Die europäische Dimension des Mindestlohns

EU-Kommissar Lazlo Andor, zuständig für Soziales und Beschäftigung | Foto: EU Kommission
EU-Kommissar Lazlo Andor, zuständig für Soziales und Beschäftigung | Foto: EU Kommission

Seit fast zehn Jahren wird in Deutschland leidenschaftlich um den Mindestlohn gestritten. Gestern nun hat der Bundestag mit großer Mehrheit (535 Ja-Stimmen, 5 Nein-Stimmen, 61 Enthaltungen) beschlossen, dass es ab dem 1. Januar 2015 auch in Deutschland einen Mindestlohn gibt. Damit haben dann 22 der 28 EU-Mitgliedsländer einen gesetzlichen Mindestlohn, der eine Bandbreite von 0,95 Euro (Bulgarien) bis 11,10 Euro pro Stunde (Luxemburg) umfasst (Stand: Oktober 2013).

DGB, Die Linke und auch der für Soziales und Beschäftigung zuständige EU-Kommissar Lazlo Andor kritisieren zwar die im Mindestlohn vorgesehenen Ausnahmen und teils auch die Komposition der Mindestlohnkommission.

Doch trotz dieser durchaus begründeten Kritik ist die Einführung des Mindestlohnes ein Meilenstein. Allerdings keineswegs nur aus sozial- und tarifpolitischer Sicht. Die EU-Kommission  im Rahmen der seit 2011 jeweils im Frühjahr veröffentlichten länderspezifischen Empfehlungen zur wirtschaftlichen Entwicklung der einzelnen Mitgliedsländer kontinuierlich die schwache Entwicklung des deutschen Binnenmarktes und die einseitige Ausrichtung der deutschen Wirtschaft auf den Export. Diese einseitige Exportorientierung führt zu den enormen Handelsbilanzüberschüssen der Bundesrepublik. Diese Handelsbilanzüberschüsse tragen wiederum zu den Defiziten in den Krisenländern Südeuropas bei, in die nach wie vor ein großer Teil der deutschen Exporte verkauft wird. Auf Dauer geht das eben nicht gut, wenn einer nur verkauft und andere nur kaufen – und zwar für beide Seiten nicht.

Aus diesem Grund fordert die EU-Kommission seit 2011, dass die Löhne in Deutschland in gleichen Umfang steigen sollen, wie die Produktivität steigt, dass der Missbrauch von Minijobs unterbunden werden soll und Minijobs in normale sozialversicherungsverträgliche Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden sollen und dass mehr Geld in die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und in Bildung, Ausbildung und Forschung investiert werden soll. Mit diesen Maßnahmen – so die EU-Kommission – soll die Binnennachfrage bzw. der Binnenmarkt in Deutschland gestärkt werden. Gleichzeitig geht die EU-Kommission davon aus, dass damit auch der Exportüberschuss ab gebaut werden kann.

Die Einführung des Mindestlohnes ist also keineswegs „nur“ eine sozial- und tarifpolitische Maßnahme auf deutscher Ebene. Mit der Einführung des Mindestlohnes erkennt die Bundesregierung implizit die Kritik der EU-Kommission an der bundesdeutschen Wirtschaftspolitik an – und damit gesteht sie faktisch ein, dass die bundesdeutsche Wirtschaftspolitik zu der seit nun schon über fünf Jahren andauernden Euro-Krise beigetragen hat und nach wie vor beiträgt. Die Einführung des Mindestlohnes ist der erster strukturelle, wirtschaftspolitische Beitrag der Bundesregierung zum Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte im EU-Binnenmarkt und damit ein Beitrag zur Überwindung der Euro-Krise – dem allerdings noch weitere mindestens ebenso große Schritte folgen müssen, wie eine gemeinsame Fiskal- und Sozialpolitik und gemeinsame Staatsanleihen der EU!

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Vetulus
Vetulus
10 Jahre zuvor

Die Frage ist, warum der Mindestlohn so niedrig angesetzt wurde. Und warum es nicht, wie in der Schweiz (gescheitert), eine Initiative gibt, die auch eine Begrenzung nach oben möchte.

Stefan Laurin
Admin
10 Jahre zuvor
Reply to  Vetulus

@Vetulus: Schon mal etwas von Vertragsfreiheit gehört?

Vetulus
Vetulus
10 Jahre zuvor

@Stefan Laurin: Wie gesagt wurde in der Schweiz eine Initiative eingebracht, die zur Abstimmung kam und die Schweiz steht nicht im Ruf ein Zwangsstaat zu sein (siehe https://www.taz.de/!127968/). Vertragsfreiheit ist in vielen Bereichen eingeschränkt und nirgends absolut.

Alreech
Alreech
10 Jahre zuvor

richtig, man darf nicht die Ursachen der Krise vergessen, und das ist die deutsche Lohndrückerei.
Erst wenn Daimler, Porsche, BASF und Hoechst ihre Mitarbeiter über den Mindestlohn bezahlen werden ihre Produkte teurer als die von Fiat und Peugeot.

Mal ehrlich, wer würde nicht gerne einen Fiat fahren ?
Aber solange ein Porsche oder Mercedes billiger ist weil die Deutschen Arbeiter zu Hungerlöhnen malochen müssen kann es mit Italien, Spanien und Frankreich nicht aufwärts gehen.

Steigende Binnennachfrage in Deutschland würde auch den anderen EU Ländern nutzen, etwa wenn sich mehr Deutsche einen Urlaub in der Türkei oder der dominikanischen Republik leisten können, oder mehr Geld für Unterhaltungselektronik und Kleidung aus Südostasien ausgeben.

Arnold Voss
10 Jahre zuvor

Nach oben absolut zu deckeln ist zwecklos. Das kann nur indirekt durch Steuern geregelt werden. Nach unten absolut zu deckeln ist dagegen notwendig und machbar und das endlich auch in Deutschland.

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