Wenn die CDU nicht nur politische Macht , sondern auch die ideelle Führungsrolle haben will, darf sie Kulturkämpfe nicht scheuen.
Die CDU fremdelt mit dem Kulturkampf. Während ihr Vorsitzender Friedrich Merz oder der Historiker Andreas Rödder ihn in den Auseinandersetzungen mit den Grünen und der AfD fordern, setzen NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und sein Schleswig-Holsteiner Amtskollege Daniel Günther auf eine pragmatische Politik, die ideologiefreie Lösungen für Probleme beim Verkehr, der Energieversorgung oder der Wirtschaft liefert.
Erfolg wird die Union allerdings nur aus einer Mischung aus Kulturkampf und sachorientierter Politik haben. Das war in der Vergangenheit so. Kulturkämpfe sind der Union nicht fremd. Sie hat sie über Jahrzehnte erfolgreich geführt. Wachstum, die Westbindung, ein aufgeklärter, in europäische Strukturen eingebundener Patriotismus, das viel beschworene christliche Menschenbild, zu dem auch Eigenverantwortung, Freiheit und Selbstbestimmung gehören, waren immer auch Ideologie. Nur nannte man das in der CDU nicht so, es versteckte sich immer hinter einem angeblichen Pragmatismus. Der erste Vorsitzende und Mitgründer der CDU, Konrad Adenauer, war ein geborener Kulturkämpfer: Er stand immer gegen Preußens Nationalismus und Militarismus, der Deutschland seit dem 19. Jahrhundert prägte. 1919 schrieb er: „Preußen beherrschte Deutschland, beherrschte auch die in Westdeutschland vorhandenen, nach ihrer ganzen Gesinnungsart an sich den Entente-Völkern sympathisierenden Stämme. Würde Preußen geteilt werden, die westlichen Teile Deutschlands zu einem Bundesstaat, der Westdeutschen Republik, zusammengeschlossen, so würde dadurch die Beherrschung Deutschlands durch ein vom Geiste des Ostens, vom Militarismus beherrschtes Preußen unmöglich gemacht.“ Die Westdeutsche Republik von der Adenauer nach dem Ersten Weltkrieg träumte, sollte als Bundesrepublik Deutschland 1949 Wirklichkeit werden und bis zur Wiedervereinigung 1990 Bestand haben.
Auch die Auseinandersetzung um die Westbindung, gegen die nicht nur die in Deutscher Reichspartei und KPD organisierten Rechts- und Linksradikale standen, sondern auch SPD und FDP war ein Kulturkampf: Die Westbindung bedeutete nichts anderes als einen Bruch mit den autoritären preußischen Traditionen: Eine Abkehr einer auf Russland fixierten Politik, das mal Preußens Schutzmacht, dann wieder Partner bei der Aufteilung Polens und schließlich immer wieder Ziel von Eroberungsplänen war. Und die Westbindung bedeutete die Öffnung hin zu allem, was der Nationalismus lange als undeutsch herabgewürdigt hatte: Parlamentarismus und der Vorzug des Strebens nach einem Leben in Freiheit und Wohlstand vor idealistisch aufgeladenen Kriegsfantasien.
Der CDU gelang es damals, die kulturelle und politische Hegemonie zu erreichen. Die katholische Kirche, ihre Nebenorganisationen, aber auch viele Verbände und konservativ geprägte Vereine unterstützten sie dabei. Diese Stärke konnte sie in Wahlergebnisse umsetzen.
Die von den Grünen und ihrem aus Organisationen wie Greenpeace, dem BUND oder der evangelischen Kirche bestehendem Vorfeld unterstützten Vorstellung widersprechen in vielen Bereichen dem Denken der Union: Wüst weist zurecht in seinem im Juni in der FAZ erschienenen Artikel darauf hin, dass sich die CDU bereits in ihrem Grundsatzprogramm von 1978 für die „Unterlassung von Maßnahmen, die eine Klimaveränderung herbeiführen können“ aussprach. Damit knüpfte die CDU nur an eine Tradition der Union an: Schon 1970 hatte die damals in Bayern noch allein regierende CSU das erste Umweltministerium gegründet. Umweltschutz war immer ein konservatives Anliegen. Der Schutz der Natur lässt sich aus dem Christentum ableiten: Gottes Schöpfung muss erhalten werden.
Die Union steht für einen Umweltschutz, der den Wohlstand nicht vernichtet und sie ist offen, ihre ökologischen Ziele auch durch den Einsatz neuer Technologien zu erreichen. Viele Grüne und ihre Unterstützer sehen das anders: Für sie ist Umweltschutz auch eine Möglichkeit, um die kapitalistische Wirtschaftsordnung zu zerstören. Sie wollen weg von dem Wohlstandsmodell, dass immer auch die Demokratie sicherte. Die Union weiß um die enge Verbindung von Wohlstand und Demokratie. Er gehört zu ihrem Kern.
Die Union hat aber auch ein anderes Menschenbild als die heutige, von grüner Ideologie bestimmte Linke: Die CDU ist zumindest in großen Teilen auch eine liberale Partei. Sie will den Menschen nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben. Adenauer fasste das in einem Satz zusammen: „Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind – andere gibt es nicht.“
Bei den Grünen und seit Jahrzehnten auch immer mehr in der SPD sieht man das anders: Volkserziehung hat in diesen Kreisen einen guten Ruf. Für diese Politik standen in der Union immer nur wenige.
Wenn Merz heute die Grünen als Hauptgegner betrachtet, hat er dafür gute Gründe: Unter den demokratischen Parteien gibt es für die Union keinen größeren Gegner. Die Partei ist politisch und kulturell hegemonial und wirkt so weit über ihre Größe in den Parlamenten hinaus. Die Hegemonie ist für die Union ein Problem, sie treibt sie und sorgt dafür, dass die Grünen der Pol sind, zu dem sich die Kompassnadeln aller demokratischen Parteien, auch der CDU, ausrichten.
AfD und Linkspartei fallen nicht in die Kategorie Gegner: Sie sind Feinde der CDU und ihr Ziel muss es sein, beide aus den Parlamenten zu vertreiben und sie politisch zu vernichten. Bei der Linkspartei ist dieses Ziel, zumindest auf Bundesebene, in greifbare Nähe gerückt. Bei der AfD kann davon leider nicht die Rede sein. Aber die Union wird die AFfD nicht stellen können, wenn sie allen Kulturkämpfen abschwört. Fragen nach der Art und Weise, wie die Menschen in diesem Land in Zukunft leben und wirtschaften wollen. Der Umgang mit Zuwanderung, bei dem sich die Frage stellt, ob weiter die Werte des Westens gelten sollen? Das sind auch immer Themen über die in Kulturkämpfen gestritten wird. Erst recht gilt das für das Selbstbestimmungsgesetz, welches die biologischen Eigenschaften von Männern und Frauen verneint.
Wenn sie die Union in diesen Fragen klar positioniert, kann sie der AfD glaubhaft Themen aus der Hand schlagen. Zu nah käme sie ihr dabei nicht: Die AfD ist wie die Linke eine Putin-Partei, die den Westen zutiefst ablehnt. Zudem ist ihr Gesellschaftsmodell völkisch und autoritär. Die CDU ist hingegen die deutsche West-Partei schlechthin. Ihr Verhältnis zur Migration orientiert sich an den Interessen des eigenen Landes. Es greift die Eidesformel der Bundeskanzler auf, nach der es darum geht den Nutzen des Staatsvolks zu mehren, und Schaden von ihm wenden, was übersetzt heißt, dass die syrische Ingenieurin willkommen ist, der Clan-Krieg führende Stammesführer jedoch nicht. Die rassistische Abschottungspolitik der AfD würde hingegen den wirtschaftlichen Ruin Deutschland bedeuten.
Wüst und Günther geht es um Macht, sie sehen die Zukunft der Union in den schwarz-grünen Bündnissen, die sie in ihren Ländern anführen. Und natürlich spricht nichts gegen Koalitionen zwischen demokratischen Parteien wie der CDU und den Grünen, wenn in Koalitionsverhandlungen genug Übereinstimmung erzielt wurde.
Aber um mehr als Regierungsmacht zu erhalten, braucht die Union die kulturelle und politische Hegemonie. Ihre Ideen und Werte müssen von der Bevölkerung geteilt werden und der Maßstab in den gesellschaftlichen Debatte sein: Individuell Freiheitsrechte, Vorrang bei der Berücksichtigung der Interessen des eigenen Landes bei der Zuwanderung, eine Energie- und Wirtschaftspolitik, die ökologisch und an Wachstum ausgerichtet ist und die Westbindung, die bei den Grünen im Gegensatz zu großen Teilen der unstrittig ist, sind Punkte, bei denen die CDU die Richtung bestimmt, wenn die Union auch inhaltlich die Führung übernehmen will. Um das zu erreichen, muss sie bereit sein, neben pragmatischer Politik auch die Kulturkämpfe zu führen, die ihrer Gegner und Feinde schon lange begonnen haben. Ansonsten gilt, was Alexander Kissler in der NZZ schrieb: „Wer Kulturkämpfe scheut, der wird sie verlieren.“
Die CDU ist unter Merkel leider eine sehr linksliberale Partei geworden. Ohne Merkels CDU-Kurs wäre die AFD jetzt bei 5 %. Aber bis man das begreift, dürften noch viele Jahre vergehen. Selbst der früher als konservativ geltende M. Söder hat jüngst Merkel den Verdienstorden von Bayern verliehen.