Die Hamburger Schule und die Frauen

Bernadette La Hengst 2014 in Freiburg Foto: © Jörgens.mi Lizenz: CC BY-SA 3.0

An der Hamburger Schule interessierte mich vor allem der Untergrund-Charakter dieser losen Musikbewegung. Am 24. und 25. Mai wurde die zweiteilige Serie “Die Hamburger Schule – Musikszene zwischen Pop und Politik” im NDR gezeigt, die nun in der Mediathek zu finden ist. Darüber entbrannte auf Facebook ein wirklich heftiger Wortwechsel. Bei der taz kann man die sehr umfangreiche, komplette Diskussion detailliert nachverfolgen. Aus meiner feminismuskritischen Perspektive ist diese Diskussion um die 2×30-Minuten-Dokumentation des NDR interessant, zumal sie gleich mehrere problematische Aspekte des modernen Feminismus zum Vorschein bringt.

Nach meiner Einschätzung waren in der Hamburger Schule Frauen durchaus präsent und konnten sich dort profilieren. Sie bekamen wohl auch Unterstützung von Männern, waren aber selbstbewusst und eigenständig in dieser Szene unterwegs. Auch die Zeitschrift Spex, als Sprachrohr der Hamburger Schule, wurde maßgeblich von Frauen geprägt. Dass das Frauenbild in den 90er Jahren noch etwas zu wünschen übrigließ, ist sicher dem Zeitgeist von damals geschuldet. In der Musikbewegung Hamburger Schule waren die Frauen ihrer Zeit jedoch voraus, überaus eigenständig und auch erfolgreich. In der Doku des NDR werden die starken Frauen von damals jedoch in eine Opferrolle gedrängt, in der sie keinesfalls waren. Es wird auf diese Art und Weise versucht, dem modernen Feminismus eine Legitimation zu geben. Da wird zum Beispiel im Zusammenhang mit der Spex gefragt: “Es gab sie also, die einflussreichen Frauen, aber warum standen so wenige oben auf der Bühne?” Das suggeriert, dass die Frauen keinen Erfolg hatten. Auch, dass es mit “Die Braut haut ins Auge” nur eine erfolgreiche Frauenband gegeben haben soll, stimmt einfach nicht. Um Männer an den Pranger zu stellen und die Narrative des modernen Feminismus zu bedienen, wird Frauen ihr Erfolg abgesprochen. Gab es nun Männerbünde, die Frauen ausschlossen, oder brauchten die Frauen den Support der Männer, weil sie es selbst nicht konnten? Was denn nun? Ist auch egal, denn beides dient nur dazu, die Frauen als Leidtragende der Männerwelt hinzustellen.

Bernd Begemann hat die Hamburger Schule mitbegründet und gilt als einer der frühen Hauptprotagonisten. Und er kam in der besagten Doku gar nicht vor. „In der Doku kamen Leute zu Wort, die mit ihr gar nichts zu tun haben“, so Begemann. Wie sich in der folgenden Diskussion auf Facebook herausstellt, waren es wohl feministische Gründe. Und da setzt auch meine Kritik an. Ich halte eine feministische Perspektive für problematisch, wenn sie die Geschichte falsch erzählt und wichtige Zeitzeugen einfach rauslässt. Wenn man die Ausführungen von Christiane Rösinger dazu liest, merkt man auch genau, worum es geht: die Opferrolle. Sie ist beliebt im modernen Feminismus. Auch müssen in der NDR-Doku natürlich Begriffe wie Mansplaining fallen und andere Männerklischees Erwähnung finden und natürlich muss gegendert werden. Zu einem Kommentar von Linus Volkmann schreibt Begemann schließlich, dass es ihm nicht um Mann vs. Frau ging (die Regisseurin ist eine Frau), sondern um Macht. Und er schreibt dazu noch einmal ausführlich, wie er ausgebootet und obwohl er einer der Macher der Hamburger Schule war, von der Regisseurin Natascha Geier komplett als bedeutungslos dargestellt wurde.

Nicht nur Begemann regt sich zurecht auf, nein, auch die Frauen dieser Zeit, hier vor allem die Musikerin und Journalistin Kerstin Grether, ärgern sich über die Dokumentation. Aus ihrer Perspektive wird ihre Arbeit und auch ihre Form der Emanzipation, die zur damaligen Zeit noch längst keine Selbstverständlichkeit war, nicht gewürdigt. Sie meint eben gerade, dass Frauen ernst genommen wurden und wichtig waren. Grether argumentiert mit dem Feminismus der dritten Welle, den sie quasi gelebt und in ihrer Arbeit für die Spex umgesetzt hat.

Christiane Rösinger, damals bei den Berliner Lassie Singers, führt hingegen in der Diskussion aus, wie toxisch die Situation ist, weil angeblich die Regisseurin der Doku schlimmer angefeindet wird, als es bei Männern der Fall wäre. Woher nimmt sie das? Rösinger behauptet gar, „bei männlichen Journalisten hätten sich die Herren nicht so im Ton vergriffen.“ Sie spricht auch hinsichtlich der Hamburger Schule von einem Männerverein und vom „Männermusikspezialistentum“ und jammert darüber, dass Frauen angeblich ausgegrenzt wurden. Dem widerspricht Grether und meint, schon das Wort „Männerspezialistentum“ schließt die Frauen als Musikspezialistinnen aus. Denn sie hat es sich erkämpft und ist eine anerkannte Spezialistin im Bereich Musik. Das nennt man Emanzipation! Sandra und Kerstin Grether erklären, dass Frauen einen großen Anteil am Schaffen der Hamburger Schule hatten. Sie fühlen sich klein gemacht und meinen, dass die Arbeit der Frauen nicht wirklich anerkannt wird. „Aber, wenn female Journalistinnen mal eine Szene mit definieren, dann darf das halt einfach nicht so gewesen sein.“ Denn es passt ja nicht in das Narrativ des modernen Feminismus. Sie klagen in diesem Zusammenhang den Sexismus der Macherin des Films an, der Frauen und deren wichtige Bedeutung für die Hamburger Schule einfach streicht und deren Stärke verneint. „Wir lassen uns nicht im Namen des Feminismus, den wir (…) mitgeprägt haben, unsichtbar machen.“ Diese Frauen fühlen sich zurecht marginalisiert.

Und Kerstin Grether spricht noch einen wichtigen Aspekt der 90er Jahre an. Als Frau in der Gesellschaft fühlte sie sich ohnmächtig, als Bestandteil der Hamburger Schule aber stark. Statt selbstbewusst zu sagen: Ja, wir Frauen waren ein integraler Bestandteil der Hamburger Schule, stellt man sie als schwach und unbedeutend dar. Auch Rebecca „Nixe“ Walsh bestätigt, dass es Gleichberechtigung gab und kritisiert, dass die Errungenschaften der Frauen einfach aus der Geschichte radiert wurden. Ich verstehe diese Frauen. Die ihnen in der Dokumentation zugedachte Opferrolle macht ihre feministischen Errungenschaften retrospektiv zunichte. Und das ist nicht nur eine Falschdarstellung, sondern auch wirklich ausgesprochen ungerecht. Der moderne Feminismus wird in Szene gesetzt um den Preis der Errungenschaften der Emanzipation, die früher einmal Feminismus hieß. Und die Wahrheit zu verbiegen und wirklich starke Frauen herabzusetzen, ist dafür als Preis nicht zu hoch. Hauptsache, die Frauen von damals sind irgendwie gemobbt worden und man kann so über die Männer herziehen. DAS ist moderner Feminismus.

Das Problem am Feminismus der heutigen Zeit ist, dass die Frau immer das Opfer sein muss und sie so nicht ermutigt wird, sich durch eigene Kraft in einer von Männern geprägten Welt zu behaupten. Das schürt nur den Hass auf die Männer. Sie werden für jedes Leid, das Frauen widerfährt, verantwortlich gemacht. Dieses Bild von der immer und überall unterdrückten Frau trägt überhaupt nicht zur Gleichberechtigung bei. Das starre Schema Frau = Opfer / Mann = Täter produziert wieder neue Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten. Es muss ein faires Miteinander geben, in dem die Frauen genügend eigenes Selbstbewusstsein entwickeln und sich nicht von Männern unterbuttern lassen. Dass sie von vornherein als zu schwach dargestellt werden, hilft ihrer Emanzipation nicht. Es macht die Frauen nicht stärker und es macht auch die Männer nicht schwächer, sondern schürt nur Verbitterung und Feindseligkeit. Es nutzt keinem außer der postmodernen Ideologie, die sich heute Feminismus nennt.

 

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