„Lieber aufrecht sterben, als auf Knien leben.“ Albert Camus
Ich konnte ja noch nie was mit diesen „Peaceniks“ anfangen, so nannten wir die Friedensbewegten Ende der 70er, Anfang der Achtziger. Damals war ich fasziniert von den Freiheitskämpfen der Südamerikaner und wir unterstützten die guatemaltekische Guerilla mit Geld für den Kauf von Waffen, damit sie die faschistischen Verhältnisse dort umwarfen. Heute ist dieses Land, eingedenk aller Schwierigkeiten, eine Demokratie. Damals halfen wir auch einer jungen, schwangeren Guerillakämpferin aus Guatemala, die von sogenannten Todeskommandos bedroht nach Bremen flüchten musste. Sie setzte ihr Leben für die Freiheit ein. Mit ihrer Tochter änderte sich allerdings alles und sie musste sich und sie in Sicherheit bringen. Nach dem Ende der faschistischen Diktatur kehrte sie in ihr Land zurück und wurde eine erfolgreiche Unternehmerin. Und nicht nur ich und meine kleine Gruppe, inspiriert vom Anarcho-Syndikalismus, unterstützten andere Befreiungsbewegungen in Lateinamerika, damit sie sich Waffen kaufen konnten. Wir hatten sogar einen Dachverband der sogenannten Lateinamerikagruppen, der sich regelmäßig traf. Da war die Unterstützung von bewaffneten Aufständischen allerdings normal. Wie sonst auch hätte man die Faschisten besiegen sollen? Mit Zureden, das wusste man aus der Geschichte, sicherlich nicht. Doch die meisten Friedensbewegten verstanden das gar nicht und waren davon überzeugt, dass „passiver Widerstand“ die Antwort auf Gewalt und Unterdrückung sei.
In dieser Zeit beschäftigte ich mich auch mit dem Buch „Der Kurze Sommer der Anarchie“ von Hans-Magnus Enzensberger. In dem Band geht es um die spanischen Anarchisten, die gegen den Faschismus mit Waffen kämpften, unterstützt von „internationalen Brigaden“, die beispielsweise George Orwell in ihren Reihen hatten. Eines ihrer wichtigsten Probleme war, dass sie zu wenig Waffen hatten, um zu siegen und auch noch von den Sowjetkommunisten verraten wurden. Den Nazis und ihre Luftwaffe konnten sie in Guernica nichts entgegensetzen. Und so verloren sie den Krieg und der Faschismus hatte in Spanien gesiegt, die Idee vom Anarchismus, „Keine Herrschaft, kein Staat, keine Religion“, war zerschlagen.
Damals musste ich mich natürlich auch mit der Friedensbewegung in Bremen auseinandersetzen. Was nicht einfach war. Eine Bewegung, in der die sowjet-kommunistische DKP einen nicht unbedeutenden Einfluss hatte, eine SPD mit einem starken Stamokap-Flügel und den aufkommenden Grünen, die in nicht unbeträchtlichen Teilen einen basisdemokratischen Pazifismus zelebrierten, wie er sich bei Petra Kelly zeigte und die Deutschland komplett entwaffnen wollten. Hinzu gesellte sich die protestantische Kirche in Bremen, die auf einmal anfing einen fundamentalistischen Pazifismus zu predigen.
Ich und meine Freunde waren Gegner der bis an die Zähne bewaffneten Sowjetunion, die für uns eine menschenfeindliche Diktatur war und ganz bestimmt nicht das gelobte Land der Arbeiter und der Geknechteten. Wir verstanden uns als Anarcho-Syndikalisten, wie unsere Vorbilder in Spanien und unsere Freunde in Guatemala, und wussten ganz genau von den Verbrechen der Sowjetkommunisten gegen die Menschheit im In- und Ausland. Immerhin gab es zu dieser Zeit eine Gruppe, die sagte: „Krieg dem Krieg“. Dieser Gruppe war klar, dass man kriegerischen Handlungen nicht mit Stuhlkreisen begegnen kann. Allerdings hatte dieser Vorläufer der deutschen Autonomen einen Hang zum Antiimperialismus, weswegen ich sie relativ schnell wieder verlassen habe, aber die Grundidee blieb bei mir hängen.
Wie ich oben schon skizziert habe, war die Friedensbewegung auf ihrem Höhepunkt 1981 nicht homogen. Da gab es die pro-sowjetischen Gruppen, die teilweise im Auftrag des Kremls handelten, um die Stationierung der Pershing Raketen in Deutschland zu verhindern und pazifistische Gruppen, die eine ganz eigene Agenda hatten, die man heute eher als verschwurbelt wahrnehmen würde. Alle zusammen schufen sie einen deutschen Nationalpazifismus, der die Welt stutzen ließ. Insbesondere den Franzosen waren diese Deutschen nicht geheuer, die sich als mögliche Opfer amerikanischer Kriegslüsternheit darstellten. Die Deutschen, so behaupteten relevante Teile der Friedensbewegung damals, sollten von den Amerikanern auf „deutschem Territorium“ im Atomkrieg gegen die Sowjetunion geopfert, quasi eine Art Genozid an ihnen vollzogen werden. Dies veranlasste den linkskritischen Autor, Wolfgang Pohrt, zu dem Aufsatz: „Ein Volk, ein Reich, ein Frieden“. Geschrieben hatte er ihn für die marxistische Zeitung Konkret, bei der er Autor war. Die prompt ablehnte und stattdessen einen Artikel des damals populären Hamburger Künstlers Horst Janssen veröffentlichte, in dem genau das behauptet wurde. Glücklicherweise sprang die Zeit ein und veröffentlichte Pohrts epochalen Artikel. Endlich, so dachte ich mir, sprach jemand in der Öffentlichkeit zum Thema, der so dachte wie ich! Gott habe ihn selig.
Nachdem die Friedensbewegung, dank Helmut Schmidt, die Stationierung amerikanischer Atomraketen nicht verhindern konnte, wandte sie sich einem ihrer Sujets besonders intensiv zu, der Friedenserziehung von Jung und Alt. Den Deutschen, so befand man, müsse ihr Militarismus ausgetrieben werden. Als Beweis für den Militarismus galt die öffentliche Rekrutenvereinigung im Bremer Weser-Stadion. Dass die Autonomen dort einen Krieg gegen teilweise wehrlose Polizeibeamte und Soldaten starteten, ist dann nochmal eine andere Geschichte wert.
Ganz im Sinne von Gramsci fing man also an die Deutschen per Erziehung zu entmilitarisieren. Eigentlich eine gar feine Idee, nur hatten die Deutschen jetzt eine Demokratie und keinerlei Pläne mehr andere Länder zu überfallen. Sie gründeten zum Beispiel zusammen mit dem „Erbfeind“ Frankreich die EU. Und so nahm die Geschichte ihren fatalen Lauf für die Wehrhaftigkeit der zweiten Demokratie in Deutschland.
Ich kann mich noch gut an all die Friedensdemos erinnern, die nicht nur in Bonn, sondern auch in Bremen und wenn’s sein musste, sogar irgendwo im Wald stattfanden. Oder diese ganzen Mottos wie Brot oder Dauerlaufen für den Frieden. Wenn ich mich nicht täuschte, gab es sogar welche, die für den Frieden strickten. In den Kindergärten, Schulen, Vereinen und Freizeitheimen sollten Kinder und Jugendliche „Frieden“ lernen. Auch in den Familien hielt man Eltern an darauf zu achten mit welchem Spielzeug ihre Sprösslinge so hantierten. Pistolen und Gewehre waren Tabu. Es sollten Spiele gespielt werden, bei denen niemand gewann. Und der Klügere gab natürlich nach.
In staatlichen und kirchlichen Kindergärten und Schulen gab es Programme, um den Nachwuchs beizubringen, dass bei Gewalt oder Aggression beide Seiten Schuld hätten, dass man alle Konflikte ohne Gewalt lösen könne und dass Gewalt immer zurückkommt. Dass man durch Waffen keinen Frieden schaffe. Dass Aggression irgendwelche schrecklichen Spiralen erzeuge und in irgendeiner fürchterlichen Eskalation endet, wo am Ende ewiger Winter ist und nur noch Kakerlaken auf der Welt umherirren. Soldaten Mörder sind, egal wofür sie kämpfen und alle Kriege ungerecht, obwohl der Krieg der Alliierten gegen Nazideutschland wohl der gerechteste aller Zeiten war. Die Pazifisten waren die besseren Menschen, obwohl der allseits geschätzte Gandhi das gar nie war. Und natürlich lag bei den meisten Pädagogen die Schlagseite auf Amerika. Die führten immer Krieg, die anderen Kriegsführer waren meist nur Opfer der USA und deshalb zum Krieg gezwungen, was ja quasi so eine Art internationaler Klassenkampf sei. Immer wenn es Krieg gab, bei der die westliche Welt einbezogen war, gab es Alarm und Demos. Das Morden und Töten nicht westlicher Länder, ob innen oder außen, spielte dabei keine Geige.
Und so sind die Generationen, die heute am Ruder sind, die Kinder und Jugendlichen ihrer Zeit. So reagieren und handeln sie auch. Das zieht sich interessanter Weise durch alle Parteien, wobei die SPD eine dominante Rolle dabei spielt. Im Osten waren natürlich mehr durch den Antiimperialismus der DDR geimpft, in dem man immer für Frieden und Abrüstung war, aber nur beim Klassenfeind. Wo Russland kein imperialistischer Unterdrücker, sondern ein „Freund“ war. Den Westen dagegen prägte die Friedensbewegung, die glaubte, wenn man sich entwaffne, der Frieden ausbräche. Völlig egal, ob der Feind der Freiheit das auch tut. Viele waren naiv und glaubten vieles unbesehen und andere dürften ein klares Kalkül gehabt haben, nämlich den „kapitalistischen“ Westen zu schwächen und die Sowjetunion zur Weltmacht zu verhelfen. Die meisten aber hassten Amerika, so wie es die Deutschen schon immer gerne getan haben. Und so ist es damals wie heute.
Ich bin heute kein überzeugter Anarcho-Syndikalist mehr, aber, dass man faschistische Militärs nur mit Waffen bekämpfen kann, um die Freiheit zu schützen oder zu erlangen, das habe ich verstanden und als Haltung beibehalten.