DFB-Krise/Niersbach-Rücktritt: Vorbei die Zeiten des ständigen Fingerzeigens auf andere

Wolfgang Niersbach. Foto: Robin Patzwaldt
Wolfgang Niersbach. Foto: Robin Patzwaldt

Noch gar nicht lange her, da zeigte der interessierte Fußballfan (und auch so mancher Funktionär) in diesem Lande bevorzugt auf andere, wenn es um nicht korrekte Verhaltensweisen von Sportfunktionären ging. Die FIFA, speziell deren Boss Sepp Blatter, aber auch die UEFA mit Michel Platini an der Spitze waren bevorzugte Ziele für besserwisserische moralische Zeigefinger.

Egal ob die WM-Vergaben an Katar und/oder Russland, die angebliche Korruption in Fußballverbänden der entferntesten Länder, immer waren es bisher die Anderen, die es scheinbar nicht schafften ihren Sport sauber zu organisieren. Die Vorwürfe gingen von sklavenähnlichen Arbeitsverhältnissen für Arbeiter bis hin zu Korruptionsverdächtigungen in Richtung der unterschiedlichsten Entscheidungsfindungen im Bereich der Sportpolitik.

Auch noch gar nicht lange her, da wurde in Fußballdeutschland bevorzugt darüber gestritten, wann denn die Katar-WM eigentlich konkret stattfinden solle. Man, das wirkt, in Anbetracht der jüngsten Enthüllungen und Verdächtigungen, inzwischen ja geradezu kleinkariert.

Der DFB galt bisher im Vergleich zu diesen auserkorenen ‚Schurkenstaaten‘ hingegen ja geradezu gerne als nahezu perfektes Musterbeispiel für den ‚sauberen Sport‘. Zumindest bei vielen.

Bekanntlich ist das seit einiger Zeit nun doch völlig anders. Und speziell nach dem gestrigen Abend, an dem Deutschland über den Rücktritt von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach diskutierte, eröffnen sich hier scheinbar ganz neue Dimensionen und Abgründe. Und das eben und ausgerechnet direkt vor der vermeintlich so vorbildlichen gepflegten, sauberen und grundsätzlich überlegenen eigenen ‚Haustür‘ der moralischen Besserwisser aus ‚Schland‘.

Natürlich, noch ist nichts wirklich definitiv, doch wer die Nachrichten des gestrigen Tages einmal etwas zwischen den Zeilen verfolgt hat, der kann bereits erahnen, welche Abgründe sich hier spätestens am Montagnachmittag in DFB-internen Zirkeln aufgetan haben müssen, so dass ein am Morgen noch offenkundig gut gelaunter und den Umständen entsprechend entspannt wirkender Wolfgang Niersbach gegen 17 Uhr sein Amt völlig überraschend aufgab, freilich ohne persönliche irgendeine Schuld einzugestehen.

Doch neue Erkenntnisse der vom DFB mit den Ermittlungen rund um die WM 2006 beauftragten Kanzlei ‚Freshfields‘ sind offenbar dann doch so brisant, dass der DFB seine bisherige Linie kurzfristig komplett über den Haufen warf, sogar seinen recht großspurig angekündigten Rechtsstreit mit dem ‚Spiegel‘ plötzlich aufzugeben bereit war, angeblich um sich nun besser ganz auf die Aufklärung der Dinge stürzen zu können.

„Wir müssen uns damit befassen, unter welchen Umständen die WM 2006 vergeben worden ist.“, sagte z.B. DFB-Vize Dr. Rainer Koch, der nun mir Reinhard Rauball die Verantwortung an der Verbandsspitze vorläufig übernimmt, gestern in Frankfurt. Ach was! Das wollte man doch eigentlich schon seit Wochen tun. Die ominöse Zahlung von 6,7 Millionen Euro konnte bisher jedoch noch nicht im Ansatz sinnvoll und stimmig erklärt werden. Zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Ob sich daran nun etwas ändern wird?

Irgendetwas muss den DFB jedenfalls wohl so beeindruckt haben, dass Niersbach nun sofort die Konsequenzen zog. Folgt man dabei den jüngsten Ausführungen u.a. von Sky-DFB-Reporter Marc Behrenbeck, dann deutet in diesem Zusammenhang aktuell tatsächlich so einiges auf Korruption, ja sogar einen möglichen Stimmenkauf zu Gunsten Deutschlands bei der entscheidenden Abstimmung im Vorfeld der Turniervergabe für das Jahr 2006 hin.

Merkwürdig ja auch, dass man sich seitens der Funktionäre dazu gestern noch nicht näher äußern wollte. Die Gesichter der Beteiligten sprachen jedoch schon Bände. Hier zeichnet sich somit wohl aktuell ein wahrer Super-GAU für den Weltfußball ab.

Gar nicht auszudenken, wenn wirklich ausgerechnet dem bis vor kurzem als so vorbildlich dargestellten Fußballverband der Deutschen ein solches, frevelhaftes Handeln als erstes nachgewiesen werden könnte bzw. wäre. Wer immer dann letztendlich auch der mögliche Hauptverantwortliche für diese Abläufe wäre. Die Namen Netzer und Beckenbauer rückten da ja gestern erneut in das Zentrum der heißesten Diskussionen. Beide schulden der Öffentlichkeit ja auch seit Wochen auch noch immer wirkliche, klare Aussagen und Auskünfte zur Sache. Nun dürften sie in den nächsten Tagen wohl, vermutlich schon aus Eigeninteresse, nicht länger abtauchen können.

Vorbei damit dann nun grundsätzlich auch die Zeiten des Fingerzeigens deutscher Sportfunktionäre und Fans auf Andere Organisationen und Länder in der Öffentlichkeit. Aktuell steht der DFB und wohl auch einige seiner prominentesten Vertreter wohl spätestens am Pranger einer großen Weltöffentlichkeit. Und das natürlich auch völlig zu Recht. Vorbildlich erscheint hier aktuell wirklich so gar nichts mehr.

Was das Alles am Ende für langfristige Auswirkungen hat? Auf die Olympiavergabe im Jahre 2024, wo mit Hamburg eine deutsche Großstadt im Rennen ist? Auf eine zukünftige Rolle des DFB unter den anderen Fußballverbänden? Auf die FIFA-Wahlen im Februar? Auf den DFB selber, wenn ihm ggf. dann in Kürze schon Schadensersatzansprüche anderer, benachteiligter Verbände drohen könnten? Noch ist das Alles nicht wirklich abzusehen. Vermutlich nicht einmal ansatzweise.

Aber vom angeblich so sauberen Image des deutschen Fußballs dürfen wir uns nun wohl, so oder so verabschieden. Wie immer die Sache am Ende auch genau ausgehen mag, was immer sich von den Gerüchten letztendlich bestätigen wird, oder was vielleicht auch erst noch ans Licht kommen wird.

Der Ruf des DFB, ja sogar Deutschlands als Sportnation, ist unzweifelhaft jetzt schon dauerhaft beschädigt. Und eben längst nicht nur der von Wolfgang Niersbach, sondern wohl auch der von Franz Beckenbauer, Günther Netzer, The Zwanziger usw.. Und daran ändert der Rücktritt vom Montag auch rein gar nichts mehr.

Entscheidender sind ohnehin die sich abzeichnenden Realitäten hinter diesem Rücktritt eines Funktionärs. Bald werden wir vermutlich schon mehr wissen. Irgendwann wird die Mauer des Schweigens jetzt endgültig fallen. Sie bröckelt ja schon seit Wochen…

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
19 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
9 Jahre zuvor

Nunja, der Drops wird jetzt wohl vom Franzl gelutscht werden müssen, wenn die BILD es – natürlich als Nachhecheln hinter der Spiegel-Enthüllung der Niersbach-Anmerkung – mit ihrem "Fund" ehrlich meint, dass man einen Vertragsentwurf zwischen dem Kaiser (plus seinem Berater Radman) und Jack Warners Verband über DFB-Geldzahlung gegen WM-Stimme entdeckt habe.

Und ausgerechnet BILD-Sportchef Alfred Draxler, der bislang die "Ehre" der Beckenbauers, Niersbäche und Co. wie ein Höllenhund öffentlich "verteidigte", muss seinen Halbgott Franzl-Kaiser nun ans virtuelle Meinungsmesser liefern. Eine echt würdige Soap-Fortsetzung;-))

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
9 Jahre zuvor

Es werde Licht – und es wurde zumindest wieder ein bissken heller: Die BamS hat wohl am Sonntag schon berichtet, dass dieser Beckenbauer-Berater Fedor Radmann 2003 einen Berater-Vertrag bei der damaligen "Infront Sports & Media AG" (ISM) von Robert Louis-Dreyfuß bekommen hatte – 250.000 Franken für 20 Std. "Verfügbarkeit" im Jahr! Radmann war damals noch Vizechef des WM-Organisationskomitees.

Direkt nach der WM 2006 wurde dann dieser Vertrag von Günter Netzer gekündigt.

Da sind also noch *alle* Namen mit im Mafiaboot…

thomas weigle
thomas weigle
9 Jahre zuvor

Ich hatte von Anfang an keine Zweifel, dazu war die Causa zu hochrangig und seit den Hitlertagebüchern….
Was allerdings Rauball als Nachfolger zu suchen hat, erschließt sich mir nicht wirklich. Ständig stand der hinter, vor und über Niersbach. Oder ist mir da eine entscheidende Kleinigkeit entgangen?

thomas weigle
thomas weigle
9 Jahre zuvor

@ Robin, dass es nur bis zur EM machen soll, habe ich schon verstanden. In so einem Fall muss man schnell einen Sonderparteitag, ähh Sonderbundestag machen. Hat doch selbst die SED hingekriegt. Es braucht eine Reform an Haupt und Gliedern, so schnell wie möglich. Ein gutes hat es, hoffe ich jedenfalls: der "Kaiser" wird uns nicht mehr salbadernd auf die Nüsse gehen.

thomas weigle
thomas weigle
9 Jahre zuvor

@Robin, "unser" DFB hat ja nun auch wirklich andere Sorgen. Was Niersbach ja nicht davon abgehalten hat, den Saubermann zu geben. Jetzt stellen wir uns mal vor, dass alles wäre nicht jetzt aufgedeckt worden, N. hätte als Nachfolger kandidiert und dann wäre die Bombe explodiert. Ohohohoh.
Als Niersbach Präsi wurde, stand in der TAZ ein bitterböser Artikel über N., dass sogar ich die Ohren angelegt habe. Mit dem heutigen Wissen kann ich nur fragen: WAS WUSSTE DAMALS DIE TAZ, was wir nicht mal ahnten?

langsamdenker
langsamdenker
9 Jahre zuvor

Der gestrige Rücktritt war unabdingbar für eine bessere Aufarbeitung der Vorwürfe. Es wird sicherlich nicht die letzte Konsequenz bleiben. Wir wissen nun, der DFB – in welcher Form auch immer – hat "Dreck" am Stecken. Trotzdem werde ich nicht aufhören, mit dem Finger auf FIFA und UEFA zu zeigen. Ich fände es falsch, die Verfehlungen von Blatter, Platini und Co nun vor dem Hintergrund, dass der DFB Ähnliches verbrochen hat, zu Relativieren. Der DFB hat bei einer WM gemauschelt, die FIFA bei jeder.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
9 Jahre zuvor

Eins der weiterhin verbindenden Drecks-Themen zwischen DFB-Skandal und FIFA-Mafia wird adidas bzw. "R.L.D." bleiben, denn in diese Zeit vor der WM und rund um die Jahrtausendwende fiel RLD's rasanter Aufstieg und die Rettung einer maroden adidas mit eigentlich wirtschaftlich nicht rechenbaren, neuen Ausrüster- und Sponsoring-Aufträgen (neben halt den Bayern mit ihrem Zocker-Uli) sowohl beim DFB als auch bei der FIFA zusammen – obwohl die Konkurrenz wie z.B. Nike den Verbänden stellenweise 5-fach höhere Angebote machte.

Da stinken noch eine ganze Menge Leichen im Keller vor sich hin. Und alle kannten sich irgendwie;-)

thomas weigle
thomas weigle
9 Jahre zuvor

Das Unschöne ist, dass diese ganze causa so hübsch in die unselige Geschichte dieses Verbandes passt. Ob nationalistisch, antisemitisch, nazionalistisch oder schlicht autoritär und geldgeil.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
9 Jahre zuvor

Ich hätt's nicht einschalten sollen, aber bei Sport1 ist der "Bitburger Fantalk" grad eine hochnotpeinliche, mit Fremdschämfaktor 12 versehene Veranstaltung mit den "Lichtgestalt"-Fanboys Pedda und ThonOlaf:-(( Boah, sind die verstrahlt…

trackback

[…] FIFA- und die DFB-Affären wurden etwas in den Hintergrund gedrängt. Zumindest ist es rund um die Aufklärung der unrühmlichen Geschehnisse zuletzt doch erstaunlich still geworden. Dabei hätten diese Vorgänge weitere Aufklärung nun dringend […]

Werbung