Die Förderung des Opfer-Images macht die AfD stark

Protest gegen den AfD Parteitag 2024 in Essen Foto: Laurin


Man hatte es fast nicht mehr zu hoffen gewagt, aber in der kreuzbraven CDU wächst anscheinend nun doch das Unbehagen über die strategische Falle, in der die Partei schon so lange steckt.

Das ist mehr als verständlich, auch wenn der Zeitpunkt der jüngsten Äußerungen überraschen mag. Gleich zu Anfang einer Koalition mit der SPD Lockerungsübungen in Richtung AfD zu veranstalten (Jens Spahn) oder den immer stärker grün durchwirkten Kirchen die Mentalität von NGOs zu attestieren (Julia Klöckner) muss beim Koalitionspartner zu Irritationen führen. Von der Christdemokratie ist man schließlich politischen Masochismus gewohnt, nicht aber ansatzweise so etwas wie Renitenz.

Nicht erst seit der neuen Forsa-Umfrage ist klar, dass die Brandmauer-Politik gescheitert ist. Mit 26 Prozent liegt die AfD erstmals bei einer Erhebung eines der klassischem Umfrage-Institute einen Prozentpunkt vor der CDU. Mit Geschäftsordnungstricks im Bundestag, mit der Verweigerung von parlamentarischen Gewohnheitsrechten, die man weit kleineren Fraktionen ohne weiteres zugesteht, wird der AfD nicht beizukommen sein.

Im Gegenteil: Die weitere Förderung des Opfer-Images verbunden mit dem grassierenden hohen Moral-Ton bei der Bekämpfung macht der Partei das Wachstum besonders leicht. Sie muss nichts weiter tun. Weder ihre bestenfalls widersprüchlichen politischen Konzepte noch die teils unappetitlichen Akteure fallen dagegen groß ins Gewicht. Schon lange widerlegt ist außerdem die Vorstellung, mit Protesten wie 2024 rund um den AfD-Parteitag in Essen ließe sich der Höhenflug bremsen. Das sind im wesentlichen nur wärmende Lagerfeuer der Selbstvergewisserung für das links-grüne Milieu. Schon Liberale und Konservative hat das Gedöns wenig bis gar nicht interessiert, und AfD-Sympathisanten fühlen sich sowieso dadurch nur bestärkt.

Jens Spahn und einige andere Christdemokraten scheinen all das begriffen zu haben, was immerhin ein Anfang ist. Knallharte und kühle Auseinandersetzung in der Sache ist angesagt, nicht das Aussetzen der allgemein akzeptierten Spielregeln für eine Partei, die im Bundestag als zweitgrößte Fraktion immerhin 20 Prozent der Wähler repräsentiert. Helfen könnte vor allem auch, wenn die neue Bundesregierung zumindest ansatzweise die Politik umsetzt, die sich eine Mehrheit wünscht, vor allem beim Thema Migrationssteuerung. In einer Demokratie ist das ja keine unseriöse Forderung.

Aber kann die CDU einen anderen, klügeren Umgang mit der AfD in der Breite wirklich politisch durchdeklinieren? Vorerst gewiss nicht. Die auch im Fall Spahn sofort wieder einsetzende Unterstellung, damit solle nur heimliche Sympathie mit der AfD verbrämt werden, wirkt toxisch, und die CDU ist keine Partei, die das achselzuckend aushält und wegsteckt. Zudem hat sich Friedrich Merz nicht zuletzt auf Druck der SPD klar auf die Brandmauer-Politik festgelegt, denn diese ist eben bei weitem nicht nur ein Instrument, um die AfD draußen zu halten. Sie hält vor allem kleine Parteien wie SPD und Grüne im Spiel, verschafft ihnen bei der Regierungsbildung Machtoptionen, die die bei Wahlen erzielten Ergebnisse sonst gar nicht mehr hergäben.

Im Schatten der Mauer kann insbesondere die SPD ziemlich bequem der Frage aus dem Weg gehen, warum eigentlich so viele ihrer früheren Wähler kein Interesse mehr an ihrem Politikangebot haben. Die Deutschen wählen mehrheitlich ziemlich konstant Mitte-Rechts und erhalten als Regierungspolitik ebenso konstant Mitte-Links. Nicht wenige der politischen Nutznießer scheinen zu glauben, das werde ewig so weitergehen. Wenn sie sich da nicht täuschen. Ein Teil der Politik-und Staatsverdrossenheit ist schon jetzt auf diese Dauer-Anomalie zurückzuführen.

Ein AfD-Verbot, wie es die stramm Autoritären im links-grünen Milieu, vereinzelt aber sogar bis in die CDU hinein als bequeme „Lösung“ des Wählerproblems fordern, würde dann wohl endgültig zu schweren Verwerfungen führen, auch wenn der Erfolg schon aus juristischen Gründen derzeit unwahrscheinlich wäre.

Die Demokratie retten zu wollen, indem man sie aushebelt, ist schon etwas tollkühn. Eine Demokratie, die 20 Prozent der Bürger – in manchen Landesteilen bis zu 35 Prozent und mehr – faktisch politisch entmündigt, wäre keine mehr. Das Konzept der „wehrhaften Demokratie“ gibt das auch nicht her. Es soll Umstürze der Staatsordnung verhindern, nicht aber unliebsame parteipolitische Konkurrenz entfernen, selbst wenn diese in Teilen Zweifel an der Verfassungstreue aufkommen lässt. Selbstmord aus Angst vor dem Tod war noch nie eine gute Idee.

Auch der vorpolitische Raum von SPD, Linken und Grünen – darunter viele Medien, Kirchen-Funktionäre und die überwältigende Mehrheit der mehr oder weniger steuerfinanzierten NGOs – hält die Brandmauer für eine gute Sache. Auch bei ihnen dürfte die Sicherung der eigenen Einfluss-Position und der finanziellen Pfründe keine geringe Rolle spielen, wie die hysterische Reaktion auf den Fragenkatalog der CDU zur NGO-Finanzierung zeigte.

Wie üblich bei der CDU, war auch dieser Vorstoß halbherzig und wirkte so hilflos wie die kirchenpolitische Philippika von Julia Klöckner, die ein Strohfeuer bleiben dürfte, obwohl sie ihre Berechtigung hat. Die Partei möge halt keine Kulturkämpfe, tadelte der Publizist Ulf Poschardt mit Bezug auf die Hegemonie-Theorien des italienischen Philosophen Antonio Gramsci. Bedauerlich ist nur, dass die Gegner sie umso besser beherrschen.

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