Als Leo Bauer schon längst so weit war, die erste Außengastronomie im zukünftigen Bermudadreieck zu eröffnen, übernahm Alex Schüler, wie schon in einem der vorherigen Kapitel beschrieben, 1979 das Appel in Langendreer, benannt nach dem vorherigen Besitzer der Rockerkneipe. Diese Diskothek wurde schnell zu einem Treffpunkt der örtlichen Jugend und auch der neuen Studentenszene. Zugleich funktionierte sie nach wie vor als Rockerlokal, wobei genau darüber das Ordnungsamt den neuen Laden zu Fall bringen wollte.
Die vielen Motorräder durften auf einmal nicht mehr vor der Tür parken und der, der das angeordnet hatte, war sich sicher, dass der neue Wirt das nicht durchzusetzen in der Lage wäre. Schüler aber schaffte es, weil er ganz schnell und ganz in der Nähe eine Brachfläche anmietete und denjenigen Bikern Hausverbot erteilte, die ihre Motorräder dort nicht parkten. Diesen schien der kurze Fußweg jedoch noch immer zumutbarer, als gar nicht mehr in das Appel hinein zu kommen.
Alex Schüler allerdings hatte größere Träume, als sich mit solchen Problemen herumzuschlagen. Er nutze auch jetzt die wenige freie Zeit die ihm blieb, in die Metropolen dieser Welt zu fahren und sich dortige Szenetreffpunkte anzuschauen. Und er merkte, dass er, wenn das Appel weiterhin erfolgreich laufen würde, bald genug Reserven hätte, noch etwas anderes auf die Beine zu stellen. Auch der Ort, an dem das geschehen sollte, war ihm als Bochumer Szenegänger mehr als klar: Das Engelbertviertel. Denn bei aller kosmopolitischen Orientierung war dem Elektroingenieurstudenten sehr wohl klar, dass er außerhalb von Bochum, ohne seine eigene Szeneeinbindung, dazu keine reelle Chance bekommen würde.
Abgesehen davon wollte Alex Schüler zu diesem Zeitpunkt genauso wenig und grundsätzlich aus Bochum, geschweige denn aus dem Ruhrgebiet weg, wie Leo Bauer. Schüler war bodenständig und er war gerne Handwerker. Nicht nur, weil er zu wenig Geld hatte, bei der Einrichtung des Appel Innenarchitekten und Schreiner zu beauftragen, sondern weil der kreative Akt und die handwerkliche Umsetzung beim Einrichten eines „Ladens“ ihm allergrößte Freude bereitete.
Als der Pachtvertrag für das Appel auslief und sein damaliger Geschäftspartner ihn mehr oder weniger aus seiner Verlängerung, natürlich nun zu einer wesentlich höheren Miete, herausdrückte, war im Jahre 1982 die große Chance gekommen. Die Lidobar an der Viktoriastraße stand zur Neuverpachtung an. Die dort verkehrende Schwulenszene brachte nicht mehr den Umsatz, und zu neuen Investitionen war weder eine Brauerei noch der alte Wirt bereit.
Dagegen jedoch Alex Schüler, und er hatte eine für die damalige Zeit äußerst vorausschauende Idee: Sein neuer Laden sollte im New Wave Design entstehen und die Coolness ausstrahlen, die damals schon in den hippen Bars in London, New York oder Berlin dominierte: Ganz weiß, ganz geometrisch, ganz schlicht. Und das hatte sich bisher noch niemand in der ganzen deutschen Gastronomieszene getraut: Er baute hinter der üblichen Panoramascheibe, mitten in den offen Blick zur Straße, eine weiß gestrichene Steinwand. Das Fenster war sozusagen von innen wieder zugemauert worden.
Nicht nur die Genehmigungsbehörden und die fördernde Brauerei, auch die Passanten und vor allem die sonst mittlerweile als progressiv geltende städtische Szene war mehr als irritiert. Während die Kneipen des alten Hasen Leo Bauer zu diesem Zeitpunkt schon wie geschmiert liefen, war das Sachs die erste Zeit ein reines Minusgeschäft. Da nützte selbst die Erwähnung dieser seltsamen weißen Mauer in einer ästhetischen Avantgardezeitschrift nichts, und auch nicht der Kultstatus, den das Sachs sich schnell innerhalb der überschaubaren New Wave Szene des Ruhrgebiets erarbeitete.
Dass aus dem Sachs, das heute noch unter dem selben Namen existiert, dann doch die erste New Wave-Kneipe der Region wurde, lag daran, dass Alex Schüler in der Zwischenzeit einen anderen Langzeitstudenten kennen gelernt hatte. Dieser hatte es, wie er selbst auch, schon mit einem Club versucht, war daran aber finanziell gescheitert. Sein Name: Achim Hauschulz. Ihm war von seinem bis heute legendären Club für die Essener Punk- und New Wave Szene nur noch eine Garage voller mehr oder weniger erhaltenem Mobiliar übrig geblieben. Der Name des 1983 gescheiterten gastronomischen Experiments in Essen: Logo. Getroffen haben sie sich zum ersten Mal 1984 in der Zeche. Ein Treffen mit Folgen.
Zusammen machten sie 1985 den ersten Szeneclub in der Innenstadt Bochums auf: Das neue Logo in der Passage gegenüber dem Rathaus, nur fünf Fußwegminuten vom Bermudadreieck und speziell vom Sachs entfernt. „Das Logo lief vom ersten Tag an und profitierte wohl auch von dem legendären Ruf des alten Logos in Essen“, erinnert sich Hauschulz. „Das Logo war vom ersten Wochenende an das Wohnzimmer der Szene des Ruhrgebiets.“ Im Logo gab es auch ein interessantes Life-Music-Programm, das erhebliches Publikum von außerhalb der Stadt anzog. Ein Publikum, das sich dann auch für einen Besuch im Sachs interessierte und damit nicht nur diesem Laden sondern auch den umliegenden Kneipen neue Besucher zufügte. Nach diesem nicht unbedingt geplanten Coup waren Achim Hauschulz und Alex Schüler trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere unzertrennlich. Dass sie ihre Gesellschaft, die in den folgenden Jahrzehnten eine ganze Reihe von Gaststätten und Diskotheken unter einem Dach vereinigen sollte „Logos GmbH“ nannten, war nur folgerichtig und eine Referenz an ihren ersten gemeinsamen Erfolg. Im Sachs kam aber schon der dritte Gesellschafter hinzu: Frank Nokielski.
Mehr zu dem Thema:
Teil 1: Die B3E-Story – oder wie das Bochumer Szeneviertel namens Bermudadreieck entstanden ist
Teil 2: Die B3E-Story 2: Entstanden aus dem Nichts?
Teil 3: Die B3E-Story Teil 3- Vom proletarischen Moltkeviertel zur Bochumer Studentenbewegung
Und warum heißt das Sachs „Sachs“? Weil das derMädchenname von Schülers Mutter war. Früher fuhr man wohl immer zu Oma Sachs.
Lieber Stefan,
ist das nicht von Arnold?
Freundliche Grüße
@Martin: Klar, ist von Arnold. Ich habs beim Einstellen des Textes verpennt ihn auch als Autor anzugeben. Sorry und Danke für den Hinweis 🙂
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