Auch schon vor Beginn der EM lagen fußballerisch ereignisreiche Wochen: der VfL Bochum fabriziert das Wunder von Düsseldorf, Leverkusen bringt nach vergeigtem Europapokalfinale das Double über die Ziellinie und ein engagiertes Dortmund unterliegt einem brutal effizienten Real in London. Nun steht das EM-Abschneiden von den Teams aus Spanien, Schottland und der Schweiz im Fokus. Thommy Junga und Peter Hesse schauen hinter die Kulissen – und blicken auch noch mal in Richtung Bundesliga.
Thommy Junga: Die EM nimmt ganz schön Fahrt auf und die Diskussionen darüber welchen Effekt das Mega-Event auf Deutschland haben wird, sind kaum zu überhören. Die Wirtschaftsexperten kochen allzu große Erwartungen bereits runter und relativieren die Tourismusnebengeräusche massiv. Die Diskussionen über Fähnchen und beflaggte Häuser gehen auseinander. Dazu war ganz Dortmund gestern voll mit Menschen aus der albanischen und italienischen Community. Auch Deutschland legte fulminant mit 5:1 Toren vor, was kann dieses Turnier dem Land von Hölzenbein und Schlotterbeck geben?
Peter Hesse: Ex-Kanzler Gerhard Schröder und seine südkoreanische Gattin So-Yeon Kim lebten schon die „schwarz-rot-geile“ Euphorie massiv vor – was nach dem Ausgang der EU-Wahl unmöglich schien: Kann dieses Land, wo die Parteien aus der bürgerlichen Mitte immer schlechter abschneiden – und AfD wie BSW so viel Zulauf haben, wirklich wieder zu Fähnchen auf dem Autodach und seine Balkone und Vorgärten wieder mit Deutschland-Girlanden schmücken? Ja, es kann. Auch wenn es eine soziokulturell fragwürdige Geste ist, finde ich, dass die Nationalmannschaft toll spielt und Trainer Nagelsmann das Ganze bislang sehr gut verkauft. Die kommenden Gegner Schweiz und Ungarn dürften ein etwas anderes Kaliber sein, als noch Schottland, aber mit dieser offensiv, wie defensiv, gut aufgelegten Elf wird Deutschland weit kommen. Ich hoffe nur, dass wir von großen Ausschreitungen oder sogar Attentaten verschont bleiben. Der Rest wird sich ergeben – ob es ein zweites Sommermärchen a la 2006 wird? Das können wir erst in einem Monat wissen.
Thommy Junga: Der letzte Pyronebel ist verzogen, alles grooved sich mit Schmackes in das europäische Volksfest ein, da hat uns noch der rheinmetallische Hammerschlag aus Dortmund getroffen. Trainer Edin Terzic erklärt vor versammelter Elefantenrunde seinen Rücktritt. Für einen Trainer, der noch vor zwei Wochen um Europas größten Titel im Rennen war, eher ungewöhnlich. Was glaubst Du: ist er den Elefanten nur zuvorgekommen?
Peter Hesse: Ja, ich denke der Verein wollte ihm die Möglichkeit geben, die Deutungshoheit über seine Kündigung zu haben. Dadurch, dass er von sich aus geht, wird die Abfindung auch nicht ganz so üppig ausfallen. Ich persönlich möchte Edin gerne, ein integrer Typ der sich locker im Gespräch vorstelllen konnte – und der auch nicht vergaß, dass er mal ganz klein angefangen hatte. Als er ab dem Jahr 2010 Co-Trainer von der U-19-Mannschaft war, wohnte er sogar eine zeitlang in der Dortmunder Nordstadt. Nur nach der Meister-Pleite im letzten Jahr, dazu „nur“ ein fünfter Platz in der Bundesliga in diesem Jahr – das ist nicht der Anspruch des schwarz-gelben Champions. Die Borussen wollen vorne sein – und das muss ab jetzt Nuri Sahin richten, einfach wird das nicht.
Thommy Junga: Die Causa Terzic ist – wenn man den Berichten von Sky Glauben schenken darf – medial unweigerlich verknüpft mit dem Namen Mats Hummels. Dieser hatte vereinsintern eine Vertragsverlängerung beim BVB für von der Demission Terzics abgängig erklärt. Ich musste unweigerlich an Timo Baumgartl denken, der seinen Trainer im TV öffentlich zerlegte. Oder an Manuel Riemann, der dem VfL Bochum vor der Relegation den Dienst versagte. Was ist das für ein neuer Trend, aktuelle Problemfelder in den Klubs derartig persönlich zu instrumentalisieren?
Peter Hesse: Für Mats ist das alles sehr doof gelaufen: keine Nominierung zur EM, kein Champions-League-Sieger, kein Anschluss-Vertrag beim BVB. Er hat so langsam das Image des ewigen Ruhestörers von der letzten Bank. Ich hoffe er bekommt einen gut dotierten Vertrag in einer Operetten-Liga und wird in drei oder vier Jahren wieder eine Funktion im Liga-Betrieb haben. Mats ist intelligent, er kann gut reden und auch in schlechten Phasen sein Team medial gut verkaufen – solche Leute braucht man. Anders dazu Timo Baumgartl, der in die U23 vom FC Schalke degradiert wurde. Und was mit Manuel Riemann wird – da tun sich selbst berühmte Kaffeesatz-Leser schwer. Ich hoffe, er findet einen neuen Verein.
Thommy Junga: Auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches: ein Verein steigt ab, Infrastruktur und Tradition auf höchstem Niveau – nun soll ein neuer Trainer für den Umschwung sorgen. Aber: selten war ein Trainerjob ein derartiges Himmelfahrtskommando wie beim 1. FC Köln. Nach einigen Absagen, unter anderem von Ex-Bochum-Coach Thomas Letsch, hat sich nun ein mutiger Typ gefunden, der den Unwägbarkeiten trotzen will. Gerhard Struber aus Österreich heißt der Unerschütterliche, der zuletzt bei RB Salzburg in der Verantwortung stand. Die Domstädter gehen mit einem Rumpfkader in die Saison, Einnahmen dürfen wegen der Transfersperre nicht in neue Beine investiert werden, stattdessen werden eingefädelte Transfers jetzt mit Leihen an die Konkurrenz gelöst. Oben drein weiß so recht niemand, wer in ein paar Wochen oder Monaten für die weitere Kadergestaltung verantwortlich sein wird, da der Vorstand in der Vorsaison den Igel in der Tasche hatte und kurz vor der Abwahl steht. Man kann Herrn Struber nur das Beste wünschen, oder?
Peter Hesse: Es ist der siebte Abstieg der Kölner Vereinsgeschichte. Dazu haben die Domstädte eine Transfersperre aufgebrummt, die den Klub extrem lähmt. Aber wir wären nicht in Köln, wenn es nicht noch dazu eine Schlaumeier-Opposition im Club gäbe, die mit einer feindlichen Übernahme versucht, die Macht und die höchsten Ämter im Verein an sich zu reißen. Es gab vor wenigen Tagen eine Mitgliederversammlung, die mit den handelnden Personen am Geißbockheim hart ins Gericht geht. Es ist ein Trauerspiel, denn der 1. FC Köln gleicht in diesem Sommer einem schwer kranken Patienten, dem man jede Hilfe zur Rehabilitation verweigert. Ich hoffe schwer, dass die Kölner bald wieder auf die Beine kommen.
Thommy Junga: Klotzen statt Kleckern ist hingegen im limonade-trunkenen Leipzig angesagt. Erster Profiteur der neuerlichen dosenpfandfinanzierten Leipziger Einkaufstour ist Schalke 04, dass für sein Supertalent Assan Quédraogo rund zehn Millionen Euro erhält. Der 18jährige, Sohn des ehemaligen Köln- und Oberhausenprofis Alassane Quédraogo, bleibt somit nach dem geplatzten Bayerndeal immerhin auf dem Papier der Bundesliga erhalten. Nun verdichten sich aber schon Gerüchte, man wolle den Jungstar beim Schwesterklub in Salzburg parken – es bleibt also ein fader Brausegeschmack. Wer ist am Ende der Glücklichere: der U17-Weltmeister mit der perfekten Karriereplanung oder der FC Schalke mit dem Festgeld-Boost?
Peter Hesse: Assan Ouédraogo galt als eines der wichtigsten Talente im Schalker Abstiegsstrudel – aber dass er nun zu einem Verein kommt, mit dem er in Champions League spielen kann – das ist natürlich etwas anderes anderes als mit den Knappen über die Dörfer von Elversberg über Magdeburg bis nach Paderborn zu tingeln. Wenn Leipzig sich noch mit weiteren Spitzenkräften verstärkt – und in Leverkusen und Stuttgart hat man sicher auch täglich mehrere Augen auf transfermarkt.de – dadurch wird es um so schwerer für den FC Bayern wieder ganz vorne mitanzugreifen. Aber für die erste Liga ist es ja auch mal gut, wenn es an der Spitze neu durchmischt wird. Und um nochmal zu deiner Frage zu kommen: ich glaube der FC Schalke wird es ganz schwer haben vorne mitzuspielen. Ich glaube sie werden, wie es dem HSV ja auch passiert ist, noch einige Jahre in der zweiten Liga verweilen. Da helfen auch die Ouédraogo-Millionen nicht.