Olympische Spiele in Zeiten einer Pandemie durchzuführen, das erscheint an sich schon mehr als diskutabel. Unnötige Reisen und Kontakte sind bekanntlich nach wie vor zu vermeiden. Ein Sportfest von Weltrang erscheint unter diesen Voraussetzungen zumindest entbehrlich. Dass die Spiele von Tokio in wenigen Tagen trotz aller Bedenken stattfinden werden, wird daher von vielen Seiten heftig kritisiert.
Denkt man an olympische Spiele, kommt einem das dabei veranstaltete Fußballturnier zudem wohl nur selten mit in den Sinn. Für Sportfans gehört Fußball nicht zu den Kernveranstaltungen bei Olympischen Spielen. Das wird auch im Jahre 2021 nicht anders sein. Trotzdem diskutiert Fußballdeutschland in diesen Tagen in diesem Zusammenhang leidenschaftlich über Begriffe wie ‚Ehre‘, ‚Egoismus‘ und ‚mangelnde Unterstützung‘. Höchste Zeit für eine kurze, persönliche Einordnung.
Max Kruse ist ein besonderer Fußballprofi. Er war noch nie ein ‚Ja-Sager‘, sorgte im Laufe seiner Karriere immer wieder für Diskussionen, kleinere Skandale und viel Widerspruch. Das ist auch in diesen Tagen nicht anders.
„Es ist eine Ehre, dabei sein zu dürfen. Das ist Begeisterung pur“, sagte der Stürmer von Union Berlin. Olympia sei für ihn „alles andere als Routine. Da kommt noch ein bisschen der kleine Junge in mir raus.“
Klingt super. Doch steht Kruse mit dieser Einschätzung einmal mehr wieder ziemlich alleine da.
Zur Erinnerung: Es war es eben genau jener Max Kruse, der in diesem Sommer wenig ‚Bock‘ dazu hatte mit seinem Arbeitgeber bei der neu gegründeten UEFA Conference League anzutreten. Sein trockener Kommentar im Gespräch mit „Sky“ beschäftigte im Frühjahr aus ganz anderen Gründen die Fußballfreunde: „Europa Conference League hätte ich irgendwie keinen Bock drauf. Ich weiß noch nicht einmal, was das ist. … Da können dann andere spielen. Ich glaube, wir haben genug Wettbewerbe. Und dabei sollte es glaube ich auch bleiben.“
Mit seinem Arbeitgeber im Europapokal anzutreten, was ja unbestritten das Kerngeschäft eines Fußballprofis ist, hatte Kruse also keinen ‚Bock‘. Mit der Auswahl des DFB bei einem höchst umstrittenen und zudem sportlich ebenfalls nicht gerade als erstklassig bekanntem Nationenturnier teilzunehmen aber schon? Das muss man nicht verstehen.
Kruse liefert damit die Krönung der vielen Widersprüchlichkeiten in diesem ungewöhnlichen Fußballsommer.
Andere Spieler geben in diesen Tagen nämlich ein weitaus weniger engagiertes Bild im Hinblick auf die Spiele in Japan ab. Das Ergebnis: Der Trainer der Auswahl, Stefan Kuntz, hat in diesen Tagen Probleme überhaupt eine schlagkräftige Truppe für Tokio zusammenzubekommen.
„Wir mussten eine 100er-Liste erstellen – und nur von dieser dürfen wir nachnominieren“, sagte Kuntz beim Abschlusstraining der DFB-Auswahl: „Wir haben jeden Spieler auf dieser Liste abtelefoniert oder mit den Vereinen gesprochen, und diese 18 sind übrig geblieben“, wird der Coach zitiert. Das klingt nicht gerade überzeugt von den Qualitäten der eigenen Truppe. „Ich glaube, dass keine Sportart nicht alle Kaderplätze besetzt. Ich finde, das ist kein optimales Zeichen vom Fußball – bei allem Verständnis“, beklagte sich Kuntz.
Die Gründe für einige Absagen von Aktiven klingen dabei in der Tat kurios. U21-Europameister Ismail Jakobs verzichtet beispielsweise wegen eines simplen Vereinswechsels auf Olympia. Niklas Dorsch will sich ebenfalls auf seinen neuen Verein, den FC Augsburg, konzentrieren.
Bei näherer Betrachtung kommt man noch auf ganz andere Gedanken in diesem Zusammenhang: Ist es in Zeiten, in denen Fußballprofis ständig über Überlastung klagen, wirklich zeitgemäß sie in eine mehr oder weniger zufällig zusammengewürfelte Olympia-Auswahl ‚zu zwingen‘? Außer bei Dauer-Rebell Kruse, hält sich die Begeisterung offenkundig in engen Grenzen.
Macht es überhaupt Sinn die Saisonvorbereitung der Arbeitgeber der Spieler mit so einer Veranstaltung massiv zu stören? Es erscheint doch durchaus nachvollziehbar, wenn sich vielbeschäftigte Vereine wie der BVB oder der FC Bayern München schwer damit tun, ihre teuren Profikicker an den DFB abzustellen. Zumal dann, wenn es diesmal ‚nur‘ um Olympia geht.
Dass Trainer Stefan Kuntz jetzt nicht einmal alle Kaderplätze besetzen konnte, mit einer Mannschaft der Namenlosen die lange Reise antreten wird, ist in der Tat nicht gerade Werbung für den DFB bzw. für den hiesigen Fußball.
Man hätte in Zeiten einer drohenden Überlastung der Fußball-Profis und während der noch immer nicht überwundenen Corona-Pandemie wohl besser gleich komplett auf die Reise zu den Olympischen Spielen verzichten sollen…