Die deutsche Filmszene und der Hass auf Juden und Israel: Generation Veit Harlan 2.0?

Veit Harlan unmittelbar nach seinem Freispruch am 23. April 1949 Foto: Bundesarchiv, Bild 183-R76220 Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Die deutsche Filmszene hat ein Problem mit Antisemitismus und Israelhass. 

„Mit Antisemitismus hatte ich gar nichts zu tun, er ist ein Schandfleck auf der deutschen Seele“, zitiert der Spiegel in einem 1949 veröffentlichten Artikel Veit Harlan, den Regisseur des antisemitischen Propagandafilms Jud Süß, für dessen Originalkopie arabische Händler nach dem Krieg bereit waren, Fantasiesummen zu zahlen. Und natürlich führte Harlan auch jüdische Freunde und seine erste jüdische Frau an, um zu belegen, dass er nie etwas mit Judenhass zu tun hatte. Vor dem Hamburger Schwurgericht wurde damals darüber verhandelt, ob Harlan sich der Beihilfe zur Verfolgung“ schuldig gemacht hatte, aber das Gericht konnte keinen Zusammenhang zwischen seinen Filmen und der Vernichtungspolitik der Nazis erkennen. Der Regisseur wurde freigesprochen. Heute klingt das dann so: „Die Unterzeichner erklären ihre Haltung gegen Antisemitismus und Rassismus in jeder Form“ um im selben Text den Boykott der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen zu fordern, weil deren Leiter Lars Henrik Gass sich mit Israel solidarisiert hat und, wenn man schon einmal dabei ist, auch einen Waffenstillstand im Gazakrieg, der nur der Hamas nutzen würde. Niemand will Antisemit sein, das war damals so wie heute. Auch Fadi Abdelnour nicht. Der gebürtige Palästinenser, der mit 24 Jahren nach Berlin kam und längst die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, suche, schreibt die Süddeutsche Zeitung (SZ), nach Wegen, Antisemitismus auch bei palästinensischen Protesten zu verhindern. Bei denen wurde in Neukölln das Abschlachten von Juden wurde mit Süßigkeiten gefeiert. Daraufhin hatte die Polizei in Berlin pro-palästinensische Demonstrationen zum Teil untersagt. Das, und nicht die Freudenfeiern über den Tod von Juden, an denen auch Deutsche und Expats aus westlichen Staaten teilgenommen hatten, ist für Abdelnour das große Problem, denn nun könnten Palästinenser nicht öffentlich trauern. Dass Juden, die zurzeit auch sehr viele Gründe zu trauern haben, das nur unter großem Polizeischutz öffentlich tun können, ist ihm kein Wort wert. Neukölln, zitiert die SZ Abdelnour, sei als Labor des Zusammenlebens verschiedener Kulturen durch diese Polarisierung bedroht. Viele Juden werden das anders sehen. Sie trauen sich in dem Bezirk nicht mehr, sich als Juden zu erkennen zu geben. Der taz-Redakteur Jan Feddersen beschreibt ihre Lage und die Stimmung in dem Quartier seit Wochen auf Facebook in der Reihe „Meine Sonnenallee.“ Am Freitag erschien Teil neun.

Abdelnour gibt sich in der SZ betroffen. Am Berliner Flughafen hätte er für drei Stunden Hausverbot bekommen, weil er, die Haare in den Farben der palästinensischen Fahne gefärbt, in der Flughafenhalle auf und ab gegangen sei. Das hätte ihm allerdings auch passieren können, wenn er in einem Hasenkostüm durch den Flughafen gehoppelt wäre.

Der Deutsch-Palästinenser ist Buchhändler. Die taz hat ihm ein großes Porträt gewidmet. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien fördert seine Buchhandlung für arabische Literatur. Den Aufruf gegen die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen hat er ebenso unterschrieben wie 2020 den offenen Brief „Wir können nur ändern, was wir konfrontieren“ der sich gegen den Beschluss des Bundestages wandte, Unterstützern der antisemitischen BDS-Kampagne keine öffentlichen Mittel mehr zukommen zu lassen. Auch dieser Brief wurde unter anderem damit begründet, dass kein Geld für die BDS-Antisemiten dem Kampf gegen Antisemitismus schade. Verstehen muss man das nicht, die Argumentation kennen schon.

Roger M. Buergel (künstlerischer Leiter documenta 12) (links), Ruth Noack (Kuratorin documenta 12) (rechts) Foto: Roland Sippel Lizenz: CC BY-SA 2.5 DEED

Unter denen, die sich gegen die Israel und den Juden gegenüber geäußerte Solidarität der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen und ihres Leiters Lars Henrik Gass gestellt haben, sind weitgehend unbekannte Namen wie die von Carolin Hauke (Kamerafrau), Celine Jünger (Kostümbildnerin) Christian Flemm (Regisseur) dabei. Aber da sind eben auch die anderen: Ruth Noack, Kuratorin der documenta 12, Nanna Heidenreich, Professorin an der Universität für angewandte Künste in Wien, Marc Siegel, Professor am Institut für Film-, Theater- und Medien- und Kulturwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz oder die Kuratorin Irit Neidhardt, die bereits für das Goethe-Institut und zahlreiche Festivals arbeitete.

Sie alle finden es offenbar unerträglich, dass auch unter Verweis auf die Antisemiten-Party in Neukölln zur Teilnahme an einer Kundgebung aufgerufen wurde, auf der Bundespräsident Frank Walter Steinmeier sprach und nach deren Ende wohlmeinende Polizeibeamte den Teilnehmern rieten, auf dem Weg nach Hause besser die Israelfähnchen wieder einzupacken, denn man könne nicht für ihre Sicherheit garantieren.

Sie sind in der Filmszene nicht alleine, auch der Nachwuchs steht auf ihrer Seite: Vor wenigen Tagen veröffentlichen Studenten der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) eine Stellungnahme, in der sie sich der Tradition Veit Harlans folgend selbstverständlich von Antisemitismus distanzieren. Man verlässt schließlich das Haus nicht, ohne Deodorant aufgetragen zu haben.  In ihr erklären sie: „Wir, eine Gruppe von Studierenden der DFFB, stehen an der Seite des palästinensischen Volkes in seinem Freiheitskampf und fordern von Deutschland, seine bedingungslose Unterstützung für die israelische Regierung einzustellen.“ Israel wird als Apartheidstaat dargestellt und das Recht auf Hassdemonstrationen gefordert. Und natürlich werden Polizei und Medien an den Pranger gestellt: „Polizeigewalt und die einseitige Berichterstattung der öffentlichen Medien in den letzten Wochen haben gezeigt, dass es notwendig ist, über das vorherrschende Narrativ nachzudenken. Dieses von westlichen Regierungen und Medienunternehmen angeführte Narrativ lehnt die jahrzehntelange Unterdrückung des Lebens der Palästinenser durch siedlerkoloniale Besatzung und Apartheid ab und schürt aktiv den Rassismus gegen die arabischen, muslimischen und Migrantengemeinschaften.“

Man war sich wohl zu fein, das Wort Lügenpresse zu verwenden, aber inhaltlich ist man in dieser Frage ganz auf der Pegida-Linie. Auch im Filmbereich sind die postkolonialen Antisemiten dabei, sich entscheidende Posten zu sichern. Wer Aufträge und Jobs zu vergeben hat tut gut daran, sich diese Namen zu merken. Unternehmen in den USA haben bereits angekündigt, Antisemiten nicht einzustellen. Deutsche Unternehmen, Hochschulen und Sender sollten sich daran ein Beispiel nehmen.

Meret Becker auf der Berlinale 2020 Foto (Ausschnitt) Martin Kraft Lizenz: CC BY-SA 4.0

Widerstand kommt aus der Branche selbst. Und da sind es die großen Namen, die sich auf die Seite Israels und der bedrohten Juden in aller Welt gestellt haben: Unter anderem Meret Becker, Doris Dörrie, Dominik Graf, Nina Hoger, Caroline Link, Rosa von Praunheim und Dani Levy haben einen offenen Brief unterzeichnet, der von dem Filmjournalist Rüdiger Suchsland initiiert wurde: „Wir, die unter­zeich­nenden Vertre­terInnen des deutschen Films verur­teilen jede Form des Anti­se­mi­tismus; auch dort, wo er sich hinter der Maske angeblich eman­zi­pa­to­ri­scher Diskurse versteckt oder bewusst vage als »Anti­im­pe­ria­lismus« und »Anti­ka­pi­ta­lismus« auftritt. Wir stehen vorbe­haltlos soli­da­risch an der Seite aller an Leib und Leben bedrohten Jüdinnen und Juden in der Welt.“ Im Interview mit der 3Sat-Kulturzeit sagt Suchsland, es gäbe an Filmhochschulen eine „subtile Bedrohung zum Beispiel gegen Dozenten, die sich offen für Israel aussprechen oder die auch nur den Button „I Stand with Israel“ auf ihrer Seite haben.“

440 Filmschaffende haben den offenen Brief bislang unterschrieben. Suchsland hofft, dass es mindestens 1000 werden.

Es sind Unterschriften gegen eine Diskursverschiebung, die Antisemitismus nicht nur normalisiert. Im Interview mit dem Spiegel erinnert der Historiker Raphael Gross an das frühe 20. Jahrhundert, als Antisemitismus in Deutschland in konservativen Kreisen zu einem Distinktionsmerkmal wurde. Heute ist er das in der Variante des Hasses gegen Israel auch in weiten Teilen der zunehmend von postmodernem und postkolonialistischem Denken geprägten Kultur- und Hochschulszene wieder. Wer dazu gehören will, wer Jobs, Aufträge und Projektmittel haben möchte, tut gut daran, sich gegen Israel und die Juden zu stellen. Und genau diese Entwicklung muss mit allen Mitteln und mit Härte gestoppt und umgekehrt werden: Wer sich auf die Seite der Antisemiten stellt, muss zum Paria werden, egal welche akademischen Floskeln er benutzt. Es liegt an der Politik, dies in dem Bereich durchzusetzen, in dem sie Einfluss auf die Vergabe der Mittel hat. Es liegt aber auch an den Medien und den Kulturnutzern, dies zu fordern und die Täter immer wieder öffentlich zu machen und unter Druck zu setzen.

Mehr zu dem Thema:

Boykottaufruf gegen die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen wegen Solidarität mit Israel

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