In Deutschland war bis in die 70ger Jahre Außengastronomie in den Innenstädten nahezu unbekannt. Sie war eine Domäne von Ausflugs- und Gartenlokalen, die zumeist in reizvoller Umgebung lagen und nicht an einem kahlen Platz in der Innenstadt. Das hatte Leo Bauer, dessen Mutter aus Italien stammte, in deren Heimatland ganz anders erlebt. „Ich war“, erinnert er sich, „fasziniert von der Lebendigkeit der italienischen Städte im Sommer. Dort spielte sich das Leben auf der Straße ab. Bei uns hingegen saßen alle auch bei strahlendem Sonnenschein in den Kneipen. Das wollte ich ändern. Außerdem war es im Mandragora damals so voll, dass viele Gäste draußen standen“.
Er hatte mit der Eröffnung des Treffpunktes, dem späteren Mandragora, einen direkt davor gelegenen, ungenutzten Platz, direkt vor der Haustür, mit dem auch die Stadtverwaltung bis dahin nicht so recht etwas anzufangen wusste: den heutigen Konrad-Adenauer-Platz. Bis Leo Bauer 1974 handelte. Im Sommer des gleichen Jahres beantragte er die ersten Außensitze im Engelbertviertel, wobei er als Test erst einmal nur einen kleinen Teil der gesamten Fläche beanspruchte.
Bis das Mandragora die Tische rausstellte galt in Deutschland eine Regel: Draußen in der Sonne saßen Familien und „Spießer“. Die „Szene“ traf sich in verrauchten und düsteren Kneipen. Man wollte unter sich sein, sich absetzen. Die Kneipe war auch ein Freiraum in dem man seine Musik hören und sich benehmen konnte wie man wollte. Ein Ort der Toleranz in einer Gesellschaft, die allem, was anders war, ablehnend gegenüber stand. Diejenigen, die mit ihren Biergläsern vor dem Mandragora standen, trugen, ohne es zu wissen oder auch nur zu wollen, auch dazu bei, dass die Szene endgültig die Straße eroberte – und damit zum Mainstream wurde.
Nach der Neugestaltung des Konrad-Adenauer-Platzes (KAP) 1979, die auch einen Brunnen vorsah, beantragte Leo Bauer dann erstmals eine große Fläche zum Betrieb einer Außengastronomie. Das war die eigentliche Geburtsstunde des Bermudadreiecks und veränderte die Kneipenszene weit über Bochums Grenzen hinaus. Mit ganz wenigen Ausnahmen hielten ihn die Verantwortlichen beim Bochumer Ordnungsamt für verrückt. Wie sollte auf einer solchen städtebaulichen Restfläche, umgrenzt von einer Vierspurstraße und einem Parkhaus samt Zufahrt, mediterranes Flair entstehen? Wer sollte ein solches Angebot nutzen wollen? Sie ließen den mutigen Gastonomen aber gewähren. .(Siehe hierzu noch einmal das Kapitel zur Rolle der Bochumer Stadtverwaltung)
Dessen Erfolg war am Anfang nicht bahnbrechend, aber auch nicht entmutigend. Die Hälfte des Platzes wurde zu einer Mischung aus italienischer Piazza und bayerischem Biergarten, während die andere Hälfte für Aktionen genutzt wurde, um weitere Leute auf dieses neue Platzgefühl aufmerksam zu machen, z.B. durch Anschüttung von Strandsand oder durch rollschuhlaufende Kellnerinnen. Der Konrad-Adenauer-Platz, trotz neuem Brunnen letztlich immer noch eine hässliche Betonwüste am Rande der Bochumer Innenstadt, wurde so Stück für Stück zum Treffpunkt für Jugendliche aus dem ganzen Ruhrgebiet umgewandelt. Auch der junge Marcus Gloria, später der Erfinder von Bochum Total, war darunter und spielte auf dem Brunnenrand gerne seine Gitarre.
Heute ist der Konrad-Adenauer-Platz die größte Außengastronomie des Ruhrgebiets und zugleich zusammen mit Bochum Total als Festplatz des Bermudadreiecks etabliert. Entscheidender für die Entwicklung des gesamten Bermudadreiecks ist jedoch, dass er bald Nachahmer fand und dem gesamten Viertel eine neue Qualität des öffentlichen Raumes bescherte, die sich von ihrem Ursprungsplatz unaufhaltsam ausbreitete und heute neben anderem die besondere Sommerqualität des Bermudadreiecks ausmacht.
Im Verlaufe dieser Entwicklung gab es immer wieder öffentliche Diskussionen darüber, inwieweit diese systematische Ausdehnung der Außengastronomie nicht auf eine komplette Privatisierung des öffentlichen Raumes in diesem Straßendreieck hinauslaufen würde bzw. dazu geworden ist. Auch bei denen die zwar genau diese sommerlich-mediterane Atmosphäre schätzen, aber Sorge um die damit verbundene Okkupierung des Straßenraumes für rein kommerzielle Zwecke haben. Viele vergaßen und vergessen dabei, dass die Straßen und Plätze des Dreiecks nach wie vor im Besitz der Stadt Bochum sind und die Gastronomen nicht nur für die Außennutzung bezahlen sondern dabei auch öffentlichen Vorschriften unterliegen.
Vor allem aber vergessen sie, dass die vielen Menschen die Freisitze und das dortige Angebot genau deswegen nutzen und dafür natürlich auch bezahlen, weil sie es gut finden und nicht mehr missen möchten. Ja das die Freisitze gerade in ihrer großen Menge und vor allem in ihrer flächen- und zeilenmäßigen Geschlossenheit für die meisten Nutzer erst die urbane Erlebnisqualität des Sehen und Gesehenwerdens entstehen lassen, deretwegen sie dieses besondere Bochume Innenstadtquartier besuchen. Die unglaubliche soziale Vielfalt die sie dorthin lockt und deren Teil sie selber sind konnte sich überhaupt nur deswegen entwickeln, weil es soviele unterschiedliche Lokalitäten und entsprechend viele und unterschiedlich Freisítze und Außenflächen dort auf engstem Raum gibt.
Wer genau dies nicht will, hat in unmittelbarer Nähe obendrein genug räumliche Ausgeh- und Aufenthaltsalternativen und genau das macht Urbanität als Ganzes aus. Hier genau liegt auch der zentrale Unterschied zu solchen Retorte-Orten wie die Gastrozeile des CentrO Oberhausen. Nicht nur, dass dort der Straßenraum auch rechtlich nicht mehr der Stadt Oberhausen gehört. Das CentrO selbst hat auch mit der sonstigen Innenstadt nichts zu tun und wer einmal drin ist, kann nicht einfach durch eine Nebenstraße ins freie Urbane ausweichen, geschweige denn kann er sich innerhalb der Mall so frei bewegen und betätigen wie z.B. auf den Straßen des Bermuda-Dreiecks. Demonstrieren z.B. ist im CentrO-Gebiet nämlich strikt verboten.
In der Geschichte des Konrad Adenauerplatz haben dagegen immer wieder Demonstrationen und viele andere Formen des politischen Protestes stattgefunden, einschließlich der damit verbunden Konflikte. Ursache dafür war, wie in den 70er Jahren in vielen bundesrepublikanischen Städten, die Aufsplittung der politisierten Jugendszene in einen eher integrierten Teil, der den berühmten langen Marsch durch die Institutionen antrat, d.h. sich in den örtlichen Parteien und vor allem in der SPD engagierte, und einem außerparlamentarischen, der sich wiederum im Wesentlich in zwei Gruppen gliederte: den wohlorganisierten Kadern neuer linker Kleinstparteien und der eher spontan sich zusammen findenden freien oder auch alternativ genannten Jugendszene.Dazu und welche problematische Rolle dabei der Konrad Adenauer Platz spielte, im nächsten Kapitel mehr.
Mehr zu dem Thema:
Teil 1: Die B3E-Story – oder wie das Bochumer Szeneviertel namens Bermudadreieck entstanden ist
Teil 2: Die B3E-Story 2: Entstanden aus dem Nichts?
Teil 3: Die B3E-Story Teil 3- Vom proletarischen Moltkeviertel zur Bochumer Studentenbewegung
Teil 6: Die B3E-Story 6 – Vom Club Liberitas zum Mandragora
Teil 7: Die B3E-Story Teil 7: Vom Appel zum Sachs
Teil 8: Die B3E-Story 8 – Die 80ger Jahre und die Entstehung der Szenemagazine
Teil 9: Die B3E Story 9 – Die Rolle der Bochumer Stadtverwaltung
Teil 10: Die B3E-Story Teil 10 – Die Entstehung des „Bauer-Imperiums“
[…] Wie der Konrad-Adenauer-Platz zum Platz an der Sonne wurde. […]