Die Evangelische Kirche von Westfalen unterstützt Kirchenasyl – das könnte einige Gemeinden im Ruhrgebiet auf eine gute Idee bringen

Refugess welcome, Foto: Ulrike Märkel
Refugess welcome, Foto: Ulrike Märkel

Das Thema Kirchenasyl bewegte in der letzten Woche die katholischen und evangelischen Gemüter. Doch nicht nur Christen waren über die „fundamentalen und prinzipielle“ Ablehnung der humanitären Maßnahme durch den Bundesinnenminister Thomas de Maizière entsetzt. Vor allem der Scharia-Vergleich sorgte für Aufregung. Vor einer Woche gab es ein Spitzengespräch mit den Kirchen und dem Präsidenten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Wichtigste Einigung war, dass die Androhung einer Fristverlängerung auf 18 Monate zum Aufschub einer Abschiebung, abzuwenden. Denn dies hätte de facto ein Ende des Kirchenasyl bedeutet. Nach dem Kompromiss ist klar: Kirchenasyl wird es weiterhin geben. Vermutlich werden sich angesichts der ansteigenden Flüchtlingszahlen und damit auch Abschiebefälle, bald noch mehr Kirchengemeinden bereit erklären, ihnen Schutz zu gewähren. Das könnte Menschen wie S. helfen.

Der junge Mann aus Myamar (Birma) ist Rohingya und hat bereits seinen ersten Abschiebebescheid bekommen. Er wird vermutlich schon bald nach Frankreich abgeschoben werden. Von dort aus droht ihm die direkte Rückführung nach Myanmar (Birma), wo sein Vater und sein Bruder ermordet wurden. Das „sichere“ Drittland Frankreich hatte sein Asylbegehren ungeachtet der Menschenrechtslage in S. Heimat abgelehnt. Für ihn heisst die zwangsweise Abschiebung aus Deutschland, dass er bald wieder in dem Land der Mörder seiner Familie sein wird und dort den Gewalttätigkeiten gegen seine Volksgruppe ausgesetzt sein wird. Die Rohinghas sind laut UN die am meisten verfolgte Minderheit in der Welt.

S. Schicksal steht für das vieler anderer. Er hat keine Zukunft vor sich – aber vielleicht bekommt er die Chance, die ihm ein Kirchenasyl bieten kann. Die Evangelische Kirche von Westfalen, die von Siegen bis Herford und von Paderborn bis Gladbeck reicht, machte gegenüber den Ruhrbaronen deutlich, dass man Gemeinden konkret, aber auch mit einer klaren Haltung unterstütze: „Wir stärken Kirchengemeinden den Rücken, indem wir öffentlich Farbe bekennen.“

411 Menschen stehen unter dem Schutz der Kirchen

Derzeit gibt es in Deutschland 226 Kirchenasyle mit mindestens 411 Personen. Kirchenasyl ist eine autonome Entscheidung der einzelnen Kirchengemeinden.  In Dortmund gibt es bereits Überlegungen von Gemeinden dazu, Menschen aufzunehmen. Ein Pfarrer einer Evangelischen Kirchengemeinde sagte: „Diese Geschichten berühren einen. Es gibt so dramatische Schicksale und schlimme Bedrohungen von einzelnen Flüchtlingen, Paaren oder Familien, dass es das Gewissen fordert, hier einzugreifen und den Flüchtlingen mit den Möglichkeiten einer Gemeinde Schutz zu gewähren! Es ist skandalös, welche „Fälle“ durch das Raster einer immer schnelleren behördlichen Abschiebung fallen. Als Mensch und Christ kann ich das nicht tatenlos einfach geschehen lassen.“

Harsche Worte von der CDU zum Kirchenasyl

Das sehen nicht alle so, der Christdemokrat Kauder (CDU) schimpfte einen Tag vor dem Heiligen Abend gegenüber der Welt „Der Staat sollte nicht daran gehindert werden, einen abgelehnten Asylbewerber abzuschieben. Deswegen halte ich Kirchenasyl für eine höchst problematische Sache“.

Trotz der harschen Worte aus den Parteien mit dem C im Namen, war man sich bei den Verhandlungen zwischen Ministerium und Kirche natürlich schnell einig, dass die Kirchen keinen Rechtssituation neben dem Rechtsstaat schaffen wollen und das Kirchenasyl kein eigenständiges, neben dem Rechtsstaat stehendes Institut sei. So weit so klar. Ob es weitere Zugeständnisse der Kirchen gab, ist nicht bekannt. Dass die Verlängerung der Abschiebefrist auf 18 Monate verhindert wurde, ist dennoch ein Verhandlungserfolg. Der CDU-Vorschlag hätte das Kirchenasyl unterlaufen.

Friedrich Stiller, Leiter des Referats für Gesellschaftliche Verantwortung des Evangelischen Kirchenkreises Dortmund Lünen, begrüßt die Kompromisslösung. Auch wenn es in Dortmund bisher kein Kirchenasyl gibt, machte Stiller deutlich, dass im Falle eines Falles nicht nur juristische Beratung, sondern auch eine finanzielle Unterstützung von Seiten des Kirchenkreises denkbar sei. Das ist ein wichtiges Signal an die Gemeinden im Ruhrgebiet, die sich möglicherweise mit dem Gedanken an ein Kirchenasyl tragen. Denn die Unterbringung ist eine Herausforderung und erfordert neben vielen Unterstützer aus der Gemeinde, auch Geld.

Kirchenasyl ist eine Herausforderung für alle – aber es lohnt sich

Mit dem Thema werden Kirchen möglicherweise auch spontan konfrontiert. Denn immer wieder mal ergriff ein Flüchtling selbst die Initiative, klopfte an, trat ein und verliess den Kirchenraum nicht mehr. Eine Kirche, deren Religionsgründer einer der wohl berühmtesten Flüchtlinge ist, wird dem Hilfesuchenden vermutlich nicht die Unterstützung versagen.

Auch an einer, auf die Kirchen zugeschnittenen Härtefallregelung zu den Einzelfällen wird gearbeitet, meinte Stiller gegenüber der Ruhrbaronen. Das Moratorium, das durch Kirchenasyl erreicht würde, ist wichtig. Es bietet den Flüchtlingen zumindest ein paar Monate lang die Möglichkeit, einige wichtige Dinge zu regeln. Das macht auch vor dem Hintergrund Sinn, dass Kirchenasyl häufig erfolgreich ist. Die Schützlinge erhalten im zweiten Anlauf Asyl.

Dazu gehört auch, sich den notwendigen Rechtsbeistand bei drohender Abschiebung zu sichern. Auch könnte die Möglichkeit, eine Petition beim Landesparlament einzureichen oder einen Antrag an die Härtefallkommission des Landes-Innenministeriums zu stellen, in dieser Zeit genutzt werden. So rät es jedenfalls ein Kirchenasyl-Ratgeber der Kirchen. Unterzeichnet wurde die 25-seitige Broschüre auch von der Evangelischen Kirche von Westfalen. Sie steht hinter den Kirchengemeinden, die Kirchenasyl durchführen. Auch mit den zuständigen Behörden hätte man einen guten Kontakt.

Einen Interessenkonflikt zwischen den Behörden, die abschieben wollen und den Kirchen, die den Aufenthalt ihrer Schützlinge mit allen legalen Mitteln verlängern wollen, erkenne man nicht. Im Gegenteil: Sowohl auf regionaler, als auch auf lokaler Ebene seien die betroffenen Gemeinden in regelmäßigem und meist auch konstruktivem Austausch mit den Ausländerbehörden.

Die Kirche hat Recht(e)

Richtig sei aber auch, so in der Antwort der Evang. Kirche von Westfalen auf eine Anfrage der Ruhrbarone, dass sich konträre Ansichten gegenüberstehen. An dieser Stelle zeigt die westfälische Kirche eine eindeutige Haltung: „Vorrang hat das Interesse der betroffenen Menschen, die bei uns Zuflucht suchen. Das gilt auch für Flüchtlinge, deren Abschiebung auf dem Dublin III-Verfahren beruht. Mit Kirchenasyl wurde nie das Ziel verfolgt, einen rechtsfreien Raum zu schaffen, aber es ging immer um eine „Atempause“, um aus humanitären Gründen noch einmal eine Überprüfung in Gang zu bringen und so am Ende dem Rechtsstaat zu seinem Recht zu verhelfen.“

Besser hätte man es nicht sagen können. Abschiebungen, in deren Folge Menschen Verfolgung, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt werden, sind inhuman. Und ein Staat der das zulässt, braucht tatsächlich Rechtsnachhilfe. Selbst wenn diese von ganz oben kommt.

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Thomas Weigle
Thomas Weigle
9 Jahre zuvor

Das ist doch mal was, was, man bedingungslos unterstützen kann. Kommt ja bei den Lutheranern nicht alle Tage vor. Als langjähriger „Bethelaner“ weiß ich dies durchaus zu würdigen.

der, der auszog
der, der auszog
9 Jahre zuvor

@Thomas Weigle

Ich habe Sie hier als scharfen Kritiker gerade hinsichtlich der Regime des ehemaligen Ostblocks in Erinnerung. Insofern wundert mich Ihre ‚bedingunslose‘ Zustimmung zum Kirchenasyl ein wenig.

Würden Sie Kirchenasyl auch dann bedingunslos unterstützen, wenn dadurch Diktatoren und Despoten iher gerechten Strafe entgehen? Nehmen wir beispielsweise mal den Erich Honnecker und seine Frau Margot. Ich kann nicht mit 100%iger Sicherheit sagen, was mit den beiden passiert wäre, hätten sie 1990 nicht bei Pfarrer Uwe Holmer in dessen Lobetaler Pfarrhaus Kirchenasyl bekommen, aber bis Chile, wo Honnecker als freier Mann starb, wäre er ohne sein Kirchenasyl unter Umständen nicht gekommen.

Nach Lateinamerika hatten sich übrigens auch sehr viele Nazis nach dem Krieg abgesetzt. Viele mit Hilfe der katholischen Kirche, die ihnen erst im Vatikan Unterschlupf gewährte und die sie dort dann mit den nötigen gefälschten Papieren austattete. Beispiele: Josef Mengele, Adolf Eichmann

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@Ulrike Merkel

Scharia bedeutet erst einmal nur aus dem Islam abgeleitet Recht. So etwas gibt es im Christentum auch, nur dass dort das Kirchenrecht nicht aus dem Islam sondern aus der Bibel abgeleitet wird. ‚Ius Canonicum‘ = Kanonisches Recht wäre das Pendant der katholischen Kirche zu dem, was für Muslime die Sharia ist. Insofern kann man das Wort Scharia auch völlig wertfrei benutzen… wenn man denn will.

Sicherlich kann man die derzeitigen Fälle von Kirchenasyl nicht 1:1 mit den von mir oben genannten Beispielen vergleichen,weil diese schon einige Zeit zurück liegen. Es sollte allerdings schon darüber diskutiert werden dürfen, wieso es beim Stichwort Kirchenasyl in Deutschland möglich sein soll, dass sich religiöse Gruppen,, wenn sie denn katholische oder evangelische Christen sind, über die geltenden Gesetze dieses Landes und damit über den Staat hinwegsetzen können, während andere religiöse Gruppen, wenn sie denn Muslime sind, derzeit permanent daran erinnert werden, dass sie ihr religiöses Rechtsverständnis bitte schön dem Staatlichen unterzuordnen haben.

Um mal eine Diskussion in Gang zu bringen: Sollen sich in Deutschland religiöse Gruppen über geltendes Recht hinwegsetzen dürfen und wenn ja, wieso?

DAVBUB
DAVBUB
9 Jahre zuvor

Der Flüchtling Sayed ist m.W. zuerst nach Bangla Desh, nach einiger Zeit dann mit dem Auto nach Frankreich gefahren. Ging es also darum, Birma zu verlassen, oder nach Deutschland zu gelangen?
Ich habe nichts gegen Einwanderung nach D, allerdings stört es mich, wenn dazu das Asylrecht mißbraucht wird.
Die Ev. Kirche hat sich im Laufe meines Lebens von einer Religionsgemeinschaft zu einer Schattenpartei entwickelt, die ohne die lästigen Pflichten der an der repräsentativen Demokratie sonst noch beteiligten Parteien -z.B. Wahlen- aktiv Politik macht. Ihre durch stetige Kirchenaustritte sinkende Legitimation kompensiert sie durch immer lauteres auftreten.
Das Kirchenasyl gehört abgeschafft.

keineEigenverantwortung
keineEigenverantwortung
9 Jahre zuvor

Natürlich kann Kirche, die weltweit organisiert ist helfen. Das wird getan und ist auch notwendig. Schwerpunkt sollte die Beseitigung von Unrecht am Ursprungsort und die Hilfe zur Selbsthilfe sein.
Auch Christen werden an vielen Orten der Welt verfolgt.

Warum es jetzt aber einen „Schutzraum Kirche “ geben soll, erschließt sich mir nicht.
Nach welchen Kriterien sollten ein „Sonder-Asyl“ funktionieren? Wer entscheidet?

Hier sollten wir uns auf die Justiz verlassen und ggfs. mit demokratischen Prozessen die Regelungen anpassen.

keineEigenverantwortung
keineEigenverantwortung
9 Jahre zuvor

@5:
Wie die die Justiz entscheidet, kann durchaus zufällig sein (Erfahrungen des Richters, aktuelle Presse, …). Dies gilt insbesondere, wenn es um Grenzfälle geht. Das betrifft aber alle Lebenslagen. Unterschiedliche Urteile in versch. Instanzen zeigen auch, dass Recht zufällig sein kann.

Geht es wirklich immer um Menschenleben oder Bedrohungen?
In Einzelfällen sicherlich, in vielen Fällen ist dies aber bei vielen Asylbewerbern nicht der Fall. Es geht um den Wunsch hier zu leben. Dann sind wir eher bei den Themen Einwanderung, ob nun mit Hürden oder ohne. Das ist auch ein Thema vor dem sich die Politik drückt.

Zuwanderung ohne Hürden mit sofortigen Möglichkeiten, sich komplett in das deutsche System zu integrieren, kann ich mir in der Realität nicht vorstellen. Es wird Kriterien geben.

Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
9 Jahre zuvor

„Das sehen nicht alle so, der Christdemokrat Kauder (CDU) schimpfte einen Tag vor dem Heiligen Abend gegenüber der Welt „Der Staat sollte nicht daran gehindert werden, einen abgelehnten Asylbewerber abzuschieben. Deswegen halte ich Kirchenasyl für eine höchst problematische Sache“.“
Einerseits ist Kirchenasyl eine höchst problematische Sache, darum wird es im Fall eines Falles auch entsprechend in den Presbyterien diskutiert und vorbereitet, weil es nämlich andererseits immer wieder aus humanitären Gründen zwingend geboten ist.

„Denn die Unterbringung ist eine Herausforderung und erfordert neben vielen Unterstützer aus der Gemeinde, auch Geld.“ Das Geld aufzutreiben ist je nach Sachlage eher das kleinere Problem. Qualifizierte bzw. sich qualifizierende Manpower und Zeit dürften die Herausforderungen sein, denen sich ein gegenüber Flüchtling und Gemeinde verantwortungsbewußt handelndes Presbyterium stellen muß.

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