Seit nicht einmal zwei Jahren regiert in Deutschland auf Bundesebene eine Ampelkoalition.
Das ist eine unfassbar triviale Wahrheit, die trotzdem betont werden kann. Es gab in Deutschland zuvor nie eine Ampelkoalition. Bundesdeutschland kam über sieben Jahrzehnte mit Alleinregierungen oder Zweierbündnissen aus. 16 Jahre davon fallen in die Zeit Angela Merkels. Deutschland und die Ampel leiden bis heute unter der Kanzlerin.
Die Regierungen Merkel waren in ihrer Arbeit meist ruhig. Ruhig wie eine deutsche Behörde an einem Freitag um 12.30 Uhr. Und genau so effektiv und effizient. Traumwandlerisch wurden die wichtigen und großen Themen verschlafen. Dabei war das Prinzip eines, dass den deutschen Michel beruhigte: hier und da wurde ein Stichwort in den Raum gestellt, das einen Bereich bezeichnete, in dem man etwas tun müsste: Klimawandel, Digitalisierung, Autobahnen, Schienenverkehr, Krankenhausreform, Stromsicherheit, Bildungsreform, Bürokratieabbau, Bedrohung durch Russland und China und so weiter und so fort.
Die Themen wurden benannt, aber nicht angegangen. Der Bürger wurde nicht durch Veränderung belästigt, hatte aber das Gefühl, und wollte es auch gerne haben, dass die Regierung, genauer Kanzlerin Merkel, einen Blick auf all das hat. Vielleicht hatte Frau Merkel persönlich sogar tatsächlich einen Blick auf all diese Themen, angegangen ist sie diese gleichwohl nicht. Dies mag natürlich auch mit dem Wesen des Konservativismus zu tun haben. Das Lösen neuer Probleme schaffen Konservative wenn überhaupt, dann wohl nur dann, wenn sie Unternehmer sind.
2021 endete dann die Ära Merkel. Nicht, weil der Wähler sie nicht mehr wollte, sondern weil Merkel von sich aus abtrat. Der auserwählte Kanzlerkandidat Armin Laschet legte dann eine so schlechte Performance hin, dass er politisch alles verlor: die Bundestagswahl und den Parteivorsitz. Letzteren sicherte sich dann schließlich Friedrich Merz, der Mister Burns der deutschen Politik, ein schwacher Oppositionsführer. Für eine Populisten zu unterschloßen, für einen Staatsmann zu unerfahren, für einen Kümmerer zu unsympathisch. Die Ampel kann trotzdem nicht glänzen, zumindest nicht in der Aussenwahrnehmung.
Grüne und FDP vertreten dabei die Interessen ihrer Wählerklientel gut. Egal ob bei Tempolimit, Gesellschaftsthemen oder Klimapolitik: die beiden kleineren Ampelpartner stehen tapfer für ihre jeweiligen Positionen ein. Ja, sie reiben sich dabei. Und da kommt das große Problem, dass man in Deutschland ja schon einen Aufbruch will, aber doch bitte nicht so. Es soll gefälligst so ruhig sein, wie in den Merkeljahren. Mit Schweigen löst man die Herausforderungen nicht. Es sind dabei, und das kann man sich nicht oft genug vor Augen führen, nicht die Herausforderungen der Zukunft, es sind die Herausforderungen der letzten Jahrzehnte, die nur eben hierzulande nie angegangen wurden. Der Reformstau ist überwältigend, und die Ampel hat sich vorgenommen, überall Wege zu erarbeiten. Natürlich muss es da knallen.
Politischen Fortschritt in einer Demokratie gibt es nicht ohne Reibung, ohne Streit. Was die Twitteria und einige Medienkollegen dabei aus den Augen verlieren: so wie die Grünen das Nein der FDP zum Tempolimit mittragen, trägt die FDP das Ende der Kernkraft mit. Sicher schreien Grüne über die Porsche-FDP und Liberale über die Anti-AKW-Grünen. Und? Am Ende des Tages ist eine Regierung, in der man etwas gemeinsam schaffen will, ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Die Vision, Deutschland in die Gegenwart zu bringen, oder gar auf den Weg in die Zukunft zu führen, ist überwältigend und die beiden Juniorpartner schreiten hier voran. Sie haben unterschiedliche Haltungen zu gesellschaftlichen Themen, ja, zum Staat an sich, und umso mehr gilt es anzuerkennen, wie sie sich immer wieder zusammenraufen.
Die SPD hingegen vermochte bisher nicht zu überzeugen. Mit Blick auf den Ukrainekrieg wird für Kanzler Scholz vermerkt sein, dass er über lange Monate nicht bereit war, die notwendige Unterstützung der Ukraine zu leisten, um Folter und Hinrichtungen, Deportationen und Vergewaltigungen zu verhindern. Mit Blick auf die Innenpolitik ist der Kanzler wenig präsent. Manchmal sagt er irgendwas Schlichtendes, einmal hat er ein Machtwort gesprochen – und die deutsche Sicherheit durch chinesischen Einkauf in den Hamburger Hafen gefährdet. SPD-Chef Klingbeil und Generalsekretär Kühnert machen da eine bessere Figur, auch wenn man sich bei Letzterem in vielen Talkshows fragt, wann er denn das Beil hebt und vor Frust den Tisch zerdeppert.
Vielleicht ist Kanzler Scholz hinter den Kulissen eine Person, die Führung durch Ausgleich schafft, oder irgendwie sowas. Man weiss es nicht. Der Wähler indes fragt sich, wieso er diesen Kanzler noch unterstützen will. Das desaströse aktuelle Ergebnis der SPD in Umfragen mag auch hieran liegen. Aber selbst Scholz erkennt die notwendigen Veränderungen mehr an als dies jemals bei Merkel der Fall war. Das heisst zwar nicht viel, aber immerhin. Die wahnehmenbaren Aktivposten dieser Regierung sind aber unzweifelhaft Baerbock, Lindner, Habeck und Buschmann. Vielleicht ist das auch gut so. Vielleicht auch nicht.
In jedem Fall kann man diesem Land, wenn man ihm den etwas Gutes wünschen will, wünschen, dass der deutsche Bürger lernt, dass der Streit in der Ampel weder ein Zeichen für das Ende der Koalition noch für angebliche Unfähigkeit ist, die überfälligen großen Probleme zu lösen – das Gegenteil ist der Fall. Schmunzeln darf man bei bei dem Gedanken dann aber doch: der deutsche Wähler soll sich Sorgen darüber machen, ob eine Regierung Fortschritt gestalten kann. Als ob.