Wie viele unserer Leser wissen, wurde diese Story im letzten Jahr von mir hier schon einmal in 20 einzelnen Folgen vorveröffentlicht, um weitere Anregungen und Informationen für die nun folgende Endfassung zu bekommen. Ich erhielt sie durch Kommentare zu diesen einzelnen Folgen, aber auch durch e-Mails und persönliche Gespräche. Sie haben zu textlichen Veränderungen, neuen Dokumenten und Fotos – ja zu neuen bzw. weiteren Kapiteln geführt. Ich danke dafür allen, die mich bei meinen Recherchen unterstützt haben!
Prolog
Es kommt selten vor, dass ein Kneipenviertel zum Aushängeschild einer ganzen Stadt avanciert. Die Frauenkirche in München ist bekannter als Schwabing, in Berlin sind Gedächtniskirche und der Kudamm nach wie vor größere Besuchermagnete als die Szeneviertel in Mitte, Kreuzberg und am Prenzlauer Berg. Selbst Düsseldorf ist vor allem Landeshauptstadt und erst dann die vermeintlich größte Theke der Welt. In Bochum sieht das anders aus: Hier ist das Bermuda3eck der wichtigste Besuchermagnet der Stadt.
Das in den 70er und 80er Jahren entstandene Kneipenviertel ist – betrachtet man seine Kontinuität – erfolgreicher als der VfL-Bochum, zieht mehr Gäste in seinen Bann als die Rollschuhläufer des Starlight-Express und ist mit über 1600 Mitarbeitern ein wichtiger Faktor auf dem Bochumer Arbeitsmarkt.
Gelungen ist dies, weil das Bermuda3eck etwas Metropolitanes ins Ruhrgebiet gebracht hat; ja, im Sommer sogar etwas Mediterranes. Ein wichtiger Grund: Das Bermuda3eck macht keine Pause. Hier kann man morgens um acht seinen ersten Kaffee trinken und nachts – kurz vor sechs – bekommt man das letzte Bier. Es gibt Cafés mit einer exzellenten Auswahl an Tageszeitungen und Magazinen sowie Kneipen, in denen es erst ab zwei Uhr in der Nacht richtig voll wird. Das Bermuda3eck ist ein Mikrokosmos – offen, nicht nur um jede Uhrzeit, sondern auch beinahe für jeden. Dass es oft eher ein Nebeneinander als ein Miteinander ist, ist dabei kein Nachteil, sondern Zeichen einer Ehrlichkeit, der das fraternisierende Dauerschunkeln fremd ist.
Das Bermuda3eck liegt mitten im Ruhrgebiet und wäre wohl an keinem anderen Ort Deutschlands in dieser Form möglich, als in dieser Region und in dieser Stadt Bochum, wo der Strukturwandel begann. Eines der Zeichen für seinen Erfolg ist auch diese Ballung gastronomischer Betriebe um den Konrad-Adenauer-Platz, der im Szenejargon heute kurz und knapp als KAP bezeichnet wird. Über 50 Kneipen und Restaurants, mehrere Kinos und Diskotheken liegen hier eng zusammen. Ein Kneipenviertel wie die Altstadt in Düsseldorf, Alt-Sachsenhausen in Frankfurt oder Schwabing in München – nur stärker verdichtet, jünger und auch heute noch dynamischer.
In Bochum gehört es neben der Universität, dem Schauspielhaus, dem Bergbaumuseum und der Jahrhunderthalle zu den wenigen Glanzpunkten, denn es ist mittlerweile zu einem Szenequartier angewachsen, das sich mit internationalen Maßstäben messen lassen kann. In ‚normalen‘ Metropolen gehören solche Quartiere allerdings zum Standard, während im Ruhrgebiet allein das Vorhandensein einer solchen räumlichen Zusammenballung urbanen Lebens eher an ein kleines Wunder grenzt.
Zugleich ist das Bermuda3eck ein Spiegel der Umstrukturierung Bochums von der Industriestadt hin zum Dienstleistungszentrum des mittleren Ruhrgebietes und somit Ausdruck der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung der letzten 40 Jahre, in der es gerade auch im Ruhrgebiet nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer gab. Damit ist es aber auch ein Ausdruck der sozialen Bewegungen der Nachkriegszeit, zu deren einschneidensten die Studenten- und Jugendbewegungen der sechziger, siebziger und achtziger Jahre gehörten. Ohne deren Lebensgefühl und urbane Bedürfnisse hätte sich dieses Viertel nicht zu seiner heutigen Größe entfalten können.
Von deren Protagonisten wird es bis heute geprägt; und so ist die Geschichte des Bermuda3ecks zu guter Letzt auch die ganz persönliche Lebensgeschichte einiger Männer und ihrer Freunde und Mitstreiter, die als junge und innovative Unternehmer zur Gründergeneration dieses im Ruhrgebiet bis heute einmaligen Ausgehviertels gehörten und die bis heute als Großgastronomen sein Schicksal mitbestimmen. Es war dieses Zusammenspiel von städtischer Entwicklung, sozialer Bewegung und persönlichen Schicksalen die mich interessierte und meine B3E-Story ist der Versuch, alle drei Aspekte zusammen zu bringen und sie zugleich mit der konkreten räumlichen und baulichen Entwicklung dieses Viertels zu verbinden.
Ich konnte dabei weder aller Fakten noch alle Personen berücksichtigen, die zu dem von mir hier aufgeschriebenen Teil der Bochumer Stadtgeschichte beigetragen haben, bzw. habe ich mich auf die wesentlichen beschränkt und selbst da hätten andere Kenner der Materie wohlmöglich eine andere Auswahl vorgenommen. Ich glaube jedoch, dass ich trotzdem der historischen Komplexität, die die ökonomische, soziale, kulturelle und bauliche Entwicklung eines ganzen Quartiers nun mal mit sich bringt, gerecht geworden bin.
Was die Geschichte betrifft, gibt es bekanntlich nie nur eine Wahrheit. Meine Story wird deswegen nicht bei Jedem der Betroffenen und Zeitzeugen auf Zustimmung treffen, aber darum ging es mir auch nicht. Es ging mir vielmehr darum, den Grundstein für weitere Geschichten zum B3E zu legen. Geschichten, die aus einem anderen Sichtwinkel geschrieben werden, andere Personen und Dinge betonen oder Ereignisse vertiefen, die bei mir zu kurz gekommen sind oder gar nicht erwähnt wurden. Meine Story ist also nicht mehr und nicht weniger als der Anfang der Bermuda-Geschichtsschreibung.
Entstanden aus dem Nichts?
Wie das legendäre Bermudadreieck in den blauen Fluten der Karibik ist auch das gleichnamige Gastronomie- und Entertainmentviertel der Legende nach aus dem Nichts entstanden. Aber wie es bei Legenden so ist – sie stimmen in der Regel höchstens zur Hälfte.
Es ist wahr: in den 50er Jahren und auch noch Anfang der Sechziger war von diesem heute pulsierenden Ort nichts zu sehen und jemand, der ihn zu dieser Zeit vorausgesagt hätte, wäre Gefahr gelaufen, kurzfristig in eine psychiatrische Klinik eingewiesen zu werden. Schaut man jedoch genauer hin, dann war dort, wo heute an sonnigen Sommerwochenenden bis zu 50.000 Menschen feiern und flanieren, früher einmal das Bahnhofsviertel der damals äußerst dynamischen und ständig wachsenden Industriestadt Bochum. In gewisser Weise schlug dort ihr Herz.
Es wurde zusammen mit dem größten Teil der Innenstadt im Zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche gebombt. Nach dem 04. November 1944, dem Tag des schwersten Bombenangriffs, war die Bochumer City ein Trümmerfeld. Vom alten Bochumer Hauptbahnhof steht heute nur noch ein behelfsmäßiger Nachbau. Der sogenannte Katholikentagsbahnhof, heute bekannter als Veranstaltungsort namens Rotunde, wurde 1949 zum Katholikentag – der ersten von den Alliierten in Deutschland genehmigten Großveranstaltung – auf dem Schutt des alten Bahnhofs erbaut. Er sollte von Anfang an nicht mehr als ein Provisorium sein.
Nach dem Krieg waren sich die Bochumer Stadtplaner darin einig, dass der ‚richtige‘ neue Hauptbahnhof an einem neuen – dem heutigen – Platz wieder in alter Größe entstehen sollte. Es war ein alter Plan, denn die Verlegung dieses zentralen Eisenbahnhaltepunktes war schon seit der Jahrhundertwende eine Überlegung der Verwaltung. Da der Bochumer Hauptbahnhof ursprünglich kein Umsteigebahnhof war, musste man um nach Wanne-Eickel und Gelsenkirchen zu kommen erst einmal zum ehemaligen Nordbahnhof laufen. Zudem war der Bahnhofsvorplatz schon lange nicht mehr dem zunehmenden Reiseverkehr gewachsen.
Trotz aller städtebaulichen und verkehrstechnischen Probleme bot sich dem, der vor dem Zweiten Weltkrieg mit der Eisenbahn in Bochum ankam und sich Richtung Innenstadt auf den heutigen Konrad-Adenauer-Platz zubewegte eine ausgesprochen großstädtische Kulisse. Mehrere Hotels mit so illustren Namen wie Royal, Zum weißen Schwan und Union, sowie ein Kino namens Weltlichtspiele reihten sich nacheinander auf.
Ebenso im Blickpunkt lag der heutige Handelshof, der 1914 errichtet worden war. In ihm befand sich zu seiner Eröffnung – wie heute wieder – im Erdgeschoss Gastronomie und darüber ein Billardsaal. Damals hieß dieser allerdings Billardakademie und stand unter der Leitung eines – wie die Zeitungen schrieben – „erstklassigen“ Meisters seines Faches.
Weiter ging es die heutige obere Kortumstraße, damals noch Bahnhofstraße, am 1925 fertig gestellten Lueg-Haus vorbei. Es war eines der ersten Hochhäuser im Ruhrgebiet, dessen Erdgeschoss vor dem Krieg noch im Wesentlichen aus einer 450 qm großen Ausstellungshalle für – wie es früher hieß – Automobile bestand. Das von dem Düsseldorfer Architekten Emil Pohle erbaute Gebäude war noch bis 1955 das höchste der Stadt und beherbergt heute das Union-Kino. In den umliegenden Häusern gab es auf der untersten Ebene – wie heute auch – Gaststätten und Einzelhandel. Ein richtiges Kneipenviertel war das Quartier am alten Bochumer Bahnhof jedoch nicht. Es hatte eher – wie viele Bahnhofsviertel großer Städte – die Anmutung eines Rotlichtviertels.
Direkt lief der Neubochumer dann auf den 1910 eingeweihten Engelbertbrunnen zu. Er wurde in seiner ursprünglichen, eher schlichteren Form von dem ortsansässigen Künstler Markus Wollner entworfen und verweist auf das Jahr 1388, in dem es weder ein Bahnhofsviertel noch Eisenbahnen gab und Bochum noch nicht viel mehr als ein kleines Ackerbürgerstädtchen war. In diesem Jahr soll ein gewisser Graf Engelbert der III. von der Mark von Bochumer Junggesellen bei seiner Fehde mit der Freien Reichsstadt Dortmund unterstützt worden sein. Auch dies ist eher eine Legende, zumal die Geschichte erst vor gut hundert Jahren aufgeschrieben worden ist und den Bochumern seitdem als Grund für ein bis heute jährlich stattfindendes Stadtfest dient.
Graf Engelbert II. allerdings hat nachweislich zu Beginn des 13. Jahrhunderts Bochums Stadtrechte schriftlich niedergelegt. Was das Denkmal selbst betrifft, wurde es im Zweiten Weltkrieg als Kriegsmaterial eingeschmolzen und erst 1964 in der heutigen ‚modernen‘ Fassung zusammen mit dem erneuerten Brunnen der Öffentlichkeit zurückgegeben. Nachdem der Brunnen wegplaniert wurde steht Graf Engelbert heute nur wenige Meter vom alten Standort entfernt auf einem schlichten Sockel am Rande der Kerkwege.
Vom zentralen Ort zum blinden Fleck
Von dieser städtebaulich attraktiven Vorkriegsszenerie sind im Wesentlichen nur der Handelshof und das Lueg-Haus erhalten geblieben. Selbst wenn die vorab genannten Hotels die Bomben überstanden hätten, sie hätten letztlich an diesem Standort keine Zukunft gehabt. Die nun endlich realisierbare Bahnhofsverlegung schuf nämlich seit den 50er Jahren um den alten Standort ein städtebauliches Vakuum, eine Leerstelle am Rande der sich im Wiederaufbau befindlichen Innenstadt Bochums.
Aus einem der zentralen Orten der Stadt war spätestens mit dem Bau des neuen Bahnhofs im Jahre 1957 ein blinder Fleck geworden, für den sich – von den Verkehrsplanern abgesehen – niemand mehr so recht interessierte.
Diese sahen schon bald nach Kriegsende in der zu 70 % zerstörten Innenstadt nicht nur das vergangene und überstandene Elend, sondern eine Zukunft, die breitere Straßen und eine optimalere Verkehrsführung für das sich anbahnende Wachstum der Region und natürlich auch Bochums anvisierte. Ihre Stadt sollte bereit gemacht werden für das Auto-Zeitalter. Ein urbanes Kneipen- und Szeneviertel passte nicht in diese Vision. Die Planer nahmen der alten Bahnhofstraße die verkehrsmäßige Erschließungsfunktion zur Innenstadt und verlegten diese auf die nun vierspurig verbreiterte Viktoriastraße und den neuen Innenstadtring. Die alte Bahnhofstraße wurde so zum oberen Teil der Kortumstraße und nahm auch ihren Namen an.
Ihr zweites Teilstück Richtung Innenstadt, der Bogen zwischen Engelbert und Südring, wurde zur Brüderstraße. Die für ihre Nebenstraßenfunktion sichtbar überdimensionierte Breite erinnerte noch heute an ihre alte Hauptstraßenrolle. Sie machte zu Beginn des neuen Jahrtausends zugleich ihre Umgestaltung in der Form möglich, dass auch hier die für das Bermuda3eck typische Außengastronomie zugelassen werden konnte. Der alte Bahnhofsvorplatz und heutige Konrad-Adenauer-Platz vor dem Handelshof wurde zum Berliner Platz, war aber eigentlich überhaupt kein Platz mehr, sondern nur noch eine mit ein wenig Grün versehene großzügige Straßenabzweigung der Viktoriastraße in die obere Kortumstraße.
Im Ergebnis war das Viertel um den Engelbertbrunnen durch das neue innerstädtische Erschließungskonzept auf einmal von zwei Seiten durch vierspurige Verkehrstrassen von der restlichen Innenstadt abgeschnürt. Viktoriastraße und Südring bildeten dabei einen rechten Winkel zueinander und dadurch zusammen mit der nun in Obere Kortumstraße und Brüderstraße umbenannten ehemaligen Bahnhofstraße ein reales Straßendreieck, dessen Hypotenuse eine leicht gebogene Form hatte . In diesem Straßendreieck nahm nun jedoch der aus der Vorkriegszeit verbliebene oder wieder erstandene Einzelhandel kontinuierlich ab. Die Menschen, die aus dem Süden über die Viktoriastraße durch die ebenfalls ausgeweitete Eisenbahnunterführung gelangten, hielten nicht mehr vor dem Südring an und stiegen dort auch nicht mehr aus. Auch wer aus der Innenstadt kam, sah keine große Veranlassung mehr, den Südring Richtung Engelbert zu überschreiten.
Wer allerdings am neuen Berliner Platz ganz nach oben zur Dachkante des Handelshofes schaute, konnte mit etwas Phantasie schon 1951 in großen Leuchtbuchstaben sehen, wohin die Reise zukünftig gehen sollte. Seit diesem Jahr stand dort wie ein positives Menetekel in großen Leuchtbuchstaben: „Treffpunkt Bochum – Schaufenster des Reviers“. Die Stadt hatte mit neidischem Blick auf den ebenfalls direkt am Bahnhof gebauten Handelshof in Essen und den dort weit sichtbar angebrachten Spruch „Essen – Einkaufsstadt im Revier“ einen Bürger-Wettbewerb ausgeschrieben und dieser Slogan war dabei herausgekommen.
Dass dieser 1988, nachdem er sich im wahrsten Sinne des Wortes erfüllt hatte, statt „Schaufenster des Reviers“ das Wort „Bermuda3eck“ in sich aufnehmen würde, konnten aber weder die Bochumer Bürgerin die ihn getextet hatte noch die Preisverleiher ahnen. Erst recht nicht, dass niemand in Bochum etwas dagegen haben würde. Bei genauerem Hinsehen war aber auch nach dem Krieg im ehemaligen Bahnhofsviertel nicht alles Leben erstorben.
In der hektischen Gründerzeit während der Wirtschaftswunderjahre gab es sowohl im Einzelhandel als auch in der Gastronomie zahlreiche Wieder- und Neueröffnungen. Anfang der 60er Jahre hatten sich dort sogar schon wieder sogenannte Bars – im damaligen Beamtendeutsch „Unterhaltungsgaststätten mit verkürzter Polizeistunde“ – etabliert. Diese eher mit zweifelhaftem Ruf beleumundeten Lokalitäten trugen Namen wie Die Kulisse an der Brüderstrasse 8, die Stripteasebar Romantica an der Kortumstraße 19, das Tanzcasino an der Kreuzstraße und die damals wohl unvermeidliche Lidobar an der Viktoriastraße, die später zum legendären Sachs wurde.
Auch im näheren Umkreis hatten zwei Tanz- bzw. Nachtlokale eröffnet: Das heute noch existierende New Orleans am Südring und das wohl besonders feurige Nachtlokal Paprika am Ring an der Kreuzung Südring/Viktoriastraße. Es gab aber auch bürgerliche Gaststätten wie das Zum Ritter an der oberen Kortumstraße und den Handelshof im gleichnamigen Gebäude. Auch das heutige Tucholsky hatte zu dieser Zeit schon einen gastronomischen Vorläufer. Ebenso das heutige Café Konkret, das zu jener Zeit in seinen Räumen die Gastwirtschaft Zum Engelbert beherbergte. Die kleine schmale Kneipe namens IT-Stübchen (heute die Pinte) neben dem Kino mit dem heute zweifelhaft wirkenden Namen Intimes Theater (heute Casablanca) gehörte mehr zum Rotlichtmilieu der Stadt. Auch das Kino Union war schon in Betrieb.
Das Bochum der 50er Jahre war allerdings, was das Nachtleben betraf, so wie die meisten Ruhrgebietsstädte: eher provinziell. Anständige Menschen gingen – erst recht wenn man bedenkt, dass die Masse schwerindustrielle Arbeiter waren – damals nun einmal früh ins Bett. Erst 1959 gab es wieder zwei Bars in Bochum. Bis 1965 hatte sich die Zahl der „Tanz- und Vergnügungsstätten“ immerhin auf insgesamt 20 erhöht. Für eine normale Großstadt auch damals keine beeindruckende Zahl.
Vom proletarischen Moltkeviertel zur Bochumer Studentenbewegung
Nein, Bochum war zu dieser Zeit keine Kneipenstadt. Es fehlten die Bohémiens, die Müßiggänger und Studenten, die traditionell auch unter der Woche Cafébetreibern und Kneipenwirten ein gesichertes Auskommen bescheren. Blickt man allerdings weiter zurück, dann stellt man fest, dass es in Bochum schon einmal ein großes Gastronomieviertel gab: Das Moltkeplatz-Viertel.
Um die Jahrhundertwende war zwischen dem heutigen Bermuda3eck und dem noch heute existierendem Rotlichtviertel nahe dem Westring am damaligen Moltkeplatz und heutigen Springerplatz – wohl auf Grund der unmittelbaren Nähe zum Bochumer Verein und seinen Tausenden von Beschäftigten – in jedem zweiten Haus eine Gaststätte zu finden.
Das Abend- und Nachtleben auf und um diesen Platz, über das es leider so gut wie keine Dokumente gibt, war wahrscheinlich proletarisch gefärbt. Auf Grund der beengten Wohnverhältnisse und dem Kostgängerwesen der damaligen Zeit kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Kneipen am Moltkeplatz gerade für die jüngeren Arbeiter eine Art zweites Zuhause und der Alkoholkonsum enorm war. Aus Studien über Arbeiterkneipen zur Jahrhundertwende in Duisburg ist bekannt, dass Branntwein noch vor Bier das bevorzugte Getränk war und aus Fässern gezapft wurde. Große Gaststätten brachten es auf einen Durchsatz von mehreren 100 Litern am Tag.
Diese Trinkgewohnheiten und die oft elende soziale Situation blieben nicht folgenlos. Die damals in Bochum erscheinende Zeitung Märkischer Sprecher erwähnte im gesamten Bochumer Raum fast täglich Schlägereien und immer wieder Auseinandersetzungen mit dem Messer; ja sogar vereinzelt auch Pistolenschüsse aus dem Wirtshausmilieu. Die Gegend um den Moltkeplatz wird auf Grund seiner Kneipendichte auch hierbei führend gewesen sein. Durch den Untergang des klassischen Ruhrgebietsproletariats konnte in der Nachkriegszeit aber kein neues Moltke-Viertel entstehen. Diese Ära war ein für alle Mal vorbei.
Allerdings zeigte der proletarische Vorgänger des Bermuda3ecks schon damals, dass Industriestadt und Urbanität keineswegs im Widerspruch standen, dass letztere aber auch nicht ohne soziale Auseinandersetzungen und abweichendes Verhalten zu haben ist. Bis sich aber aus den Resten des alten Bahnhofsviertels das heutige Bermuda3eck etablieren konnte, mussten sich erst einmal neue Szenen und neue Milieus in Bochum und dem Ruhrgebiet bilden.
Die Region war noch reich in jenen Jahren – und ungebildet. Arbeitslosigkeit gab es, zumindest am Anfang, nicht. Die Städte waren damit beschäftigt, ansiedlungswillige Unternehmen abzuwimmeln, damit die jungen Leute auch weiterhin unter Tage oder im Stahlwerk arbeiteten. Das Land wurde, gut zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, immer noch aufgebaut und brauchte die Industrieproduktion des Ruhrgebietes dringender denn je. Die Zerstörungen des Krieges waren immer noch präsent –sowohl im Stadtbild Bochums als auch in den Köpfen und Herzen seiner Bewohner. Und es gab auch im Ruhrgebiet einen Generationenkonflikt, wie man ihn sich heute kaum noch vorstellen kann: Die Älteren waren noch geprägt durch die Nazizeit, oftmals autoritär, verbittert über die Niederlage, auf der Suche nach Bestätigung.
Der wirtschaftliche Wiederaufstieg Deutschlands sorgte für ein „Wir sind wieder wer“-Gefühl und wurde als Bestätigung der traditionellen Werte gesehen: Disziplin, Autoritätshörigkeit, Verzicht. Und dann war da die Nachkriegsgeneration. Sie waren nicht nur in einer Demokratie aufgewachsen, sondern auch mit der Kultur des Westens: Rock‘n‘Roll, Jazz und später Beat waren die Soundtracks ihrer Jugend – und für die Eltern schlicht „Negermusik“, Zeichen einer drohenden Überfremdung, gegen die es zu kämpfen galt. Und die Alten kämpften oft: Gegen die oben genannte Musik, gegen Entenschwanzfrisuren und lange Haare, Petticoats und Röhrenjeans, James Dean, Elvis Presley, Hollywood und Cinema Noir.
Das alte Deutschland war im Begriff unterzugehen – und es wehrte sich dagegen mit Prügelstrafe und z.B. Freddy Quinns Hit „Wir“ dessen Refrain an Eindeutigkeit nicht zu überbieten war: „Wer will nicht mit Gammlern verwechselt werden? WIR! Wer sorgt sich um den Frieden auf Erden? WIR! Ihr lungert herum in Parks und in Gassen, wer kann eure sinnlose Faulheit nicht fassen? WIR! WIR! WIR!“ Aber auch die Heimatfilme der 50er und 60er Jahre sprachen eine deutliche Sprache. Wer das restaurative System deutlich kritisierte musste sogar mit staatlicher Zensur rechnen.
Vieles, was heute kaum jemanden aufregen würde, sorgte damals also für Ärger. Jazzclubs wie der kommende Bochumer Club Liberitas zum Beispiel, Free Jazz, Ausstellungen mit moderner Kunst. All das war wirklich subversiv und es sollte subversiv sein und wurde so wahrgenommen. Im Ruhrgebiet war alles noch ein wenig härter als in Berlin, Frankfurt oder Hamburg. Ab 1965 kamen dann mit der Aufnahme des Lehrbetriebes an der Ruhr-Universität vermehrt Studenten auch nach Bochum, fanden dort allerdings kaum etwas vor, was man als studentisches Leben bezeichnen konnte.
Aber die jungen Leute alleine reichten nicht, um ein Kneipenviertel entstehen zu lassen. Ein solches Viertel brauchte auch die Anführer und Organisatoren, die sie zusammenführen und jene Orte schafften, nach denen das studentische Publikum verlangte. Die Stadt wurde zwar nicht zum Zentrum der Studentenrevolte, wie z.B. Berlin. Aber eine kleine, hoch aktive Kulturszene begann sich herauszubilden.
Das sorgte für Unverständnis bei den meisten Bürgern und auch bei den Politikern. Kultur war etwas Schönes, das auf einen Sockel gestellt und bewundert wurde – nichts, was man selbst mitgestaltet. Kultur kam von oben und nicht von unten. Das sollte sich in den kommenden Jahren ändern, aber die Anfänge dieser Entwicklung hatten mit Widerständen zu kämpfen, die man sich heute kaum mehr vorstellen kann. Und so sollte in Bochum ein kleiner Jazzclub – ebenso wie die langen Haare und die unkonventionellen Verhaltensweisen seiner Macher und Besucher – ein Politikum werden.
Ein gewisser Leonardo Bauer und ein gewisser Alexander Schüler
Während die Stadträte von Bochum sich noch Anfang der 70er Jahre nicht entschließen konnten, auch die obere Kortumstraße zur Fußgängerzone zu machen, um so das ehemalige Bahnhofsviertel wieder aufzuwerten, begann an der ersten Universität des Ruhrgebietes – nur gut acht Kilometer Luftlinie von diesem Quartier entfernt – Leonardo Bauer, Sohn einer italienischen Einwanderin und eines deutschen Bergmanns, sein Betriebswirtschaftsstudium.
Im ersten Moment scheinen diese beiden Vorgänge nichts miteinander zu tun zu haben; und für die jeweiligen Entscheider war das auch so. Bauer allerdings, dessen Vater bei einem Bergwerksunglück starb als er vier Jahre alt war, war früh daran gewöhnt, sein Leben und das von anderen in die eigenen Hände zu nehmen.
Der spätere Lebensweg des heutigen Großgastronomen deutete sich schon 1963 an, als er zusammen mit 40 Gleichgesinnten, die ihn kurz Leo nannten, am Nordring den Club Liberitas gründete – eine Art selbstverwaltetes Kulturzentrum. Sie organisierten nicht nur generell für die 60er Jahre sondern vor allem für die Bochumer Verhältnisse ein avanciertes Kulturprogramm – und sie versahen auch den Putz- und Thekendienst gemeinsam.
Leo Bauer sympathisierte, wie die meisten Studenten dieser Zeit, mit einer neuen Jugendbewegung, die später als „die 68er“ in die Annalen eingehen sollte. Er gehörte nicht zu den politischen Anführern der Szene, prägte sie in Bochum jedoch in kultureller Hinsicht und gehörte zu den ersten Kriegsdienstverweigerern der Stadt. Er verstand die kulturellen Bedürfnisse seiner Altersgenossen umso mehr, als es auch seine eigenen waren – und er befriedigte sie. Für die Studenten in Bochum und für viele Jugendliche, die mit der traditionellen Ruhrgebietskultur so wenig anfangen konnten wie mit der Biederkeit der Nachkriegsjahre, war der Club Liberitas eine Offenbarung. Für die Stadtverwaltung Bochums und einen großen Teil seiner Bürger jedoch schlicht ein Ärgernis: ein kleiner, verqualmter Raum, in dem Langhaarige fürchterliche Musik hörten und an dessen Wänden Bilder zu sehen waren, die sich kein anständiger Mensch jemals in die Wohnung hängen würde. Wer in den Club Liberitas ging, konnte nicht normal sein und legte zumeist genau darauf auch keinen allzu großen Wert.
Der Club Liberitas wurde zum ersten Treffpunkt von etwas, das man später „Szene“ nennen sollte. Zu ihren ‚Prominenten‘ gehörten in den 70er Jahren dann auch einige Schüler der bekannten Bochumer Schauspielschule: Claude Oliver Rudolph, später international bekannter Darsteller verschiedener Filmbösewichte und auch Uwe Fellensiek, heute gern gesehener TV-Kommissar, sowie Ralph Richter und Martin Semmelrogge. Uwe Fellensiek führte zusammen mit Günter Kamienski Anfang der 70er das aus dem Club Liberitas hervorgegangene Spektrum weiter. Seitdem trägt er auch den Spitznamen „Spe(c)kmann“ der sich bei seinen Bekannten so sehr durchsetzte, dass sein eigentlicher Name fast in Vergessenheit geriet. Günter Kamienski, bühnenbildnerisch versiert, war als Assistent im Team des Theaterintendanten Claus Peymann nach Bochum gekommen und blieb dieser Stadt im Gegensatz zum großen Regisseur und den meisten Schülern der Schauspielschule bis heute treu.
Diese Szene traf sich später in Leo Bauers Club am Hellweg, zog weiter ins Sachs und danach machte sie den Intershop zu ihrem bevorzugten Domizil. Die nichtstudentische Jugend sammelt sich damals im Drugstore. Das Bermuda3eck gab es zu dem Zeitpunkt noch nicht, noch nicht einmal die Idee, dass so etwas je entstehen könnte, aber immerhin tummelten sich Ende der 60er Jahre die ersten Protagonisten in der noch kleinen Szene Bochums.
Zu dieser Zeit verkehrt auch ein gewisser Elektrikerlehrling Alex Schüler, Sohn eines Friseurmeisters aus Bochum-Langendreer und einer im Schwarzwald beheimateten Fremdsprachenkorrespondentin, in den wenigen Szenetreffpunkten. Bevor er die Lehre begann, musste er erst einmal seinen Hauptschulabschluss nachholen, denn er war vorzeitig von der Schule verwiesen worden. Auch er holte später – wie Leo Bauer – sein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nach und begann danach sein Elektroingenieur-Studium an der Ruhr-Universität. Ansonsten jedoch ist er nicht nur eine Kneipengeneration – also gut zehn Jahre – jünger, sondern auch von seiner Persönlichkeit her anders gestrickt: Weniger in sich verschlossen, risikofreudiger und häufig und gerne auf Reisen.
Aber auch er hatte keine herkömmliche Vorstellung von Kneipe und Disco, auch ihm fehlten kulturelle und soziale Räume in Bochum, in denen er sich selbst wohl fühlen würde und auch er wird zusammen mit seinen beiden späteren Partnern Hans-Joachim Hauschulz und Frank Nokielski die Entwicklung des ehemaligen Bahnhofsviertels zum Bermuda3eck – wenn auch erst viele Jahre später – tiefgreifend prägen. Das Interesse der heutigen Logos-Gruppe, deren Teilhaber er immer noch ist, setze allerdings, was die Außengastronomie betraf, erst 1997 mit der Eröffnung des ThreeSixty ein. Vorher eröffneten er und seine Freunde bevorzugt Lokale und Clubs außerhalb des Bermuda3ecks und investierten sogar in Berlin und Sachsen. (> Die Entstehung des „Logos-Imperiums“)
Sein unternehmerischer Weg startete jedoch in Bochum-Langendreer. Mit dem Geld, das er sich durch mehrmonatige Montagearbeiten im Irak verdient hatte, übernahm er dort 1979 eine ehemalige Rockerkneipe und verwandelte sie mit eigenen Händen in die erste Szenediskothek Bochums, das Appel. (> Vom Appel zum Sachs und zum Logo)
Dafür holte er sich unter anderem auch Rat bei Leo Bauer, der zu diesem Zeitpunkt schon Mehrfachgastronom war und schon 1969 seine erste Kneipe im späteren Bermuda3eck eröffnet hatte. (> Vom Club Liberitas zum Mandragora)
Der Club Liberitas
Mitte der 60er Jahre war der Club Liberitas noch nicht viel mehr als ein Treff in einem leer stehenden ehemaligen Friseurladen am Nordring, in dem laute Jazz- und Rockmusik gespielt wurde – und das zum Teil live. Auf eine Genehmigung der Stadt Bochum legten die Clubmitglieder anfangs keinen Wert.
Zu diesem Zeitpunkt war Leo Bauer, wie die meisten seiner Freunde, noch minderjährig und man brauchte einen Erwachsenen (der musste damals mindestens 21 sein), der den Mietvertrag unterschrieb. Das war ein gewisser Ulli Heerde.
Schnell jedoch sprach sich herum, dass es hier keine Sperrstunde gab und noch bis in die tiefe Nacht was zu trinken. Bald gab es auch eine richtige Theke, jedoch ohne Konzession. Es entstanden die ersten Diskussionszirkel und die ersten „Veranstaltungen“ kamen zustande. Später tauchte dann auch jemand auf, der schon mal einen Jazzclub betrieben hatte: Egon Mai – Wirt und Organisator des ehemaligen Podiums in Essen. Er war ein Musikfreak und genau daran war sein Podium gescheitert.
Im Club traf er mit Leo Bauer jemanden, der ebenfalls die gleiche Musik liebte, jedoch als mittlerweile frisch gebackener Betriebswirt mit Verträgen und mit Geld umzugehen wusste. Die Folge: Immer mehr Jugendliche aus der Uni-Szene besuchten die nun immer häufiger überfüllten Räumlichkeiten. Mittlerweile hing auch ein Schild im Schaufenster, auf dem „Club Liberitas“ stand. Die Sache brauchte jedoch mehr als einen Namen: sie brauchte mehr Organisation und die Theke brauchte eine Konzession.
1969 entstand dann der Club Liberitas offiziell und damit auch Leo Bauers erste GmbH: „Club Liberitas, Gesellschaft zur Förderung kultureller Veranstaltungen mit beschränkter Haftung“. Mitteilhaber war besagter Ulli Heerde. Leo Bauer, mittlerweile 24 Jahre alt, wurde jedoch auf Grund seines Organisationstalentes, seiner Führungs- und seiner Verhandlungsqualitäten schnell zum primus inter pares. Dass er später einmal zum „Vater des Bermuda3ecks“ avancieren würde, ahnte er damals natürlich noch nicht.
„Es ging für mich wie für alle anderen vor allem darum, Spaß zu haben. Wir wollten einen Laden, in dem wir uns wohl fühlten, wollten unsere Musik am liebsten live hören und die Bilder ausstellen, die uns gefielen und die wir sonst nirgends zu sehen bekamen“, sagt der heute fast 70-Jährige.
Zu Anfang waren es lokale Musikgruppen, die in dem gerade mal 130 Quadratmeter großen Laden auftraten. Mit der größer werdenden Zahl der Studenten in Bochum überflügelte der Club bald den traditionellen Bochumer Jazzclub Backofen an der Uni, der ebenfalls in den frühen 60er Jahren entstanden war, und stieg schnell zur ersten Adresse für nationale und internationale Jazz-, Folk- und Bluesgrößen wie Albert Mangelsdorff, Champion Jack Dupree, Schnuckenack Reinhardt, Dietrich Kittner, Kraftwerk, Renaissance, Dave Pike Set und Peter Brötzmann auf.
Aber auch Autorenlesungen mit Schriftstellern wie Frank Göhre und Volker Degner gehörten zum festen Programm. Für Bauer und seine Freunde war die Auswahl einfach: „Wir haben gebucht, was uns gefiel.“ Und die Künstler kamen, denn die Zahl der Orte, an denen sie damals in Deutschland auftreten konnten, war klein. Also wurde der Club auch schnell zu einer festen Größe im aufkeimenden bundesdeutschen Underground der 60er Jahre. Bochum hörte auf Provinz zu sein – zumindest auf 130 Quadratmetern Räumlichkeiten am Nordring.
Auch politisch waren die Clubmitglieder aktiv. Wöchentlich wurden Kriegsdienstverweigerer beraten; in den 60ern ein subversives Unterfangen. Wer nicht zur Bundeswehr ging, darin war sich die Öffentlichkeit einig, war entweder schwul oder Kommunist – wahrscheinlich jedoch beides gleichzeitig. Leo Bauer persönlich hatte sich für die Unterstützung der Verweigerer eingesetzt, war er doch selbst einer von ihnen gewesen. Der Club Liberitas gehörte mittlerweile auch zu dem Kreis der locker miteinander im Austausch befindlichen republikanischen Clubs. Diese wurden zu wichtigen Foren der sich bildenden Gegenöffentlichkeit, der aufkeimenden Studentenbewegung.
Die für den Club Liberitas wichtigen Konzerte wurden mit der Zeit immer größer und mussten bald in Veranstaltungshallen durchgeführt werden. Kritik von und Konflikte mit der etablierten Gesellschaft der Stadt waren ab da unvermeidlich. Bei einem Free Jazz Konzert, das im Club selbst stattfand, führte das Ordnungsamt auf Grund von Beschwerden der Nachbarn zum ersten Mal Schallmessungen durch und prompt musste der Club schon um 22 Uhr schließen.
Als politisch-künstlerische Reaktion darauf sollte ein großes Arschdruckhappening in der oberen Etage des Clubs stattfinden. Nach dessen Ankündigung in der Zeitung drohte der Vermieter mit der fristlosen Kündigung und die Aktion wurde kurzfristig in die Aula der Berufsschule verlegt. Also dahin, wo früher die Bochumer Kammerspiele beheimatet waren und später die Komödie residierte. Mehrere hundert Zuschauer kamen, die sich spontan von Kunstkonsumenten in Künstler verwandelten, indem sie sich reihenweise mit nacktem und mit Farben bestrichenem Po auf Tapetenpapier setzten.
Dieser Publikumserfolg sorgte dafür, dass einerseits der Club außerhalb seiner eigenen vier Wände kaum noch größere Säle anmieten konnte und machte andererseits im Nachhinein die nationale Presse in Form der Sterns aufmerksam. Die Journalisten ließen in Ermangelung von Originalfotos die Aktion in den Räumen des Clubs ohne Zuschauer nachstellen, um dann im dazugehörigen Artikel in fetten Lettern öffentlich zu fragen: „Ist das noch Kunst?“
Vom Club Liberitas zum Mandragora
Das riesige Arschdruck-Happening hatte ein weiterer wichtiger Mitstreiter Leo Bauers organisiert, ein gewisser Eckehard Pietschner, kurz Epi genannt, der übrigens ganz rechts auf dem Sternfoto auch zu sehen ist. Er war im damaligen Team um Leo Bauer so etwas wie der Vertreter der bildenden Kunst, obwohl er nie selbst als Künstler ausgebildet worden war. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, sich als solcher berufen zu fühlen, und das in den verschiedensten Sparten. Hatte Joseph Beuys, der Düsseldorfer Kunstprofessor, nicht den Bruch mit der bürgerlichen Kunst proklamiert und erklärt, jeder sei ein Künstler?
Epi fiel jedoch weniger durch seine eigenen Werke, als durch eine ganz neue Art der Verbindung von Kunst und Galerie auf, denn er gründet die wohl erste Mietgalerie Deutschlands und das nicht weit vom Club am Nordring in ebenfalls leer stehenden Räumlichkeiten. An Künstler, die – wie er selbst – wohl nie eine Chance zur Ausstellung ihrer Werke hatten, vermietete er Wandflächen oder – je nach Größe des Artefakts – ganze Teile der Wand. Allerdings hatte er keine Ahnung, wie man von diesen Kunstprojekten leben sollte.
Als Leo Bauer auf Epis neue Galerie aufmerksam wurde, bot er ihm den Club selbst als Ausstellungsraum an und organisierte sogar zusätzliche Flächen, indem er den Club vergrößerte. Die ersten Ausstellungen waren schon deswegen ein Erfolg, weil ja die Kunst – und das war neu – nicht mehr im Museum oder in einer gewerblichen Galerie stattfand, sondern in einer Kneipe. Sie kam also zum Konsumenten und nicht umgekehrt dieser zu ihr. Später allerdings wurde auch der herrschende Kunstbetrieb der Stadt auf diese neue Art der Galerie aufmerksam. So musste sie dann auch einen Namen haben und sie bekam einen, der auch inhaltlich zu ihr passte: Spektrum.
Auch der Veranstaltungsbereich wuchs erneut. Leo Bauer und Epi trauten sich zusammen an immer größere Events. Das erste Konzert in der Ruhrlandhalle fand mit dem damals äußerst populären Politbarden Franz Josef Degenhardt statt. Später folgten unter anderem Konzerte mit der Deutschrocklegende Udo Lindenberg, mit Otto und Hannes Wader. „Damals“, erinnert sich Bauer, „war die ganze Musikerszene noch nicht so abgehoben. Wir machten die Verträge zum Teil mit den Musikern selbst, und nach dem Konzert ging man zusammen in die Kneipe. Einen Starkult wie heute gab es nicht. Mir gefiel der enge persönliche Kontakt zu den Bands. Als das Ende der 70er Jahre aufhörte und einen Auftritt zu organisieren genau so ein Geschäft wurde, wie der Handel mit Gebrauchtwagen, hörte ich damit auf.“
1972 war auch Bauers Zeit im Club Liberitas zu Ende. Zwei Jahre vorher übernahm er gemeinsam mit Epi das Intime Stübchen, das seitdem und bis heute Pinte heißt und die erste studentisch geprägte Kneipe in der Innenstadt war. Das war auch der Beginn von Bauers Karriere als Gastronom. „Vorher war alles mehr oder weniger ein Hobby. Der Spaß war wichtiger als der kommerzielle Erfolg. Die Pinte sollte zwar Spaß machen, aber auch Geld einbringen“, so Bauer.
Die zuvor etwas puffig anmutende Bar wurde an nur einem Tag umgebaut: Der Plüsch flog raus und die Wände wurden mit braunen Abfallsäcken tapeziert. Im selben Jahr eröffnete Bauer gemeinsam mit Epi im Erdgeschoß des Handelshofes den Treffpunkt, der 1977 in Mandragora umbenannt wurde.
Dass damit die Keimzelle des Bermuda3ecks entstanden war, konnte damals allerdings noch niemand ahnen, denn hier wurde die das B3E später prägende Außengastronomie erfunden. Ebenso wenig konnte sich jemand zu diesem Zeitpunkt vorstellen, dass Herbert Grönemeyer, der dort immer wieder mal auftrat, zum internationalen Film- und Gesangsstar werden würde. Er hatte seit seinem 15. Lebensjahr im nahegelegenen Schauspielhaus gejobbt und später als Dauerstudent für Musik und Jura an der Ruhr-Universität das damals noch überschaubare Bochumer Nachtleben erkundet. Auch seine Gagen waren, wie man am folgenden Dokument noch gut erkennen kann, im Verhältnis zu seinen heutigen, von geradezu lächerlicher Dimension.
Genauso wenig war zu diesem Zeitpunkt vorstellbar, das gut 20 Jahre später eine andere Karriere im ‚Mandra‘ – eine Kurzform für das Mandragora, die sich sehr bald im Szenesprech durchsetze – startete. 1996 trat der frühere Teenagerschwarm Sasha dort auf, nachdem er im Biercafé reüssiert hatte. Er war zu diesem Zeitpunkt allerdings noch Sänger des Duos ‚Hin und Hair Schmitz‘. Aber auch ganz andere Künstlergrößen waren dort schon zu Gast, als das ‚Mandra‘ noch Treffpunkt hieß: laut einer der damaligen Kellnerinnen fand dort zur Zeit des Theaterintendanten Zadek auch eine Premierefeier mit Rainer Werner Fassbinders Schauspielertruppe, die zu dieser Zeit im Gelsenkirchener Maritim Hotel ihr Domizil aufgeschlagen hatte, statt. Einschließlich der Anwesenheit des Meisters selbst, der mittlerweile und posthum zu einem der wichtigsten deutschen Filmregisseure überhaupt gezählt wird.
Aber das Mandragora schrieb auch noch anders Geschichte, denn dort führte Leo Bauer eine deutschlandweite Neuerung auf den Speisekarten ein: Crêpes. Sie traten ihren Siegeszug durch die Republik von Bochum aus an und Leo Bauer versorgte als Importeur für Crêpe-Equipment die anderen Gastronomen im ganzen Land mit der notwendigen Ausstattung.
Vom Appel zum Sachs und zum Logo
Als Leo Bauer schon längst die erste Außengastronomie im zukünftigen Bermuda3eck eröffnet hatte, übernahm Alex Schüler – wie schon in einem der vorherigen Kapitel beschrieben – 1979 das Appel in Langendreer, benannt nach dem vorherigen Besitzer der Rockerkneipe. Diese Diskothek wurde schnell zu einem Treffpunkt der örtlichen Jugend und auch der neuen Studentenszene, wobei es immer wieder mal zu Reibereien und Missverständnissen kam.
Aber auch die lokale Musikszene trat hier nicht nur auf, sondern ging hier ein und aus. Herbert Grönemeyers Musik galt hier jedoch damals schon als „zu kommerziell“. Im Appel fand auch unter Zusammenarbeit mit Peter Helling, dem damaligen Chefredakteur des Guckloch, (> DIE ACHTZIGER JAHRE UND DIE ENTSTEHUNG DER SZENEMAGAZINE) die erste Szenemagazin-Party statt, bei der die internationalen Spitzenmusiker von ‚Me and the Heat‘ auf die heimische ‚Piet Kröte Peep Show‘ trafen. Zugleich funktionierte sie nach wie vor als Rockerlokal, wobei genau darüber das Ordnungsamt den neuen Laden zu Fall bringen wollte. Die vielen Motorräder durften auf einmal nicht mehr vor der Tür parken und der, der das angeordnet hatte, war sich sicher, dass der neue Wirt das nicht durchzusetzen in der Lage wäre.
Schüler aber war, da er auch körperlich als ausgesprochen durchsetzungsstark galt, im Appel Geschäftsführer, Kellner und Rausschmeißer in einer Person und genoss so den Respekt der Motorradtruppe. Er fand ganz schnell und ganz in der Nähe eine Brachfläche, mietete sie an und erteilte denjenigen Bikern Hausverbot, die ihre Motorräder dort nicht parkten. Diesen schien der kurze Fußweg jedoch noch immer zumutbarer, als gar nicht mehr in das Appel hinein zu kommen.
Alex Schüler allerdings hatte größere Träume, als sich mit solchen Problemen herumzuschlagen. Er nutze auch jetzt die wenige freie Zeit die ihm blieb, in die Metropolen dieser Welt zu fahren und sich dortige Szenetreffpunkte anzuschauen.
Und er merkte, dass er, wenn das Appel weiterhin erfolgreich laufen würde, bald genug Reserven hätte, noch etwas anderes auf die Beine zu stellen. Auch der Ort, an dem das geschehen sollte, war ihm als Bochumer Szenegänger mehr als klar: Das ehemalige Bahnhofsviertel. Denn bei aller kosmopolitischen Orientierung war dem Elektroingenieurstudenten sehr wohl klar, dass er außerhalb von Bochum, ohne seine eigene Szeneeinbindung, dazu keine reelle Chance bekommen würde.
Abgesehen davon wollte Alex Schüler zu diesem Zeitpunkt genauso wenig aus Bochum, geschweige denn aus dem Ruhrgebiet weg, wie Leo Bauer. Schüler war bodenständig und er war gerne Handwerker. Nicht nur, weil er zu wenig Geld hatte, bei der Einrichtung des Appel Innenarchitekten und Schreiner zu beauftragen, sondern weil der kreative Akt und die handwerkliche Umsetzung beim Einrichten eines ‚Ladens‘ ihm allergrößte Freude bereitete.
Als 1982 der Pachtvertrag für das Appel auslief und sein damaliger Geschäftspartner ihn mehr oder weniger aus dessen Verlängerung, natürlich zu einer wesentlich höheren Miete, herausdrückte, war seine große Chance gekommen. Die Lidobar an der Viktoriastraße stand zur Neuverpachtung an. Die dort verkehrende Schwulenszene brachte nicht mehr den Umsatz und zu neuen Investitionen war weder eine Brauerei noch der alte Wirt bereit. Alex Schüler war es jedoch und er hatte eine für die damalige Zeit äußerst vorausschauende Idee: Sein neuer Laden sollte im New Wave Design entstehen und die Coolness ausstrahlen, die damals schon in den hippen Bars in London und New York dominierte: Ganz weiß, ganz geometrisch, ganz schlicht. Und das hatte sich bisher noch niemand in der ganzen deutschen Gastronomieszene getraut: Er baute hinter der üblichen Panoramascheibe, mitten in den offen Blick zur Straße, eine weiß gestrichene Steinwand. Das Fenster war sozusagen von innen wieder zugemauert worden. Das legendäre Sachs war geboren.
Während die Kneipen des alten Hasen Leo Bauer zu diesem Zeitpunkt schon wie geschmiert liefen, war das Sachs die erste Zeit ein reines Minusgeschäft. Da nützte selbst die Erwähnung dieser seltsamen weißen Mauer in einer ästhetischen Avantgardezeitschrift nichts und auch nicht der Kultstatus, den das Sachs sich schnell innerhalb der überschaubaren New Wave Szene des Ruhrgebiets erarbeitete. Alex Schüler heute: „Das Sachs war für die Szene auf den ersten Blick einfach zu neu, zu kalt und zu punkig, dann jedoch lief es prächtig“.
1984 lernte Alex Schüler in der drei Jahre vorher eröffneten und heute immer noch existierenden Bochumer Zeche – dem ersten altindustriellen Gebäudekomplex, der im Ruhrgebiet zu einer Diskothek mit soziokulturellen Ambitionen umgenutzt wurde – einen anderen Noch-Studenten kennen. Dieser hatte, wie er selbst, auch schon erfolgreich einen Club etabliert. Bei seinem Verkauf war er jedoch so übervorteilt worden, dass ihm von seinem bis heute legendären Club für die Essener Punk- und New Wave Szene nur noch eine Garage voll mehr oder weniger gut erhaltenem Mobiliar übrig geblieben war. Sein Name: Hans-Joachim Hauschulz. Der Name des 1983 geschlossenen Essener Clubs: Logo.
Alexander Schüler und Hans Joachim Hauschulz verstanden sich, so unterschiedlich ihre Charaktere waren, ästhetisch und musikalisch auf Anhieb und bildeten für lange Zeit den kreativen Kern der wenige Jahre später gegründeten Logos-Gruppe. (> Die Entstehung des „Logos-Imperiums“)
Als erstes gemeinsames Projekt machten sie 1985, in diesem Jahr wurde das frühere Appel zum Zwischenfall, den ersten Szeneclub in der Innenstadt Bochums auf: Das neue Logo – gelegen in der Passage gegenüber der der Hans-Böckler-Straße zugewandten Seite des Rathauses – war nur fünf Fußwegminuten vom Bermuda3eck und speziell vom Sachs entfernt.
Im ihm gab man – im Gegensatz zu den sonstigen Ruhrgebietsclubs zu dieser Zeit – das Musikprogramm vor, um den Club zu definieren und so das gewünschte Publikum anzulocken. Im Falle des Bochumer Logo sollte das so gut funktionieren, dass der Laden nicht nur ausgezeichnet lief, sondern auch eine weit überregionale Bedeutung erlangte, indem er etwa mehrfach in Musikmagazinen, wie dem Kölner Spex, zum besten Club im Westen gewählt wurde. 1990 zeichnete die Zeitschrift Network Press das Logo, noch vor national renomierten Discotheken wie Omen/Frankfurt, Ufo/Berlin und Dorian Grey/Frankfurt als „bester Club Deutschlands“ aus und kürte den Resident DJ Ralf Odermann zum „besten DJ im Westen“.
Zu einer Zeit, als der Titel „Szene-Club“ noch einen besonderen Stellenwert hatte und nicht inflationär für einen x-beliebigen Tanzschuppen gebraucht wurde, pilgerte die tatsächliche Szene aus dem ganzen Lande ins Ruhrgebiet und feierte Woche für Woche immer samstags in dem mit kühlen Eisen- und Stahlmöbeln ausgestatten Kellerclub. Der typische Logo-Sound von Independent über Punk Rock, Wave und Hip Hop sorgte neben dem Einrichtungsstil und dem gemischt-exotischen Publikum für den echten Kult. Was hier passierte war musik- und ausgehtechnisch wegweisend.
Fast immer gingen die Nächte im Logo an den Wochenenden weit über die damalige Sperrstunde hinaus. Ab 6 Uhr morgens trafen nach durchfeierter Nacht die Logo-Gäste im Café Sachs ein und mischten sich hier mit Gästen aus dem Tarmcenter, Taxifahrern, sonstigen Nachtgestalten und Frühaufstehern. Eine ganz andere Art der „After Hour Party“ war so entstanden. Dabei traf die Bochumer Szene – und wer sich dazu zählen wollte – auf Nachtgestalten aus Düsseldorf und Köln, was dazu führte, dass die Stadtmagazine, aber auch Stern, Tempo und Wiener Bochum zur „Szenehauptstadt Nr. 1“ kürten.
Der Autor Peter Erik Hillenbach bezeichnete das Sachs damals als die „Mutter aller Szenenkneipen“ und schrieb: „Sachs. Eine Institution. Das Wohnzimmer der Szene seit Anfang der 80er. Am Pfeiler hing die Werksuhr mit dem runenhaften Sachs-Emblem, und zuverlässig wie Sachs-Motoren vertickten wir die Zeit und führten Regie über den Streifen, den wir da mitmachten. Die Alltagsnächte waren bierlachig schäferhundig vollmondig, und an den Sunday Mornings, wenn das Wochenende zur Halbzeit pfiff, kollidierten hier die Welten: Luden mit Hunden + Miezen + 500ern schäumten Mumm aus Eimern, Fraggles mit bunttoupierten Haaren verbargen ihre Spiralpupillen hinter Spiegelsonnenbrillen, und diese eine Tussi mit zuviel Chemie im Kopf knöpfte ihre Bluse auf, zeigte jedem ihre Titten und lachte und lachte…“
Ein gewisser Armin Reisewitz
Schon in Leo Bauers Club Liberitas am Nordring saß – damals gerade einmal 16 Jahre alt – ein gewisser Armin Reisewitz herum. Nicht zuletzt auch, weil seine damalige Freundin dort ab und zu Bier zapfte. Einige Jahre später, nach Ableistung des Wehrdienstes, stand er dann selbst zwecks Finanzierung des Studiums hinter dem Tresen im Club am Hellweg.
Er fiel Leo Bauer bald auf, weil er eigene Ideen für Partys und Events entwickelte, die so gar nicht ins bisherige Konzept von Leo Bauer passten. Reisewitz wollte alternativ angehauchte Karnevalspartys veranstalten und schreckte auch vor der Beschallung des Lokals mit deutschem Schlager nicht zurück. Eine nicht nur für Bauer, sondern auch für andere Bochumer Szenegänger eher befremdliche Idee. Doch der überragende Publikumserfolg und die unbedingte Loyalität und Zuverlässigkeit dieses ‚Zapfers‘ überzeugten schließlich auch den Chef.
Nach fünf Jahren Kellnerarbeit, bis in die Zeiten des neuen Mandragora hinein, schlug für Reisewitz dann die Stunde der Entscheidung: Er wollte selbst Gastronom werden und fand auch zwei weitere, langjährige Mitarbeiter im Mandragora, die mitmachen wollten: Rolf Lechterbeck und Günter Grummel. Die drei übernahmen 1980 das Brinkhoffs an der Brüderstraße vom Architekten und Gründer des „gesunden Stadthauses“ Knipping. Der nämlich wollte sich, dem damaligen Zeitgeist entsprechend, mit anderen jungen Kollegen ganz auf die ökologische Architektur konzentrieren. Armin Reisewitz und seine beiden Kumpels kamen ihm also gerade recht, um den ungeliebten Job als Teilzeitgastronom wieder loszuwerden.
Sie hatten mit dem Lokal Erfolg: Das Brinkhoffs florierte unter den geübten Händen seiner neuen Wirte und bald übernahm das Team die erste seinerzeit ganz neu erbaute Kneipe im Bermuda3eck. Der Bauherr, der direkt neben dem angestammten Drugstore investierte, hatte die Zeichen der Zeit erkannt und im Untergeschoss entsprechende gastronomische Räumlichkeiten schaffen lassen. Das Milieu wurde 1983 eröffnet und existierte bis 1992. Danach übernahmen es die ‚Logos‘, bauten es um und nannten es Subway.
Auch Armin Reisewitz expandierte weiter, und das nicht nur wirtschaftlich, sondern – ähnlich wie Leo Bauer – auch räumlich: Erst in die Brückstraße, wo er 1983 das La Carve eröffnete und dann im Theaterviertel. Für letzteres hatte sich bislang niemand aus den neuen Bermuda-Clans interessiert, obwohl es nur einen Katzensprung entfernt lag und um den großen Vorplatz traditionell einige Gaststätten angesiedelt waren. Unter anderem die Theaterkneipe, die das Reisewitz-Team 1985 in ein Bistro verwandelte und nun Theatercafé nannte.
1988 ging es dann wieder zurück ins Bermuda3eck, wo Armin Reisewitz zuerst die ehemaligen Ritterstuben an der oberen Kortumstraße, in denen in den 50er Jahren noch seine Eltern regelmäßig verkehrten, übernahm. Er baute die Ritterstuben um und taufte sie Patu. Nach einem missglückten Ausflug in die amerikanische Kettengastronomie durch die Vermietung an Hooters heißen die Räumlichkeiten nach weiteren Umbauten heute Lennox Lounge. 1994 wurde das Palm-Beach, das früher als Lange Theke bekannt war, unter Armin Reisewitzens Ägide bis 2004 zum Tux und heißt heute, nachdem es von Leo Bauer übernommen wurde, Freibeuter.
Auch diese Räumlichkeiten existierten schon in den 50er Jahren als Gaststätten. Ähnlich wie bei den von Leo Bauers und Alex Schülers Leuten übernommenen Kneipen, verstanden deren Vorgänger einfach nicht die Zeichen der Zeit, noch hatten sie persönlich mit den Milieus zu tun die nun – sowohl als Kunden als auch als Anbieter – das ehemalige Bahnhofsviertel bestimmten. Entscheidend war jedoch, dass um und durch Armin Reisewitz – der mittlerweile auch sein Lehramtsstudium in den Fächern Biologie, Sport und Erziehungswissenschaften erfolgreich abgeschlossen hatte – in den 80er Jahren eine dritte Gruppe von Erneuerern ins Dreieck eingetreten war. Sie war obendrein mit einem eigenen und unabhängigen ökonomischen Gewicht ausgestattet, das bis heute existiert.
Armin Reisewitz war auch beim späteren Initiativkreis Bermuda3eck und der darauf folgenden Immobilien- und Standortgemeinschaft Bermuda3eck (> Vom Initiativkreis Bermuda3eck zur Immobilien- und Standortgemeinschaft) noch dabei, hatte aber mit seinen Partnern nie einen so großen Einfluss auf die Entwicklung des Viertels wie Leo Bauer und die Logos-Gruppe.
Die achtziger Jahre und die Entstehung der Szenemagazine
Betrachtet man die bislang beschriebene Entwicklung aus einer räumlichen Warte, so wurde der ökonomische Grundstein des späteren Bermuda3ecks außerhalb des ehemaligen Bahnhofsviertels gelegt. Das Gebiet wurde räumlich gesehen quasi erst umzingelt und dann von außen Stück für Stück erobert.
Das durch die Bahnhofsverlegung entstandene städtebauliche Vakuum um den ehemaligen Bahnhofsvorplatz entlang der oberen Kortumstraße und die damit verbundene wirtschaftliche Schwächung dieses Quartiers musste sich erst so weit steigern, dass sinkende Mieten, begründet durch Unternutzungen und Leerstände, eine Vereinnahmung durch neue Nutzer mit geringen finanziellen Mitteln möglich machten.
Die Promotoren dieser Entwicklung kamen, von ihrer Profession her gesehen, ebenso von Außen. Sie waren weder speziell für die Gastronomie ausgebildet, noch von ihrer Herkunft dafür prädestiniert. Es waren vielmehr im wahrsten Sinne Pioniere ihrer Zeit, die nichts anderes hatten als Ideen und den unbändigen Willen, diese umzusetzen. Vor allem aber wussten sie um die Potentiale des Viertels und nutzten seine ökonomische Schwäche bzw. seine gerade im Verhältnis zu ihrer Innenstadtlage niedrigen Mieten zu ihrem Vorteil.
Leo Bauer hatte den Anfang gemacht. Armin Reisewitz, Alex Schüler und Hans-Joachim Hauschulz waren gefolgt. Sie und alle ihre späteren Mitstreiter und Mitbewerber waren die personifizierten Ausdrücke einer Aufbruchsstimmung, die nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Generation und damit viele andere Menschen in Bochum – und nicht nur dort – prägte. Personen, mit denen die herkömmlichen Gastronomen und Brauereien und die städtische Bürokratie erst einmal gar nicht umzugehen wussten. Sie irritierten mit ihrem Lebensstil und ihrem Auftreten ihre Vermieter, ihre – sofern es sie überhaupt gab – Geldgeber, ihre Nachbarn und vor allem das städtische Ordnungswesen.
Im Übergang zu den 80er Jahren war, was die Szene betraf, Bochum aber mittlerweile eine andere Stadt geworden. Man sah die Menschen die unterschiedlichsten Schwarz-Töne tragen: Leder-Schwarz, Lack-Schwarz, Jeans-Schwarz, Seiden-Schwarz oder Gummi-Schwarz – ja, einige ganz Wagemutige trugen auch Baumwoll-Schwarz. Das war natürlich nur die halbe Wahrheit, denn auch viele andere Jugendkulturen tummelten sich auf den Straßen: Punks, Mods, Teds, Psychobillies und auch ein paar vereinzelte Hippies waren noch anzutreffen.
Sie alle hatten Bochum endgültig zur Nachtleben-Metropole des Ruhrgebiets gemacht, denn neben dem Bermuda3eck und dem Logo hatten auch die schon erwähnte Zeche, der Rockpalast (heute Matrix) und der Zwischenfall weit über die Stadtgrenzen hinaus Bedeutung erlangt. Dabei muss die Zeche besonders hervorgehoben werden. Sie liegt zwar am weitesten vom Bermuda3eck weg, hatte aber von Anfang an einen großen regionalen und später auch überregionalen Einzugs- und Fanbereich und das bis heute. Das war zwar für die weitere Entwicklung des Bermuda3ecks nicht entscheidend, aber doch sehr förderlich für den Ruf Bochums als „DIE Ausgehstadt der Region“.
Hier kannte – im Gegensatz zu vielen anderen Städten – die Nacht kein Ende. Speziell im B3E gab es Kneipen wie den Intershop (> Der Intershop), die bis 5 Uhr morgens geöffnet waren – im Ruhrgebiet damals eine Seltenheit. Und wenn schwankende Gestalten zu früher Morgenstunde aus den Clubs wankten, konnte man sich im Sachs und im Mandragora bereits wieder mit einem Frühstück stärken – oder mit einem Bier.
Ästhetisch waren die 80er eine Revolte gegen die 68er, politisch jedoch nicht: Beinahe alle, die man rund ums Bermuda3eck antreffen konnte, waren irgendwie ‚links‘. Aber Kleidung und Mode gewannen an Bedeutung und wurden zum Thema – was sich auch publizistisch niederschlug. Die 80er Jahre waren die große Ära von Zeitgeistmagazinen wie Tempo und Wiener – und die der Stadtmagazine: Marabo und Guckloch erlebten in diesen Jahren ihren Aufstieg, coolibri wurde gegründet. Kommerz, in den 70ern noch ein Schimpfwort, bestimmte nun die Szene – und am erfolgreichsten war Kommerz, der sich unkommerziell gab.
Das Bermuda3eck profitierte auch von dieser medialen Entwicklung, denn alle drei für das Ruhrgebiet relevanten Szenemedien wurden entweder in Bochum gegründet (Marabo und coolibri) oder aber verlegten kurz nach dem Erscheinungsbeginn ihre Redaktion nach Bochum (Guckloch, jetzt Prinz). Diese Entwicklung hatte für das Dreieck auch soziokulturell positive Folgen. Ermattet von der bekanntermaßen besonders durstig machenden Redaktionsarbeit ließen sich die Journalisten der Szeneblätter nach getaner Arbeit in den Kneipen des Bermuda3ecks nieder. Da die Kneipen- und Blattmacher alle in einem Alter waren, kam man sich schnell näher und die Kneipen des Bermuda3eck konnten sich einer ausführlichen Berichterstattung sicher sein. Da keines der drei Szeneblätter weiter als fünf Gehminuten entfernt war, lag es buchstäblich nahe, über das Geschehen vor der Tür zu berichten. Fernreisen nach Essen, Dortmund oder Duisburg ließen sich so umgehen.
Die im Appel geborenen Szene-Magazin-Partys vergrößerten wiederum den Erfolg dieser Printprodukte. Die größte von ihnen fand mit 3500 Gästen im Essener Stadtbad statt und wurde von Alex Schüler und Hans-Joachim Hauschulz organisiert.
Der Mythos des einzig relevanten Szeneviertels des Ruhrgebiets konnte so schnell wachsen, zumal es auch Pendler zwischen beiden Welten gab: Marabo-Musikredakteur Peter Erik Hillenbach war im Logo, wo – wie schon erwähnt – sein alter Kumpel Ralph Odermann als DJ arbeitete, für das Licht zuständig. Odermann, der später auch Mitbetreiber des Logo-Nachfolgers Planet wurde und als Designer für die Ausstattung der holländischen Kneipe Oranje zuständig war, gehörte als Musikkritiker bis zuletzt zum Stammpersonal des Mitte 2005 verblichenen Magazins. Heute macht er unter anderem den Blog Kochplattenteller.
Aber auch Redakteure aus dem Umfeld der Magazine setzten dem Dreieck literarische Denkmäler. Der Marabo-Musikkritiker Wolfgang Welt, Buddy-Holly-Verehrer und zeitweise im Appel als DJ tätig, beschrieb in seinem Erstlingswerk „Peggy Sue“ das junge Kneipenviertel und viele seiner Besucher, deren Namen er nur unwesentlich veränderte, so, dass jeder Szenekundige das Personal des Buches entschlüsseln konnte. Viele der Erwähnten waren darüber nicht glücklich. Seine allererste Erzählung „Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe“, spielte allerdings vorrangig im Appel. Als Literat galt und gilt er bis heute als Außenseiter und arbeitet immer noch als Nachtpförtner am Bochumer Schauspielhaus.
Auch der damalige Marabo-Reporter Werner Schmitz, mittlerweile seit vielen Jahren beim Stern, ließ seine Protagonisten so manche Nacht im B3E verbringen. In seinem Roman „Auf Teufel komm raus“ arbeitete er zudem einen Skandal im Bochumer Nachtleben auf, in dem ein damals leitender Mitarbeiter des Ordnungsamtes mit Kontakten zur Satanistenszene im Mittelpunkt stand.
Werner Schmitz war es auch, der 1988 in einem großen Artikel im Marabo den Namen „Bermudadreieck“ zum ersten Mal in großen Überschrifts-Lettern presse- und damit medienöffentlich gemacht hat. Im Volksmund war diese Bezeichnung für das ehemalige Bahnhofsviertel allerdings schon länger üblich, ging man doch beim Besuch des Kneipenviertels auch ganz augenscheinlich ein Dreieck entlang. Schmitz hatte also nur das öffentlich benannt, was praktisch schon gang und gäbe war. Wahrscheinlich setzte sich auch deswegen ab da ohne jeden ernsthaften Widerspruch auch in der regionalen und überregionalen Presse dieser Name für das Viertel durch.
Sogar einen Comic über das Bermuda3eck gab es: Jan Michael Richter, einem größeren Publikum unter seinem Künstlernamen Jamiri bekannt, zeichnete ihn als Sonderausgabe des Bochumer Magazins bospect., an dem die Gastronomen der Logos-Gruppe übrigens zeitweise selbst beteiligt waren. Auch in vielen Comics aus der Frühzeit des aus Hattingen stammenden Jamiris spielten die Kneipen des Bermuda3ecks eine wichtige Rolle, wobei der Künstler später genauso weit über Bochum hinaus bekannt werden sollte wie sein Zeichenobjekt.
Auch als sich in den 90er Jahren ein regionaler Ableger der Berliner Tageszeitung taz gründete, war die Standortfrage schnell entschieden: Die Redaktion des Blattes logierte, wie PRINZ, im Lueg-Haus am zu diesem Zeitpunkt noch existenten Engelbertbrunnen. Das Bermuda3eck konnte sich also seiner Präsenz in den Szenemedien immer gewiss sein, war es doch von Anfang an auch der Tummelplatz derer Redakteure.
Doch das ist vorbei: Bis auf coolibri gibt es in Bochum heute keine Redaktion eines ruhrgebietsweiten Mediums mehr. MARABO zog schon 2002 nach Essen und stellte im Sommer 2005 sein Erscheinen endgültig ein. Das kürzlich eingestellte Magazin PRINZ verließ die Stadt im Frühjahr 2005, und die taz ruhr wurde gleichfalls im Sommer 2005 eingestellt.
Der Intershop
Haupttreffpunkt der schreibenden Zunft wurde sehr schnell der Intershop, gegründet von Ronni Hirsch und dem legendären ‚Speckmann‘. Schon bald nach seiner Eröffnung im Jahre 1985 eroberte er sich eine Art Kultstatus innerhalb der Bermuda-Gastronomie, den er bis heute innehat.
Auch hier handelte es sich um eine Kneipenübernahme durch kreative Leute, die vorher nie etwas mit Gastronomie zu tun hatten. Einer, der allerdings erst 1986 einstieg, prägt den Laden bis heute: Lobo, der legendäre Wirt und Spiritus Rector einer Fangemeinde, deren räumliche Verbreitung weit über Bochum hinausgeht. Sein bürgerlicher Name: Friedhelm Kerski. Im Gegensatz zu Lobo hat jedoch Ronni Hirsch seinen angestammten Beruf als Studienrat nie aufgegeben.
Beide hatten jedoch ganz eigene und zugleich sehr ähnliche Vorstellung von Kneipen-, Musik- und Clubkultur, allerdings mit wenigen Ambitionen über ihren Intershop hinaus. Beide hatten genug damit zu tun, nach dem üblichen Ärger mit dem Ordnungsamt Anfang der 90er Jahre endlich die Nachtkonzession durchzusetzen und die entsprechenden Lärmschutzinvestitionen zu tätigen.
Ab da wurde der Intershop endgültig zum Treffpunkt all derer; die man auch heute noch treffend als ‚Nachteulen‘ bezeichnet. Lobo war ihr Meister und zugleich die größte Nachteule von allen, denn er stand über Jahrzehnte auch selbst bis zum Schluss hinterm Tresen – und der fand und findet bis heute nie vor 5 Uhr in der Früh statt. Meistens aber noch viel später. Heute macht er das nur noch in der Tagschicht, die allerdings erst – für das B3E ungewöhnlich – um 19 Uhr beginnt.
Ein Nachtladen halt, bei dem die Musik von Anfang an, auch als Liveact, eine wichtige Rolle gespielt hat. Deswegen kann es im Intershop auch richtig laut werden. Dabei ist die Stilrichtung der Konzerte sehr unterschiedlich, aber nie mainstreamig. Eine spannende Ergänzung sind die Abende mit verschiedenen DJs, für die musikalisch das gleiche gilt, aber bei denen man sich auch noch problemlos unterhalten kann.
Alles zusammen sorgt bis heute dafür, dass sich nur selten Leute aus der Schickimickiwelt in den Intershop verirren, stattdessen aber viele Bohemiens aller Alters- und Einkommensklassen dort zum Stammpublikum gehören. Menschen also, die die Nacht zum Tag machen können ohne den Preis dafür zu zahlen, den das durch geregelte Arbeit erzwungene Frühaufstehen dafür verlangt.
Im Intershop kam und kommt das Bermuda3eck damit zu seinem semantischen Kern, der in einem amerikanischen Schwarzweißfilm aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, an dessen Titel ich mich allerdings nicht mehr erinnern kann, schon einmal sehr treffend auf einem schlichten Holzschild vor einer sichtlich herunter gekommen Kneipe zu lesen war: „Drop in and get lost.“
Alkoholisches Absacken, ja geradezu ‚Verrecken‘ ohne dabei das geistige Niveau aufzugeben – zumindest aber es so lang wie irgendwie möglich am unvermeidlichen Niedergang zu hindern – ist eine Kunst, die so mancher der Intershoper geradezu perfekt beherrscht. Deswegen ist die politische, kulturelle und vor allem künstlerische Debatte jenseits des Stammtischgeschwätzes dort bis heute ein fester Bestandteil der zwischenmenschlichen Kommunikation, wenn auch keineswegs immer die Hauptsache.
Nachteulen sind in der Regel Menschen auf der Suche, sei es auch nur nach einer letzten Begegnung und/oder einem letzten Gespräch vor dem Schlafengehen. Sie sind die Gestrandeten eines langen Abends, der einfach nicht zu Ende gehen will oder soll. Sie sind die Könige und Königinnen der urbanen Dunkelheit, nicht weil sie das Tageslicht scheuen, sondern weil sie sein Gegenteil genießen: die illuminierte Stadt. Sie brauchen einen Ort wie den Intershop; und das Bermuda3eck kann froh sein, dass es ihn hat.
Günther Kamienski, alias ‚Speckmann‘, stieg aus dem Intershop schon nach kurzer Zeit wieder aus um sich danach – und passender zu seinem ursprünglichen Interessen – als Designer und Innenarchitekt von Kneipen und Gaststätten mit kulturellem Anspruch zu betätigen. Unter anderem beim Tucholsky und beim Café du Congo.
Die Rolle der Bochumer Stadtverwaltung
Neue Leute haben es im Umgang mit einer städtischen Bürokratie immer schwer. Auch heute noch. Erst recht, wenn sie jung und unkonventionell sind, ja eventuell sogar als subversiv gelten. Alle drei Eigenschaften trafen auf die Mehrzahl der bislang schon beschriebenen und im Weiteren noch zu beschreibenden Bermuda-Pioniere zu.
Heute würde man sie „dynamische Jungunternehmer“ oder noch treffender „Kreative“ nennen und vielleicht entsprechend goutieren. Damals allerdings waren Unternehmer per se alt und seriös und in der Gastronomie waren sie zudem mehrheitlich einfallslos.
Das gleiche galt für den damaligen Leiter des Ordnungsamtes, der für eben diesen Wirtschaftssektor zuständig war und die so wichtigen Konzessionen erteilte. So war die erste Phase der Entstehung des Bermuda3ecks vor allem für Leo Bauer mit Steinen gepflastert und auch die später in das Dreieck strebende Gastronomengeneration sollte noch erhebliche Kämpfe mit der Stadt Bochum auszutragen haben. Zuerst einmal galt es jedoch, das Misstrauen der Verwaltung zu überwinden und seine Disziplin und Liquidität unter Beweis zu stellen. Auch musste um jede Veränderung, jede Innovation – zum Teil bis heute – gekämpft werden.
Die 60er Jahre waren für die Gastronomie eine schwierige Zeit. Das Fernsehen und das Flaschenbier hatten ihren gesellschaftlichen Durchmarsch begonnen und den Kneipen zunehmend ihre Treffpunktfunktion genommen. Die Jüngeren wiederum, die nach neuen Formen der Unterhaltung und der Kommunikation suchten, standen den herkömmlichen Lokalen skeptisch bis fremd gegenüber, was umgekehrt auch für deren Wirte galt. Lange Haare waren nicht gerne gesehen und auch die Vorstellung, dass die sogenannte „Negermusik“ aus der Jukebox klingen könnte, befremdete nicht wenige konservative Gastronomen.
Auch die rechtliche Lage war schwierig. Dichterlesungen, Kunsthappenings und Live-Musik – erst recht wenn sie von mehr als einer Person und laut gemacht wurde – bedurften der besonderen Genehmigung und um diese musste immer wieder neu gerungen werden. Zugleich aber waren solche Events überlebenswichtig, da das damals noch nach Kultur dürstende Jungpublikum ohne sie schnell weg blieb. Das Gleiche galt schon damals für die Außengastronomie. In Deutschland war sie in den Innenstädten nahezu unbekannt bzw. war eine Domäne von Ausflugs- und Gartenlokalen, die zumeist in reizvoller Umgebung lagen und nicht an einem kahlen Platz in der Innenstadt.
War schon die Lautstärke innerhalb von Lokalen ein Problem, das auch die Nachbarschaft schnell in Wallung versetze, so galt dies erst recht für die Außenbestuhlung. Wurde diese auch noch um Open-Air-Veranstaltungen ergänzt, war eine geradezu unendliche Reihe an Vorschriften und Regelungen zu beachten, für die es in der Anfangsphase oft noch gar keine gesetzliche Grundlage gab. Alle, denen die von Bauer eingeschlagene Richtung nicht gefiel – und das waren zur damaligen Zeit viele – hatten also zahlreiche formale Möglichkeiten, Open-Air-Kneipen zu schließen, ohne offen über die dahinter stehende grundsätzliche Abneigung reden zu müssen.
Aber selbst wenn es solche Kräfte innerhalb und außerhalb der Bochumer Verwaltung und Politik nicht gegeben hätte, mussten die Verantwortlichen in der Stadtverwaltung lernen, nicht nur mit ausgesprochen ungewohnten Persönlichkeiten, sondern auch mit fachlich äußerst schwierigen Aufgaben umzugehen. Das Gleiche galt für die Pioniere des Bermuda3ecks. Sie hatten am Anfang wenig Ahnung von den gesetzlichen Grundlagen ihrer Arbeit und noch weniger Erfahrung im Umgang mit Verwaltungsbeamten und Lokalpolitikern.
Leo Bauer war allerdings noch am besten von allen für diese Konflikte gerüstet. Er hatte sein Betriebswirtschaftsstudium abgeschlossen und vor seiner ersten offiziell eigenen Gaststätte schon lange Zeit praktische Erfahrungen gesammelt. Nur so konnte er gegenüber der städtischen Bürokratie auch die Eisbrecher- und Vorreiterfunktion für diejenigen übernehmen, die ihm später ins Dreieck folgten. Bauer bildete sozusagen die Speerspitze und benötigte deshalb auch das meiste Verhandlungsgeschick und die größte Verhandlungshärte. Dass dabei die – manchmal sehr laut geführten – Gespräche aus gutem Grunde meistens hinter verschlossen Türen stattfanden, entsprach einerseits seinem Charakter, gab ihm aber andererseits schon sehr früh den Nimbus des undurchdringlichen „Paten des Bermuda3ecks“.
Ein gewisser Rolf Nuhn
Bauers Glück war, dass er ab 1978 auf Seiten des Ordnungsamtes einen Ansprechpartner hatte, der Gastronomen nicht blockieren, sondern unterstützen wollte: Den für Gaststättenkonzessionierung zuständigen Gruppenleiter Rolf Nuhn.
Er galt in der gesamten Verwaltung nicht nur als fachlich exzellenter Experte auf seinem Gebiet, sondern auch als „engagiert“, was aus dem Verwaltungsdeutsch ins reale Leben übersetzt drei Dinge über ihn aussagt: Er arbeitete mehr als die anderen, er hatte auch noch Freude daran und genau deswegen waren die Kollegen ihm gegenüber misstrauisch.
Leo Bauer dagegen hatte endlich jemanden als Gegenüber, der ihn und sein Anliegen verstand und bereit war, seine Innovation auch innerhalb der Verwaltung gegenüber den eher skeptischen Vorgesetzten und Kollegen zu vertreten. Nuhn selbst konnte zwar aufgrund seiner Position keine endgültigen Entscheidungen fällen, aber er konnte Vorschläge unterbreiten und den Entscheidungsprozess beeinflussen. Ja, er ging sogar so weit, dem Antragsteller bei seinen Anträgen selbst behilflich zu sein, um deren positiver Bescheidung eine zusätzliche Stütze zu geben.
Dies tat er aber nicht nur bei Leo Bauer und anderen Gastronomen, sondern auch bei den Besitzern von Spielcasinos. Deswegen stand er zu Unrecht im Ruf, bestechlich zu sein, denn die entsprechenden Vorwürfe wurden während eines langjährigen Prozesses komplett fallen gelassen. Eine unvorsichtige Bemerkung einem Freund gegenüber, die als Warnung vor einer Polizeiaktion gewertet wurde, brachte Nuhn in Untersuchungshaft, ein Disziplinarverfahren und die Versetzung in die Kämmerei ein. Für Nuhn, für den das Ordnungsamt sein Leben war, ein harter Schlag.
Auch über Bauer gab es entsprechende Geschichten und er selbst wusste natürlich davon. „Um den Erfolg rankten sich natürlich schon früh zahlreiche Gerüchte“, so Bauer, „auch, dass ich des Öfteren mit Bestechungen meine Ziele erreicht hätte. Das ist natürlich Unsinn. Ich habe mich mit den Behörden oft gestritten – das tue ich bis heute, aber ich habe nie jemanden bestochen. Wenn ich so etwas getan hätte, wäre ich vielleicht auch schneller erfolgreich gewesen, wäre aber schon längst nicht mehr im Geschäft.“ Er, der mit Nuhn mittlerweile befreundet war, hatte nichtsdestotrotz seinen Hauptansprechpartner in der Verwaltung verloren.
Doch er bekam einen neuen: Jochen Mentzen, einer von Nuhns schärfsten Kritikern, übernahm später die Leitung des gesamten Ordnungsamtes. Für die weitere Entwicklung des Bermuda3ecks änderte das jedoch nur wenig. Rolf Nuhn war der Förderer aus der Nähe, aus zu viel Nähe womöglich. Jochen Mentzen wurde dagegen der Förderer aus der Distanz. Er gehörte nicht nur der gleichen Generation wie die Macher des B3Es an, er hatte trotz seiner Kritik an Nuhns Vorgehensweise mittlerweile auch erkannt, was im ehemaligen Bahnhofsviertel wirklich vonstattenging: Die Re-Urbanisierung und Italienisierung seiner Heimatstadt mit Ausstrahlung auf das gesamte Ruhrgebiet und darüber hinaus. Auch was die Steuereinnahmen betraf, war das Viertel zu einer neuen, nicht zu unterschätzenden und anhaltenden Quelle für die Stadt geworden, eine Art regionales „Silicon Valley der Gastronomie“.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich jedoch das von Leo Bauer und Rolf Nuhn entwickelte und gepflegte System der Konfliktvermeidung bereits etabliert: „Wir haben z.B. dafür gesorgt“, erinnert sich Bauer, „dass unsere eigenen Mitarbeiter oder Starlight-Express-Akteure in die Wohnungen im Quartier zogen und so darauf geachtet, dass es keinen Ärger mit Nachbarn geben konnte.“
Aber auch mit Charme wurde gearbeitet. So besuchte Bauers Geschäftsführer regelmäßig eine betagte Mieterin im Bermuda3eck, brachte Kuchen und Blumen mit und warb so bei der alten Dame um Verständnis für diese komischen jungen Leute, die immer so viel Krach machten.
Die Entstehung des „Bauer-Imperiums“
Wie schon erwähnt hatte Leo Bauer 1969 zusammen mit seinem Partner Ulrich Heerde seine erste GmbH gegründet, um dem Club Liberitas nicht nur eine Schankkonzession, sondern dem Ganzen auch eine finanzielle Ordnung zu geben. Bauer brachte schon damals das ins Team ein, was seinen häufig eher künstlerisch oder einfach nur alternativ gesinnten Freunden meistens fehlte: Realismus und Controlling.
„Das BWL-Studium“, so Bauer heute, „hat mir geholfen, viele Anfängerfehler zu vermeiden und ein gut geführtes Unternehmen aufzubauen.“ Der Betriebswirt war und ist heute noch ständig auf der Hut und versucht die Lage im Griff zu halten um Fehler – wenn möglich von vornherein – zu vermeiden. Das entspricht – bei aller unverhohlenen Zuneigung zu kreativen und ungewöhnlichen Menschen in seiner Umgebung – auch eher seinen ganz persönlichen Charakterzügen. Seine Durchsetzungsmethode war dabei weniger der elegante, öffentliche Auftritt vor Publikum, sondern das unmittelbare Gespräch, die persönliche und notfalls auch harte Auseinandersetzung hinter verschlossenen Türen und das, was man heute vornehm ‚Netzwerkarbeit‘ nennt und früher treffender ‚Strippenziehen‘ hieß.
Als es in Richtung Handelshof ging wünschte sich der damalige Eigentümer des Hauses – die Stadt Bochum – dort endlich wieder ein gutbürgerliches Restaurant in ihren Räumen. Leo Bauer hatte Interesse an dem Lokal, wusste jedoch nicht nur, dass er keine Chance hatte, den Betrieb zu bekommen; er und sein Kumpel Epi hatten auch nicht vor, dort ein Lokal der gewünschten Art zu eröffnen. Die Idee war vielmehr, den alten Club Liberitas an einen neuen von der Lage her für Musik und Kulturveranstaltungen weniger durch Wohnnachbarn gestörten Ort zu verlegen, der zugleich innerstädtisch zentral gelegen war.
Der Name sollte deswegen Treffpunkt heißen, weil auf dem Gebäude genau dieser Begriff sowieso schon, und das nachts sogar beleuchtet, als Schriftzug prangte. So wurde Liselotte Schrecker, der mittlerweile verstorbenen Wirtin des bekannten Lokals Hufeisen, die darum wusste, von den beiden mehr oder weniger die Rolle des Aushängeschilds zugedacht und die Stadt Bochum lieferte mit dem Schriftzug auf dem Dach die Neonreklame für den neuen Club gleich mit.
Zum Auseinanderbrechen des Dreierteams kam es, als Leo Bauer im Jahre 1972 auf Grund eines schweren Autounfalls für mehrere Monate ins Krankenhaus musste. Das organisierende und vermittelnde Medium zwischen der resoluten älteren Wirtin und dem freakigen Lebenskünstler Epi war nicht präsent und die Gegensätze konnten unmittelbar aufeinander prallen. Als Leo Bauer aus dem Krankenhaus kam, waren Epi und Liselotte völlig zerstritten und der Laden stand kurz vor dem Aus. Bauer entschloss sich, nun auch die neue GmbH zu übernehmen und alleine weiter zu steuern.
Epi eröffnete kurz darauf zusammen mit seiner Freundin Renate das legendäre Kleine Café (heute Zacher) in der Brüderstraße und avancierte zum indisch angehauchten Guru der aufkeimenden Alternativszene, der immer mal wieder mit einem langen Kaftan bekleidet und schon damals ganz ökologisch auf dem Fahrrad auf Bochums Straßen gesichtet wurde. Später verfolgte er seinen alten Kunsthandwerkertraum und gründete zusätzlich eine kleine, aber feine Firma, in der er anspruchsvolles Holz-Kinderspielzeug entwarf und herstellte. Sein Berater, Vertriebsmanager und spiritueller Schüler wurde kein geringerer als der mittlerweile verstorbene Bruder des heutigen Popstars und damaligen Jungkünstlers Herbert Grönemeyer, Wilhelm. Epi brachte es in späteren Jahren unter dem Namen Balavat innerhalb der Kunstszene zu einem gewissen Ruhm und verlegte später seinen Wohnsitz nach Berlin, wo er heute noch künstlerisch tätig ist.
Der Treffpunkt brummte wieder, genau wie der Club am Hellweg. Nun wurde umfirmiert: Die alte Club Liberitas GmbH wurde 1972 zur HEBA Konzert GmbH. Später kam die HEBA Gastro GmbH dazu.
1974 eröffnete Leo Bauer auch noch das Kaubaukum (Kuhbochum), die heutige Pizzeria Pisa im Universitätsviertel. Ihr Verpächter heißt bis heute Leo Bauer. Seine weitere Expansionsstrategie bezog sich jedoch von da an nicht nur auf das Bermuda3eck: Im Universitätsviertel eröffnete er 1981 das Le Clochard und 1984 übernahm er den herunter gekommenen Backofen und wandelte ihn zum Filou um. Im selben Jahr baute Leo Bauer die ehemaligen Abonnentenbetreuungsstelle des Stadttheaters an der zur Viktoriastraße hin gelegenen Ecke des Handelshofes zum Treibhaus um und nimmt so zusammen mit der mittlerweile von Treffpunkt in Mandragora unbenannten Lokalität die gesamte Front des Hauses zum Konrad-Adenauer-Platz ein. 1989 wandelte er das von ihm 1981 mit einem Partner eröffnete Grannys Rockcafé an der Ferdinandstraße zum Café Ferdinand um.
Den wichtigsten ökonomischen Schritt jedoch macht Leo Bauer, als er sich zwei Jahre zuvor den Standort am Konrad-Adenauer-Platz auch als Immobilie sicherte. Im Jahre 1987 erwarb er das Gebäude des Handelshofes, das seit dieser Zeit auf Grund der kommenden gastronomischen Entwicklung des Bermuda3ecks nicht nur eine enorme Wertsteigerung erfahren hat, sondern auch als Vermietungsobjekt reichlich Früchte trägt.
Etliche szenenahe Bochumer Unternehmen, wie z.B. die Bochum Total Veranstalter Cooltour, haben bis heute dort ihre Büros. Auch der coolibri hatte dort viele Jahre sein Domizil. Die Tatsache allerdings, dass Leo Bauer davor und danach kein großes Interesse mehr an einer weiteren Ausdehnung seiner Gastronomiebetriebe im Dreieck selbst zeigte, machten sich nicht nur Alex Schüler und seine Logos-Partner zunutze.
Was jedoch alle Pioniere des Bermuda3ecks mittlerweile begriffen hatten war, dass die eigene Immobilie die beste Sicherheit vor Mietsteigerungen für das dort initiierte und umgesetzte Gewerbe war. Die Grundstückseigentümer im ehemaligen Bahnhofsviertel hatten nämlich schon länger begriffen, dass die neuen vor allem gastronomisch orientierten Mieter ihre Umsätze und damit in der Mehrzahl auch ihre Gewinne permanent erhöhten und wollten ihren Teil an diesem zunehmenden wirtschaftlichen Erfolg haben.
Das genau, was schon Karl Marx als Monopolrente bezeichnet hatte und was bis heute nichts anderes bedeutet, als dass letztlich die besondere Nutzungslage im Stadtgebiet die Höhe der Miete bestimmt, konnte von den neuen und immer selbstbewusster werdenden Junginvestoren letztlich nur durch die Einheit von Immobilien- und Gewerbebesitz unterlaufen werden. Eine Strategie, die auch die Logos-Leute zunehmend beherrschten, ja die jenseits der Gastronomie das Geschäft mit Immobilien zu einem wichtigen Teil ihrer ökonomischen Entwicklungskonzeption werden ließ.
Die Entstehung des „Logos-Imperiums“
Als Alex Schüler und Hans-Joachim Hauschulz 1985 mit dem Logo (heute Stargate) in der City Passage den ersten gemeinsamen Club eröffneten, konnte keiner voraussehen, dass damit der erste Meilenstein für eine fast beispiellose Erfolgsgeschichte in der szenenorientierten Gastronomie-Landschaft Deutschlands gesetzt worden war.
Während das Logo als Szene-Club legendär war, achteten Hauschulz, Schüler und der 1987 als dritter Gesellschafter eingetretene Diplom Betriebswirt Frank Nokielski bei der Konzipierung weiterer Clubs und Discotheken immer darauf, jeweils neue, andere Besuchergruppen anzusprechen, ohne ihre „Scene-Credibility“ dabei aufs Spiel zu setzen. Es war, neben der Rock-Disco Macao insbesondere das im gleichen Jahr nicht weit vom Bermuda3eck entfernte Café du Congo, ein kleiner feiner und exklusiver Kellerclub, der durch die hier verkehrenden Akteure des damals neu in Bochum gestarteten Musicals Starlight Express Bewegung ins Bochumer Szeneleben brachte. Zum ersten Mal musste man in Bochum stundenlang Schlangestehen um schließlich von unerbittlichen Türstehern eingelassen zu werden oder auch nicht, denn die Tanzfläche war immer zum Bersten gefüllt. Als die Abende dort immer später begannen, übernahm die Logos Gruppe das im Erdgeschoss gelegene Lokal (in den 70ern als Daddys Hobby bekannt) und ordneten es 1994 als Cocktailbar Pata Negra dem Café du Congo zu. Keiner der Congo-Gäste sollte den frühen Abend anderswo verbringen.
Jeden Donnerstag ab Dezember 1989 fanden hier die Konzerte der von Logos und dem mittlerweile verstorbenen Fränk Zander initiierten Bochum Jazz Society statt. Die Hausband ‚Nighttrain‘ um Starlight-Musiker Stevie Woods trat – ähnlich wie später bei Pamela Falcons New York Nights in der Riffhalle – mit wechselnden Gästen auf. Hier traten international gefeierte Größen wie Maceo Parker und andere in intimer Kelleratmosphäre auf, aber auch ambitionierte regionale Jazz-Avantgarde.
Nach dem Ende des Logo-Clubs in der City Passage im Jahre 1991 bauten die drei ‚Logos‘ ein Jahr später zusammen mit Logo-DJ Ralf Odermann als Gesellschafter in einem alten Möbellager an der unteren Kortumstraße den Club Planet, der sehr erfolgreich die gerade entstandene Musikrichtung des Techno nutzte, um eine neue Generation von Clubgängern an sich zu binden. Die angeschlossene Cocktailbar Milliway’s wurde von Elle Decoration damals zu den „25 besten Designerbars weltweit“ gezählt. Wenn in der ersten Hälfte der 80er Jahre der Schwerpunkt der gastronomischen Neueröffnungen der Logos-Gruppe eher im Diskotheken und Clubbereich gelegen hatte, begannen sie Ende der 80er, sich verstärkt auch dem Bau von Restaurants zuzuwenden. 1988 gelang ihnen mit dem Cafe Tucholsky ein weiteres „Szenewohnzimmer“ und vor allem ein echter, bis heute bestehender Ankerpunkt im Bermuda3eck.
Die so eingeleitete Diversifizierung des gastronomischen Portfolios der LogosGruppe im Bermuda3eck mit neuen Gastrotypen setzte sich im angeschlossenem Art Hotel, dem 1992 eröffneten Caffè Zentral mit dem 1993 eröffneten Sticks und Subway, dem 1994 eröffneten Luisenhof (heute Avil), dem 1996 eröffneten Szenemexikaner Barrio Brothers (heute Pasta), dem 2000 eröffneten Tapas und Oranje, und dem 2001 eröffneten Franchise-Betrieb Sausalitos unaufhörlich fort.
Mit dem 2001 eröffneten Livingroom wurden wiederum neue gastronomische Maßstäbe gesetzt. Dieses Mal zusammen mit Lukas Rüger, einem späteren Mitbegründer des Zeltfestivals Ruhr. Es war also nicht verwunderlich, dass die drei Gründer der Logos-Gruppe in einem führenden Gastro-Magazin 1995 als Könige des Bermuda3ecks bezeichnet wurden. (> Anhang) Dabei hatten sie ihrem Hauptpächter Johannes Dittfeld (> Ein gewisser Johannes Dittfeld) zweifellos ein gehörigen Teil dieses Erfolges mit zu verdanken.
Anders als bei der herkömmlichen Systemgastronomie entwickelte die Logos- Gruppe mit ihren Mitstreitern nicht viele Standorte mit immer gleichem Konzept, sondern einen Standort mit immer voneinander unterscheidbaren Konzepten, mit klarer Zielgruppenansprache. Viele waren zu ihrer jeweiligen Entstehungszeit völlig neu, strahlten über Bochum, hinaus und bildeten als state-of-the-art den Maßstab im regionalen- und überregionalen Wettbewerb.
Mitte der 90er Jahre deckte die Logos-Gruppe neben Leo Bauer mit einem breiten Spektrum unterschiedlicher Gastronomiekonzepte nahezu den gesamten Markt im Bermuda3eck ab. Seit Mitte der 90er Jahre wurde die Logos-Gruppe deswegen im jährlichen Branchenranking „Die größten Unternehmen/Systeme der Gastronomie in Deutschland“ geführt. 1996 belegte das Unternehmen z.B. im Segment „getränkegeprägte Gastronomie“ ein Platz unter den Top 10 (Zeitschrift Food Service). Als 1997 – der Kampf um die letzten Sahneteilchen im Dreieck war längst im Gange – das Möbelhaus Schlesinger im heutigen „Bermudaparkhaus“ auf der Kortumstrasse frei wurde, sicherten sich Leo Bauer und die ‚Logos‘ jeweils die Hälfte des über 700 Quadratmeter großen Lokals, wobei weitere freiwerdende Ladenflächen im Parkhaus später angegliedert wurden. Die Logos-Leute installierten in ihrer Hälfte die Sportsbar Three Sixty, ein gastronomischer Flagshipstore mit dem wohl größten und umsatzstärksten Konzept der Themengastronomie im gesamten Bermuda3eck.
Für die Entstehungsgeschichte des Bermuda3ecks weniger von Bedeutung war dagegen das Engagement der Logos-Gruppe außerhalb der Bochumer Innenstadt. Mit dem Forsthaus (1986) im Weitmarer Holz und dem Suntums Hof (1991) am Ümminger See und dem Haus Hohenstein (2001) in Witten wurde das gastronomische Thema „Ausflugsrestaurants“ besetzt.
Daneben gab es Logos-Objekte in den Nachbarstädten und ab 1990 mit Fall der Mauer verschiedene Ost-Ableger, z.B. in Dresden und Berlin. Hier wurde, nachdem Hans-Joachim Hauschulz, Frank Nokielski und Alexander Schüler bereits ab Dezember 1989 die gastronomische Landschaft in Dresden sondierten hatten, 1990 – noch vor der Wiedervereinigung – der Musikzirkus Sachsen eröffnet, eine Discothek und Veranstaltungsstätte in einem 2800 qm großen Zirkuszelt mit diversen Bars und Bühnen. Bis zu 4000 Personen tummelten sich jeden Abend in der damals größten Disco der ehemaligen DDR. Weitere gastronomische Betriebe in Dresden, dann auch in Berlin und Brandenburg, folgten kurz aufeinander, z.B. die Restaurants im Staatsschauspielhaus gegenüber des Dresdner Zwingers, das Restaurant Fledermaus in der Staatsoperette Dresden und das erste italienische Restaurant in Dresden namens La Scala. Ein Teil der Lokalitäten existiert heute noch. Keine davon befindet sich jedoch mehr im Besitz der Logos-Gruppe.
Aus der vielfältigen gastronomischen Investitionstätigkeit entstand eine der ersten darauf spezialisierten Beratungsagenturen Deutschlands. Die Logos-Gruppe wurde Gesellschafter der gemeinsam gegründeten ‚Axel Weber & Partner Beratungsgesellschaft‘ (heute Soda Branded Environments). Wichtiger für die Zukunft der Logos-Gruppe war jedoch die Immobiliensparte, die sich anfänglich direkt in Verbindung mit dem gastronomischen Investitionen und später parallel und zunehmen eigenständig entwickelte. 1998 wurde z.B. die Hauptverwaltung der ehemaligen Schlegel Brauerei gegenüber des Bochumer Rathauses erworben und zum Schlegelhaus umgebaut. Ab 2004 wurde die Überbauung des denkmalgeschützten Hochbunkers auf der Universitätsstraße – heute das Exzenterhaus – dem mit über 89 Metern derzeit höchsten Bürogebäude des mittleren Ruhrgebiets initiiert.
2005 wurde das Imax Theater neben der Starlight Halle an der A40 erworben und nach einer Nutzungsänderung zur multifunktionalen Veranstaltungshalle (Konzeption Fun Park) zu einem Spielcasino mit über 120 Geldspielgeräten und angeschlossener Gastronomie umgebaut. Es handelte sich 2009 um den größten konzessionierten Spielhallenkomplex in Deutschland.
Heute verfügt die Logos-Gruppe über ein breites, nicht nur gastronomisch genutztes Immobilienportfolio in Bochum und anderen Städten und sieht sich zunehmend als Projektentwickler für stadtbildprägende Immobilien.
Die drei Ebenen der Bermuda-Ökonomie
Schon in den 80er Jahren begann eine innere Umstrukturierung der Bermuda-Gastronomie und ihrer Clans. Auch hier war Leo Bauer wieder einmal der unvermeidliche Vorreiter. Die neue Struktur war ein Zeichen der weiteren Professionalisierung und sorgte für eine systematischere Organisation innerhalb des größer gewordenen Unternehmens.
Leo Bauers HEBA GmbH übernahm seit jeher zu günstigen Preisen heruntergewirtschaftete Lokale und entwickelte dann für das jeweilige Objekt ein neues Konzept, bei dem weniger das besondere gastronomische Angebot, sondern mehr – wie z.B. im Cotton Club oder beim Freibeuter – das Erlebnis oder aber kulturelle Veranstaltungen wichtig sind. Sobald der Betrieb lief, zog sich die HEBA ganz oder teilweise zurück und das Lokal wurde verpachtet. Die HEBA blieb allerdings immer Verpächter, Eigentümer des Inventars und Getränkelieferant. Es ging bei dem Pächterkonzept zum einen um die Delegation von betriebswirtschaftlicher Verantwortung, zum anderen um Rationalisierung. Bestimmte Service- und Zulieferleistungen konnten für alle Lokale gemeinsam von einer Zentrale aus organisiert werden, die zugleich auch die Pächter anheuerte.
Damit wurde eine neue Hierarchie etabliert. War Leo Bauer im früheren Club Liberitas noch primus inter pares, wurde er nun zum unbestrittenen Boss eines für die Bochumer Gastronomieszene unverhältnismäßig großen und vernetzten Konzerns.
Das Gastronomieimperium, der Logos Gruppe ist ebenso wie die HEBA-Betriebe als Holding aufgebaut. Während Leo Bauer mehr auf den kulturellen Eventfaktor setzte stand bei den ‚Logos‘ meistens ein ungewöhnliches gastronomisches Ambiente und Konzept im Mittelpunkt, das kulturelle Aktivitäten allerdings nicht ausschloss. Aber auch dabei galt die Regel: nachdem das Lokal dazu gefunden, umgebaut und getestet worden war stand es zur Verpachtung an. Dazu Hans Joachim Hauschulz heute: „Ob Sachs, Sticks oder Tucholsky – an unseren Lokalen konnte man auch unsere eigene unternehmerische, vor allem aber auch unsere ästhetische Entwicklung ablesen.“
Dieses Entwicklungskonzept wurde vor allem im Bermuda3eck selbst angewandt und ausprobiert; und hier war es so erfolgreich, dass es auch bei den gastronomischen Investitionen außerhalb des Dreiecks, bzw. bei der nationalen Expansionsstrategie angewandt wurde. (> Die Entstehung des „Logos-Imperiums“) Was die Hierarchisierung betraf, war diese für die ‚Logos‘ wie für Bauer unvermeidlich. Der Unterschied zum „Bauer-Imperium“ bestand darin, dass sich hier an der Spitze nicht ein Chef, sondern ein Triumvirat gleichberechtigter Teilhaber ausbildete, das bis heute zwar arbeitsteilig, aber doch beinahe unverändert die wesentlichen Entscheidungen fällt. Nur Schüler hat sich mittlerweile – wie schon erwähnt – aus dem Tagesgeschäft fast vollkommen zurückgezogen und lebt als Regisseur und Filmproduzent in Berlin. Ganz ist er aber auch dort nicht aus seinem bisherigen Metier ausgestiegen, denn mittlerweile hat auch Berlin ein Sachs, gestaltet von Günther Kamienski und bislang noch geführt von Alexander Schüler. Leo Bauer indes blieb, obwohl zum Teil über viele Jahre hinweg den gleichen Geschäftspartnern verbunden, immer alleine an der Spitze.
Letztlich jedoch hatte sich bei beiden Hauptclans des Bermuda3ecks eine dreistufige Organisationsform entwickelt, die zugleich auch einen neuen wirtschaftlichen Druck nach unten weitergab und systematisch verstärkte. Während die oberste Ebene – mittlerweile zu erheblichem finanziellen Wohlstand gekommen und von den Banken im obersten Bereich der Kreditwürdigkeit eingestuft – den Markt zu beherrschen und auszuweiten versuchte, musste die unterste Ebene – die Kellner, Köche, Servierer, Fahrer und Reinigungskräfte – dafür das Geld von den Kunden und Gästen einnehmen. Die mittlere Ebene der Pächter hatte diesen Druck von ganz oben so zu kanalisieren, abzustufen und zu verteilen, dass das ganze System effizient und vor allem kontrollierbar blieb. Dabei konnte lange Zeit keine der drei Ebenen auf der ‚faulen Haut‘ liegen, denn der Markt war bis Ende der 90er Jahre immer noch erweiterbar – und das erforderte auch von den Chefetagen erhebliche Anstrengungen; von den ständigen taktischen und strategischen Entscheidungen zum Erhalt des Erreichten ganz zu schweigen. So hatten die beiden ‚Konzernzentralen‘ sehr bald eigene Mitarbeiter, Berater und Zulieferer und die Büroflächen wurden Stück für Stück größer und vornehmer.
Der Clan um Armin Reisewitz allerdings hatte dieses Drei-Ebenen-Modell mangels Größe nie ausbilden können und vom Selbstverständnis her auch nicht ausbilden wollen. Wirtschaftlich in kleinerem Maßstab erfolgreich, blieb hier der ‚Schuster bei seinen Leisten‘ und der Wirt damit hinter dem Tresen, auch wenn es mehrere davon gab. Ähnlich der ‚Logos‘ bildete sich daraus ein gleichberechtigtes und teilweise arbeitsteiliges Führungskonzept, aber es gab wesentlich weniger zu führen, da es darunter nur noch eine Ebene gab, mit der sich die Führung zum Teil sogar die Arbeit teilte. Entsprechend war dies auch die kleinste Gruppe des Bermuda3ecks.
Bei allen galt jedoch für die Behandlung der untersten Ebene, dass dort auf Grund des allgemeinen Wachstums der Druck nie so groß werden sollte, dass die ausgebildete Hierarchie und der ganz oben angesammelte erhebliche persönliche Wohlstand zu größeren innerbetrieblichen Konflikten führen konnten. Im Gegenteil – im Bermuda3eck wurde und wird im Verhältnis zu anderen Gastronomiebetrieben gerade auch auf dieser Ebene überdurchschnittlich gut bezahlt. Das galt noch viel mehr für die Verdienstmöglichkeiten der Pächter auf der mittleren Ebene, die mit Geschick und Disziplin selbst zu Managern werden konnten, in dem sie mehrere Lokale gleichzeitig pachteten und führten. Wer das schaffte, gab der mittleren Organisationsebene nicht nur zusätzliches Gewicht bzw. ragte aus dieser soweit hervor, dass er sich damit zugleich als Anwärter auf die höchste Ebene empfinden konnte; sei es als potentieller Nachfolger, zumindest aber als finanziell Gleichgestellter. Hier war aber genau deswegen auch die Möglichkeit des Scheiterns und/oder der Selbstüberschätzung besonders groß.
Wie aus dem städtebaulichen Dreieck ein soziokulturelles wurde
Mit der gastronomischen und organisatorischen Etablierung der drei ‚Hauptclans‘ um Leo Bauer, die Logos-Gruppe und Armin Reisewitz hatte sich das städtebauliche Dreieck – bestehend aus der Viktoriastraße zwischen Konrad-Adenauer-Platz und Südring, dem Südring zwischen Viktoriastraße und Brüderstraße und der Brüderstraße selbst, verlängert um die obere Kortumstraße bis wiederum zum Konrad-Adenauer-Platz – endgültig zum Bermuda3eck entwickelt.
Obwohl sich dieser Name zu diesem Zeitpunkt bereits im öffentlichen Sprachgebrauch durchgesetzt hatte, gab es Leute, die im Rahmen des Stadtteilmarketings –damals hieß es noch hausbacken „Werbegemeinschaft der Kaufleute“ – den Namen „Engelbertviertel“ in den öffentlich Sprachgebrauch einbringen wollten. Dieser Zusammenschluss der Einzelhändler des Viertels wollte damit natürlich auch seine fortschreitende räumliche Verdrängung durch die Gastronomie deutlich machen und, wenn möglich, zum Stillstand bringen. Aber auch die noch verbliebenen Händler- und Gewerbetreibenden konnten sich der neuen Dominanz der Kneipiers und erst recht nicht der realen Dreiecksform entziehen, an dem sich baulich, räumlich und vor allem soziokulturell die neue Identität des Quartiers als Szene- und Entertainmentviertel ausgebildet hatte.
Erst recht, weil es sich von der Straßenführung sogar um ein doppeltes Dreieck handelt. Das oben beschriebene Straßendreieck enthält nämlich in sich das ursprüngliche Bermuda3eck, dessen kürzerer Schenkel nicht durch den Südring, sondern durch das viel schmalere Sträßchen namens Kerkwege gebildet wird, die – wie der altdeutsche Name schon verrät – direkt auf die Marienkirche zuführt, die wiederum – mittlerweile entweiht – zum Trainings- und Spielort der durch das Kulturhauptstadtjahr 2010 international bekannt gewordenen Tanztruppe ‚Urbanatix‘ geworden ist.
So versuchten es die Einzelhändler mit dem Kompromissbegriff „Engelbertdreieck“, scheiterten letztlich aber auch damit, denn die durch die Bermudapioniere geschaffenen Tatsachen waren nun mal nicht mehr rückgängig zu machen. Auch nicht die steigenden Mieten, die es interessierten neuen Gewerbetreibenden immer schwerer machten, in diesem städtebaulichen Dreieck überhaupt Fuß zu fassen, was aber den dort schon lange etablierten Gewerbetreibenden, wie z.B. Foto Hamer, die zugleich Besitzer ihrer Gebäude waren, wenig ausmachte. Aber die, die wie z.B. der Fahrradladen Balance (> Der Fahrradladen Balance) selbst zu den neuen Eroberern gehörten und auf Grund der dort ständig zunehmenden Laufkundschaft unbedingt dort bleiben wollten, hatten mit immer höheren Mietforderungen der Immobilienbesitzer zu kämpfen. Für sie war die Umwandlung des Viertels von einem immer weniger besuchten Anhängsel der Bochumer Innenstadt zu einem hochfrequentierten Kneipen- und Szeneviertel zugleich Segen und Fluch. Die Kunden und der Umsatz nahmen zwar zu, die Miete aber auch.
Bei genauerer Betrachtung hat sich das heutige Bermuda3eck dabei von seinen ‚Ecken‘ her entwickelt. Hier lagen, wie bei jeglicher Gastronomie nicht unüblich, auch schon ein Teil seiner Vorläuferlokale aus der Vor- und Nachkriegszeit, die von den ‚Eroberern‘ eigentlich nur übernommen und aktualisiert werden mussten. Hier verdichtete sich die bislang räumlich gestreute Innenstadtgastronomie zum ersten Mal systematisch uns begann damit ein reales Straßendreieck auszubilden.
Als engere Zeilenentwicklung gab es das vorher schon an der Brüderstraße. Sie allein hätte aber niemals ausgereicht, um der Motor für das zu sein, was sich Ende der 80er Jahre schon als das größte und dichteste Kneipenviertel des Ruhrgebiets darstellte. Ausschlaggebend war vielmehr die gastronomische Eroberung und Erneuerung der Dreiecksspitze am und auf dem Konrad-Adenauer-Platz. Erst mit diesem Anziehungspunkt war die Achsenentwicklung entlang der oberen Kortumstraße und entlang der Viktoriastraße als durchgehende Zeilenentwicklung der Kneipenlandschaft überhaupt möglich. Ansonsten wäre ohne diesen ‚geerbten‘ gastronomischen Konzentrationsansatz in der Umgebung der Brüderstraße und um den Konrad-Adenauer-Platz herum womöglich die gastronomische Entwicklung ein Solitär geblieben.
Deswegen ist, rein räumlich gesehen, auch die Rolle des kleinen Platzes um den früheren Engelbertbrunnen nicht zu unterschätzen, denn er ist der städtebauliche Schnittpunkt zwischen dem kleinen und dem großen Dreieck und damit zugleich die geographische Mitte des Quartiers. Auch hier gab es entsprechend Kneipenvorläufer aus der Vor- und Nachkriegszeit. Der Platz ist aber zugleich neben dem Konrad-Adenauer-Platz und der Einmündung der Kerkwege in die Viktoriastraße die dritte Ecke des kleinen Dreiecks. Von den beiden, das Viertel bestimmenden Straßentriangeln, ist dies jedoch spätestens Anfang der 90er Jahre das, was von allen drei Seiten von Gastronomie umschlossen ist.
Der typische bzw. häufigste ‚Rundlauf‘ oder vielleicht besser ‚Dreieckslauf‘ findet für die Mehrzahl seiner Besucher deswegen nicht entlang des großen, sondern entlang des kleinen bzw. Kern-Dreiecks statt – markiert durch das Café Konkret, den Intershop und das Mandragora. Aus diesem Grunde würde das Bermuda3eck als ruhrgebietsweite Attraktion sicherlich auch ohne die Brüderstraße funktionieren. Bis heute floriert die Brüderstraße nicht so wie die obere Kortumstraße einschließlich des Konrad-Adenauer-Platzes, was die zeitweise überdurchschnittlich vielen Besitzerwechsel, die hektische Umstellung der Gastronomie-Konzepte sowie die überdurchschnittlich häufigen Leerstände dort bezeugen.
Das liegt daran, dass der harte Kern und zugleich die Hauptattraktionen und somit die Strahlkraft dieses Kneipenviertels von dem Straßendreieck ausgeht, das die Brüderstraße nicht einschließt. Dieses Kern-Bermuda3eck, in dem am Konrad-Adenauer-Platz erstmals mit dem Ausbau der Außengastronomie eine über die Stadt hinausreichende Attraktion entstanden war, ist bis heute und als Ganzes die eigentliche Attraktion, bei der das Sehen und Gesehen werden von Anfang an und nach wie vor die urbane Hauptrolle spielt. Dabei macht die mittlerweile nicht nur zahlen- sondern auch flächenmäßig mehr als großzügige Außengastronomie entlang der oberen Kortumstraße und auf dem auch als KAP bezeichneten Konrad-Adenauer-Platz die spezielle Bermuda-Sommer-Atmosphäre aus, die an schönen Tagen zigtausende aus dem ganzen Ruhrgebiet und darüber hinaus anlockt.
Dieser Teil des Dreiecks ist seit Mitte der 80er Jahre der dauerhafte Motor eines gastronomischen Umfeldes, das bis heute und auch in weiterer Zukunft das große Dreieck in Richtung Innenstadt, Theater und die andere Seite der Viktoriastraße überschreitet und auch im Winter weiter seine, wenn auch abgeschwächte, Wirkung zeigt. Das dieser wahrscheinlich am höchsten frequentierte Teil Bochums zunehmend die Effekte aller Menschenmassenverdichtungen zeigt, die heutzutage, meistens abfällig, als „Ballermannisierung“ bezeichnet werden, ist ein unausweichlicher Teil des Erfolgs, den es wiederum – um eben diesen als Ganzen auf Dauer zu halten – einzudämmen und zu dosieren gilt.
Andererseits gibt genau dieser Effekt anderen nicht am Mainstream orientierten Angeboten der Gastronomie die Möglichkeit, in der Nähe dieses Frequenzerzeugers das Publikum mit abzuschöpfen, das eben dieser Menschendichte zeitweise oder sogar regelmäßig entkommen möchte. Was das B3E betrifft, muss dieses dafür nur ein paar Meter unter der Eisenbahnbrücke Richtung Stadttheater laufen, um nach Ehrenfeld und damit genau dahin zu gelangen, wo sich mittlerweile die unkonventionellen und ‚szenigeren‘ Kneipen sammeln. Eine Art „Off-Bermuda-Dreieck“ das sich zwar absichtlich und erfolgreich von der gleich um die Ecke stattfindenden Vermassung abgesetzt hat, unabsichtlich aber die ideale räumlich-funktionale Ergänzung dazu darstellt.
Ein gewisser Johannes Dittfeld
Die Bermudageschichte von Johannes Dittfeld begann im Jahre 1989 mit einer Art Nacht- und Nebelaktion des Logos-Triumvirats, das bis drei Tage vor der Eröffnung des berühmten Tucholsky noch keinen passenden Pächter ihres Vertrauens gefunden hatten – bis Frank Nokielski einen engen Kumpel Alexander Schülers zur Sprache brachte. Johannes Dittfeld war ein ähnlich leidenschaftlicher Schwimmer und Radfahrer wie dieser.
Das Problem war nur, dass Dittfeld zwar schon im Appel und viel später noch mal im Sachs als Zapfer tätig war, bislang jedoch jede größere Verantwortung konsequent abgelehnt hatte. Das ‚Frickeln‘ an Autos und Motorrädern hatte ihm immer viel mehr gelegen – so viel mehr, dass auch sein Studium sehr darunter gelitten hatte. So war es auch für Alex Schüler der letzte Versuch, seinen Freund ins Logos-Boot zu holen und es gelang ihm, nachdem auch Dittfelds Lebensgefährtin Sylvia mit einzusteigen bereit war. „Dass ich dann das Tucholsky übernommen habe, war nicht geplant. Aber als ich das Angebot angenommen hatte, habe ich mich mit aller Energie in diesem Projekt engagiert“, sagt er selbst dazu.
Mit dem Erfolg des Tucholsky begann der unaufhaltsame Aufstieg Johannes Dittfelds vom Studenten, der wie viele andere auch ‚neben der Uni‘ kellnerte, zum – wie ihn die Lokalzeitung später häufig nannten – „Multigastronomen“, wobei die ihm unterstellten Gastronomien selbst allesamt zum Logos-Imperium gehörten bzw. nach der grundsätzlichen konzeptio-nellen Entwicklung an ihn als Pächter übergeben wurden. Das Tucholsky, das vorher Oberge hieß – wohl in Erinnerung daran, dass es in den 50er Jahren als Restaurantbereich des Hotels Siebeck entstanden war – wurde vom Stand weg zum neuen In-Place des Bermuda3ecks. Aber nicht nur die vom legendären Speckmann gestaltete Einrichtung läutete – ähnlich wie beim Sachs – das Ende der 80er Jahre ein. Heller, kühler, urbaner, aber nicht ohne Wärme. Auch die Namenswahl setzte ein neues Zeichen: Der großstädtische Intellekt sollte verstärkt ins Viertel gezogen werden.
Während im Mandragora um die Ecke der Kulturfaktor abflachte, ja sogar fast ganz zum erliegen kam, flammte er im Tucholsky wieder auf. Was Leo Bauer begonnen und zunehmend den kommerziellen Interessen geopfert hatte, nahm nun Johannes Dittfeld wieder auf. Waren es in den 70er Jahren die berühmt-berüchtigten Live-Konzerte im Mandragora, die ein kulturelles Highlight setzten, folgten nun von Anfang bis Mitte der 90er die ebenso hochkarätigen wie gut besuchten Kneipenlesungen im Tucholsky. In enger Zusammenarbeit mit dem nahe gelegenen Schauspielhaus und der Buchhandlung Janssen wurden noch mehr oder weniger unbekannte, später aber sehr berühmte Autoren eingeladen. Unter anderem Eckhard Henscheid, Harry Rowohlt, Stan Nadolny und die „schreibende Hure“ Domenica – eine Entdeckung von Wolf Wondraschek – die sich später wieder aus dem Kulturbetrieb verabschiedete und sich in der Prostituiertenbetreuung engagierte. Sie starb im Jahre 2009.
Das Tucholsky behielt seinen intellektuellen Touch auch, als hier die Kultur nach ein paar Jahren wieder abklang. Dafür sorgte Johannes Dittfeld nicht nur durch sein eigenes Auftreten und seine nun etablierten Verbindungen in die örtliche und überörtliche Szene, sondern auch durch das entsprechende Flair im Lokal. Hier lagen zum ersten Mal im Bermuda3eck die wichtigsten Tageszeitungen und Magazine aus, hier traf man aber eventuell auch die, die darin erwähnt wurden oder sogar darin schrieben. Hier war die Musik so eingestellt, dass zu jeder Zeit eine Unterhaltung möglich war, hier traute man sich – im Gegensatz zum Sachs oder zum Intershop – auch als über 40- oder sogar über 50-Jähriger hinein.
Anfang der 90er Jahre begann Johannes Dittfeld auf Basis der hier gesammelten gastronomischen Erfahrungen unter dem Dach der ‚Logos‘ zu expandieren. Zuerst wurde der klägliche, auf eine Etage des Hauses reduzierte Rest des ehemaligen Hotels Siebeck übernommen und um zwei weitere Etagen vergrößert. Aber da Dittfeld in seinen ersten experimentellen Jahren im Tucholsky gelernt hatte, dass Kultur nicht unbedingt als Aktion, aber doch zumindest als Flair den Umsatz zu steigern vermag, wurde das Hotel nicht nur vom Namen her das erste ‚Art-Hotel‘ Deutschlands, denn jedes Zimmer wurde von einem Künstler individuell gestaltet.
1994 übernahm er das einstige New Amsterdam, eine Lokalität, die rein räumlich schon nicht mehr zum Bermuda3eck gehörte, aber unter verschiedenen Pächtern und Namen als kleinere Innenstadt-Diskothek seit den 60er Jahren faktisch gegenüber des Endes der Brüderstraße – auf der Ecke Luisenstraße/Hellweg – überlebt hatte. Mit dem Sprung über den Südring begann Dittfeld sein Reich nun über das große Dreieck hinaus auszudehnen und in einen der Vorläuferbezirke des Bermuda3ecks einzudringen. Es bestand zu diesem Zeitpunkt entlang des Hellwegs und nicht weit vom New Amsterdam entfernt, aus dem London-Life, Daddys Hobby, Hufeisen und Oblomov. Das New Amsterdam wurde zum Café Zentral und veränderte sich damit von der Diskothek zum Bistro-Café. „Im Café Zentral traf ich dann viele Gäste wieder“, erinnert sich Dittfeld, „die anfangs häufig im Tucholsky waren, es dann aber verlassen hatten, weil sie einfach nicht mehr so oft in die Stadt gingen. Es war schön zu sehen, wie man selbst und seine Projekte gemeinsam mit den Gästen reiften.“
Die ‚Logos‘ als ‚Konzern‘ waren allerdings schon 1988 in dieses Kneipencluster eingestiegen und hatten unter dem Daddys Hobby die Club-Diskothek Café Du Congo eröffnet. Über dem neuen Cafè Zentral wurde dann mit seiner Eröffnung auch die neue ‚Konzernzentrale‘ eingeweiht. Der neue Erlebnisstil der Bermuda-Gastronomie hatte damit auch den Hellweg erobert und somit zum ersten Mal – rein räumlich betrachtet – eine Art äußeres Bermuda3eck geschaffen. Von der Publikumsbewegung her war der Hellweg nun eine Erweiterung der Brüderstraße geworden und hatte damit auch die Luisenstraße und den Luisenhof zum Vorhof des eigentlichen städtebaulichen Dreiecks gemacht.
Besiegelt war diese räumliche Erweiterung des Bermuda3ecks jedoch erst, als Johannes Dittfeld Ende der 90er Jahre den Livingroom eröffnete und damit in Ausstattung, Größe und Angebot einen neuen, geradezu metropolitanen Maßstab setzte. „Ein Restaurant wie den Livingroom gab es in allen Metropolen der Welt, im Ruhrgebiet und in Bochum gab es so etwas noch nicht. Wir wollten mit dem Livingroom Maßstäbe setzen, und das ist uns auch gelungen. Wirtschaftlich war es dagegen immer schwer. Bochum hat nicht das Geschäftsleben, das ein Lokal wie den Livingroom benötigt. In Essen wäre es einfacher gewesen.“
Johannes Dittfeld ist nicht mehr im Bermuda3eck und auch nicht mehr als Gastronom aktiv, nachdem er sich mit seiner permanenten Expansionsstrategie am Ende finanziell übernommen hatte und deswegen seine unternehmerischen Segel strecken musste. Aber er war einer der schillerndsten Figuren unter den Bermuda-Gastronomen, ohne dessen Wirken das B3E nicht so aussehen würde wie es heute ist.
Ein Nachfolger für ihn war deswegen auch nicht einfach zu finden, aber es gab ihn nach längerer Suche dann doch: Christian Bickelbacher, einer der Betriebsleiter Dittfelds, der nicht so gerne im Rampenlicht steht wie sein Vorgänger, dafür aber bis heute einer der erfolgreichsten und zugleich bodenständigsten Großpächter im Logos-Imperium geworden ist und als erster der Bermudagastronomen sein Reich mit dem Logos-Konzept Three Sixty auf die Gastromeile des CentrO in Oberhausen ausgedehnt hat.
Ein gewisser Hanns Janssen und die Verbindung von Kneipen- und Hochkultur
Der eigentliche Ursprung, der im Tucholsky begonnenen und später immer wieder aufflammenden und weiter geführten Kooperation zwischen der sogenannten bürgerlichen Hochkultur – vor allem der des Bochumer Schauspielhauses – und dem Bermuda3eck, liegt allerdings nicht in der dortigen Gastronomie, sondern im dortigen Buchhandel begründet.
Der Büchernarr und Literaturkenner Hanns Janssen eröffnete nämlich schon 1965 an der Brüderstraße nicht seinen ersten – aber die Zeichen der Zeit erkennend und sich dazugehörig fühlend – den ersten sehr bald als ‚links‘ bezeichneten Buchladen Bochums.
Genau so etwas suchte der erste als ‚links‘ geltende Intendant der Stadt, Peter Zadek und sein äußerst literaturbeflissener und belesener Chefdramaturg Greiffenhagen, als sie in diese Stadt kamen. Welches Glück, der Buchladen war nur fünf Minuten zu Fuß von ihrem neuen Arbeitsplatz entfernt. Zu dieser Zeit sah es in dessen Umgebung allerdings noch ganz anders aus als heute. Die Brüderstraße war noch ein Hort des Einzelhandels und des Handwerks. Ein Friseur, ein Schuhmacher, ein Installateur, ein Malermeister, ein Neonröhrenhersteller, verschiedene kleine Boutiquen, zwei Kneipen und ein Kolonialwarenhändler bestimmten das Straßenbild. Die typische Mischung eines innenstadtnahen Gründerviertels. In den 70er und 80er Jahren mussten sie dann Stück für Stück der einrückenden Bermuda-Gastronomie weichen oder wurden von ihr übernommen.
Die Buchhandlung, in der der heute in Funk und Fernsehen bekannte Kabarettist Jochen Malmsheimer eine Lehre zum Buchhändler absolvierte, hielt sich nicht nur – sie wurde sogar erweitert. Mit den 70er Jahren brach dann das große Jahrzehnt des Lesens an – des politischen Lesens vor allem – des Interesses an kritischer Gesellschaftsliteratur und der Diskussion darüber. Wie überhaupt dieses ‚rote Jahrzehnt‘ mehrheitliche die jungen Köpfe bewegte, und nicht oder nur sehr selten die realen gesellschaftlichen Verhältnisse. Die änderten sich zwar auch, aber mehr in kultureller und sozialer Hinsicht als wirtschaftlich. Der allseits kritisierte und in vielen Aktionen ‚bekämpfte‘ Kapitalismus blühte im Gegenteil erst richtig auf und die breite Masse begann nun auch ganz unten von seinen damals noch üppigen Wachstumsraten zu profitieren.
Es ist also kein Wunder, dass die ‚Revolution‘ vor allem eine sprachliche, eine des Diskurses und vor allem eine der verbalen und schreibenden Aktion war. Die aber brauchte Treffpunkte für die, die sie machten, beobachteten, begleiteten, bewunderten, kritisierten, konsumierten, sich davon ausruhten, sie vor- und nachbereiteten. Die damit verbundene soziokulturelle Dynamik – auch zwischen den Geschlechtern – die Suche nach immer neuen Begegnungen, die Befriedigung der wachsenden zwischenmenschlichen Neugierde, die sich mit neuen Ideen vom Zusammenleben und häufig mit dem eigenen Erwachsenwerden vermischte, suchte sich öffentliche und zugleich geschlossene Räume. Die Kneipe wurde so fast automatisch zum beliebtesten kollektiven Aufenthaltsort dieser Zeit. Sie stand in ihrer langen Kulturgeschichte zum ersten Mal seit langem wieder im Zentrum.
Es war dieser allgemeine gesellschaftliche Trend, der im B3E besonders intensiv zum Tragen kam. Es waren die Pioniere des Dreiecks, die nicht nur dazu gehörten, sondern auch davon persönlich profitierten. Mitten in der tiefsten Diskussionsphase über den Kapitalismus entstand an einem Ort, an dem diese besonders häufig stattfand, eine neue Unternehmergeneration, die sich dessen am Anfang nicht einmal richtig bewusst war, weil sie zumindest teil- und phasenweise selber zu den Diskutanten und Kritikern zählte. Das ist – gesellschaftspolitisch gesehen – die ironische Seite der Geschichte des Bermuda3ecks.
Sie erklärt zumindest zum Teil, wie sich trotz der allgemeinen Verdrängung des Einzelhandels aus dem ehemaligen Bahnhofsviertel die Buchhandlung Janssen bis heute halten konnte. Urbanität ist letztlich auch eine Ware, die produziert und vermarktet werden muss. Urbanität ist eine Dienstleistung, die sich nicht nur an den Bauch sondern auch an den Kopf, ja in der Zeit der Entstehung des Bermuda3ecks sogar bevorzugt an den Kopf, gewandt hat.
Der Geist dieser Zeit war wirklich ein geistiger und weniger ein materieller. So passte die bei Janssen angebotene ‚Geistesnahrung‘ sehr wohl zu den anderen Genussmitteln, welche die wachsende Gastronomie zusätzlich und neben der zwischenmenschlichen Kommunikation anbot. Selbst theoriegeschichtlich passte hier am Anfang alles zusammen, be-inhaltete die Urbanität aus ihrer Ideen-geschichte heraus doch auch immer den Ort des kritischen Diskurses. Dem, was man in den 20er Jahren eine „Karawanserei des Geistes“ nannte, kam das Bermuda3eck in den 70er und auch noch zu Beginn der 80er Jahre sehr nahe.
Die Buchhandlung Janssen spielte dabei nicht nur in der späteren Zusammenarbeit mit dem Tucholsky eine hervorgehoben Rolle. Zadek versuchte, das Schauspielhaus von einem Ort der bewussten Politik- und Realitätsferne wieder an die wirkliche Welt und ihre aktuellen Konflikte heranzuführen. Das gelang ihm zwar nur sehr begrenzt, aber indem er eine nahegelegene und hochfrequentierte Buchhandlung zu seinem thematischen Partner machte, verlängerte er die geistige Wirkungskette seiner Theaterstücke zumindest in den kulturellen, städtischen Alltag von Bochum hinein.
Hinzu kam, dass er sich deswegen auch selbst in die Buchhandlung und damit natürlich unvermeidlich in das damals sich entwickelnde Kneipenviertel hinein begab. Er – und später auch seine Schauspieler und Mitarbeiter – wurden damit Teil der dort stattfindenden Kommunikation. Etwas, was ein Schalla, selbst wenn er zu dieser Zeit noch Intendant gewesen wäre, schon von seinem Selbstverständnis her nie getan hätte. Erst später entdeckte dann auch das Theaterpublikum das Bermuda3eck; und das nicht zuletzt, weil es sich durch seinen neuen Intendanten und seine Stückauswahl selbst gewandelt hatte.
Peter Zadek sorgte dafür, dass es im Schauspielhaus andere und vor allem jüngere Zuschauer gab, die schon von sich aus eine gewisse Affinität zum Bermuda3eck hatten. Andererseits ermutigten diese später auch den konventionelleren, aber nichtsdestotrotz neugierigen Teil der herkömmlichen Besucher, ihnen dorthin zu folgen. Dazu musste allerdings auch das Bermuda3eck erst einmal so etwas bieten wie das Tucholsky. Etwas ‚Feineres‘ welches immer noch genügend anders war als jenes, was ein klassisches Theaterpublikum normalerweise nach einem Abend im Schauspielhaus als Gaststätte aufsuchte.
So musste es auf beiden Seiten auch innere Veränderungen geben, ehe die äußere Annäherung sich ausbilden konnte. Erst nachdem der starke politische Impetus der 70er Jahre auch im Bermuda3eck ‚nur‘ noch der kulturellen Motivation gewichen war und sich zugleich das bürgerliche Publikum des Schauspielhauses von der klassischen Theaterkleidung immer mehr befreit hatte, konnten sich Bermuda-Gäste und Schauspielpublikum nicht nur im Tucholsky problemlos vermischen. Heute, beim jährlichen Open-Air-Konzert der Bochumer Symphonikern auf den Konrad-Adenauer-Platz, sind sie selbst bei näherem Hinsehen nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Auch spätere Intendanten des Bochumer Schauspielhauses hatten nicht nur eine kulturelle, sondern auch eine persönliche Beziehung zum Bermuda3eck. Das Gleiche galt und gilt für seine Schauspieler, wobei einer bis heute im Art-Hotel Tucholsky übernachtet, der es nach seiner Zeit und Peymann zu einem der bekanntesten deutschen Bühnendarsteller gebracht hat und dessen markantes Gesicht und dessen einprägsame Stimme dann auch dort zu sehen und zu hören ist: Otto Sander.
Später sollte dann aus dieser Jahrzehnte währenden lokalen Verbindung von metropolitaner Kneipen- und überregional bekannter Hochkultur sogar ein neues Bochumer Theater entstehen. Aber dazu mehr am Ende des folgenden Kapitels. (> Ein gewisser Dirk Steinbrecher)
Ein gewisser Dirk Steinbrecher
Dirk Steinbrecher – ‚Brösel‘ genannt – weniger an äußerlicher Eleganz interessiert und nicht so eloquent wie Johannes Dittfeld, jedoch organisatorisch genauso begabt und vor allem immer noch erfolgreich im Dreieck aktiv, begann 1986 seine ‚Kneipenkarriere‘ mit 21 Jahren im Mandragora, im Ausschank des dazugehörigen Biergartens auf dem Konrad-Adenauer-Platz. Er ist heute Vorstandssprecher der Immobilien- und Standortgemeinschaft Bermuda3eck.
„Ich begann ein Jahr zuvor mit meinem Maschinenbau-Studium und da ich schon als Jugendlicher immer nebenbei gejobbt habe, suchte ich nach einer festen Aushilfsstelle, um meinen Eltern nicht allzu sehr auf der Tasche zu liegen. Da ich schon länger Gast im ‚Mandra‘ war, lag es nahe dort zu arbeiten, wo man sich auch privat wohl fühlt. In die Gastronomie einzusteigen hatte ich damals nicht vor.“ Nach der ersten Sommersaison wurde ihm das Privileg zuteil, im Mandragora an der Theke zu arbeiten. Als in der Küche jemand ausfiel, sprang er auch dort ein und langsam entdeckte er die Gastronomie für sich. Drei Jahre später leitete er für den damaligen Pächter den gesamten Biergarten mit an die 100 Mitarbeitern, meist studentische Aushilfen. Mitte der 90er gab es kaum Chancen, als Ingenieur eine Stelle zu bekommen und so entschied er sich kurz vor Beendigung seines Studiums spontan, dieses abzubrechen und bei Leo Bauer in die kaufmännische Lehre zu gehen.
Sein ‚Gesellenstück‘ war mit Sicherheit die Wiedergeburt des Biercafés am Schauspielhaus, eine HEBA-Kneipe die nicht mehr lief und für die man auch keinen Pächter fand. Bauer – pragmatisch wie er bis heute ist – sagte damals zu Steinbrecher: „Dann machen wir das eben selber“. Bis heute betreibt ein ehemaliger Mitarbeiter von Steinbrecher diese Kultur-Kneipe mit Erfolg.
Dirk Steinbrecher gehört altersmäßig zur dritten Generation der Bermudapioniere. Die erste war die Generation um Leo Bauer, von der als Führungspersönlichkeit letztlich nur er selbst im Dreieck übrig geblieben ist. Die zweite stellten die ‚Logos‘ und die Leute um Armin Reisewitz dar. Steinbrechers Zeiten als Geschäftspartner von Leo Bauer brachen nämlich erst 1996 an, d.h. in einer Zeit, in der das Bermuda3eck schon zum Selbstläufer geworden war. Vom Meister-Lehrling Leo Bauers zu seinem wichtigsten Pächter und Vertrauten war es also ein langer Weg, den dann beide bis heute äußerst erfolgreich weiter gegangen sind.
Seitdem Leo Bauer den Handelshof erworben und Stück für Stück den Konrad-Adenauer-Platz einer gastronomischen Außennutzung zugeführt hatte, ist Dirk Steinbrecher die wesentliche Stütze bei der Organisation der damit zusammenhängenden sozialen und logistischen Maschinerie. Mit zum Schluss fast 1000 Außensitzen managte Dirk Steinbrecher bis heute, zumindest in den Sommermonaten, den dann weitaus größten Bermuda-Betrieb und wahrscheinlich sogar den publikumsintensivsten Platz im ganzen Ruhrgebiet.
Ein Platz, der in den 90er Jahren auch noch im Zentrum erheblicher sozialer Konflikte lag, weil die örtliche Jugend- und Drogenszene ihn zu ihrem Treffpunkt erkoren hatte und immer wieder im Clinch mit den Gästen, den Betreibern und im Extremfall auch mit der Polizei lag. (> Wie der Konrad-Adenauer-Platz zum Platz an der Sonne wurde)
Dirk Steinbrecher führte damit lange Zeit auch den schwierigsten Betrieb des Bermuda3ecks, an dem zugleich die wichtigste Immobilie seines Ziehvaters und Verpächters lag, was das Klima zwischen beiden in dieser Zeit nicht immer angenehm gestaltete. Der völlige Verzicht auf die gastronomische Nutzung des Platzes hätte nämlich nicht nur den Wert des Handelshofes gesenkt, sondern zugleich den gastronomischen Gewinn des Mandragora und des Treibhauses (jetzt Hemingway’s) erheblich eingeschränkt.
Dirk Steinbrecher ging also zeitweise durch eine sehr harte Schule und wurde dabei auch noch ganz nebenbei zum Streetworker und Sozialpsychologen ausgebildet. Aber auch er hatte bei all den ökonomischen Zwängen, die ihm – ähnlich wie Johannes Dittfeld – die oberste Ebene aufdrückte, das gleiche kulturelle Verständnis von seinem Job. Für ihn war und ist der Konrad-Adenauer-Platz ein Treffpunkt für alle, d.h. auch für Leute, die auf Grund eines begrenzten Budgets nicht so sehr zum Umsatz beitragen konnten, wie die Mehrheit der Gäste. Essen mitbringen zu können heißt ja nichts anderes, als eine Gastronomie auch für die zu öffnen, die sich kein Menü leisten können.
Während in den späten 90er Jahren Johannes Dittfeld und die ‚Logos‘ durch ihre massive Expansion ihre kulturellen Interessen zunehmend aus den Augen verloren, knüpfte Dirk Steinbrecher in seinem Wirkungsbereich noch einmal an die soziokulturellen Wurzeln des Bermuda3ecks und des Mandragora an. Drinnen fanden jeden Dienstag Blues- und Jazzkonzerte statt und auf der Bühne des Konrad-Adenauer-Platzes wurde später sogar Tango getanzt. Bis heute drehen die vom argentinischen Nationaltanz Begeisterten im Sommer – und das meisten vor begeistertem, zumindest aber neugierigem Publikum – ihre Runden.
Ab 1996 kam es dann noch einmal zu einer Kooperation mit der etablierten Hochkultur der Stadt. Auf dem Konrad-Adenauer-Platz spielten nun zumindest einmal im Jahr umsonst und bis heute die Bochumer Symphoniker. Sie gingen und gehen immer noch – wie häufig nach Konzerten – in den Livingroom, während die jungen, noch nicht etablierten Off-Schauspieler, die im Riff probten danach im oder vor dem Mandragora saßen und heute noch sitzen.
1998 übernahmen Leo Bauer und Dirk Steinbrecher das Riff, auch die ‚Bermuda-Halle‘ genannt, auf dem Gelände des ehemaligen Hauptbahnhofs auf der gegenüberliegenden Seite der Viktoriastraße. Dort stand immer noch der Behelfsbahnhof und daneben – entlang der Bahn-trasse – eines dieser lang gezogenen Lagerhäuser, die man an vielen ehemaligen Bahnhöfen findet. Die heruntergewirtschaftete Diskothek wurde mit geringen Mitteln und viel Eigenleistung renoviert und mit neuem Leben gefüllt. Am Wochenende Mainstream-Disco, an den übrigen Tagen Kulturstätte.
Die freie Kulturszene war von Anfang an am Erfolg des Riffs beteiligt, in dem Steinbrecher gleich zu Anfang mit jungen Schauspielschülern eine Off-Bühne installierte. Der heute bekannte Schauspieler Lucas Gregorowicz (Das Wunder von Bern) okkupierte zusammen mit dem Regisseur Philipp Reuter damals das Riff über Wochen. In deren Dunstkreis wurde auch die Idee eines weiteren Off-Theaters geboren und später durch Arne Nobel an der Rottstraße auch realisiert. Die Halle war Malersaal, Proberaum, Garderobe und Besprechungsraum für die jungen Künstler. Die Aufführungen von Sam Shepards „Fool for Love“ waren mit ca. 200 Zuschauern fast immer ausverkauft. Vor allem mit der jeden Mittwoch stattfindenden ‚New York Night‘ von Pamela Falcon hat er im Ruhrgebiet ein Live-Musikprogramm etabliert, das es vorher in dieser Art in der Region nicht gab. Auch hier trat er letztlich in die Fußstapfen von Leo Bauer, der am Anfang seiner Karriere immer wieder mit Künstlern eng zusammenarbeitete.
Der Fahrradladen Balance
Der Fahrradladen Balance, direkt an der Hauptflaniermeile des Bermuda3ecks gelegen, ist dagegen noch ein Gewächs der 80er Jahre. Seinen Ursprung hatte er jedoch – wie viele der heutigen Bermudagewächse – außerhalb des Dreiecks; und zwar 1983 in einem Hinterhof an der Herner Straße. Von den vier Gründungsmitgliedern, die alle der damaligen Alternativszene angehörten, ist nur einer bis heute dabei geblieben: Klaus Kersten.
Zu Anfang hatten er und seine Mistreiter größere Pläne. Ein alternatives Kaufhaus in Selbstverwaltung sollte her, scheiterte allerdings an fehlenden Räumlichkeiten. Heraus kam stattdessen der erste Bochumer Fachhandel, in dem alle Mitarbeiter zugleich Eigentümer waren und alles was das gemeinsame Geschäft betraf auch gemeinsam entschieden. Bis heute.
Während in der stürmischen Wachstumszeit des Bermuda3ecks einige der angestammten Einzel- und Fachhändler das Viertel verließen bzw. verdrängt wurden und stattdessen immer mehr Kneipen und/oder Restaurants eröffneten, trauten sich 1988 der selbstverwaltete kleine Fahrradladen, der auch genauso hieß, an die obere Kortumstraße und damit mitten ins Bermuda3eck.
Aus den Hobbyfahrradbastlern, von denen zu Anfang ihres Unternehmens alle genauso wenig von Fahrradtechnik Ahnung hatten wie die meisten neuen Wirte des Bermuda3ecks von der Gastronomie, waren mittlerweile Fahrradprofessionals geworden. Zusammen mit Bekannten, die außerhalb der Innenstadt einen Artistik-Laden betrieben, zog man in die heutigen Verkaufsräume und nannte sie Balance.
Die Geschäfte liefen, auch auf Grund der wegen der zunehmenden Gastronomie steigenden Passantenfrequenz immer besser. Aber selbst bei der damit verbundenen Vergrößerung der Mitarbeiter-Mitbesitzer-Mannschaft – mittlerweile zwölf an der Zahl – wurden die Prinzipien der Selbstverwaltung nicht aufgegeben. Dafür wurden die Geschäftsprinzipien und das dazu notwendige betriebswirtschaftliche und technische Know-how dem immer größer werdenden Umsatz angepasst. Die unvermeidlichen Zusatzlasten und Reibungsverluste, die dabei durch die konsequente innerbetriebliche Demokratie entstanden, wurden nach der alten Alternativparole „Eine gute Idee ist stärker als die Gesetze der Ökonomie“ durchgehalten, führten aber auch immer wieder zum Ausstieg bzw. zum Neueinstieg von Teilhabern. Insgesamt jedoch hat die Idee – natürlich nicht ohne Kompromisse gegenüber den kapitalistischen Rahmenbedingungen und den Vorteilen innerbetrieblicher Rationalisierung und professioneller Organisation – den Sieg davon getragen. Auch ökonomisch, denn mittlerweile hat Balance auch eine eigene Fahrradmarke namens Lancelot.
Bochum Total und das Ende der Pionierzeit
Anfang bis Mitte der 90er Jahre ging die Pionierzeit des Bermuda3ecks zu Ende. Die drei Gründungsclans waren aufgebaut und als rechtliche Gesellschaften formiert. Sie hatten sich das wirtschaftliche Feld bis auf ganz wenige unabhängige Betriebe mehr oder weniger unter sich aufgeteilt, wobei sich Dirk Steinbrecher und Johannes Dittfeld als zwei weitere Führungspersonen herausgeschält hatten, die aus dem Kellnerheer zu Hauptpächtern und Geschäftsführern aufgestiegen waren. Die Spreu hatte sich zu diesem Zeitpunkt endgültig vom Weizen getrennt.
Mancher der Mitarbeiter und Mitstreiter, die wieder im Niemandsland der Erfolglosen verschwanden oder andere Karrieren starteten, hatten dabei sogar kurzfristig und im wahrsten Sinne des Wortes ‚im Geld geschwommen‘ (oder besser: darin gelegen), denn der Umsatz einiger Lokalitäten hatte – vor allem in der stürmischen Expansionszeit der 80er Jahre – manchmal ungeahnte, ja, irrationale Höhen erreicht. Auf Dauer blieben allerdings nur die, die nicht in den Höhenrausch gerieten und nur noch das schnelle Geld machen wollten, am Markt bestehen.
Dazu gehörte auch jemand, der nicht zu diesen drei Clans gehörte – ja nicht einmal Gastronom war: der Musiker Marcus Gloria. Er hatte zusammen mit Heri Reipöler, einem der Organisatoren des heutigen Zeltfestivals Ruhr und ebenfalls Musiker, 1986 das erste das ganze Bermuda3eck umgreifende Kultur- und Musikfestival namens Bochum Total in Gang gesetzt und damit ganz nebenbei die erste Gesamtvermarktung des Standortes in die Wege geleitet.
Das Dreieck war und ist bis heute sein Hauptspielort, denn die dort vorhandene Kneipendichte und vor allem die Möglichkeit von größeren Open-Air-Veranstaltungen durch eine entsprechend große Bühne auf dem Konrad-Adenauer-Platz machte die Vielfalt und Gleichzeitigkeit unterschiedlichster Veranstaltungen auf engstem Raum in dieser zentralen Lage möglich. Ab 1990 wurde diese Bühne – eine private Investition Leo Bauers als Eigner des Mandragora – zur festen Einrichtung im Dreieck.
Sie wurde im Rahmen eines vor ein paar Jahren von der Stadt Bochum und der ISG-Bermuda3eck veranstalteten Architekten- und Designerworkshops neu entworfen und 2011 als Lichtkunstbühne von Dirk Steinbrecher und Leo Bauer erneuert. Am Abend und in den Nachtstunden ist sie zu einer Art Wahrzeichen des Konrad-Adenauer-Platzes geworden.
Wie sehr Bochum Total am Anfang noch in der Ursprungstradition der Bermuda-Erfinder lag, wurde in Glorias Zielsetzung deutlich. „Wir wollen die alternative Kultur dahin bringen, wo die Bürger sind“ sagte er in einem Zeitungsinterview kurz vor Beginn des ersten Festivals. Aber es gab auch andere Gründe: „Wir waren junge Musiker“, so Gloria heute, „und wollten uns einfach eine Möglichkeit schaffen, bei der wir und unsere Freunde auftreten konnten.“ Dass ihn die Bermudagastonomen und vor allem Leo Bauer dabei unterstützten, lag mehr oder weniger auf der Hand.
Marcus Gloria und Heri Reipöler versuchten sich allerdings auch einmal als Gastronomen, als sie von Leo Bauer Mitte der 90er die Räume das heutigen Riffs pachteten. Christian Eggert, als Dritter im Bunde und heute Erfinder und Chef von ‚Urbanatix‘ erfand übrigens den Namen Riff. Der Vierte im Boot (siehe Foto) ist Peter Sömmer, der Manager von Stoppok.
Nicht nur, dass ihre Kneipen selbst Veranstaltungsorte wurden, es entsprach auch ihrem eigenen kulturellen Impetus und dem der Zeit. Auch die Stadtverwaltung hatte deren Zeichen und die Rolle des Bermuda3ecks darin endlich erkannt. Sie unterstützte das Festival auf Grund seines offensichtlich nicht-kommerziellen Anspruches mit 8000,- DM. Dieses Geld hatten die beiden Veranstalter auch bitter nötig, denn das damals nur zwei Tage dauernde Festival war wirklich kein finanzieller Erfolg. Weder für die Veranstalter noch für die Gastronomen.
Aber es war auch kein großer Flop, denn zumindest die Abendveranstaltungen waren gut besucht. Allerdings gab es strenge Lärmauflagen, die nach 22 Uhr vor allem die auf zwei Bühnen spielenden Musiker zum Aufhören oder zum Wechseln in die geschlossenen Kneipenräume veranlassten. Die räumliche und zeitliche Kompaktheit und kulturelle Vielfalt des Festivals kam beim Publikum allerdings gut an. Damit war der Grundstein für ein jährliches Highlight gelegt, das schon wenige Jahre später, was sowohl die Besucherzahlen als auch die ökonomischen Gewinne betreffend, alle Erwartungen sprengte und das Bermuda3eck noch weiter über die Stadtgrenzen hinaus bekannt machte.
Markus Gloria und seine Mitstreiter konnten sich dem damit verbundenen kommerziellen Sog natürlich nicht entziehen und gründeten eine eigene Vermarktungsgesellschaft, die Bochum Total als spezielles Event-Konzept etablierte und später auch auf andere Städte übertrug. Aber auch die Gastronomen des Bermuda3ecks begriffen schnell, dass für sie eine neue Phase begonnen hatte: Die gemeinsame Vermarktung ihres Standortes. Der Selbstläufer Bermuda3eck kommt damit parallel zum zunehmenden Publikumserfolg von Bochum Total spätestens zu Beginn der 90er Jahre in die Phase der totalen Kommerzialisierung, die zugleich das Festival selbst verändert.
Es wurde zeitlich ausgeweitet, es gab immer mehr Veranstaltungsorte und Bühnen und es dehnte sich sogar auf die Fahrbahnen von Südring und der Viktoriastraße aus. Die Besucherzahlen stiegen auf bis zu eine Million und machten Bochum Total zum größten Festival Deutschlands – und dies alles gab dem Bermuda3eck natürlich einen weiteren Wachstumsschub. Selbst an normalen Wochenenden waren in den kommenden Jahren im Sommer häufig Zehntausende auf den Straßen und Plätzen. Die Bermuda-Gastronomen, unter der Führung vor allem von ‚Logos‘ und Bauer, ließen sich zusätzliche Events einfallen, wie die Tage, an denen gemeinsam unter dem Motto „Stühle raus“ die Freisitzsaison eröffnet wird oder den „Bermuda Bang“.
Der kulturelle Anspruch, der noch die 80er Jahre prägte, wurde spätestens Mitte der 90er Jahre – mit wenigen Ausnahmen wie z.B. bei den im letzten Kapitel beschriebenen Aktivitäten von Dirk Steinbrecher – immer mehr dem reinen Umsatzdenken geopfert. Man wollte immer noch anders sein als die anderen, bot immer noch mehr Flair und Abwechslung und ab und zu auch kulturelle oder sogar politische Veranstaltungen, die nicht nur, sondern gar nicht der Umsatzsteigerung dienen. Aber diese wurden in dieser Zeit zur Ausnahme.
Dieser Prozess verstärkte sich durch eine neue Sorte gastronomischer Investoren, die nun, nachdem die drei Clans die Aufbauarbeit geleistet hatten, von dem – wenn auch nicht mehr wachsenden – Umsatzkuchen ihren Teil abhaben wollten. Sie kamen früher nur deswegen nicht zum Zuge, weil die traditionellen Betreiber – unter ihnen vor allem die ‚Logos‘ – schneller waren. Seitdem der Expansionsdrang der Logos-Gruppe jedoch nach der Pleite ihres wichtigsten Pächters Johannes Dittfeld nachgelassen hatte, war der ‚Angriff‘ der Kettenbetriebe nicht mehr aufzuhalten.
Es gelang zwar, nach der vorläufigen Schließung der Union-Kinos, zusammen mit der Stadt und dem Hausbesitzer Lueg, noch einmal das schlimmste Szenario – die Umwandlung der Kinos in eine riesige Alkohol-Abfüllstation – zu verhindern, aber Extrablatt, Alex und ein Kettenmexikaner hatten sich im Dreieck festgesetzt.
Aber auch den Bermuda-Pionieren fiel gastronomisch nicht mehr viel Neues ein. Als endlich das letzte Filetstück im Dreieck, das Möbelhaus Schlesinger, frei wurde, kamen auch bei ihnen selbst nur noch Kettenkonzepte wie eine Sportsbar und ein American Diner zum Zuge. ThreeSixty und andere sollten – wie man im internen Sprachgebrauch sagte – nichts anderes mehr sein als ‚Cash Cows‘.
Wie der Konrad-Adenauer-Platz zum Platz an der Sonne wurde
In Deutschland war, wie schon an anderer Stelle beschrieben, bis in die 70er Jahre Außengastronomie in den Innenstädten nahezu unbekannt. Leo Bauer aber hatte mit dem 1972 eröffneten Treffpunkt einen direkt davor gelegenen ungenutzten Platz direkt vor der Haustür, mit dem auch die Stadtverwaltung bis dahin nicht so recht etwas anzufangen wusste: den heutigen Konrad-Adenauer-Platz. Leo Bauer, dessen Mutter aus Italien stammt, hatte solche städtischen Flächen in deren Heimatland ganz anders erlebt.
„Ich war“, erinnert er sich, „fasziniert von der Lebendigkeit der italienischen Städte im Sommer. Dort spielte sich das Leben auf der Straße ab. Bei uns hingegen saßen alle auch bei strahlendem Sonnenschein in den Kneipen. Das wollte ich ändern. Außerdem war es im Mandragora damals so voll, dass viele Gäste draußen standen“.
1974 handelte Leo Bauer. Im Sommer des gleichen Jahres beantragte er die ersten Außensitze im Bermuda3eck, wobei er als Test erst einmal nur einen kleinen Teil der gesamten Fläche beanspruchte. Nach der Neugestaltung des Konrad-Adenauer-Platzes 1979, die auch einen Brunnen vorsah, beantragte Leo Bauer dann erstmals eine große Fläche zum Betrieb einer Außengastronomie. Das war die eigentliche Geburtsstunde des Bermuda3ecks und veränderte die Kneipenszene weit über Bochums Grenzen hinaus; und deswegen trägt das heutige Mandragora den Titel „Wiege das Bermuda3ecks“ auch zu Recht.
Als Bauer seinen ersten Antrag stellte, hielten ihn die Verantwortlichen beim Bochumer Ordnungsamt – wie schon früher ausführlicher beschrieben – mit ganz wenigen Ausnahmen für verrückt. Wie sollte auf einer solchen städtebaulichen Restfläche, umgrenzt von einer Vierspurstraße und einem Parkhaus mit Tankstelle samt Zufahrt, mediterranes Flair entstehen? Wer sollte ein solches Angebot nutzen wollen? Aber die Stadt ließ den mutigen Gastonomen trotz dieser Bedenken gewähren.
Dessen Erfolg war am Anfang nicht bahnbrechend, aber auch nicht entmutigend. Die Hälfte des Platzes wurde zu einer Mischung aus italienischer Piazza und bayerischem Biergarten, während die andere Hälfte für Aktionen genutzt wurde, um weitere Leute auf dieses neue Platzgefühl aufmerksam zu machen, z.B. durch Anschüttung von Strandsand oder durch rollschuhlaufende Kellnerinnen. Der Konrad-Adenauer-Platz, trotz neuem Brunnen letztlich immer noch eine hässliche Betonwüste am Rande der Bochumer Innenstadt, wurde so Stück für Stück zum Treffpunkt für Jugendliche aus dem ganzen Ruhrgebiet umgewandelt. Auch der junge Marcus Gloria, später der Erfinder von Bochum Total, war darunter und spielte auf dem Brunnenrand gerne seine Gitarre, wie man auf dem folgenden Foto gut erkennen kann.
Heute ist der Konrad-Adenauer-Platz die größte Außengastronomie des Ruhrgebiets und zugleich zusammen mit Bochum Total als Festplatz des Bermuda3ecks etabliert. Entscheidender für die Entwicklung des gesamten Bermuda3ecks ist jedoch, dass er bald Nachahmer fand und dem gesamten Viertel eine neue Qualität des öffentlichen Raumes bescherte, die sich von ihrem Ursprungsplatz unaufhaltsam ausbreitete und heute neben anderem die besondere Sommerqualität des Dreiecks ausmacht.
Im Verlaufe dieser Entwicklung gab es immer wieder öffentliche Diskussionen darüber, inwieweit diese systematische Ausdehnung der Außengastronomie nicht auf eine komplette Privatisierung des öffentlichen Raumes in diesem Straßendreieck hinauslaufen würde bzw. dazu geworden ist. Auch bei denen, die zwar genau diese sommerlich-mediterrane Atmosphäre schätzen, aber Sorge um die damit verbundene Okkupierung des Straßenraumes für rein kommerzielle Zwecke haben. Viele vergaßen und vergessen dabei bis heute, dass die Straßen und Plätze des Dreiecks nach wie vor im Besitz der Stadt Bochum sind und die Gastronomen nicht nur für die Außennutzung bezahlen, sondern dabei auch öffentlichen Vorschriften unterliegen.
Vor allem aber vergessen sie, dass die vielen Menschen die Freisitze und das dortige Angebot genau deswegen nutzen und dafür natürlich auch bezahlen, weil sie es gut finden und nicht mehr missen möchten. Ja, dass die Freisitze gerade in ihrer großen Menge und vor allem in ihrer flächen- und zeilenmäßigen Geschlossenheit für die meisten Nutzer erst die urbane Erlebnisqualität des Sehen und Gesehenwerdens entstehen lassen, derentwegen sie dieses besondere Bochumer Innenstadtquartier besuchen. Die nach wie vor unglaubliche soziale Vielfalt, die sie dorthin lockt und deren Teil sie selber sind, konnte sich überhaupt nur deswegen entwickeln, weil es so viele unterschiedliche Lokalitäten und entsprechend viele und unterschiedlich Freisitze und Außenflächen dort auf engstem Raum gibt.
Die damit verbundenen Masseneffekte sind natürlich nicht zu vermeiden. Wer genau dies aber nicht will, hat in unmittelbarer Nähe genug räumliche Ausgeh- und Aufenthaltsalternativen und genau das macht Urbanität dieses Ortes erst als Ganzes aus. Hier genau liegt auch der zentrale Unterschied zu solchen Retorte-Orten wie die Gastrozeile des CentrO Oberhausen. Nicht nur, dass dort der Straßenraum auch rechtlich nicht mehr der Stadt Oberhausen gehört. Die riesige Shopping Mall selbst hat auch mit der sonstigen Innenstadt nichts zu tun und wer einmal drin ist, kann nicht einfach durch eine Nebenstraße ins freie Urbane ausweichen, geschweige denn kann er sich innerhalb der Mall so frei bewegen und betätigen wie z.B. auf den Straßen des Bermuda3ecks. Demonstrieren z.B. ist im CentrO-Gebiet nämlich strikt
verboten.
In der Geschichte des Konrad-Adenauer-Platzes haben dagegen immer wieder Demonstrationen und viele andere Formen des politischen Protestes stattgefunden, einschließlich der damit verbunden Konflikte. Ursache dafür war, wie in den 70er Jahren in vielen bundesrepublikanischen Städten, die Aufsplitterung der politisierten Jugendszene in einen eher integrierten Teil, der den berühmten langen Marsch durch die Institutionen antrat, d.h. sich in den örtlichen Parteien und vor allem in der SPD engagierte, und einem außerparlamentarischen, der sich wiederum im Wesentlich in zwei Gruppen gliederte: den wohlorganisierten Kadern neuer linker Kleinstparteien und der eher spontan sich zusammenfindenden freien oder auch alternativ genannten Jugendszene.
Urbanität geht nicht ohne Konflikte
Ende der 90er Jahre tauchte eine neue städtische Jugendbewegung auf, die zu einem Teil beratend von der alten städtischen Linken geführt wurde, die sich mittlerweile im und um den Bahnhof Langendreer etabliert hatte. Sie mischte sich allerdings zeitweise auch mit weniger politisierten Jugendlichen und der Punkszene. Das fast parallele Entstehen einer neuen, rechtsradikalen Jugendbewegung sowie das Erstarken neonazistischer Parteien, die obendrein eines ihrer regionalen Zentren in der Stadt Bochum aufschlugen, ließ die Forderung nach einem ‚Antifaschistischen Zentrum‘ entstehen und führt zur Besetzung einer seit längerer Zeit leer stehenden städtischen Feuerwache.
Mit der Räumung dieses Hauses begab sich diese Szene auf den Konrad-Adenauer-Platz, auf dem einige der Punks die Bühne schon als unbestuhlten Sitzplatz entdeckt hatten und von Dirk Steinbrecher geduldet wurden, sofern dort keine Veranstaltungen stattfanden. Das galt auch für einige andere Jugendliche, die – wie die Punks – ihr Bier mitbrachten und dort tranken. Als die Jugendlichen jedoch immer mehr wurden und es zunehmend zu Streitereien untereinander und vor allem mit den Gästen kam, blieb Steinbrecher nichts anderes übrig, als sie des Platzes zu verweisen, was den Konflikt natürlich schürte.
Um die Jahrhundertwende eskalierte der Konflikt soweit, dass sich über 100 Jugendliche regelmäßig im Zwickel zwischen Kortumstraße und Viktoriastraße, also unmittelbar am schmalen Kopfende des Platzes versammelten und häufig unter starkem Alkoholkonsum so zu randalieren begannen, dass sowohl Passanten als auch Platzbesucher diesen Teil des Bermuda3ecks zu meiden begannen. Zusätzlich mischten sich regelmäßig Drogenabhängige aus der nahe gelegenen Beratungsstelle sowie Dealer unter die jungen Leute.
Eine hochbrisante Situation war entstanden, die nur durch verstärkte soziale Aktivitäten der Stadt und durch eine größere Präsenz der Polizei in den Griff zu bekommen war. Die selben Leute, die lauthals gegen die zunehmende kommerzielle Besetzung des öffentlichen Raums protestierten, sorgten zeitweise dafür, dass der Konrad Adenauer-Platz für niemanden außer ihnen selbst nutzbar war und zwar mit einer Aggressivität und einem Vandalismus, der sie ihre hehren Ziele immer wieder Lügen strafte. Politischer Anspruch und politische Wirklichkeit stimmten bei den Protestierenden, trotz nachvollziehbarer Motive, wie so oft nicht überein.
Die Schönredner und politischen Strategen im Hintergrund sahen das aus gutem Grund ganz anders, benutzen de facto aber die Jugendlichen als Spielball ihrer lokalen Interessen. Eine bornierte Stadtführung sorgte ihrerseits durch ihr stures und stellenweise sogar verlogenes Verhalten ins Sachen Jugendzentrum Feuerwache dafür, dass der Konflikt immer weiter eskalierte. Am Ende musste ein neutraler Moderator her, um die Konfliktparteien einigermaßen zu beruhigen. Leider hatte die Moderation nicht zu einer besseren Verständigung geführt. Dafür verfasste ich einen kurzen und knappen Verhaltenskodex, der dann auf einer Litfasssäule direkt am Konrad-Adenauer-Platz veröffentlich wurde und bei den Besuchern großen Zuspruch fand.
Ich selber hatte zu diesem Zeitpunkt nämlich als freiberuflicher Stadtplaner im Auftrage des Initiativkreises Bermuda3eck und der IHK zusammen mit einem befreundeten und leider vor ein paar Jahren viel zu jung verstorbenen Berliner Architekten ein städtebauliches und sozialräumliches Entwicklungskonzept für das Quartier erarbeitet und deswegen als Berater an der damals vereinbarten Moderation teilgenommen. Schon deswegen hatten mich die Ursachen und die Geschichte dieses Konfliktes besonders interessiert.
Sie endete wie viele mit ihrem Höhepunkt. Alle Beteiligten waren sich anscheinend nach dieser Zuspitzung darüber klar geworden, dass der Konrad-Adenauer-Platz zwar der Kriegsschauplatz, nicht aber die eigentliche Ursache des Krieges war. Die Protestler interpretierten ihre letzte große Aktion natürlich als Sieg und die Strategen konnten sich so endlich anderen Themen zuwenden. Die Stadt, die Polizei und die Betroffene aus der Bermuda-Gastronomie waren froh, dass der Spuk endlich vorbei war.
Das unter meiner Leitung erstellte Entwicklungsgutachten wurde dann nach einer ausführlichen Debatte im Rat der Stadt zur Grundlage der städtebaulichen Veränderungsmaßnahmen im Dreieck, die mit der gerade fertig gestellten Umgestaltung des Konrad-Adenauer-Platzes – nach insgesamt gut 10 Jahren weiterer Planungs- und Umsetzungsarbeit der zuständigen Verwaltungsabteilungen – vor dem Abschluss stehen. Ich selber hatte mit dem Realisierungsprozess beruflich nichts mehr zu tun, war aber später immer wieder beratend für den Initiativkreis und die spätere Immobilien- und Standortgemeinschaft des Dreiecks tätig.
Vom Initiativkreis Bermuda3eck zur Immobilien- und Standortgemeinschaft
Schon in den 90er Jahren waren die privaten Interessen der Bermudagastronomen mit den öffentlichen Interessen zusammengewachsen. Das Dreieck war nicht nur lokal und regional etabliert, es war in gewisser Weise zum öffentlichen Fördergebiet – allerdings ohne direkte Subventionen – geworden. Dies wäre in Anbetracht der dort boomenden Geschäfte auch kaum politisch durchzusetzen gewesen.
Dass man jedoch frei werdende öffentliche Gebäude und Ladenlokale – wenn auch nach langen Diskussionen – teilweise direkt den angestammten Bermuda-Clans zur Vermietung anbot, dass man gemeinsam erkannte Fehlnutzungen wie den 1998 geplanten Umbau des Lueg-Hauses zu einer riesigen ‚Biertränke‘ verhinderte, gehörte zum guten Ton und entsprach dem, was man heute als Public-Private-Partnership bezeichnen würde.
1998 wurde dann das Zusammenspiel im neu gegründeten „Arbeitskreis Bermuda3eck“ ganz offiziell. Hier saßen seitdem regelmäßig Vertreter nicht nur der Stadtverwaltung und Gastronomie, sondern auch andere Gewerbetreibende des Viertels gemeinsam mit der IHK zu Bochum an einem Tisch. Voraussetzung dieses Arbeitskreises war aber die Selbstorganisation der Bermuda-Gastronomen im sogenannten Initiativkreis Bermuda3eck. Angestoßen wurde dieser, nachdem auf Initiative des örtlichen Brauerei-Inhabers Hugo Fiege Alex Schüler zum Mitglied der Hauptversammlung der örtlichen IHK gewählt wurde. Er gründete zusammen mit dem Geschäftsführer für Handel und Verkehr, Hans-Joachim Panne den Arbeitskreis „Junge Gastronomie Bochum“. Aus diesem wurde 1995 der Initiativkreis Bermudadreieck e.V.. Im ersten Vorstand saßen Leo Bauer, Johannes Dittfeld und Armin Reisewitz. Dieser Initiativkreis brachte die Kooperation zwischen privaten Interessen und der öffentlichen Hand auf eine neue Stufe, zeigte aber in Form und Satzung, dass es hier weder um einen echten Zusammenschluss der drei Clans noch der anderen Gastronomen geht, sondern vielmehr um einen Förderkreis für das Gesamtinteresse und die Besprechung und mögliche Lösung gemeinsamer Probleme ging. Die Mitgliedschaft war freiwillig und der Beitrag wurde nach Betriebsgröße erhoben. Hier wurde dann auch die Standort-Marke Bermuda3eck erfunden und systematisch beworben.
Doch nach der letzten Phase der Total-Kommerzialisierung war die Zeit der immerwährenden Umsatzsteigerungen endgültig vorbei, denn auch in Essen, Dortmund und Oberhausen hatten sich mittlerweile Kneipenviertel etabliert. Nicht so groß wie das Bermuda3eck, städtisch nicht so zentral gelegen und deswegen auch nicht so umsatzstark, aber der regionale Wettbewerb hatte erheblich zugenommen. Eine Erneuerung des Viertels stand also an und führte – auch vermittels meines eigenen Gutachtens – zu einem komplett neuen Erscheinungsbild des gesamten Quartiers. Das ehemalige Bahnhofsviertel ist als Bermuda3eck glatter, konformer aber damit, und so sehen es auch die meisten Besucher, vorzeigbarer geworden. In unmittelbarer Nähe ist dafür um das Schauspielhaus fast parallel zu dieser Entwicklung etwas entstanden, dass der Entstehungsgeschichte des Dreiecks – wenn auch unter ganz anderen Voraussetzungen – ähnelt: das „Viertel vor Ehrenfeld“.
Auch hier liegt der Ursprung in zwei gastronomischen Einrichtungen, die sich schon Ende der 90er Jahren nicht nur räumlich vom zunehmenden Mainstream des Bermuda3ecks abgesetzt haben: das Freibad und das Orlando. Vor kurzem ist, neben kreativen Büros und Designerläden die sich in den letzten 10 Jahren dort angesiedelt haben, auch die Goldkante dazu gekommen, die von ihrem Standort nicht unweit der Bochumer Innenstadt verdrängt worden war.
Aber auch innerhalb des Dreiecks hat das Bemühen um mehr Kultur, also ‚back to the roots‘, wieder zugenommen. Mit dem Freibeuter und der Rotunde ist wieder eine innovative Gruppe junger Gastronomen zum Zuge gekommen. Dazu hat sich im neuen Eingangsbereich des Parkhauses ein ganz neuer und sehr trendiger Boom! Store eingerichtet, auf dessen Dach sich die dazugehörige Skaterszene auch praktisch erproben kann. Eine gute Ergänzung zum Fahrradladen Balance, der schon lange ein fester Bestandteil des Gastro-Dreiecks ist.
Vorangetrieben hat diese Entwicklung die aus dem alten Initiativkreis 2004 entstandene Immobilien- und Standortgemeinschaft Bermuda3eck e.V. (ISG), die versucht gemeinsam mit der Stadt, der IHK, dem Einzelhandelsverband und den Immobilienbesitzern des Dreiecks die weitere Entwicklung des Quartiers mitzubestimmen. Auch diese Vereinigung ist freiwilliger Natur, besteht aber eben nicht mehr – wie noch der Initiativkreis – nur aus den Gastronomiebetreibern des Dreiecks. Auch die Immobilienbesitzer und Gewerbetreibenden des Bermuda3ecks sind Teil der Standortgemeinschaft, bzw. können sie sich ihr gegen einen entsprechenden Mitgliedsbeitrag anschließen und dort mitbestimmen. Sowohl der alteingesessene Fahrradladen als auch der nagelneue Skaterstore sind mittlerweile – wie viele andere Einzelhändler im B3E – in der ISG aktiv.
Volker Brunswick, studierter Theater-, Film- und Medienwissenschaftler, und – wie man bei Wikipedia über ihn erfahren kann – schon früh im Bochumer Kulturleben aktiv, ist Inhaber des Boom!. Als neues Mitglied des ISG-Vorstandes hat auch er sich die Stärkung der Kultur im B3E auf die Fahnen geschrieben. Nicht zuletzt, weil sein Store selbst sich als Teil einer Kulturszene versteht, die sich weltweit von unten entwickelt hat. Er ist dabei, wie die ersten Bermuda-Pioniere, auch ein erhebliches persönliches Risiko eingegangen, denn für die Weiterentwicklung seiner gut florierenden Agentur Vivamo war dieser neue Flagship-Store im B3E nicht unbedingt notwendig.
Andererseits soll er zusammen mit dem Skaterpark und dem dazugehörigen Veranstaltungsprogramm idealtypisch zeigen, wie sich Vivamo die Einzelhandels-Zukunft in Zeiten des Internet-Handels und der Shopping Malls vorstellt und ist damit selbst ein Experiment, dass absichtlich oder unabsichtlich in der innovativen Tradition des Dreiecks steht. Er ist gleichzeitig der deutlichste Ausdruck dafür, dass allen Aktiven im B3E klar geworden ist, dass ein ‚weiter so‘, dass ein immer mehr an Gastronomie nicht die Zukunft sein kann.
Das musste auch der städtischen Entwicklungsgesellschaft Ruhr (EGR), der Besitzerin des Parkhauses, erst einmal seitens der ISG klar gemacht werden, denn sie hatte den neuen Anbau architektonisch und baukonstrukturell für eine weitere Gastronomie konzipieren lassen. Es bedurfte deswegen schwieriger und zäher Verhandlungen, unterstützt vom Immobilienexperten und früheren ISG Vorstandsmitglied Edgar Neufeld, um den Boom! Store im Dreieck durchzusetzen. Ein weiterer Beweis dafür, dass Innovationen in der Regel Widerstand erzeugen, der nur in einem zwar konfliktorischen, letztlich aber doch produktiven Dialog überwunden werden kann und muss.
Epilog oder: Die Zukunft liegt in den Wurzeln
Meine Geschichte des B3Es endet hier. Die des Dreiecks natürlich nicht. Ganz im Gegenteil, sie scheint sogar in eine neue Dekade zu treten, wie man an der Nutzungsentwicklung des Katholikentagsbahnhofes, also des früheren Bochumer Hauptbahnhofes, sehen kann. Die sogenannte Rotunde hat sich nämlich – nachdem das Bahnhofsgebäude von Leo Bauer gekauft und Instand gesetzt wurde – von einer Bauruine zu einem der interessantesten Ausstellungs-, Event- und Diskussionsorte in der Region entfaltet. Die Vision einer kulturellen Nutzung dieses Gebäudes stammte allerdings schon aus den 80er Jahren und es war der völligen Gleichgültigkeit der Deutschen Bahn als Besitzerin und der illusionären Großinvestitionshoffnung der Stadt Bochum als Beplanerin des umliegenden Geländes zu verdanken, das diese Vision erst Jahrzehnte später in die Tat umgesetzt werden konnte. Dann jedoch zusammen mit einer Nutzungskonzeption für das gesamte ehemalige Bahngelände als sogenanntes „Kulturgleis“.
Eine Konzeption die auf fruchtbaren Boden traf, denn in kürzester Zeit entdeckte die örtliche und überörtliche Kunst- und Kreativszene die Qualitäten des alten Bahnhofs und vor allem die besondere Ästhetik seiner kreisrund gestalteten, mit einem ebenso geformten und verglasten Oberlicht versehenen, ehemaligen Warte- und Kassenhalle. Mittlerweile hat auch die Stadt Bochum und die Ruhr-Universität den Ball aufgenommen und zusammen mit dem Hochschulverbunde Univercity und der von Leo Bauer gegründeten Kulturgleis GmbH dort das Projekt C60 Collaboratorium für kulturelle Praxis gestartet.
Siehe das folgende Dokument:
Angestrebt ist ein interdisziplinärer Projektraum für zeitgenössische Kunst, der den unmittelbaren sozialen Kontakt mit dem städtischen Umfeld sucht. Dazu passt auch das in unmittelbarer Nähe gelegene Brachlandmuseum des inzwischen international bekannten Bochumer Konzeptkünstlers Mathias Schamp.
Die Ursprungsidee des Bermuda3ecks, Kultur und Kneipe systematisch zu verbinden und damit urbane Treffpunkte als Teil des stadtkulturellen Lebens zu begreifen und zu organisieren, könnte so am sogenannten Kulturgleis um Rotunde und Riff, am neu gestalteten KAP mit der Lichtkunstbühne und dem jugendkulturellen Skater-Treffpunkt des Boom! Stores auf eine neue Entwicklungsstufe gehoben werden.
Auch das von Bochums Planern erfundene ‚Viktoriaquartier‘, das es bislang nur in einer Hochglanzbroschüre der Verwaltung gibt, könnte so zusammen mit dem Bau des Musikzentrums, den neuen Entwicklungen im Griesenbruch und den Veränderungen im Viertel vor Ehrenfeld doch noch Wirklichkeit werden. Im Rahmen dieses im neuen Planersprech auch ‚Kreativquartier‘ genannten Stadtareals, das ohne das Bermuda3eck so nie hätte entstehen können, könnte das Dreieck auch selbst eine dauerhafte stadtkulturelle Rolle für die ganze Region finden.
Ich wünsche ihm und seinen Aktivisten, vor allem aber auch denen, die hier wegen der zeitlichen und inhaltlichen Schwerpunktsetzung auf die Entstehung des Viertels entweder gar nicht oder nur kurz erwähnt wurden, auf diesem weiteren Weg noch viel Glück und Erfolg!
Anhang:
Käpt‘n im Bermudadreieck – Artikel aus dem MARABO 07/1988
Die Kings vom Berumda-Dreieck- Artikel aus dem Fizzz 09/1995
Ha, ha !!!
Links anne Ruhr (25.01.2013) und neue Artikel zur de facto Einstellung der Westfälischen Rundschau (WR)…
Dortmund: "Die Rechte": Neonazis wollen in den Stadtrat – und planen Demo (Ruhr Nachrichten) – Duisburg: Linke: Hermann Dierkes gibt Fraktionsspitze ab (RP-Online) – Herne: Dudda beklagt verlorenes Vertrauen (Westfalenpost.d…
Gigantisch, Gratulation!
Ich wurde erst über die Ankündigung des Stadtrundgangs mit Wolfgang Wendland und meiner Recherche via wikipedia-Artikel Bermudadreieck auf diesen Beitrag aufmerksam. Ich war beim ersten Lesen begeistert über diese Fleissarbeit und habe den Artikel gleich weitergeleitet an andere alte Bochumer. Endlich mal jemand, der aufzeigt, dass das Dreieck nicht vom Himmel fiel sondern Wurzeln und Verzweigungen hat. Ich wundere mich auch sehr, dass es nicht viel mehr Kommentare gab, wo doch so viele dort mehr als ihre Jugend verbrachten.
Ich bin übrigens der Arschdrucker ganz links. Wir hatten erst in der schlecht besuchten Aula gedruckt, dann oben im Club nochmal für den „Stern“-Fotografen Kretz posiert, bevor wir endlich unsere Ärsche in der Wohnung eines der Drucker in der Badewanne säubern konnten. Die Farbe ging erstaunlich gut ab. Epi hatte mich als häufigen Besucher des Clubs erst kurz vor dem Event gefragt, ob ich Lust hätte, dabei mitzumachen. Mehr Drucker als die auf dem Foto waren es nicht. Ich besitze immer noch das Ankündigungsplakat und einen der Arschdrucke mit zwei Ärschen drauf . Meine Erinnerung zeigt beispielhaft, dass es in Details Fehler in dem Artikel gibt. Vermutlich sind diese darauf zurückzuführen, dass oft nur 1 Quelle befragt wurde, und es keinen Abgleich mit anderen gab.
Auch liegt der Autor bei einigen der Örtlichkeiten der Endsechziger ziemlich schief , wenn er sie dem Rotlichtmilieu zurechnet und mit zweifelhaftem Ruf beleumundet nennt. Das klingt, als hätte er jemanden wie meine Mutter befragt, für die alles Grossstädtische in solche Richtung ging. Der Autor müsste auch gerade bei solchen wertenden Stellen seine Quelle nennen. Und es fehlen einige Lokalitäten im nahen und weiteren Umkreis, was gerade dadurch auffällt, dass der Autor stellenweise die Grenzen des Dreiecks sprengt und bis zum Nordring und nach Langendreer geht, was ja auch völlig richtig ist. Aber was war mit dem „Schuppen“, dem „Alt-Stiepel“, der „Kokille“, dem „Oblomow“ , dem „Kitsch-in , Egonom, Alibi“ und anderen ?
Samma, Arnold, du hast doch nicht etwa nur den Leo gefragt ?
@ UBU
Ich kann leider nicht viel mit Zeitzeugen anfangen die sich nicht trauen ihre Zeugenschaft bzw. die Behauptung die Person auf einem Foto zu sein, auch mit ihrem richtigen und vollständigen Namen beglaubigen.
Diese Story ist auch keine Fleißarbeit. Wenn sie eine wäre dann wären nämlich auch alle Details richtig. Sie ist viemehr der Versuch alle wesentlichen Umstände, Fakten und Personen aufzuzeigen und zueinander in Beziehung zu bringen, die zur Entstehung dieses sehr speziellen Bochumer Stadtviertels beigetragen haben, bzw. seine Entstehung erklären.
Vor mir hat sich das offensichtlich noch keiner der vielen Zeitzeugen getraut, die immer wieder etwas Genaueres wissen oder Personen oder Fakten kennen, die hier nicht aufgetaucht sind. Ich finde es gut, dass sie sich gemeldet haben. Deswegen habe ich die Story ja auch im Internet veräffentlicht. Zuerst in 20 Folgen und dann als ein ganzen Artikel.
Ich kann nichts dafür dass du erst jetzt davon erfahren hast.Wenn du aber mehr Details weißt die hier nicht ganz korrekt wiedergegeben wurden, dann musst die auch genau beschreiben und genau zeigen wo das in der Story geschehen ist. Und tue es bitte unter deinem richtigen Namen, sonst kann ich solche Korrekturen nicht verwerten.
no problem. der ubu ist in bochum wohlbekannt, viele rufen ihn so, eigentümer des ubu -antiquariats.
und ich heisse wolfgang jöst. ich bin 1969 zum studium nach bochum gekommen und der club liberitas war eine erste anlaufstelle, aber auch die it-stube und das vesuvio . im wikipedia-artikel bermudadreieck bochum hatte ich auf der diskussionsseite schon mal auf einige vorläufer hingewiesen, hatte auch mal mit recherchen angefangen … und deshalb weiss ich, dass da fleiss nötig ist. eine kostprobe : „Am Südring fiel die „Kokille“ etwas aus dem Rahmen und zog auch jüngeres Publikum an, und am Anfang der Neustraße gab es den „Miner’s Club“. In der Brüderstraße zum Beispiel entwickelte sich aus der Fischgaststätte „Fisch-Stübl“ (1956) das „Fischerstübl“ (1959) , das „Fischstübl“ (1962) und 1967 die „Kulisse“ der Eigentümerfamilie Dietrich. Sie gehörte zu den allerersten, bestlaufenden Jugendlokalen in Bochum; der Begriff
Diskothek kam erst später auf. Der erste Laden dieser Art war nicht weit
davon, aber jenseits des Südrings „Alt-Stiepel“ im Keller des jetzigen
„Livingroom“, das dann später unter einem neuen Namen („Schuppen“) umzog
ins jetzige Café „Zentral“. Aus der „Kulisse“ wurde dann die erfolgreiche
Diskothek „Drugstore“, und nach deren Ende kamen zahlreiche weitere
Gastronomiebetriebe, die alle nicht mehr an die früheren Erfolge der
Lokalität anschließen konnten. Schräg gegenüber befand sich das damals
stark besuchte bürgerliche Lokal das „Goldene U“, sein Inhaber, ein
ehemaliger Opernsänger, soll manchmal für seine Gäste gesungen haben.“
als arschdrucker stand ich auf der bühne in der aula mit blick zum spärlichen publikum. vom pietschner hatte ich vor jahren mal gehört, dass er tot sein soll .
und versteh mich nicht falsch, ich finde deine leistung als historiker grossartig, und nur dazu hab ich mich geäussert. und fehler darin können beseitigt werden.
ich äussere mich hier ausdrücklich nicht zu deinen interpretationen und schlussfolgerungen. die mag ein anderer verreissen.
@ ubu
da kann ich jetzt was mit anfangen. Denn jeder andere hätte sich auch ubu nennen können. Der name ist ja nicht geschützt.
Danke für deine hinweise. Genau so habe ich mir ergänzungen zu der story gedacht.
Fleißarbeit ist übrigens auch eine interpretation. Die werde ich jetzt aber nicht verreissen. 🙂
@ UBU
er hat bestimmt nicht nur mit Leo sondern auch mit Dirk Steinbrecher gesprochen 😉
@ Wolfgang Wendland #8
Ist das jetzt das Niveau der Kritik, Wolfgang? Oder glaubst du und ubu wirklich, dass man so ein Story nur auf der Basis von ein oder zwei Quellen schreiben kann? Lass dir bis Sonntag bitte was besseres einfallen! Ich habe den Veranstaltern schon mein Honorar gespendet. Da muss ich mir nicht auch noch Plattpolemik für gefallen lassen. Ok? 🙂
@ Ubu
Noch ein paar ergänzenden Sätze zu ihrer Art der Textkritik:
1. Wenn sie denn Prolog vollständig gelesen haben, dann hätten sie wissen können, dass ich keineswegs den Anspruch der alleinigen Wahrheit habe, noch dass ich je behauptet habe, alle möglichen Quellen berücksichtigt zu haben.
2. Ihr schelmische Frage, ob ich nur Leo Bauer befragt hätte, ist nichts anderes als Polemik.
3. Eine Interpretation kann man nicht verreissen. Man kann ihr nur eine andere Intepretation zur Seite oder gegenüber Stellen.
4. Meine eigene Bewertung braucht natürlich keine Quelleangabe, da bei einer Bewertung der Bewerter selbst die Quelle ist.
1. eben weil ich den prolog gelesen hatte, hoffte ich auf dankbarkeit für mein lob und meine ergänzenden hinweise.
2. das ist das schöne im leben, dass man nie auslernt. du hast recht. ich sollte auch auf unbedarfte leser rücksicht nehmen und die frage beim namen nennen. und danke auch dir, wolfgang, für die ergänzung. deshalb korrigiere ich mich wie folgt.
Plattpolemik (in Form einer schelmischen Frage) : Samma, Arnold, du hast doch nicht etwa nur den Leo und den Dirk Steinbrecher gefragt ?
3 und 4. stammen denn alle interpretationen und bewertungen, die sich im text mit historischen fakten fröhlich mischen, von dir ? bzw. woran kann ich erkennen, wo du selbst bewertest und wo du fremde bewertungen wiedergibst ?
@ ubu
Ubu, ich bin der Autor dieser Story. Sie gibt also meine Sicht der Dinge wieder. Wessen sonst? Wenn ich andere Meinungen oder Einschätzungen wiedergebe dann zitiere ich die. So einfach ist das.
In jeder Story werden Fakten und ihre Einschätzung vermischt. Du hast das selbst in deinen eigenen Einlassung hier getan. Oder was soll ich vom dem folgenden Satz halten:
„Schräg gegenüber befand sich das damals
stark besuchte bürgerliche Lokal das “Goldene U”, sein Inhaber, ein
ehemaliger Opernsänger, soll manchmal für seine Gäste gesungen haben.”
„Bürgerlich“ ist ein Bewertung, „gut besucht“, ist eine Tatsachenbehauptung, „soll manchmal gesungen haben“ eine Vermutung.
Ich bin selber Zeitzeuge, Ubu. Ich kenne das B3E seit meine Jugend, und die lag vor deiner, weil ich 20 Jahre älter bin als du. Ich habe über gut 10 Jahre an dieser Story gearbeite. Nicht dauernd, aber immer wieder. Ich habe in dieser Zeit mit sehr vielen Leuten gesprochen, und ich habe irgendwann das zählen aufgegeben.
Ich habe mich auch als Stadtplaner über viele Jahre mit diesem Gebiet beschäftigt und ich war Augenzeuge der Konflikte auf dem Konrad Adenauer Platz. Ich kenne auch Wolfgang schon aus dieser Zeit. Ich habe obendrein im Stadtarchiv geforscht und eine Menge Zeitungsdokumente gesammelt.
Und ja, ich habe auch mit denen ausführlich gesprochen die diese B3E am genausten kennen, weil sie über Jahrzehnte dort jeden Tag waren, weil sie es aufgebaut und gestaltete haben. Unter anderen auch mit Leo Bauer und Dirk Steinbrecher.
Es tut mir leid, dass du deine eigenen Recherchen nicht weiter geführt hast Ubu. Dass du deine eigenen Einschätzungen und Erklärungsversuche bis auf ein paar Faktenfetzen nicht so niedergeschrieben hast, dass man sie in aller Öffentlichkeit überprüfen und kritisieren könnte.
Ich habe das getan und zwar in einer Ausführlichkeit die mir auch die Achtung derer eingetragen hat, die meine Einschätzungen nicht teilen. Es gab bislang auch Niemanden der mir grobe Faktenfehler nachweisen konnte bzw. vorwerfen konnte. Es waren immer nur Korrekturen im Detail oder eben Ergänzungen.
Allein die Frage, ob ich nur 2 Leute befragt habe, ist in Anbetracht dessen und der offensichtlichen Komplexität und Faktenvielzahl dieser Story einfach nur ein Frechheit, UBU. Und du findest das auch noch lustig. Und Wolfgang natürlich auch. Und er erwartet auch noch, dass ich mit ihm auf einem Podium sitze.
Ich kann nichts dafür, dass weder du noch Wolfgang für die Entstehung des B3Es von irgendeiner entscheidenden hostorischen Relevanz gewesen seid. Deswegen habe ich euch auch nicht gefragt bevor ich meine Story veröffentlich habe. Aber ich habe sie so veröffentlicht, dass auch ihr euch dazu ausführlich und öffentlich äußern konntet und könnt.
Die Art und Weise wie ihr das tut ist letztlich eure Sache. Aber sie beeindruckt mich weder von den Fakten noch von eurer Position und sie gibt mir sachliche nicht den geringsten Anlass die Story zu korregieren. Schreibt stattdessen einfach eure eigene. Ihr könnt das bestimmt. Und dann vergleichen wir bzw. wir geben der Öffentlichkeit die Gelegenheit zum Vergleich und zum Urteil.
Damit ist die Disskussion mit euch beiden hier für mich beendet.
@at all
Ich bin hier an jeder Ergänzung interessiert. Auch an Korrekturen oder Richtigstellung, sofern Fakten falsch oder unzureichend dargestellt sind. Was die Hinweise auf Kneipen, Restaurants, Hotels oder Tanzgaststätten betrifft, die schon vor der Entstehung des B3Es in diesem Gebiet und in seiner Nähe waren, möchte ich jedoch grundsätzlich Folgendes bemerken:
Sie wurden, sofern sie überhaupt gegeben wurden, häufig mit der Bemerkung versehen, dass diese Einrichtungen die Vorläufer des B3Es gewesen sind. Wenn das so wäre, dann hätte allerdings in vielen zentral gelegenen Bahnhofsvierteln Gleiches oder Ähnliches wie das B3E entstehen müssen, denn es ist völlig normal, dass es in einem zentral gelegenen Bahnhofsviertel Kneipen, Restaurants u.ä. gibt.
Es ist aber weder in ähnlichen Vierteln in den anliegenden Städten des Ruhrgebietes noch in den meisten ähnlich großen Städten außerhalb des Ruhrgebietes etwas mit dem B3E vergleichbares entstanden. Auf jeden Fall nicht in dieser Menge und räumlichen Dichte.
Die sogenannten Vorläufer des B3Es im Zentrum Bochums erklären also, wenn überhaupt, das was auf sie folgte nur sehr begrenzt. Die Matadore des B3E haben zwar zu Anfang bestehende Räume übernommen, aber was darin geschah war in der Regel was ganz Anderes und geschah mit ganz anderen Leuten als vorher. Aus dem und aus dem neuen Zustrom an Besuchern ist eine Wachstumsdynamik entstanden die es so nie zuvor in diesem Viertel gegeben hat.
Das B3E hat also keine Vorläufer sondern nur bestimmte räumliche Voraussetzungen die seine Entstehung ermöglichten. Diese Möglichkeit musste aber erst ergriffen und ausgestaltet werden. Sie erforderte einen neuen Typus von Unternehmern und von unternehmerischen Handeln. Das es dabei auch nahtlose Übergänge gegeben hat, ist so offensichtlich wie normal.
Entscheidend für die neue Qualität war jedoch der Bruch mit dem Hergebrachten und Gewohnten. Waren Innovationen und Kreativität, war unkonventionelles und teilweise auch konträres Verhalten. Waren auch der sogenannte Zeitgeist und die allgemeine Aufbruchsstimmung.
Sie erklären das Phänomen B3E für mich weitaus überzeugender als das Aufzählen all der Einrichtungen die es schon vorher im ehemaligen Bahnhofsviertel und in seiner Nähe gegeben hat, und wer da wo verkehrte.
Trotzdem sind auch solche Informationen nicht unbedeutend. Wer also noch mehr dazu weiß der sollte es hier auch mitteilen. Aber bitte mit richtigem und vollem Namen. Dieser Blog wird in der ganzen Republik und nicht nur in Bochum gelesen. Zu meinen, dass der Name hinter dem eigenen Deckname in Bochum bekannt ist, reicht deswegen nicht aus.
Ist ja sehr interessant aber in einigen Punkten total falsch und lückenhaft z.B. ist Saber Tadayon nicht erwähnt, der die ‚Kokille‘ und das Nähstübchen auf der Brüderstraße betrieben und vorher für Leo Bauer gearbeitet hat.
Anne, die Story wird nicht dadurch „total falsch“, dass Jemand in der Story nicht erwähnt wird, der nach deiner Ansicht wichtig war. Es gibt einige Menschen/Akteure die ich nicht erwähnt habe. Es ging, wie ich in der Einleitung ja auch ausführlich dargestellt habe, um die für die Entstehung dieses Viertel wesentliche Personen, Bedingungen und Einrichtungen.
„Lückenhaft“ ist die Story also aus der Natur der Sache, und nicht weil bestimmte Personen und ihre Tätigkeiten verschwiegen werden sollten. Du hast mit deinem Kommentar eine dieser Lücken gefüllt. Danke dafür.
Falls es noch andere Stellen sind, an denen nach deiner Ansicht was fehlt, nenne sie bitte präzise und tue das unter deinem richtigen Namen, denn dann bist du als „Quelle“ für die Leser auch vertrauenswürdig genug.
Guten Morgen Herr Voss,
Zunächst möchte ich mich entschuldigen, dass ich mit einem alten Mann so frech umging in meinen Kommentaren. Nach Ihrer Rechnung – 20 Jahre älter als ich – müssen Sie ja über 80 sein. Und ich erkenne neidlos an, dass Sie dann weitaus mehr Kneipenerfahrung haben als ich.
Ich bin mal wieder auf die Bermudastory gestossen worden. Ei guggemol – die ist ja inzwischen klammheimlich verändert worden, was nur nachweisbar ist, wenn man die alte Version gespeichert hat, wie ich es tat. Die B3E-story ist also doch keine heilige Schrift !
Bei mir ist nun endlich der Groschen gefallen, was die Geburt des Dreiecks anbelangt : 10 Kneipen sind kein Bermudadreieck, 20 Kneipen sind kein Bermudadreieck, 30 Kneipen usw. – da kann man noch so viele vergessene Vorläufer ausgraben – erst durch Leos magischen touch wurden die vielen
Kneipen zum B3E zusammengeschmiedet. Also gab es auch keinen Vorläufer, es konnte keinen geben. Das ist das berühmte Umschlagen von Quantität zu Qualität, was schon die antiken Philosophen beschäftigte : ein Körnchen ist kein Haufen, noch ein Körnchen dazu – immer noch kein Haufen …usw. …und noch so viele Nicht-Haufen werden nie einen Haufen ergeben. Es sei denn, da kommt ein genialer Macher dazu, unser Leo. Und macht einen Haufen. Und Sie haben diese neue Wesenheit in zehnjähriger Arbeit entdeckt und wodurch sie entstand. Meinen Glückwunsch !
@ UBU #16
Ich verändere nichts (klamm)heimlich, wie sie selbst gerade bewiesen haben. Das geht im Internet garnicht. Und natürlich ist die B3E-Story keine Heilige Schrift, wie sie es selbst in der Einleitung nachlesen konnten und immer noch können. Ansonsten beeindrucken sie mich mal wieder nicht. Sie sind nicht mal wirklich witzig. Tut mir leid.
@ #17
natürlich ist das heimlich wenn es im Artikel nicht ausgewiesen ist.
Und ja ich weiß, du bist selbst dein größter Kritiker 😉
@ all
Die Veränderung auf die UBU hier anspielt betrifft einen einzigen Satz am Anfang des zweiten Abschnitts des Kapitels „Vom Club Liberitas zum Mandragora“. Der ist ganz weggefallen, weil die dort erwähnte Person mich darum ausdrücklich und persönlich gebeten hat. Dadurch musste auch der Anfang des zweiten Satzes verändert werden. Da der Inhalt des ersten Satzes für die Entwicklungs des B3Es keine wesentliche Rolle gespielt hat, bin ich dem natürlich gefolgt. Und natürlich habe ich deswegen keine Neuveröffentlichung vorgenommen.
@ Wolfgang
Im Internet ist nichts heimlich, Wolfgang. Es ist permanent öffentlich und vergisst nichts. 🙂
@ Arnold Da fällt mir nichts mehr zu ein außer vielleicht ein Adorno-Zitat:
Der Rechthaber entwickelt, um nur ja die narzißtische Schädigung von
sich fern zu halten, die ihm durch die Preisgabe der Meinung
widerfährt, einen Scharfsinn, der oft weit seine intellektuellen
Verhältnisse übersteigt. Die Klugheit, die in der Welt aufgewandt
wird, um narzißtisch Unsinn zu verteidigen, reichte wahrscheinlich
aus, das Verteidigte zu verändern.
Immerhin eine Adornozitat.. 🙂
Ach ja, Rechthaber verändern ihre Texte nicht, geschweige denn stellen sie sie zur öffentlichen Diskussion.
[…] (Auf http://www.ruhrbarone.de ansehen) […]
Die B3E-Story – oder wie aus dem ehemaligen Bochumer Bahnhofsviertel das Bermuda3eck wurde”
Sorry, nur warum haben die Verfasser der Story das Café Treibhaus ausgelassen, was ja der Szene Treff war und auch weit über NRW gekann oder was sagt Leo dazu.
Naja,
Gruß vom ersten Türsteher Johann
[…] im Sande verlaufen. Wer nachts durch Duisburg läuft, sieht eine tote Stadt. Kein Vergleich zum Bermuda-Dreieeck in Bochum – oder Düsseldorf. Metropolen wie Stuttgart, Berlin oder München mag man gar nicht […]
Hallo Herr Bermudadreieck- Historiker,
der Mangel Ihrer Darstellungen der Entwicklung des
Bermudadreiecks besteht nicht in den ausgelassenen
Fakten ( welche Läden ,wann , wo , von wem eröffnet ,usw ) , sondern in der willkürlichen Zusammensetzung
der von Ihnen besonders positiv herausgestellten,
erfolgreichen Kaufleute ( Bauer, Reisewitz, usw.) ,
deren erstes Interesse nicht darin bestand , irgendeine
„ alternative“ Kultur , Kunst , oder ähnliches in ein dafür geeigneten Stadtteil zu bringen , sondern den
Gastronomen ging es von Anfang an darum , durch den Verkauf von Bier und anderen alkoholischen Getränken , Gewinne zu generieren , und sonst gar nichts . Der ganze Kulturklimbim war/ ist eben auch nur ein Mittel , für genau diesen Zweck.
Oder glauben Sie im Ernst , das ein Kaufmann , wie der
von Ihnen so gefeierte Herr Bauer , an so etwas
wie Kultur , Kunst , interessiert ist? Geschäftlich erfolgreich ware der Herr Bauer . Ja und?
Muss man so etwas in so einer Darstellung feiern ?
Dass das Bermudadreieck heute nichts anderes ist ,
als eine gewöhnliche ,stinkende Sauf- und Fressmeile ,wie es sie mittlerweile in jeder Stadt im Ruhrgebiet
gibt , kann doch nur jemanden entgehen , dessen
lokalpatriotische Sicht, jeglicher Objektivität
In Sachen Stadtentwicklung entgegen steht.
wie
@Zimmermann , Robert: Ohne wirtschaftlichen Erfolg wären heute im Bermudadreieck nur ein paar alternativ angehauchte Subventionstatbestände. Zum Glück gab es damals Bauer, die Logos und den Intershop.