Christian Drosten ist unzufrieden mit der medialen Berichterstattung über ihn. Er beklagt die Fokussierung auf seine Person und die erzwungene Kontroverse. In der Zeit sieht man sich zu einer Gegendarstellung gezwungen. Hier ist die Antwort auf diese.
Vor Beginn empfehle ich die Lektüre des Beitrags in der Zeit.
Ein Text, der eine Analyse sein will, wird am Ende nicht mehr als eine Bestätigung dessen, was Drosten an den Medien stört. Dabei ist die gehörige Portion Selbstkritik, mit der der Artikel eröffnet wird, ungewöhnlich erfrischend. Der Hype, den Medien rund um eine Person aufbauen, wird durch den Autor, Johannes Schneider, in diesen drei Sätzen hervorragend auf den Punkt gebracht:
Selbst seriöse mediale Akteure geben mitunter auch dem Vorläufigen, Ungeprüften ein Forum, sofern es die Gesellschaft im Hier und Jetzt betrifft. Und sie spitzen zu, beispielsweise in Überschriften, aber auch, indem sie einzelne Personen zu Ikonen vergrößern, um die Denkbewegungen der Gegenwart durch sie begreifbar zu machen. Die Gefahr dabei: Der Schritt, diese Personen zu bloßen Figuren, ja Karikaturen zu überzeichnen, ist nur noch klein.
Wie gesagt, sehr erfrischend. Besonders wenn man bedenkt, dass es u.a. die FAZ war, die für einen ihrer Artikel fast schon überheblich fragte, „Ist das unser neuer Kanzler?“. Es wäre aber kein Versuch einer Rechtfertigung, wenn man nicht krampfhaft das Haar in der Suppe zu finden versuchte. Und wenn das nicht gelingt, rupft man sich halt selbst eins aus. Wo man sich eben noch solidarisch zeigte, und anprangerte, dass in den Medien auch mal Zitate aus dem Zusammenhang gerissen werden, wird nun folgende Aussage von Drosten seziert, der erklärt, wir hätten einen Punkt erreicht, an dem er selbst und die Wissenschaft als Ganzes
„in geordneter Weise den Rückzug antreten muss, wenn das nicht aufhört“.
Mit „das“ ist genau der Zustand gemeint, der im ersten Zitat Erwähnung findet. Die „Ikonisierung“, die Medien immer mit Einzelpersonen betreiben, wenn sie in der Öffentlichkeit gerade eine wichtige Rolle spielen. Dass diese Ikonen keine großartige Erfahrung im Umgang mit unseren Medien haben müssen, sehen wir gerade an Christian Drosten, der sich die für den medialen Umgang nötige Raffinesse, die es in Zeiten von Clickbaiting und Aufmerksamkeitsökonomie dringend braucht, gerade im laufenden Betrieb aneignen muss. Man muss sich ins Gedächtnis rufen, dass Drosten eben Virologe ist. Kein weiterer Journalist, kein Politiker und niemand, der die Kontroverse sucht, um im Gespräch zu bleiben. Vor diesem Hintergrund müssen seine Aussagen also bewertet werden. Und natürlich werden genau diese 11 Worte nun säuberlich auseinandergenommen:
„Geordneter Rückzug ist Kriegsrhetorik, martialisch, und „die Medien“, von denen Drosten wiederholt gesprochen hat, gibt es nicht, sondern viele einzelne Akteurinnen, die sich mit Drosten gemeinsam, aber eben mit einem anderen, einem journalistischen Erkenntnismechanismus in eine neue Wirklichkeit vortasten.“
Der Wissenschaftler und die Medien. Man hätte den Artikel auch „Die martialische Rhetorik und die unzulässige Verallgemeinerung“ nennen können. Dieses Zitat soll den Kern der Kritik bilden, ist aber nur in genau der Welt einen Aufreger wert, die Drosten überhaupt kritisiert hat. Vielleicht ist es tatsächlich nicht gut, die Medien zu verallgemeinern, aber mit diesem Artikel hat sich die Liste der Medien, der Journalisten, die Drosten meinte, vermutlich um einen Eintrag erweitert. Und dabei ist die Kriegsrhetorik noch nicht der einzige Vorwurf, den es zu ertragen gilt:
„Damit [mit den genannten Aussagen zur Abwehr der eigenen Überzeichnung, anm. d. Autors] beschädigt er aber als medialer Akteur den Journalismus auf ähnliche Weise, in der er sich und die Wissenschaft beschädigt sieht.“
Eine sehr verwegene Aussage. Das Fundament, auf dem die mediale Berichterstattung in Deutschland steht, ist mit Sicherheit nicht so wackelig, dass eine hochgejazzte Ikone sie durch irgendeine Aussage ins Wanken bringen kann. Dazu ist das Kräftegleichgewicht zwischen Medien und Wissenschaft viel zu ungleich verteilt. Denn die Wissenschaft mag sich zwar um Objektivität und Nachprüfbarkeit bemühen, aber um gegen die journalistische Maschinerie zu bestehen, die nicht nur mitunter „auch dem Vorläufigen, Ungeprüften ein Forum“ gibt, benötigt es eben mehr als nur Fakten. So hat man zum Beispiel die kruden Corona-Thesen von Wolfgang Wodarg am 10.3., also mitten in der Krise, im Magazin Frontal21 verbreitet. Die Aufarbeitung und Einordnung kamen erst danach. Obwohl Wodargs Thesen mittlerweile wohl ausreichend widerlegt wurden, hat sich das ZDF übrigens noch immer nicht genötigt gesehen, unter das Video von Frontal21 wenigstens mal einen kleinen Hinweis auf den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen zu setzen. Dieses, immer wieder auftretende, Phänomen dürfte sowohl für den Journalismus als auch für die Wissenschaft einen weitaus größeren Imageschaden bedeuten, als die Aussagen von Drosten.
Und damit ist die große Kritik an Drosten schon überstanden. Der Rest des Artikels wird dann genutzt, um weiterhin zu erklären, wie wichtig seine Rolle in der Berichterstattung ist und wie falsch ein Rückzug wäre. Als Beispiel dient der bereits erwähnte Wolfgang Wodarg.
„Christian Drosten bringt dem Mediensystem gerade bei, was er selbst darin vermisst.“
Mit diesem Satz könnte man die Abhandlung eigentlich in Frieden beenden. Aber selbstverständlich ist dem nicht so. Es wird noch ein finaler Absatz nachgereicht, bei dem man sich tatsächlich fragt, ob dieser so gemeint war.
„Hier ist also neben Medienkompetenz auch Wissenschaftskompetenz zu lernen. Und das wiederum könnte zukünftig auch anderen Forscherinnen […] helfen […]. Nicht weil die Störgeräusche so schnell verstummen. Aber weil der Anteil derer wächst, deren Ohren – Drosten sei Dank – geschult sind, sie als solche zu erkennen.“
Wer Medienkompetenz zu lernen habe, ist wohl klar. Aber wer soll die Wissenschaftskompetenz lernen? Die Leser? Die scheinen nämlich dankbar, dass Drosten nicht so tut, als habe er alle Antworten. Gilt es Medien im Allgemeinen? Den Wissenschaftsjournalisten, die ein paar Zeilen vorher noch so hervorgehoben werden, als die, die in den letzten Wochen die Titelblätter füllen? Oder gilt der Satz den vielen Journalisten, die quer durch alle Medienhäuser und bar jeder Sachkenntnis über Wissenschaft berichten dürfen?
Die These wäre dann nämlich, dass auch di(vers)e Medien jetzt erst verstehen, wie das mit der wissenschaftlichen Berichterstattung eigentlich so funktioniert. Sollte das zutreffen, es wäre ein krasses Eingeständnis für den Zustand in deutschen Redaktionen. Dass Wissenschaftsjournalisten nur gefragt sind, wenn die Natur unverhandelbare Fakten auf den Tisch legt, ist allerdings nichts neues. Fukushima, Klimawandel, Corona, in solchen Fällen haben die Wissenschaftsredaktionen plötzlich für ein paar Wochen Hochkonjunktur, anschließend ist das Ressort wieder Public Domain, wo sich jeder austoben darf. Dieser Umstand unterstützt die falsche Ausgewogenheit, also genau das Problem, das von Drosten immer wieder angesprochen wird. Wer zwei Stimmen gegeneinanderstellt, von denen eine nur eine Meinung preisgibt, während die andere mit reproduzierbaren Fakten arbeitet, der muss am Ende zu einem eindeutigen Schluss kommen, wer Recht hat. Drostens Fähigkeit, klar zu formulieren was wir wissen – und was nicht – macht ihn zu so einer willkommenen Abwechslung in der Medienlandschaft.
Am Ende bleibt nur zu hoffen, dass sich „die Medien“ den wichtigsten Satz des Artikels, unscheinbar im letzten Drittel versteckt, zu Herzen nehmen, denn er bringt das Problem der Wissenschaftsberichterstattung auf den Punkt:
„Wo der Widerspruch zur Eigenlogik wird, wo die Gegenthese nicht nur durch redaktionelle Massenmedien massenhaft Verbreitung findet, allein weil sie da ist und abweicht, wird mit Wissenschaft und Wissenschaftlern in viel größerem Maß unsachgemäß umgegangen.“
Fragt sich nur: Wenn Drosten doch recht hat, warum dann der Artikel?
Die Zitate allein sind schon mal der Hammer. Wie dünnhäutig, bedeutungsschwanger und selbstverliebt. Die kopernikanische Wende des 21. Jahrhunderts könnte darin bestehen, dass sich auch bei Zeit & Co. die Erkenntnis durchsetzt, dass sich die Sonne nicht um narzisstisch entstellte Journalisten mit ihren "Analysen" (hört, hört) dreht. Wer hätte das gedacht!?!
Der Artikel in der Zeit ist mehr als überflüssig, weil es da mit dem Podcast einen Informationskanal neben der tradierten Presse gibt, die Informationen zur aktuellen Pandemie liefert, der dazu noch eine extreme Reichweite hat.
Ich verfolge den Podcast nun seit der ersten Folge und muss feststellen, dass man schon sehr genau zuhören muss, um die Gedanken und sehr komplexen Erklärungen von Christian Drosten zu folgen. Die Materie ist hochgradig kompliziert und lässt sich selten auf eine Schlagzeile reduzieren. Auch die entsprechenden Skripte der jeweiligen Folge sind nicht gerade leichte Lektüre. Vielleicht nagt dies an dem einen oder anderen Journalisten, dass da eine Art Primärquelle Dinge mit großer Breitenwirkung außerhalb der klassischen Presse bekanntgibt, die sonst wahrscheinlich keinen Menschen interessieren würden.
Ich finde es sehr bewundernswert, dass Christian Drosten sich trotz der aktuellen Lage neben seiner Forschung noch diese Zeit für diesen Podcast nimmt und trotz mancher Anfeindungen weitermacht. Man kann über die Folgen sehr gut verfolgen, wie er mache Sichtweisen ändert bzw. neue Ansätze verfolgt. Quasi ein 1:1-Blick in die Arbeitsweise moderner Wissenschaft.
Möge dieser Podcast noch lange erhalten bleiben.
Der Drosten-Podcast zeigt doch, dass ein Großteil der Journalisten mit dem eigenen Job überfordert ist.
Ein Wissenschaftler, der durchaus die Bühne kennt, erklärt mit vielen Details über einen längeren Zeitraum unaufgeregt Zusammenhänge. Er korrigiert sich, wenn neue Forschungen da sind, greift auf frühe Paper zurück.
Was für ein Leistung! Er erzielt mit Wissenschaft Top-Reichweiten!
Dass es dann Journalisten immer wieder wagen, hier Sätze aus dem Zusammenhang zu zitieren und damit Unsicherheit und Panik beflügeln, ist der eigentliche Skandal.
In Corona Zeiten merkt man einfach, dass die meisten Journalisten ihre Aufgabe darin sehen, zuzuspitzen und Pressemitteilungen zu drucken.
Solchen Journalismus braucht kein Mensch. Die Auflagen zeigen es. Aktuell werden viele Pressekonferenzen übertragen, man merkt, wie wenig und wenn doch, wie häufig dumm nachgefragt wird.
"Der Drosten-Podcast zeigt doch, dass ein Großteil der Journalisten mit dem eigenen Job überfordert ist."
In der Tat.
Was da teilweise aus wissenschaftlichen Ergebnissen gemacht wird, ist haarsträubend. Oftmals hapert es selbst an einem Sprach- und Textverständnis, das einem schon in einer Deutsch-Grundkurs-Klausur um die Ohren fliegen würde.
Daher ist teilweise null Sensibilität vorhanden, um Feinheiten in den Aussagen zu erkennen, einzuordnen und den Inhalt nicht sinnentstellt wiederzugeben.
Das Versagen hat aber auch viel damit zu tun, dass die wenigsten Journalisten eine empirische Wissenschaft studiert haben. Ich wette, nicht viele der Journalisten, die sich gerade groß hervortun, sind mal in den Genuss gekommen, englischsprachige Papers zu lesen oder eine experimentelle Operationalisierung vom Prof. um die Ohren gehauen bekommen zu haben. Auch ein mathematisches bzw. statistisches Grundlagenverständnis sucht man vergebens. Anders sind die Logikabrisse, nicht gestellten Fragen und nicht hergestellten Zusammenhänge zu erklären. Daher läuft, obwohl ein Herr Drosten diesbezüglich nahezu mit dem ganzen sprichwörtlichen Zaun winkt, ganz Deutschland den Virologen hinterher, als sich mal zu fragen: Wo könnte eigentlich der Virologe und wo der Epidemiologe der richtige Ansprechpartner sein? Welche anderen Wissenschaften müssen eigentlich zwangsläufig mit ins Boot geholt werden? And so on…
Was hier aufpoppt, ist schlicht ein Misstand des Journalismusses generell, der in den letzten 3 Jahrzehnten immer virulenter geworden ist und unsinnigerweise für ein Großteil der öffentlichen Aufregung verantwortlich ist. Schlicht aufgrund Inkompetenz mit dem Druck Auflage zu erzeugen.
Der Journalismusberuf und seine Ausbildung muss dringend überdacht werden. Die Konzentration auf Verfahrenswissen bei der Ausbildung ist katastrophal!
Im Grunde Hilfsarbeiterniveau, das an der Maschine angelernt wird, ohne anders als bei Facharbeitern, den Hintergrund zu kennen oder zu verstehen.
Schon seit mindestens 3 Jahrzehnten fällt jedem Fachkundigen auf niedrigstem Niveau und immer häufiger bereits auf, das viel zu häufig völliger Unsinn oder völlig entstellte Zusammenhänge von Journalisten bei Berichten über die eigene Profession verbreitet wird.
Das schlimmste daran ist, dass zu viele auch namhafte Journalisten völlig Kritik resistent sind und mit einer Arroganz und unangebrachtem Überzeugung alles, was nicht sofort schlüssig ist, übergehen oder plattbügeln.
Das erinnert mich an eine Sitzung, wie ich sie mal in einem Konzern erlebt habe, in der ich völlig unerfahren und unvorbereitet um eine Aufstockung von Investitionsmitteln bitten sollte.
Ich musste feststellen, das solche Entscheidungen nur möglich waren, wenn man gleichzeitig Ertragszahlen dazu liefern konnte, was schlicht nicht immer möglich ist.
Ich habe selbst erlebt, wie solche ertragszahlen anderswo geliefert wurden regelmäßig, die nie eintraten, während dort wo keine zahlenmäßigen Aussagen möglich waren, Erträge später erzielt wurden.
Das Beispiel zeigt, dass zu viel Journalisten (und nicht nur diese) nicht mehr in der Lage sind wirklich Fakten aufzunehmen, die jenseits von Denksystemen stattfinden.
Das hat viel mit fehlender Flexibilität der zugrundeliegenden Systeme zu tun, aber auch mit einer Verengung der Wahrnehmung durch Theoriegläubigkeit akademischer Denkmodelle.
Akademische Denkmodelle aber sind nicht die Realität, sie bilden nur beispielhaft Teile davon ab, die häufig zusammengeführt selten zusammenpassen.
Wir müssen von der akademischen Selbstüberschätzung wieder weg, hin zu einer Praxisorientierten Gesellschaft mit akademischer Grundlage werden.
Und der Journalismus ist dabei die größte und schwierigste Baustelle, ansonsten verkommt der Journalismus immer mehr zu am besten Begründeten Vorteilsmaschine und damit dazu, was so prägnant und zu viel zu großen teilen berechtigt "Lügenpresse" genannt wurde.
Auch wenn es kaum zu konkreten Lügen nach Definition gekommen ist.