Dialoge: Darf es etwas weniger Fatwa sein?

 

Ayatollah Khamenei im Gespräch mit Vladimir Putin Foto: english.khamenei.ir Lizenz: CC BY 4.0


Wer den Dialog beschwört, will oft nur von der eigenen Untätigkeit ablenken. Die Erfolgsbilanz von Dialogpolitik ist oft bescheiden.

Am 14. Februar 1989 erließ Ajatollah Chomeini eine Fatwa gegen Salman Rushdie: „Ich ersuche alle tapferen Muslime, ihn, gleich wo sie ihn finden, schnell zu töten, damit nie wieder jemand wagt, die Heiligen des Islam zu beleidigen. Jeder, der bei dem Versuch, Rushdie umzubringen, selbst ums Leben kommt, ist, so Gott will, ein Märtyrer.“ Angeblich hatte der britisch-indische Schriftsteller in seinem Buch „Die satanischen Verse“ den Koran und den Propheten Mohammed beleidigt. Rushdie hat das immer bestritten und Chomeini das Buch nie gelesen. Letztendlich ist die Frage, ob in dem Roman der Koran und Mohammed beleidigt wurden, vollkommen unbedeutend. Es gab keinerlei Rechtfertigung, Rushdie mit dem Tod zu bedrohen, ein Kopfgeld auf ihn auszusetzen, dass im Laufe der Jahre erhöht wurde und Terroristenbanden wie die Hisbollah oder Agenten des iranischen Geheimdienstes auf ihn zu hetzen. Chomeini war damals das Staatsoberhaupt des Irans und starb im Juni desselben Jahres. Sein Nachfolger, Ali Chamenei, hat die Fatwa bis heute nicht zurückgenommen. Rushdie lebte Jahre unter strengster Bewachung und in gesellschaftlicher und privater Isolation, wechselte anfangs ständig seinen Wohnort. Vor allem Schriftsteller und andere Intellektuelle hielten in dieser Zeit zu ihm und auch ein großer Teil seines Freundeskreises unterstütze ihn. Nach und nach erkämpfte er sich sein Leben zurück und lebte schließlich ohne Bewachung. Am 12. August dieses Jahres überlebte er dann nur knapp einen Messerangriff. Die iranischen Medien bejubelten den feigen Mordanschlag – mehr als 30 Jahre nach der Verkündung des Mordbefehls durch Chomeini.

In Rushdies 2012 erschienener Biografie, die den Titel seines Decknamens, Joseph Anton, trägt, beschreibt er nicht nur, wie sich Islamverbände in Großbritannien auf die Seite Chomeinis stellten, Politiker Verständnis für die Fatwa zeigten und Verlage wie Kiepenheuer & Witsch ihn fallen ließen. Er zeichnet auch das Handeln der Regierungen vor allem in Europa nach, die sich hinter ihn stellten – auch weil die Öffentlichkeit auf seiner Seite stand – und mit dem Iran verhandelten. Dabei ging es den Politikern nicht nur um das Leben Rushdies. Es ging ihnen auch um etwas, was ihnen noch wichtiger war: Die Aufrechterhaltung eines Dialogs mit dem Iran, bei dem es natürlich auch, aber nicht nur, um die wirtschaftlichen Beziehungen ging. Sie machten dem Iran viele Vorschläge wie den, dass die Fatwa weiter gelten solle, aber nicht in Europa, sondern nur im Iran oder baten darum, zumindest das Kopfgeld zu streichen. Die iranischen Herrscher interessierte das alles nicht. Sie blieben bei ihrer Haltung. Man mag den Ajatollahs ein mangelndes Bewusstsein für Bartpflege vorwerfen, aber eines sind sie nicht: Unehrlich. Sie rückten nicht davon ab, Rushdies Kopf haben zu wollen. Auch dass der Iran Israel vernichten will, ist kein Geheimnis, sondern wird immer wieder in den iranischen Medien von Politikern und Militärs betont. Auch Terrorgruppen wie die Hisbollah oder die Hamas werden offen unterstützt. Seit 1979 hat das Regime 4.000 Schwule hingerichtet. Die Unterdrückung von Frauen gehört bei den Mullahs zum Programm. Auf die aktuelle Protestwelle reagiert die Regierung wie immer mit Mord und Totschlag. Fast 200 Männer und Frauen, die für die Freiheit auf die Straße gingen verloren schon ihr Leben.

Auch Xi Jinping kann man vieles vorwerfen, aber Verlogenheit gehört nicht dazu: Er hat offen angekündigt, Taiwan zu erobern und verhehlt auch nicht seine Verachtung über das politische System des Westens. Dass er nach technologischer Unabhängigkeit strebt und schon bald die Importe, zum Beispiel von Maschinen aus Deutschland, zurückfahren will, ist auch kein Geheimnis.

Und Putin hatte lange bevor er die russischen Truppen in die Ukraine einmarschieren ließ, ihr jedes Recht auf Eigenstaatlichkeit abgesprochen. In Kriegen wie gegen Georgien und mit dem Einmarsch in die Krim hatte er auch deutlich gemacht, dass Gewalt für ihn als Mittel kein Tabu ist.

Ehrlichkeit ist bei Diktatoren keine Seltenheit, sie gehört zu ihrem Markenkern. Mit martialischen Parolen sichern sie sich die Zustimmung der eigenen Bevölkerung.

Ein Kennzeichen demokratischer Politiker ist, dass sie das nicht sehen wollen und den Dialog beschwören, als sei er eine heilsversprechende religiöse Praxis. Sicher, fast alle demokratischen Staaten sind auch Handelsmächte und haben wirtschaftliche Interessen, aber das ist kein Grund, von Freundschaft mit dem Iran zu reden, wie es Sigmar Gabriel in seiner Zeit als Außenminister tat. Man kann auch Geschäfte mit Menschen machen, die man verachtet und ablehnt. Ware gegen Geld, das war‘s. Es geht also um mehr, um den Wunsch, auch von Autokraten ernst genommen zu werden, mit ihnen auf Augenhöhe zu reden, denn das bedeutet Dialog: Ein offenes Gespräch zwischen Gleichen. Doch allein bei dem Versuch, einen Dialog mit Autokraten zu führen, unterliegen demokratische Politiker fast immer: Sie sind bereit, Kompromisse zu machen, das ist ihr Alltagsgeschäft. Die Gesprächspartner haben indes ihre Macht, weil sie selten Kompromisse machen und sich meist durchsetzen. Kompromisse sind für sie ebenso ein Zeichen von Schwäche wie die Bereitschaft, die eigene Position zu relativieren. Darf es etwas weniger Fatwa sein? Reicht denn nicht die Krim? Wie wäre es denn, Israel zumindest in den nächsten fünf Jahren nicht zu vernichten? Die Atombombe ist doch sowieso noch nicht fertig.

Den Dialog aufzugeben würde bedeuten, sich einzugestehen, von der Gegenseite nicht ernst genommen zu werden. Eine bittere Erkenntnis, denn sie bedeutet, riskantere Wege einschlagen zu müssen, um seine Interessen durchsetzen zu können. Zu behaupten, man befinde sich im Dialog, täuscht Handeln vor, wo Tatenlosigkeit herrscht. Dialog kann es nur zwischen Demokraten geben. Im Umgang mit Autokraten gibt es zur harten Machtpolitik und der Bereitschaft, Konsequenz zu ziehen, keine Alternative. Es gibt nun einmal Situationen, in denen kein noch so messerscharfes Argument eine geladene Waffe ersetzt.

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