Am Tag nach der NRW-Landtagswahl 2022 ist der Kampf um die Deutungshoheit der gestrigen Wahlergebnisse in vollem Gange. Wie sehr häufig, scheint es eigentlich am Ende fast nur Gewinner zu geben. Alle Parteien versuchen das Votum der Wähler möglichst positiv für sich selbst und die eigenen Kandidaten zu interpretieren. Und auch wenn der Ausgang dieser Wahl gerade noch in aller Munde ist, steht das traurige Fazit doch eigentlich schon seit gestern Abend fest.
Dass nur 55,5 Prozent der Wahlberechtigten in NRW von ihrer Stimme wirklich gebrauch gemacht haben, was ein historisch niedriger Wert ist, macht gerade auch vor dem Hintergrund der immensen politischen Herausforderungen, vor denen (auch) unser Bundesland steht, sehr nachdenklich.
Nicht nur, dass damit über 44 Prozent der Bürger auf eine Stimmabgabe gänzlich verzichteten, was etwa 5,8 Millionen Wahlberechtigen entspricht, diese Tatsache entwertet zugleich auch sämtliche eingefahrenen Wahlergebnisse der unterschiedlichen Bewerber. Natürlich relativiert die Wahlbeteiligung eigentlich bei jeder Wahl ein Stück weit die zu interpretierenden Ergebnisse, doch ist es gerade in diesen komplizierten Zeiten ein Armutszeugnis, wenn die tatsächliche Unterstützung der zukünftigen Amtsinhaber in der Realität rund um die Hälfte niedriger ist, als es einen der Anblick des Wahlergebnisses zunächst glauben machen könnte.
CDU-Kandidat Hendrik Wüst kommt mit seiner Partei somit landesweit eigentlich auf keine 20 Prozent aktive Unterstützung für seinen Kurs, Herausforderer Thomas Kutschaty mit seiner SPD nur auf rund 15 Prozent. Heißt im Klartext: Nicht einmal jeder fünfte Bürger war bereit Wüst mit seiner Stimme zu unterstützen. Bei Kutschaty war es sogar nur jeder Siebte. Mal vereinfacht gerechnet bzw. gerundet. Das zeigt, wie gering die Unterstützung der beiden Bewerber um das Amt des Ministerpräsidenten vor Ort wirklich ist. Selbst der Erfolg der heute gefeierten NRW-Grünen relativiert sich stark, wenn man bedenkt, dass nur etwa jeder Zehnte im Lande den Kurs der ‚Wahlgewinner‘ vom Sonntag wirklich aktiv an der Wahlurne mit seiner Stimme unterstützt hat.
Diese Gedanken zeigen, dass die Politik in NRW insgesamt in einem deutlich schwächeren Zustand ist, als es die diversen Spitzenpolitiker es einem in diesen Stunden auf ihren Pressekonferenzen zur Wahlaufarbeitung glauben machen möchten. Leider wurde und wird das Thema der historisch geringen Wahlbeteiligung in diesen Stunden in der Öffentlichkeit noch viel zu wenig beachtet, wenn es um die Analysen des gestrigen Wahlsonntags in NRW geht.
Der eigentliche ‚Wahlsieger‘ der Landtagswahl 2022 ist nämlich die ‚Partei‘ der Nichtwähler. Eine Tatsache, die man nicht gänzlich aus dem Blick verlieren sollte. Denn letztendlich ist das eine Gefahr für unser politisches System. Gerade auch in herausfordernden Zeiten wie diesen, wo wir mit der Corona-Pandemie, dem Ukraine-Krieg und der drohenden Weltwirtschaftskrise nun wirklich genug Herausforderungen zu meistern haben. auch hier in NRW.
Offenbar haben inzwischen sehr viele Leute große Zweifel daran, dass überhaupt noch eine der um ihre Gunst werbenden Parteien die Herausforderungen unserer Zeit zufriedenstellend lösen kann. Warum im Detail auch immer…. Aber die Tatsache alleine ist eigentlich schon erschreckend genug und sollte den heute fast überall siegessicher lächelnden Politikern und Politikerinnen das breite Grinsen im Gesicht einfrieren lassen!
Die erschreckend niedrige gestrige Wahlbeteiligung – wie auch die nicht viel höhere vor einer Woche in Schleswig-Holstein – ist ein schwerwiegendes Indiz für einen völligen Vertrauensverlust gegenüber der etablierten Politik. Noch bedenklicher scheint es mir allerdings zu sein, daß der publizistische Mainstream dieses Problem souverän ignoriert. Das gehört doch für den Rest der Woche täglich auf alle Titelseiten und in sämtliche TV-Laberrunden.
[…] Sagte hier jemand Wahlergebnisse? Wer in NRW regiert, wird in 1000 Jahren so wichtig sein wie für uns heute die Schlacht bei Mursa. […]
„-1-
Wilhelm Lohmar,
„Noch bedenklicher…..“
Die Meinung teile .
Allerdings finde ich, daß mit dieser Wortwahl das Ereignis einer Wahlbeteiligung von 55, 5 % nebst seiner mediale Nichtbeachtung zu zurückhaltend kommentiert wird.
Robin,
erfreulich für mich , daß Du hier bei den Ruhrbaronen diese auch m.E. katastrophal niedrige Wahlbeteiligung aufgreifst und kommentierst.
Be- und nachdenkesnwert ist das Nichtwählen seitens einer Wählerschaft von rd.45 % (!!!), zum Einen, wenn es um das Nachdenken über die demokratischen Legitimation des gesamten Parlamentes in NRW geht, zum Anderen aber auch und für mich in viel größerem Maße , wenn es um die Frage geht, ob und ggfs. wie die liberal-demokratisch-rechtstaatliche Verfaßtheit von Gesellschaft und Staat hierzulande fundamental ins Wanken geraten könnte, wenn es z.B. links- und/oder rechtsradikalen Bewegungen mit charismatischem Führungspersonal gelingen könnte, die 45% Nichtwählerschaft für ihre Ideen, ihre Ziele zu mobilisieren.
(Le Pen, Trump, Orban u.a. zeigen wie das erfolgreich gelingen kann.)
Ich hoffe jedenfalls sehr, daß alle (!!) Parteien sich daran machen a.) den Motiven der Nichtwählerschaft konkret und im Detail „auf den Grund zu gehen“ und b.) fähig und willens sind, über den Tag hinaus daraus für sich grundsätzliche und nachhaltig wirkende Schlüsse zu ziehen.
zu ziehen.