Ist es Kunst, kann es weg oder wie ist es um die Trinkhallen-Kultur zwischen Wesel und Unna bestellt? Der Herner Autor und Journalist Peter Hesse hat mittlerweile 450 Büdchen fotografiert – und hat bei seiner Bilderreise vor allem kaputte, improvisierte oder wenig einladende Exemplare vor seine Linse bekommen. Seine erste Ausstellung im Schwerter Wuckenhof (vom 8.12. bis 10.2.) war mit über 600 Besuchern ein voller Erfolg. Nun zeigt er seine großformatigen Bilder ab dem 17. März in der Stadthalle Waltrop. Danach gehen die Bilder auf Ruhrgebietstour, denn es folgen noch vier weitere Ausstellungen.
Die letzte Zeche ist geschlossen, der Strukturwandel ruckelt und Frank Goosen witzelt, dass „es woanders auch nur scheiße ist“. So sind neben den alten Bergbau-Fördertürmen die Trinkhallen so etwas wie die ungekünstelten Wahrzeichen in der Ruhrgebiets-Folklore. In der Soziologie gibt es den Begriff des „privilegierten Nostalgieempfindens“ – man erinnert sich an früher und glaubt, wenn man sich noch einmal für 80 Pfennig eine „Gemischte Tüte“ mit Weingummi, Brause-Ufo und Lakritz kaufen kann, sei die Welt wieder in Ordnung.
Das ist zum Thema von Peter Hesse geworden. Irgendwann während des ersten Corona-Lockdowns (März 2020) begann er, Kurzausflüge in Gegenden zu machen, die er noch nicht so gut kannte. Er war dann in allen vier Himmelsrichtungen des Ruhrgebiets unterwegs und hat Trinkhallen fotografiert, die besonders kurios aussahen. Seit fast zwei Jahren postet er jeden Tag eine in seinem Instagram-Account – und die Nachfrage wird immer größer.
Was die Windmühlen für Ostfriesland oder die Kuckucksuhren für den Schwarzwald sind, das sind die Trinkhallen im Ruhrgebiet: Sie sind ein identitätsstiftendes Stück Heimat. Und zudem sind sie vom Aussterben bedroht. Auf 16.000 schätzte der Kommunalverband Ruhrgebiet die Zahl noch in den 1990er-Jahren, im Frühjahr 2019 bezifferte „Der Spiegel“ die Zahl auf 5.000. „Nach der langen Corona-Phase müssen wir diese Zahl runter auf 3.000 korrigieren“, so schätzt Peter Hesse die derzeitige Kiosk-Anzahl.
Große Konkurrenz: Tankstellen und Discounter-Supermärkte
Auch wenn das Land Nordrhein-Westfalen die Trinkhallen in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen und den „Tag der Trinkhallen“ ausgerufen hat – für die Budenbetreiber an Ruhr und Emscher ist es schwierig, sich weiter am Markt zu behaupten. Denn die Konkurrenz sind Tankstellen und Discounter-Supermärkte, die an Wochenenden lange geöffnet haben – und sehr oft günstigere Preise für Eis, Getränke und Süßigkeiten anbieten können. Die Bude an der Ecke stirbt aus – wie schön, dass Peter Hesse mit seinem Projekt #diehässlichstentrinkhallenimpott darauf aufmerksam macht.
„Es sind oft die Kontraste, die Peter Hesses Bilder interessant machen“ – das meldete die Tagesschau und der Münchener Merkur schrieb: „Sie gehören zum Ruhrgebiet wie Currywurst und Kohle-Kumpel: die Trinkhallen. Nur besonders schön sind sie oft nicht. Unförmige Werbung, kuriose Leuchtreklamen oder ein Umfeld, das mehr an eine Müllhalde erinnert. Peter Hesse hat wahrscheinlich einen Großteil von ihnen schon gesehen. Und fotografiert.“
Die Ausstellungen:
Waltrop
Stadthalle Waltrop
17. März bis 14. April
Gelsenkirchen
Queerbeet Festival
27. Juni bis 7. Juli
Wanne Eickel
Heimatmuseum „Unser Fritz“
17. August (Zum „Tag der Trinkhallen“)
Dortmund
Berswordthalle
Termin im Herbst (tba.)
Lünen
Lükaz
Termin im Herbst (tba.)
TV-Bericht von RTL West