Eine Saison geht zu Ende – und das Finish war atemberaubend. Und das nicht nur auf Schalke, in Bochum und in Dortmund. Nein! Mit großen Augen wurde auch in den Ligen darunter nach Osnabrück und Sandhausen geschaut, wo der HSV mal wieder ganz schön dümmlich über seine eigene Doofheit gestolpert ist. Über das große Finale sprechen Thommy Junga und Peter Hesse – und rollen Ernst Middendorp und Will Still einen roten Teppich aus.
Peter Hesse: Hi Thommy, was war in dieser Sachlage für dich der irrste Moment? Für mich war es die Dortmunder Unfähigkeit das Heimspiel gegen Mainz 05 nicht mit unbedingtem Willem zu gewinnen. Ich habe Biss, Lässigkeit und Durchsetzungsvermögen bei den Schwarzgelben vermisst…
Thommy Junga: Vielleicht war die Sorge, bei den lokalen Megafeierlichkeiten der Partycrasher zu sein, dann für Dortmund doch etwas lähmend. In München sperren sie nicht mal mehr die Fußgängerzone ab, in Dortmund hätte vermutlich Flug- und Schiffsverkehr umgeleitet werden. Dass an diesem Finalwochenende gleich reihenweise in der Republik dieses Schalke-Meister-der-Herzen-Szenario nachgespielt wurde ist schon ein bisschen kurios. In Zeiten, in denen ca. 5000 Handys im Stadion sind, muten diese verfrühten Jubelstürme des HSV und Wiesbadens schon etwas schräg an. Dieser Partybus Interruptus ist den Bayern zumindest erspart geblieben. Josua Kimmich hat sich bei mindestens 20 Leuten das Spielende in Dortmund bestätigen lassen, bevor er sich auch nur der Bayernkurve genähert hat. Zumindest hier stimmte das Bayerntiming an diesem Wochenende.
Peter Hesse: Einer der „Hidden Champions“ dieser Rückrunde war für mich Meppen Trainer Ernst Middendorp. Der sogenannte „Jahrhundert-Trainer“ von Arminia Bielefeld übernahm im März im Emsland bei dem Drittligisten SVM – knapp 14 Jahre nach seinem letzten Engagement in Deutschland, damals noch bei Rot-Weiss Essen. „Powerernst“ trumpfte oft mit seinem spitzfindigen Berufsschullehrer-Deutsch auf – und war gerade in den Pressekonferenzen so etwas wie die Intellektuellen-Version von Thorsten Legat. Wer ist dein heimlicher Liebling dieser Saison?
Thommy Junga: Für seine Verhältnisse mit rund fünf Monaten ja auch schon eine sehr dauerhafte Station. Auch mein heimlicher Liebling der Saison sitzt auf einem Trainerstuhl: bei Stade Reims in Frankreich hat der Belgier Will Still das Zepter seit Oktober 2022 fest in der Hand. Frankreichs jüngster Erstligatrainer war mit dem Abstiegskandidaten zwischenzeitlich monatelang ungeschlagen und mischte ordentlich die Liga auf. Das Besondere an dem 29-Jährigen ist, dass er überhaupt keinen professionellen fußballerischen Hintergrund hat. Seinen Entschluss Trainer werden zu wollen fasste beim Football Manager spielen am PC. Er absolvierte irgendwann erste Lehrgänge und nach und nach wurde aus dem Computerspieler ein Videoanalyst im belgischen Sint-Truiden und später ein Scout bei Lierse. Als deren erfolgloser Trainer gehen musste übernahm Still mit 24 Jahren die Mannschaft und führte sie auf den dritten Platz. Der Rest ist Geschichte in einer sehr schnellen Karriere, die ihn jetzt zum Überraschungcoup der Ligue 1 werden ließ.
Peter Hesse: Zwei Tage nach dem großen Knall beim FC Bayern mit der Trennung von Oliver Kahn und Hasan Salihamidžić hat Uli Hoeneß weitere Vorwürfe gegen Kahn erhoben, dem geschassten Vorstandschef der Münchner aber die Hand zur Versöhnung gereicht. „Im Nachhinein“ betrachtet, sei es ein Fehler gewesen, den einstigen Kapitän zum Vorstandsvorsitzenden zu machen, meinte Hoeneß gegenüber dem Kicker. Wir hatten den vielleicht besten FC Hollywood aller Zeiten in dieser Saison. Wie geht es nun weiter an der Säbener Straße, traust du dir schon eine Prognose zu?
Thommy Junga: Oh, das wird die Bayern noch beschäftigen. Bei jedem Neuzugang wird die Frage aufkommen, ob das noch ein Salihamidzic-Kandidat ist, bei jedem Verkauf wird darüber spekuliert werden, ob da jemand aus dem Zirkus flüchtet. Erste Aussagen des Davies-Beraters gehen bereits in diese Richtung. Mit dem scheidenden Dortmunder Guerreiro hat man schon für den Fall, dass der Kanadier gehen will, verhandelt. Das wäre dann so ein Fall. Ist das ein Zukunftstransfer oder eine Karteileiche? Da wird jetzt im kommenden Sommer einiges spekuliert und durchgesteckt werden, zumal die Bayern nun ohne Sportvorstand in die Transferphase starten. Neuer Bayern CEO ist Jan-Christian Dreesen, der nun die Probleme des Vereins wegmoderieren soll. Die starke Hand, die diesen FC Hollywood nun aus der Schusslinie manövriert sehe ich in ihm auch nicht. Eher jemanden, der das Geflüster der alten Garde umsetzen soll. So wird es ein sehr unruhiger Sommer an der Säbener Straße. Zumal ja auch nicht klar ist, wo in diesem ganzen Theater der etwas unglückliche Thomas Tuchel steht.
Peter Hesse: Frank Schmidt übernahm übernahm als Cheftrainer die Heidenheimer Fußballmannschaft im Jahr 2007. Kurz vorher lief er noch als beinharter Verteidiger auf – torgefährlich noch dazu. Bis heute blieb er Chefcoach für Heidenheim im Amt – kein Trainer im deutschen Profifußball ist länger aktiv als Schmidt in Ost-Württemberg. Nun kommt der Underdog in der kommenden Saison zum ersten Mal in seiner Vereinsgeschichte in die Fußball-Bundesliga. Was dürfen wir erwarten?
Thommy Junga: Der Schmidt-Fußball ist gradlinig, physisch und schnell. Konserviert Heidenheim diesen Stil, kann es in Liga eins eine unangenehme Kontermannschaft sein. Ich vermute, Schmidt wird die Eingespieltheit einer großen Transferwelle vorziehen, ob die Qualität dann auf Dauer reicht, wird sich zeigen müssen. Mit Frank Schmidt selbst bereichert ein feiner Sportsmann, ein moderner Rehagel die Liga. Ein Trainer, der ein gutes Näschen für Mentalitätsspieler hat und diese Eigenschaft vorlebt. Wir dürfen uns auf jemanden freuen, dem es bei abkippenden Sechsern kalt den Rückken herunterläuft, stattdessen im Training die Bälle etwas härter aufpumpt und im Heidenheimer Trainingsanzug mit dem Hund spazieren geht. Das wird uns allen gut tun.
Peter Hesse: Schalke ist abgestiegen – in der Relegation trifft der VfB Stuttgart nun auf den Hamburger SV. Der VfB hat in der abgelaufenen Saison viel Renommee verspielt. Stuttgarts Trainer Sebastian Hoeneß übernahm am 3. April 2023 in Stuttgart und hat zwar einen ordentlichen Schnitt von 1,55 Punkten pro Spiel mit dem VfB vorzuweisen. Dass die Schwaben nach dem 34. Spieltag überhaupt noch die Chance wahren können, um die Klasse zu halten, ist vor allem sein Verdienst. Nun die Master-Frage: Wer der beiden Bundesliga-Urgesteine dürfte bei den kommenden Endspielen zur ersten Liga die Nase vorn haben?
Thommy Junga: Normalerweise schreibt man dem Zweitligisten in der Relegation ja zumindest den einen Vorteil zu, mit dem dritten Platz etwas Positives erreicht zu haben, eine Art Schwung aus einer erfolgreichen Saison mitzubringen. In diesem Fall fühlt es sich genau anders herum an. Stuttgart hat mit viel Aufwand den Relegationsplatz erkämpft, mit Trainer Hoeneß einen soliden Saisonendspurt hingelegt. Der HSV wirkt schon wieder wie ein Häufchen Elend, Last-Minute gescheitert, anfällig und porös. Da ist kein Hamburger Sommermärchen, kein Aufbruch in bessere Zeiten. Es würde mich nicht überraschen, wenn wir in der kommenden Saison weitere Hamburger Stadtderbys sehen. Der VfB wirkt stabil wie lange nicht, hat zuletzt auch wieder auswärts druckvoll und durchaus ansehnlich gespielt. Für die Schwaben könnte was gehen.