Anfang bis Mitte der 90 Jahre ging die Pionierzeit des Bermudadreiecks zu Ende. Die drei Gründungsclans um Leo Bauer, Alex Schüler und Armin Reisewitz waren aufgebaut und als rechtliche Gesellschaften formiert. Sie hatten sich das wirtschaftliche Feld bis auf ganz wenige unabhängige Betriebe mehr oder weniger unter sich aufgeteilt, wobei sich Dirk Steinbrecher und Johannes Dittfeld als zwei weitere Führungspersonen herausgeschält hatten, die aus dem Kellnerheer zu Hauptpächtern und Geschäftsführern aufgestiegen waren. Die Spreu hatte sich zu diesem Zeitpunkt endgültig vom Weizen getrennt.
Mancher der Mitarbeiter und Mitstreiter, die wieder im Niemandsland der Erfolglosen verschwanden oder andere Karrieren starteten hatte dabei sogar kurzfristig und im wahrsten Sinne des Wortes „im Geld geschwommen“ oder besser darin gelegen, denn der Umsatz einiger Lokalitäten hatte, vor allem in der stürmischen Expansionszeit der 80er Jahre, manchmal ungeahnte, ja, irrationale Höhen erreicht. Auf Dauer blieben allerdings nur die, die nicht in den Höhenrausch gerieten und nur noch das schnelle Geld machen wollten, am Markt bestehen.
Dazu gehörte auch jemand, der nicht zu diesen drei Clans gehörte, ja nicht einmal Gastronom war: der Musiker Marcus Gloria. Er hatte zusammen mit Henri Reipöler, ebenfalls Musiker, 1986 das erste, das ganze Bermudadreieck umgreifende Kultur- und Musikfestival namens „Bochum Total“ in Gang gesetzt und damit ganz nebenbei die erste Gesamtvermarktung des Standortes in die Wege geleitet. Zwar hatte das Festival das Bermudadreieck bis heute nicht selbst im Titel, aber das Viertel war, und ist bis heute, seine zentrale, räumliche Voraussetzung und zugleich sein Hauptspielort.
Erst die dort mittlerweile vorhandene Kneipendichte und vor allem die Möglichkeit von größeren Open-Air-Veranstaltungen durch den Aufbau einer entsprechend große Bühne auf dem Konrad-Adenauer-Platz, machte die Vielfalt und Gleichzeitigkeit unterschiedlichster Veranstaltungen auf engstem Raum in dieser zentralen Lage möglich. 1990 wurde diese Bühne zur festen Einrichtung. Heute ist sie, nachdem sie im Rahmen eines vor ein paar Jahren von der Stadt Bochum und der ISG-Bermuda-Dreieck veranstalteten Architekten- und Designerworkshop neu entworfen und später entsprechend als Lichtskulptur umgebaut bzw.erneuert wurde, vor allem in den Abend und Nachtstunden zu einer Art Wahrzeichen des Konrad-Adenauerplatzes geworden.
Wie sehr Bochum Total am Anfang noch in der Ursprungstradition der Bermuda-Erfinder lag, wurde in Glorias Zielsetzung deutlich. „Wir wollen die alternative Kultur dahin bringen, wo die Bürger sind“ sagte er in einem Zeitungsinterview kurz vor Beginn des ersten Festivals. Aber es gab auch andere Gründe: „Wir waren junge Musiker“, so Gloria heute, „ und wollten uns einfach eine Möglichkeit schaffen, bei der wir und unsere Freunde auftreten konnten.“ Dass ihn die Bermudagastonomen und vor allem Leo Bauer dabei unterstützten, lag mehr oder weniger auf der Hand.
Nicht nur, dass ihre Kneipen selbst Veranstaltungsorte wurden, es entsprach auch ihrem eigenen kulturellen Impetus und dem der Zeit. Auch die Stadtverwaltung hatte deren Zeichen und die Rolle des Bermudadreiecks darin endlich erkannt. Sie unterstützte das Festival auf Grund seines offensichtlich nicht-kommerziellen Anspruches mit 8000 DM. Dieses Geld hatten die beiden Veranstalter auch bitter nötig, denn das damals nur zwei Tage dauernde Festival war wirklich kein finanzieller Erfolg. Weder für die Veranstalter noch für die Gastronomen.
Aber es war auch kein großer Flop, denn zumindest die Abendveranstaltungen waren gut besucht. Allerdings gab es strenge Lärmauflagen, die nach 22 Uhr vor allem die auf zwei Bühnen spielenden Musiker zum Aufhören oder zum Wechseln in die geschlossenen Kneipenräume veranlassten. Die räumliche und zeitliche Kompaktheit und kulturelle Vielfalt des Festivals kam beim Publikum allerdings gut an. Damit war der Grundstein für ein jährliches Highlight gelegt, das schon wenige Jahre später, was sowohl die Besucherzahlen als auch die ökonomischen Gewinne betreffend, alle Erwartungen sprengte und das Bermudadreieck noch weiter über die Stadtgrenzen hinaus bekannt machte.
Markus Gloria und seine Mitstreiter konnten sich dem damit verbundenen kommerziellen Sog natürlich nicht entziehen und gründeten eine eigene Vermarktungsgesellschaft, die Bochum Total als spezielles Event-Konzept etablierte und später auch auf andere Städte übertrug. Aber auch die Gastronomen des Bermudadreiecks begriffen schnell, dass für sie eine neue Phase begonnen hatte: Die gemeinsame Vermarktung ihres Standortes. Der Selbstläufer Bermudadreieck kommt damit parallel zum zunehmenden Publikumserfolg von Bochum Total spätestens zu Beginn der 90er Jahre in die Phase der totalen Kommerzialisierung, die zugleich das Festival selbst verändert.
Es wurde zeitlich ausgeweitet, es gab immer mehr Veranstaltungsorte und Bühnen, und es dehnte sich sogar auf die Fahrbahnen von Südring und der Viktoriastraße aus. Die Besucherzahlen stiegen auf bis zu eine Million und machten Bochum Total zum größten Festival Deutschlands – und dies alles gab dem Bermudadreieck natürlich einen weiteren Wachstumsschub. Selbst an normalen Wochenenden waren in den kommenden Jahren im Sommer häufig Zehntausende auf den Straßen und Plätzen. Die Bermudagastronomen, unter der Führung vor allem von „Logos“ und Bauer, ließen sich zusätzliche Events einfallen, wie die Tage, an denen gemeinsam unter dem Motto „Stühle raus“ die Freisitzsaison eröffnet wird oder den „Bermuda Bang“.
Der kulturelle Anspruch, der noch die 80er Jahre prägte, wurde spätestens Mitte der 90er Jahre, mit wenigen Ausnahmen wie z.B. bei den im letzten Kapitel beschriebenen Aktivitäten von Dirk Steinbrecher, immer mehr dem reinen Umsatzdenken geopfert. Man wollte immer noch anders sein als die anderen, bot immer noch mehr Flair und Abwechslung und ab und zu auch kulturelle oder sogar politische Veranstaltungen, die nicht nur, sondern gar nicht der Umsatzsteigerung dienen. Aber diese wurden in dieser Zeit zur Ausnahme.
Dieser Prozess verstärkte sich durch eine neue Sorte gastronomischer Investoren, die nun, nachdem die drei Clans die Aufbauarbeit geleistet hatten, von dem – wenn auch nicht mehr wachsenden – Umsatzkuchen ihren Teil abhaben wollten. Sie kamen früher nur deswegen nicht zum Zuge, weil die traditionellen Betreiber, unter ihnen vor allem die „Logos“, schneller waren. Seitdem der Expansionsdrang der „Logos“-Gruppe jedoch nach der Pleite ihres wichtigsten Pächters Johannes Dittfeld nachgelassen hatte, war der „Angriff“ der Kettenbetriebe nicht mehr aufzuhalten.
Es gelang zwar, nach der vorläufigen Schließung der Union-Kinos, zusammen mit der Stadt und dem Hausbesitzer Lueg, noch einmal das schlimmste Szenario, die Umwandlung der Kinos in eine riesige Alkohol-Abfüllstation, zu verhindern, aber Extrablatt, Alex und ein Kettenmexikaner hatten sich im Dreieck festgesetzt. Aber auch den Bermuda-Pionieren fiel gastronomisch nicht mehr viel Neues ein. Als endlich das letzte Filetstück im Dreieck, das Möbelhaus Schlesinger, frei wurde, kamen auch bei ihnen selbst nur noch Kettenkonzepte wie eine Sportsbar und ein American Diner zum Zuge. ThreeSixty und andere sollten, wie man im internen Sprachgebrauch sagte, nichts anderes mehr sein als „Cash Cows“.
Mehr zu dem Thema:
Teil 1: Die B3E-Story – oder wie das Bochumer Szeneviertel namens Bermudadreieck entstanden ist
Teil 2: Die B3E-Story 2: Entstanden aus dem Nichts?
Teil 3: Die B3E-Story Teil 3- Vom proletarischen Moltkeviertel zur Bochumer Studentenbewegung
Teil 6: Die B3E-Story 6 – Vom Club Liberitas zum Mandragora
Teil 7: Die B3E-Story Teil 7: Vom Appel zum Sachs
Teil 8: Die B3E-Story 8 – Die 80ger Jahre und die Entstehung der Szenemagazine
Teil 9: Die B3E Story 9 – Die Rolle der Bochumer Stadtverwaltung
Teil 10: Die B3E-Story Teil 10 – Die Entstehung des „Bauer-Imperiums“
Warum hat eigentlich der ‚Intershop‘ bisher noch keine Erwähnung gefunden? Schließlich ist ‚Der Shop‘ zumindest für die Bochumer der nach wie vor wichtigste Laden im 3Eck; und da er bereits Anfang der 80er eröffnet wurde, müßte er doch längst auf der Zeitleiste erschienen sein.
Ansonsten freue ich mich immer wieder auf die instruktiven Fortsetzungen und bin damit nicht allein: In meinem Bekanntenkreis wird die Reihe intensiv und positiv diskutiert – wenn auch nicht im B3E …
Gute Frage, wenn damit eine ausführlichere Behandlung gemeint ist. Das gleiche gilt z.B. auch für das Cafe Konkret. Beide spielen nämlich auch vom Besucherpublikum her traditionell eine ganz eigene Rolle im Dreieck. Ihre Inhaber/Macher spielten diese aber bei der Gesamtentstehung des Dreiecks nicht, was die entsprechenden Personen und ihre Arbeit keineswegs abwertet geschweige denn abwerten soll.
Eine Erwähnung insbesondere des Intershops wäre aber im Kapitel zu den Achzigern und den Szenemagazinen sinnvoll, trafen sich doch die Redakteuer und sonstige Medienschaffende dort besonders gerne. Werde ich in der Endfassung tun. Aber vielleicht schreibt ja mal einer die jeweiligen Storys von ganz bestimmten Kneipen im Dreieck. Wäre sicher spannend.
P.S. Was die Diskussion innerhalb des Dreiecks betrifft..
Ein Viertel wie das Bermuda-Dreieck ist mehr Ausdruck seiner Zeit als andere Viertel von Bochum und um Umgebung, denn es lebte und lebt immer noch von der mehr oder weniger intensiven Kommunkation zwischen seinen Besuchern und Machern. Heutzutage ist Geschichtsaufarbeitung/Diskussion nicht (mehr) das große Thema.
Überhaupt wird weniger politisch und gesellschaftlich diskutiert. Zeiten ändern sich halt. Aber das heißt eben auch, dass solche Diskussionen bei gegebenem Anlass wiederkommen. Anders und mit anderen Leuten. Und die werden dann auch wieder vermehrt und verdichtet im Dreieck stattfinden. Trotz oder gerade wegen des Internets und der zunehmenden Medienberieselung. Deswegen sind ja solche Viertel so wichtig in einer Stadt.
Aber die Menschen sind auch und von Anfang an zum Vergnügen und zur Ablenkung in dieses Viertel gegangen. Um Leute kennen zu lernen und dabei zu sein. Face to Face und mit anfassen. Nicht nur per chatroom. Und das ist gut so. Die Grundbedürfnisse der Menschen scheinen sich nämlich seit Jahrtausenden nicht geändert zu haben. Wir sind nachwievor mit allen 5 Sinnen begabt und die wollen nun mal alle ihre Befriedigung.
@Arnold,
„dass solche Diskussionen bei gegebenem Anlass wiederkommen. Anders und mit anderen Leuten. Und die werden dann auch wieder vermehrt und verdichtet im Dreieck stattfinden. Trotz oder gerade wegen des Internets und der zunehmenden Medienberieselung. Deswegen sind ja solche Viertel so wichtig in einer Stadt. “
Tja, und wenn ich wüßte, was ich dazu beitragen kann, damit so eine Zeit wiederkommt, würde ich nicht zögern, disen Weg einzuschlagen.
Solche Viertel gibt es dann womöglich nicht mehr. Man wird halt ausweichen müssen. Muß ja nicht in Bochum sein.
Ach so, da steht „anders und mit anderen Leuten“.
Hoffentlich geht es schneller.
Hi Arnold, auch von mir ein großes Lob für die Serie, die ich wirklich wunderbar finde. Spannend und informativ. Aber ich schließe mich zugleich auch dem 1. Kommentator an. Der Intershop wird in der Serie schmerzlich vermisst. Vielleicht hast Du ja recht damit, dass seine Inhaber/Macher bei der Entstehung des gesamten Viertels keine so gewichtige Rolle spielten.
Der Laden selber aber ist DER magische Ort, der Glory und Ruhm des
Bermudadreiecks im kollektiven Bewusstsein bündelt. Damit trägt er zu dessen Strahlkraft und Identität nach innen wie nach außen Erhebliches bei. Sicher liegt es u. a. daran, dass ein Ort, an dem sich zu spätester Stunde der harte Kern der Stadt sammelt, auch Anlass für jede Menge Projektionen bietet. Wenn ich in Deutschland unterwegs bin und irgendwo kommt die Rede auf Bochum und
das Bermudadreieck, dann fällt fast immer – und vor allem anderen – der
Begriff Intershop.
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