Schon in den 90er Jahren wuchsen die privaten Interessen der Bermudagastronomen mit den öffentlichen Interessen zusammen. Das städtebauliche Dreieck war mittlerweile zur Marke Bermuda3Eck umfirmiert und das so benannte Stadtviertel in gewisser Weise zum öffentlichen Fördergebiet – allerdings ohne direkte Subventionen- geworden, was in Anbetracht der dort boomenden Geschäfte auch kaum politisch durchzusetzen gewesen wäre. Dass man jedoch frei werdende öffentliche Gebäude – wenn auch nach langen Diskussionen – teilweise direkt den angestammten Bermuda-Clans zur Vermietung anbot, dass man, wie schon berichtet, gemeinsam erkannte Fehlnutzungen wie den Umbau des Lueg-Hauses zum am Ballermanngeschmack orientierten Entertainment-Center gemeinsam verhinderte, das gehörte zum guten Ton und entsprach dem, was man heute als Public-Private-Partnership bezeichnen würde.
Der 1995 gegründete Initiativkreis Bermudadreieck brachte die Kooperation zwischen privaten Interessen und der öffentlichen Hand auf eine neue Stufe, zeigte aber in Form und Satzung, dass es hier weder um einen echten Zusammenschluss der drei Clans noch der anderen Gastronomen geht, sondern vielmehr um einen Förderkreis für das Gesamtinteresse und die Besprechung und mögliche Lösung gemeinsamer Probleme ging. Die Mitgliedschaft war freiwillig, und der Beitrag wurde nach Betriebsgröße erhoben.
Das Bermudadreieck war, wie schon beschrieben, in dieser Zeit kompett etabliert und nicht nur die Stadtspitze sondern auch die mittlerweile gegründete Stadtmarketinggesellschaft Bochum wusste, was es an seinem Kneipenviertel hatte, um das es seine Nachbarstädte beneiden und dessen Erfolg bislang, trotz zahlreicher Bemühungen, nicht kopiert werden konnte. Doch nach der letzten Phase der Total-Kommerzialisierung war die Zeit der immer währenden Umsatzsteigerungen endgültig vorbei, denn auch in Essen, Dortmund und Oberhausen hatten sich mittlerweile Kneipenviertel etabliert. Nicht so groß wie das Bermuda3Eck, nicht so erfolgreich, aber der regionale Wettbewerb hatte erheblich zugenommen.
Eine Erneuerung des Viertels stand also an und führte, auch vermittels meines eigenen Gutachtens, zu einem komplett neuen Erscheinungsbild des gesamten Quartiers. Das Bermuda Dreieck in Bochum ist als Bermuda3Eck damit glatter, konformer aber damit, und so sehen es auch die meisten Besucher, vorzeigbarer geworden. In unmittelbarer Nähe ist dafür um das Schauspielhaus, fast parallel zu dieser Entwicklung etwas entstanden, dass der der Entstehungsgeschichte des Dreiecks, wenn auch unter ganz anderen Voraussetzungen ähnelt: das „Viertel-Vor-Ehrenfeld“.
Auch hier liegt der Ursprung in zwei gastronomischen Einrichtungen, die sich schon Ende der 90ger Jahren nicht nur räumlich vom zunehmenden Mainstream des Bermuda3Ecks abgesetzt haben: das „Freibad“ und das „Orlando“. Vor kurzem ist, neben kreativen Büros und Designerläden die sich in den letzten 10 Jahren dort angesiedelt haben, auch die „Goldkante“ dazu gekommen, die von ihrem Standort nicht unweit der Bochumer Innenstadt verdrängt worden war.
Aber auch innerhalb des Dreiecks hat das Bemühen um mehr Kultur, also „back tot he roots“, wieder zugenommen und mit dem „Freibeuter“, dem „Badalona“ und der „Rotunde“ ist, unterstützt von Leo Bauer, auch wieder eine innovative Gruppe junger Gastronomen und Künstlern zum Zuge gekommen. Dazu hat sich, gleich daneben im neuen Eingangsbereich des Parkhauses ein ganz neuer und sehr trendiger Boom Store eingerichtet, auf dessen Dach sich die dazugehörige Skaterszene auch praktisch erproben kann. Eine gute Ergänzung zum Fahrradladen „Balance“, der schon lange ein fester Bestandteil des Gastro-Dreiecks ist.
Vorangetrieben hat diese Entwicklung die aus dem alten Initiativkreis zwischenzeitlich entstandene Immobilien- und Standortgemeinschaft (ISG), die versucht gemeinsam mit der Stadt, der IHK, dem Einzelhandelsverband und den Immobilienbesitzern des Dreiecks die weitere Entwicklung des Quartiers mit zu bestimmen. Auch diese Vereinigung ist freiwilliger Natur, besteht aber eben nicht mehr, wie noch der Initiatvkreis, nur aus den Gastronomiebetreibern des Dreiecks. Sowohl der alteingesessene Fahrradladen als auch der nagelneue Skaterstore sind, wie viele andere Einzelhändlern im B3E in der ISG aktiv.
Volker Brunswick, studierter Theater- Film- und Medienwissenschaftler, und, wie man bei Wikipedia über ihn erfahren kann, schon früh im Bochumer Kulturleben aktiv, ist Inhaber des Boom Stores. Als neues Mitglied des ISG-Vorstandes hat auch er sich die Stärkung der Kultur im B3E auf die Fahnen geschrieben. Nicht zuletzt weil sein Store selbst sich als Teil einer Kulturszene versteht, die sich weltweit von unten entwickelt hat. Er ist dabei, wie die ersten Bermuda-Pioniere, auch ein erhebliches persönliches Risiko eingegangen, denn für die Weiterentwicklung seiner gut florierenden Agentur Vivamo war dieser neue Flagship-Store im B3E nicht unbedingt notwendig.
Andererseits soll er zusammen mit dem Skaterpark und dem dazugehörigen Veranstaltungsprogramm idealtypisch zeigen, wie sich Vivamo die Einzelhandels-Zukunft in Zeiten des Internet-Handels und der Shopping Malls vorstellt und ist damit selbst ein Experiment, dass absichtlich oder unabsichtlich, in der innovativen Tradition des Dreiecks steht. Er ist gleichzeitig der deutlichste Ausdruck dafür, dass allen Aktiven im B3E klar geworden ist, dass ein „weiter so“, dass ein immer mehr an Gastronomie nicht die Zukunft sein kann.
Das musste auch der städtischen Entwicklungsgesellschaft Ruhr (EGR), der Besitzerin des Parkhauses, erst einmal seitens der ISG klar gemacht werden, denn sie hatte den neuen Anbau architektonisch und baukonstrukturell für eine weitere Gastronomie konzipieren lassen. Es bedurfte deswegen schwieriger und zäher Verhandlungen, unterstützt vom Immobilienexperten und früheren ISG Vorstandsmitglied Edgar Neufeld, um den Boom Store im Dreieck durchzusetzen. Ein weiterer Beweis dafür, dass Innovationen in der Regel Widerstand erzeugen, der nur in einem zwar konfliktorischen, letztlich aber doch produktiven Dialog überwunden werden kann und muss.
Denn auch eine Erfolgsgeschichte wie die des Bermuda3Ecks kann ein Ende finden, wenn es den Machern langfristig nicht gelingt, neue Zielgruppen an das Quartier heranzuführen. Vielleicht eröffnen sich ja mit diesen neuen, nicht nur kommerziell sondern auch kulturell orientierten Aktivitäten, zusammen mit dem Bau des Musikzentrums und der Umnutzung des ehemaligen Bochumer Hauptbahnhofs, dem sogenannten Katholikentagsbahnhof, zum Zentrum für Kleinkunst ganz neue Perspektiven. Das Bermuda3Eck könnte so nämlich vom etablierten regionalen Szeneviertel zum dynamischen Kern eines äußerst vielfältigen Kultur- und Kreativviertels werden, wie es es im Ruhrgebiet, zumindest in so einem engen räumlichen Zusammenhang und in der damit verbundenen urbanen Erlebnisdichte, so bald kein Zweites geben wird und kann.
Ende
Mehr zu dem Thema:
Teil 1: Die B3E-Story – oder wie das Bochumer Szeneviertel namens Bermudadreieck entstanden ist
Teil 2: Die B3E-Story 2: Entstanden aus dem Nichts?
Teil 3: Die B3E-Story Teil 3- Vom proletarischen Moltkeviertel zur Bochumer Studentenbewegung
Teil 6: Die B3E-Story 6 – Vom Club Liberitas zum Mandragora
Teil 7: Die B3E-Story Teil 7: Vom Appel zum Sachs
Teil 8: Die B3E-Story 8 – Die 80ger Jahre und die Entstehung der Szenemagazine
Teil 9: Die B3E Story 9 – Die Rolle der Bochumer Stadtverwaltung
Teil 10: Die B3E-Story Teil 10 – Die Entstehung des „Bauer-Imperiums“
[…] Die B3E-Story 20 (und Schluss) – Vom Initiativkreis Bermudadreieck zur Immobilien- und Standor… – Die hervorragende 20-teilige Reihe zur Entwicklung des Bermuda3ecks in Bochum endet heute […]
Das ist mittlerweile so ein Mix aus optisch steril und vom Massenauftrieb her ballermannig geworden, aber Geschmackssache. Der Hinweis darauf, dass der Bochumer aber wenigstens im Umkreis um das Ballermanndreieck noch interessante gastronomische Angebote findet, ist richtig.