
Dazu kommt, dass etwa in Serbien oder in Bosnien Behörden ein ausgeprägtes Desinteresse an der Lage von Roma haben.
Parallel steigt bei diskriminierten Roma die Tendenz, sich auf archaische Gesellschaftsformen zurückzuziehen, die in Jugoslawien als großteils überwunden galten.
Teil dessen ist, dass viele Roma Behörden und Mehrheitsgesellschaft misstrauen und etwa auf Impfkampagnen nur schwer ansprechbar sind.
Sofern sie in ihrer Situation überhaupt Zugang zu Impfungen und anderer medizinischer Versorgung hätten.
Dieser Teufelskreis sorgt dafür, dass mit den Kindern von Roma gerade die Verwundbarsten der Gesellschaft ohne den wirksamen Schutz dastehen, den Impfungen bieten.
Die nächste Epidemie ist nur eine Frage der Zeit
Die so genannte Impfskepsis in Teilen der Mittelschicht und die Diskriminierung von Roma sorgen für ein ideales Umfeld für Epidemien diverser Krankheiten, die leicht verhinderbar wären.
Die Masernepidemie im Kanton Sarajevo ist nur das jüngste Beispiel.
Die nächste Epidemie ist nur eine Frage der Zeit.
Der Wahnsinn der Impfgegner wird wieder Kinder töten. So wie das sechs Monate alte Mädchen im Kanton Sarajevo.
Dieser Beitrag ist auch auf Christophs Blog Balkan Stories erschienen.
Titelfoto: (c) Dave Haygarth, Nutzung unter Creative Commons CC BY 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/, gefunden bei flickr.com
Danke für die Informationen.
Wir müssen einfach alle dazu beitragen, dass diese Ignoranz überwunden wird. Dabei darf man auch im Freundeskreis anecken. Es ist eben nicht egal, was andere tun.