Die Antisemitismus-Resolution des Bundestages verändert die Kulturmärkte

Selbst in Berlin ist die Idee des Marktes nicht vollkommen unbekannt Foto: Gérard Lorenz Lizenz: CC BY-SA 3.0

Die am Donnerstag beschlossene Antisemitismus-Resolution des Bundestages verändert den Kulturmarkt. Dabei wird es Gewinner und Verlierer geben.

Wie alle anderen auch sind Künstler Wirtschaftssubjekte, auch wenn viele, vor allem die eher erfolglosen, habituell gerne einen anderen Eindruck erwecken. Sobald sie versuchen, mit ihrer Arbeit Geld zu verdienen, gelten für sie die Regeln der Märkte, auf denen sie sich bewegen. Es gibt natürlich nicht den einen Kulturmarkt, sondern verschiedene: Es gibt den privaten Markt der Sammler und Kapitalanleger, Messen wie die Art Basel und die Art Cologne, Galerien und Auktionshäuser, in denen Werke gehandelt werden. Es gibt Filme, die monatelang erfolgreich in den Kinos laufen, Bestseller, die weltweit von Millionen Menschen gelesen werden, die großen Serien auf Netflix und Prime, Musikerinnen wie Taylor Swift, die Stadien füllen, und Tausende Bands, die wirtschaftlich erfolgreich sind.

Alle, die sich auf diese Märkte begeben, müssen ihr Publikum erreichen, die Menschen mit ihrer Arbeit begeistern oder sie davon überzeugen, dass der Kauf eines Bildes eine gute Kapitalanlage ist. Es gibt Trends, was heute alle sehen, lesen oder hören wollen, kann kurze Zeit später als belanglos und öde gelten. Nur wenigen gelingt es, Werke zu schaffen, die die Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte überstehen. Märkte ändern sich, nicht nur der private Markt. Für Künstler kann das bitter sein, anderen eröffnen sich neue Chancen.

Auf dem Markt der öffentlich geförderten Kultur gelten fast dieselben Regeln, nur dass man, um an Geld zu kommen, nicht ganz so viele Menschen für seine Arbeit begeistern muss. Um Intendanten zu werden, kann es reichen, einen Kulturdezernenten von sich zu überzeugen. Kuratoren wie die indonesische Künstlergruppe Ruangrupa, die für die Documenta 15 verantwortlich waren, werden von Gremien ausgewählt, die maßgeblich von Politikern in ihrer Zusammensetzung bestimmt werden. Kultur gilt seit Jahrzehnten als Standortfaktor. Die Documenta steht in Kassel nicht nur für Kunst, sondern auch für Millionenumsätze in der Gastronomie und Hotellerie. Bochum hat Johann Simons, den Intendanten des Schauspielhauses, auch ausgewählt, damit er das Theater der Stadt wieder ins bundesweite Feuilleton und zum Berliner Theatertreffen bringt. Auch wenn die Auslastung des Hauses unter Simons eher überschaubar ist, war seine Wahl unter dem Gesichtspunkt des Stadtmarketings die richtige Entscheidung.

Auch auf dem staatlich finanzierten Markt gibt es Moden, müssen Kulturmanager oder freie Kuratoren Politiker überzeugen, ihnen das Geld der Steuerzahler zu geben:

„Jahrzehntelang und bis heute bedienten und bedienen sich die Kunstbegründungstexte bei den Geistesgrößen des Poststrukturalismus“, schreiben Christian Saehrendt und Steen T. Kittl in ihrem Buch „Ist das Kunst oder kann das weg?: Vom wahren Wert der Kunst“. „In Katalogtexten, Tagungsbeiträgen und Künstlerstatements werden unentwegt die immer gleichen Theoretikernamen aufgeboten: Michel Foucault, Jacques Derrida, Gilles Deleuze, Jean-François Lyotard, Roland Barthes, Jacques Lacan, Louis Althusser, Jean Baudrillard, Slavoj Žižek, Julia Kristeva, Luce Irigaray oder Judith Butler.“ Es gehöre zu den ironischen Fußnoten der neueren Kunstgeschichte, dass im Rahmen der Biennalen-Kultur jene Kunst besonders beliebt sei, die sich kritisch mit der Globalisierung auseinandersetzt, obwohl sie ja ihre Betriebsgrundlagen überhaupt erst den Effekten der Globalisierung verdanke.

Die Biennalen, es gibt mittlerweile weltweit an die 200, werden vor allem mit öffentlichen Mitteln finanziert. Ihre, häufig gut bezahlten, Stars sind die Kuratoren. Viele Künstler machen dort mit in der Hoffnung entdeckt zu werden und auf dem freien Markt Erfolg zu haben.

Das Buch von  Christian Saehrendt  und Kittl ist aus dem Jahr 2016. Längst gehört auch der Postkolonialismus in diesen Kreisen zum guten Ton und damit in vielen Fällen auch der Antisemitismus, wie die Vorfälle auf der Documenta 15 belegen.

In dem von Matthias Naumann herausgegebenen Buch „Judenhass im Kulturbetrieb“ haben zahlreiche Autoren beschrieben, wie jüdische Künstler aus dem Kulturbetrieb verdrängt werden und offen antisemitische Positionen, die häufig als „Israelkritik“ daherkommen, die Räume und Debatten bestimmen. Stella Lederer und Benno Plassmann kommen in ihrem Beitrag in dem Buch zu dem Schluss: „Die Selbstregulierung des Kulturbetriebs bezogen auf Antisemitismus funktioniert nicht. Die Freiheit der Personalpolitik und der Programmgestaltung öffentlich geförderter künstlerischer Institutionen ist in Deutschland gewährleistet. Trotz der hohen Aufwendungen der öffentlichen Hand für Kunst und Kultur in Deutschland handelt es sich in der demokratischen Gesellschaft eben nicht um ein Verhältnis der Patronage, wie es in vordemokratischen Zeiten von Monarchen nach Gutdünken gehandhabt wurde.“ Was nichts anderes bedeutet, als dass die Politik eine Verantwortung für das, was sie mit dem Geld der Steuerzahler finanziert, übernehmen muss.

Genau das hat sie mit der Annahme der Antisemitismus-Resolution durch den Bundestag am Donnerstag getan. Und damit den Markt für alle verändert, für die Staatsgelder eine wichtige Einnahmequelle sind:

„Der Deutsche Bundestag bekräftigt die haushaltsrechtlichen Regelungen für die Mittelvergabe auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung für alle Zuwendungsempfänger des Bundes. Der Deutsche Bundestag bekräftigt seinen Beschluss, dass sicherzustellen ist, dass keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels in Frage stellen, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS-Bewegung aktiv unterstützen.“

In diesem Zusammenhang sind der Beschluss der Bundesregierung vom 20. September 2017, der die IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus politisch bekräftigt, und der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 2019, in dem sich der Bundestag zur IHRA-Arbeitsdefinition bekennt, als maßgeblich heranzuziehen.

Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich gegenüber den Ländern und Kommunen dafür einzusetzen, dass sie entsprechende Regelungen implementieren und, sofern noch nicht geschehen, die IHRA-Antisemitismusdefinition als maßgeblich heranzuziehen.“

Nichts daran ist skandalös. Es gibt zahlreiche Regelungen, an die sich jene zu halten haben, die Geld vom Staat wollen: So hat Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) gemeinsam mit den Filmförderungen der Länder und der Filmförderungsanstalt festgelegt, dass jeder, der Fördermittel für Filme und Serien bekommen möchte, in der Nachproduktion Ökostrom verwenden muss, Flüge nicht gestattet sind, wenn auf der Strecke auch eine Bahnfahrt unter fünf Stunden möglich ist, und dass an einem Tag in der Woche das Essen rein vegetarisch sein muss. Die Film- und Medienstiftung NRW hat sich verpflichtet, nur solche Projekte und Produktionen zu fördern, „die die Würde des Menschen achten, die Grundrechte respektieren und die Achtung vor dem Leben fördern.“ Auch wer zum „Rassenhass“ aufstachelt, muss in NRW ohne Staatsgeld auskommen. In Berlin geht man leer aus, wenn Filmprojekte „sittliche oder religiöse Gefühle“ verletzen.

Vieles wurde auch nicht explizit geregelt, weil sich alle einig darin sind, dass zum Beispiel Filme, in denen gegen Homosexuelle gehetzt wird, Frauen sexistisch herabgewürdigt werden oder zur Diskriminierung von Migranten aufgerufen wird, kein Geld bekommen.

Doch die Vergangenheit hat gezeigt, dass es in der Kulturszene einen solchen selbstverständlichen Umgang mit Antisemitismus nicht gibt.

Der Chilling-Effekt, der von der Resolution des Bundestages ausging, wird dafür sorgen, dass auch diejenigen, die in den Ländern und Kommunen über Fördergelder entscheiden, künftig genauer hinsehen, welchem Projekt sie Gelder bewilligen.

Und das führt zu Veränderungen des Marktes für öffentliche Förderung und wird sicher Geschäftsmodelle verändern.

Wer bislang mit dem Habitus des postkolonialen Antisemiten versuchte zu punkten, wird auf Geld vom Staat verzichten müssen. Wer diesen Habitus ablegt, wer künftig Antisemitismus nicht mehr in Zentrum seiner Arbeit stellt, kann weiter Geld bekommen. Und dann ist da noch der freie Markt, auf dem man sich seine Einkünfte suchen kann. Nicht allen wird alles gelingen. Einige werden sich neue Jobs suchen müssen, andere werden ihr berufliches Glück im Ausland suchen und  etliche die entstandenen Lücken für sich nutzen.

Mit einer Beschränkung der Kunstfreiheit hat das nichts zu tun. Der öffentlich geförderte Teil des Kulturmarktes macht mit gut 16 Milliarden Euro Etat nicht einmal zehn Prozent des Umsatzes der Kultur- und Kreativwirtschaft aus, der 2021 nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums bei 175,4 Milliarden Euro lag. An 90 Prozent des gesamten Kulturmarktes sind also nicht betroffen.

Auf die staatlich geförderte Kunst- und Kulturszene kommen zudem ganz andere Herausforderungen zu: Allein in Berlin müssen im Kulturetat 120 Millionen Euro eingespart werden. Da immer mehr Städte in den kommenden Jahren in die Haushaltssicherung rutschen, werden auch sie im Kulturbereich sparen. Kultur ist eine freiwillige Leistung, hier sind Sparmaßnahmen leichter umzusetzen als in anderen Bereichen. Die Wirtschaftskrise bleibt auch hier nicht ohne Folgen. Dass die Antisemitismus-Resolution des Bundestages und nicht die sich abzeichnenden flächendeckenden Kürzungen Anlass für eine Flut offener Briefe, Proteste und empörter Artikel war, zeigt, wie wichtig es für dieses Milieu offensichtlich ist, seinen Antisemitismus ausleben zu können.

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