Gas sollen künftig die Energieversorgung sichern, wenn Windkraft und Sonnenenergie schwächeln. In Nordrhein-Westfalen werden viele neue Gaskraftwerke gebaut werden müssen.
Der ganze Stolz des Energiekonzerns Steag steht in Herne zwischen dem Rhein-Herne-Kanal und der A42: Ein neues Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk mit einer elektrischen Leistung von 600 und einer thermischen von 400 Megawatt, dass Strom und Wärme erzeugt. Es ist das leistungsstärkste derzeit im Bau befindliche Gaskraftwerk Deutschlands.
„275.000 Haushalte im Ruhrgebiet“, sagt Andreas Reichel, seit Januar Vorsitzender der Steag-Geschäftsführung, „können wir mit dem Kraftwerk rechnerisch mit Fernwärme versorgen.“ Mitte Januar wurde die Anlage erstmals an das Stromnetz angeschlossen. Im Sommer soll sie in den regulären Betrieb gehen und ein Kohlekraftwerk ersetzen. 50 Prozent CO2 können nach Angaben des Unternehmens so eingespart werden. „Auf Gas können wir bei der Energiewende nicht verzichten. Gas kann Kohle- und Kernkraft bei der Grundlast ersetzen und schnell die Stromversorgung sichern, wenn Sonne und Wind nicht genug Energie liefern.“ Perspektivisch könne die Anlage auch mit Wasserstoff betrieben werden.
Bei dem einen Gaskraftwerk soll es nicht bleiben: Die Steag plant, auch das alte Kohlekraftwerk in Herne zu einem Heizwerk auf Gas-Basis umzurüsten. „Das kann dann einspringen, wenn das neue Kraftwerk einmal ausfällt“, sagt Reichel. Aber die Steag-Ingenieure würden mit dem Umbau ebenfalls zeigen, wie die Zukunft alter Kohlekraftwerke aussehen könnte. Nicht nur für Anlagen der Steag, sondern auch für anderer Betreiber.
Für das Unternehmen, das seit Jahren wirtschaftliche Schwierigkeiten hat, könnte sich ein neues Geschäftsfeld auftun.
In den nächsten Jahren müssen viele neue Gaskraftwerke gebaut werden. Durch Stilllegung von Braun- und Steinkohlekraftwerken sowie wegen des Kernenergieausstiegs fallen in Deutschland allein zwischen 2020 und 2022 insgesamt fast 20 Gigawatt gesicherte Kraftwerksleistung weg. Das ist mehr als das zwanzigfache der Leistung des größten Blocks des Braunkohlekraftwerks Niederaußem in der Nähe von Köln. Sollte der von der Ampel-Koalition in Berlin angestrebte Kohleausstieg bis 2030 Wirklichkeit werden, würden weitere 20 Gigawatt wegfallen. Auf Anfrage geht die nordrhein-westfälische Landesregierung davon aus, dass neben dem Ausbau von Wind- und Solarenergie zusätzlich Gaskraftwerke mit einer Gesamtleistung von sechs Gigawatt in NRW neu gebaut werden müssen. Wie viele Kraftwerke das sein werden, kann heute niemand sagen. Die meisten Gaskraftwerke sind kleiner als die Steag-Anlage in Herne, die gemeinsam mit einer weiteren in Gelsenkirchen-Scholven eines von nur zwei Gaskraftwerken ist, die sich im Bau befinden und in absehbarer Zeit an Netz gehen werden. Alle neuen Gaskraftwerke sollen zudem nach Ansicht des Landes „H2-ready“ sein, also auch mit Wasserstoff betrieben werden können.
Geht es nach dem Willen der Europäischen Kommission, soll das schon bald geschehen: Mit dem für Investoren wichtigen Attribut „nachhaltig“ sollen nach einem Bericht der Welt im Rahmen der neuen Taxonomie nur solche Gaskraftwerke versehen werden können, die „ab 2026 mindestens 30 Prozent grüner Wasserstoff oder Biogas verbrennen, ab 2030 mindestens 55 Prozent.“ Hatte die Kraftwerksbranche erst die Einordnung von Gas als nachhaltig durch die EU begrüßt, sieht sie den schon in wenigen Jahren erforderlichen Wasserstoffanteil kritisch: Grüner Wasserstoff, der mit Strom aus regenerativer Energie gewonnen wird, ist nicht nur teuer. Er ist auch selten und gilt als „Champagner der Energiewende“. Und rechtlich verbindlich seien die EU-Regeln ohnehin nicht, teilt die Steag mit: „Bei aller Relevanz der Taxonomie bleiben die von der neuen Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP definierten Ausbauziele für Erdgaskraftwerke als Brückentechnologie maßgeblich.“ Sprich: Finden sich Abnehmer für den aus Gas hergestellten Strom, werden sich auch Investoren für die Kraftwerke finden. Denn eine Alternative zu Gas gibt es nicht, wenn Deutschland aus Kohle und Kernenergie aussteigen und trotzdem nicht auf eine sichere Energieversorgung verzichten möchte. Manuel Frondel, Bereichsleiter „Umwelt und Ressourcen“ am RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen, hält ohnehin nichts davon, grünen Wasserstoff in Kraftwerken zu nutzen: „Wenn man grünen Strom verwendet, um Wasserstoff herzustellen, mit dem man dann wieder Strom erzeugt, ist das eine sehr teure Art der Stromproduktion. Bei dem Verfahren geht mindestens 50 Prozent der ursprünglichen Energie verloren.“ Aber ohne Gaskraftwerke, da ist sich Frondel sicher, wird es in Zukunft allerdings nicht gehen: „Wir brauchen ein BackUp für die Zeiten, in denen es nicht genug Energie aus Wind und Sonne gibt.“ Preiswert sei das allerdings nicht, die Verbraucher müssten mit deutlich höheren Preisen rechnen: „Von den konventionellen Energieträgern ist Gas der teuerste.“ Für die Betreiber von Gaskraftwerken sei das allerdings ein lohnendes Geschäft. So lohnend, dass auch die nach Frondels Ansicht ohnehin nicht einzuhaltende Wasserstoffregel der EU von Investoren ignoriert werden könnte.
Aber es gibt noch weitere Probleme bei dem Bau von Gaskraftwerken: Acht Jahre dauert es heute im Durchschnitt, bis aus den ersten Planungen ein fertiges Gaskraftwerk geworden ist. Für den Kraftwerksbetreiber Trianel ist klar, dass sich Deutschland solche Genehmigungszeiträume nicht mehr leisten kann. Die Errichtung neuer Gaskraftwerke ist für das Unternehmen trotzdem eine Option. Zumindest theoretisch: „Derzeit sind allerdings die Rahmenbedingungen für den Bau neuer Gaskraftwerke nicht gegeben. Hier verfolgen wir aufmerksam die begonnene politische Diskussion um ein neues Strommarktdesign und die Neuausrichtung der Energiepolitik.“ Auch die weitreichenden Möglichkeiten, gegen erteilte Genehmigungen zu klagen, stellten eine große Unsicherheit dar.
Denn auch wenn auf allen bisherigen Kohlekraftwerksstandorten Gaskraftwerke gebaut werden dürfen, bedeutet das nicht, dass es keine Proteste und Klagen geben wird. Die meisten Umweltgruppen sind prinzipiell gegen den Bau von neuen Gaskraftwerken und fordern, künftig ausschließlich auf erneuerbare Energien zu setzen. Auf Anfrage teilte der Bund Umwelt – und Naturschutz (BUND) mit, dass „Protest um des Protests willens“ nicht sein „Ding“ ist, aber Gas eher ein Lückenbüßer als eine Brückentechnologie sei. „Es ist sicher berechtigt, jegliche Planung neuer Gas-Infrastruktur genau unter die Lupe zu nehmen.“ Die Gruppe GasExit kündigt G an, sie plane „auch in diesem Jahr Proteste gegen den Ausbau der Gasnutzung in Deutschland.“ Ende Gelände hingegen, deren Aktivisten durch Protestaktionen gegen die Abholzung des Hambacher Forstes bekannt wurden, geht es nicht nur um die Gasnutzung, sondern um den Kampf gegen das System: „Es braucht eine Änderung unserer Produktions- und Lebensweise und eine gerechte Umverteilung des vorhandenen Wohlstands.“
Es ist noch ein langer Weg, bis die Stromversorgung mit Gas gesichert ist.
Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Welt am Sonntag
8 Jahre dauert es, bis solch ein Kraftwerk steht. Dafür also für eins gibt es auch in Deutschland ausreichend Personal zum Planen Bauen Inbetriebnahme und Betreiben. Aber wenn gleichzeitig viele Kraftwerke gebaut werden sollen, fehlt es an allem, sogar an so "unwesentlichen" Dingen wie Generatoren und anderer Technik. Dann gibt es nur noch Regierungen, die keinen Einfluß auf soche Abläufe haben. Aber die können ja alles gut erklären. Oder es ist eine neue Regierung, die über Versäumnisse der Vorgänger schimpft. Und so wird es kommen.
Man hätte einfach die 6 verbleibenen Atomkraftwerke bis 2035 laufen lassen sollen, die fast alle Grundlastprobleme lösen würden.
Nun denn.
Jetzt muss es doch politische Forderungen zur Laufzeitverlängerung geben. Aus welcher Richtung könnten sie kommen? FDP? 180 Gradwende der CDU?