Israel? Boykottieren? Aber nicht doch, erklärte Ade Darmawan dem Deutschen Bundestag, „wir ziehen es vor zusammenzuarbeiten“. Darmawan ist Kopf und Direktor von Ruangrupa, dem derzeit wohl bekanntesten Künstlerkollektiv der Welt, er ist es dank jener Documenta, die er dabei war zu zerschießen, als er neben Claudia Roth im Kulturausschuss saß. Derzeit zielt Darmawan auf die Biennale in Venedig, er fordert, na klar, den Boykott von Israel: Der Hass auf den jüdischen Staat ist der archimedische Punkt in der KI dieser Welt, ihrer Kunst-Intelligenz.
Berlinale oder Biennale, Triennale oder Documenta, man kommt durcheinander, wer gerade wo in Kunst macht gegen Israel. Derzeit geht es um die Kunst-Biennale in Venedig, 22 000 Leute, die sich im Kunstbetrieb verorten, verlangen den Ausschluss aller Israelis, die US-israelische Künstlerin Ruth Patir und deren beiden Kuratoren, Mira Lapidot und Tamar Margalit, gehen sie direkt an. Einer der 22 000: Ade Darmawan, vor fünf Jahren war er in Kassel als Sprecher und „Direktor“ von Ruangrupa vorgestellt worden, dem Kuratoren-Kollektiv der Documenta 15, die mit antisemitischen Ausfällen in die Kunstgeschichte eingegangen ist.
Auch war Ruangrupa ein „stiller Boykott“ von Israelis vorgeworfen worden, israelische und jüdische Künstler würden vorab aus der Kunstwelt heraussortiert. Im Juli 2022 wurde Darmawan daraufhin in den Kulturausschuss des Bundestages eingeladen, dort erklärte er:
„Es gibt keinen stillen Boykott gegen Israelis und oder Jüdinnen und Juden. Tatsächlich zeigt die documenta fifteen sowohl israelische als auch jüdische Künstler*innen, die hier ihrem Wunsch gemäß nicht namentlich genannt werden.“
Diesen eigenartigen Wunsch gleich sämtlicher Israelis und sämtlicher Juden der Documenta 15 erklärte Darmawan so:
„Die meisten von uns“ würden „die Politik des Nationalstaats in Frage stellen. Künstler*innen“ – jetzt mit Nullartikel – „arbeiten daran, sich von nationalen, staatlichen, ethnischen und religiösen Bindungen und Identitäten zu lösen, und sie weigern sich, mit ihnen in Verbindung gebracht zu werden.“
Sprachlich greift dieser Wunsch also, Darmawan zufolge, von israelischen Künstlern über auf alle jüdischen und weiter auf „die meisten von uns“ und schließlich auf Künstler generell. Der Trick war schon damals durchsichtig, weil auf der Documenta der nationale Kontext von Kunst durchweg als Stempel ihrer Beglaubigung galt: Darmawan selber und Ruangrupa spielten ausdauernd die indonesische Karte („Lumbung“), auch ein Machwerk wie der „Gaza–Guernica-Zyklus“ von Mohammed al Hawajri machte keinerlei Anstalt, sich von irgendwelchen Identitäten zu lösen.
Jetzt also die Biennale Venedig, die Argumentation dafür, erneut gegen Israel vom Leder ziehen zu können, geht so:
- „Art cannot transcend reality“, Kunst könne Wirklichkeit nicht überschreiten.
- Reality sei, dass Israel einen Genozid verübe. Diese Behauptung, muss man sagen, transzendiert die Wirklichkeit.[1]
- Also folgern die 22 000, Kunst aus Israel sei genozidal: „Jede Arbeit, die den Staat Israel repräsentiert, ist eine Befürwortung seiner völkermörderischen Politik.“
Es ist in der Tat ein Gemetzel, das hier angerichtet wird: die Kunst liquidiert, die Wirklichkeit projeziert, das Kollektiv als vorgängige Macht gesetzt – exakt das, was Bazon Brock bereits zur Documenta 15 angekündigt hat: das Ende der „westlichen Idee von Autorität durch Autorschaft“. Das Ende der Idee, dass Menschen, „hinter denen nichts steht, keine Bank, kein Papst, kein Militär, keine Kultur, kein gar nichts – trotzdem angehört werden, weil das, was sie sagen, interessant ist“.
Das Besondere an der Venedig-Biennale ist nun, dass sie sich von Beginn an – ihre Geschichte reicht ins 19. Jahrhundert zurück – nach dem nationalen Prinzip sortiert: 90 Länder werden es wohl in diesem Jahr sein, die ihre nationalen „Pavillons“ bespielen. Das Nationalstaatsprinzip in der Kunst lässt sich mit plausiblen Argumenten in Frage stellen, so wie es etwa Eric Otieno Sumba tut, es lässt sich ähnlich plausibel auch als dia- oder multilogische Form nutzen: Einen Pavillon in Venedig bespielen in diesem Jahr Länder wie China, Ägypten, die Demokratische Republik Kongo, Nigeria, Äthiopien – alle stehen sie im Ranking der gröbsten Menschenrechtsverletzungen weit oben – und einen Pavillon öffnet eben auch der Iran, der jenes Ranking anführt, der den Terror von Hamas, Hisbollah, Huthi uam finanziert und niemals verhehlt, dass er Israel auslöschen will.
Gäbe also guten Grund , eine ganze Reihe von „Pavillons“ zu boykottieren, den des Irans vorweg. Oder gute Gründe dafür, das zu tun, was noch vor zwei Jahren auf der Documenta 15 unter „Make friends not art“ lief. Oder dafür, das Nationalstaatsprinzip der Venedig-Biennale zu unterlaufen und sich, wie Darmawan im Bundestag bedeutet hat, „von nationalen, staatlichen, ethnischen und religiösen Bindungen und Identitäten zu lösen“. Nichts davon interessiert die 22 000 und Darmawan nicht, er will den 1 Pavillon plündern.[2] Dafür erfindet er Begründungen, heute diese, morgen ihr gerades Gegenteil, vorab steht fest, dass er auf Israel zielt: „Kein Tod in Venedig“, fordert er und beansprucht, mit Thomas Mann vertraut zu sein, kommt aber erst gar nicht auf die Idee, dass Mann die zionistische Idee unterstützt haben könnte. Hat er.
„Es gibt bei Linksradikalen diesen ekelhaften offenen Antisemitismus“, hatte Claudia Roth nach dem Berlinale-Eklat festgestellt. Es gibt ihn nicht nur bei Linksradikalen, sondern im Mainstream der Kultur, es gibt ihn dort in einer offen verlogenen Form, sie erst macht Ideologie richtig gefährlich: Wenn jemand weiß, dass der archimedische Punkt, von dem aus er sich die Welt zusammenreimt, offenbar falsch gesetzt ist, weil er sich und andere belügen muss, um seine Welt beisammen zu halten, dann bleibt am Ende nur „die finstere Praxis ohne den Ausblick des Gedankens“.[3]
„Direkte Aktion“ ist denn auch der Film von Guillaume Cailleau und Ben Russell betitelt, den die Berlinale ausgezeichnet hat, „direkte Aktion zielt darauf ab, Interessen unmittelbar und mit den effektivsten Mitteln durchzusetzen“, heißt es in der Selbstbeschreibung. Russel war der mit dem Palästinensertuch um die Schultern auf der Bühne, „er redete von ‚Kameraden‘, so Claudia Roth, „als könnte er damit die Hamas meinen.“
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[1] Die 22 000 berufen sich auf den Internationalen Gerichtshof. Der allerdings hatte nichts dergleichen verlauten lassen, sondern Ende Dezember lediglich eine entsprechende Klage Südafrikas entgegen genommen und dann Ende Januar an die in der UN-Völkermord-Konvention niedergelegten Regelungen erinnert. Bisher hat der IGH keinen einzigen der gegen Israel erhobenen Vorwürfe auf Stichhaltigkeit geprüft und auch nicht gefordert, dass Israel seine militärischen Aktionen gegen die Hamas einstellen solle.
[2] Aus dem Ruangrupa-Kollektiv ist sonst wohl nur Ajeng Nurul Aini dabei, auch von den Mitgliedern von Taring Padi, die ihren „Volksgerichtshof“ über Kassel gespannt hatten, steht kein Name unter den Unterzeichnern, und von der Kassler Findungskommission findet sich bisher nur der notorische Charles Esche ein, ansonsten: Namen über Namen von Leuten, die sowohl Documenta wie Biennale nutzen, um gegen Israel zu agitieren.
[3] Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung
Internationale Kultur und Kunst braucht Geld und streckt sich immer schon nach dem großen Geld. Das große kunstinteressierte internationale Geld ist aber, dank der arabischen Ölscheichs, Chinas neuen Milliardären, Russlands Oligarchen sowie indischen und lateinamerikanischen Superreichen immer antisemitischer und israelfeindlicher geworden. Antisemitismus und/oder Antizionismus ist deswegen mittlerweile das erfolgreichste Geschäftsmodell in der internationalen Kunst- und Kulturszene und so agiert sie auch.
@ Arnold Voss | Ja, gerade läuft die Diriyah Biennale in Saudi-Arabien, da ist BDS kein Thema, sondern Gesetz. Die Kuratorin, Ute Meta Bauer, saß in der Findungskommission, die Ruangrupa für die Documenta 15 ausgesucht hat. Groß ist das Geld, die Kunstwelt klein, erstaunlich vor allem die extrem unterschiedlichen Erklärungen, die dies wegblenden sollen: In Saudi-Arabien und andernorts werden alle möglichen rigiden Vorgaben akzeptiert, in Deutschland nicht einmal eine Antidiskriminierungsklausel, sobald sie erwähnt, dass auch Israelis nicht diskriminiert gehören. Bauer erklärt diesen „diskursiven“ Widerspruch damit, dass sie in Saudi-Arabien etwas aufbrechen, etwas verschieben könne, etwas riskieren würde – was eine astrein neo-koloniale Haltung ist: Weiße Frau wagt sich in eine dunkle Halbinsel hinein, um ein wenig Freiheit hinein zu bringen, aber wirklich erstmal nur ein bisschen.