Die Lage der Liga: Alles bleibt anders?

Zum 50. Jubiläum des Westfalenstadions war die Stimmung super – nur das Ergebnis passte nicht | Foto: Peter Hesse

Querelen, wohin man schaut: Bochum wirft den Trainer raus, Dortmund leidet unter dem Machtmensch Watzke und bei Schalke werden die Schuldenlast von einer Ecke zur nächsten sondiert. Dazu agiert Bayern-Trainer Thomas Tuchel im Münchener Porzellanladen wie ein Elefant. In ihrer Fußball-Nachbearbeitung loben Thommy Junga und Peter Hesse die Arbeit von Julian Nagelsmann – denn schon bald steht die EM vor der Tür.

Peter Hesse: Der BVB wollte vergangenen Spieltag ein schönes Fest zum 50. Jubiläum des Westfalenstadions feiern. Doch durch die Niederlage gegen Stuttgart ist im Kampf um die Champions-League-Qualifikation das Minimalziel „4. Platz“ plötzlich in Gefahr. Das bringt auch Unruhe in die Vorstandsetage – Aki Watzke wird vermutlich als BVB-Boss noch ein paar Extrarunden drauflegen. Hattest du dich schon auf seinen Renteneintritt gefreut?

Thommy Junga:
Sky Sport hat kürzlich ein ziemlich dünnes Organigramm der kommenden BVB-Führungsstruktur an die Studiowand in Unterföhring gepower-pointet. Das war so dünn besetzt, dass es anmutete wie die Restverteidigung bei Dortmunder Ecken. Sebastian Kehl wurde ungeniert herumgeschoben und war eigentlich nie irgendwo wirklich in der Passung und Herr Watzke dämmerte ob der bevorstehenden Demission als durchlaufender Posten am Rand des Geschehens herum, gleich hinter bzw. unter dem Marketingleiter. Wer glaubt, es würde so kommen, der hat auch schwarzgelbe Ostereier direkt von Meister Lampe bekommen. Watzke ist ein Machtmensch, was ihm im Übrigen auch niemand vorwerfen kann – aber die Droge „Einfluss“ muss man vermutlich langsam ausschleichen. Das hat auch was mit Würde zu tun, gerade wenn unter Umständen der Abschied in eine unrühmliche sportliche Phase fällt. Dortmund wird von einem Neuanfang profitieren, diese Vermutung hege ich nun wirklich nicht exklusiv. Ob der Umbruch sonderlich progressiv ausfällt, wenn der der Watzke-Berater Matthias Sammer zentral eingebunden wird, steht auf einem anderen Blatt Papier.

Der Vorstand vom VfL Bochum agiert gerade so, als würde er von den Kultfans Tankwart a.D. und VfL Jesus geführt | Foto: Peter Hesse

Peter Hesse: Mit einem wirklich schlechten Auftritt beim 1. FC Köln – und fünf Niederlagen aus den letzten sechs Spielen – ist der VfL Bochum noch mal mächtig in den Abwärtsstrudel geraten. Trainer Letsch musste gehen, dafür wurden in der virtuellen Wunschliste Namen wie Hermann Gerland, Urs Fischer, Peter Stöger oder Stefan Kuntz gehandelt. Nun wurde für die Feuerwehrmann-Position Heiko Butscher verpflichtet – das ist für die Rolf Schafstall-Freunde unter uns ein eher hilfloser Name. Wird mit ihm dennoch das Abstiegsgespenst vertrieben?

Thommy Junga: Ich darf offen gestehen, dass ich von der Ernennung Heiko Butschers zum Trainer recht schockiert war – und noch immer bin. Das wird sich auch nach einem Erfolg gegen Heidenheim am Wochenende – und vermutlich nicht mal nach dem sicheren Klassenerhalt ändern. Die Art und Weise, wie sich der VfL Bochum in den 72 Stunden nach dem Spiel in Köln präsentiert hat, steht der Abwehrleistung in den Schlussminuten in Nichts nach. Sehenden Auges wurde in den vergangenen Wochen auf den Eisberg zugesteuert und es wurde kein Plan B zur Kurswende erarbeitet. Alle, die jetzt von Fairness faseln, dass man nicht hinter dem Rücken des aktuellen Trainers verhandelt habe, verkennen die Realitäten dieses Geschäftes. Natürlich hätte man bei möglichen Kandidaten vorfühlen müssen, insbesondere, wenn diese noch unter Vertrag stehen. Thomas Letsch zu entlassen ist eine legitime Entscheidung des Vereins, aber auch eine fachlich furchtbar schlecht vorbereitete. Die kolportierte Kandidatenliste war mit viel Zuversicht zusammengeträumt. Und über alledem thront nun das Fragezeichen hinsichtlich der sportlichen Wirksamkeit. Ob die jetzt getroffene 1-C-Wahl die notwendigen Impulse im Mentalen und Taktischen bietet, da bin ich sehr gespannt. Wie die Saison für den VfL auch ausgehen mag, zur neuen Spielzeit scheint einiges mehr als nur die Trainerposition zu diskutieren zu sein.

Ist Schalke nur noch Zaungast hinter den Gardinen? | Foto: Peter Hesse

Peter Hesse: Auch der FC Schalke 04 kommt aus den Negativschlagzeilen nicht heraus. Doch ein weiterer Abstieg würde die ohnehin schon dramatische finanzielle Situation des Vereins so zuspitzen, dass auch drastische und unpopuläre Maßnahmen in Betracht gezogen werden müssten. Zuletzt wurde laut über einen Stadionverkauf nachgedacht – ich hoffe, dass Königsblau die Liga halten kann – aber wie schaffen sie das?

Thommy Junga: Wie ich nun gehört habe, musste S04 im vergangenen Jahr über 15 Millionen Zins- und Tilgungsleistungen aufbringen. Das ist der Etat der halben dritten Liga. Da bekommt man einen gehörigen Schrecken, wenn man das hört. In Hannover hat die Mannschaft den x-ten Neuanfang angeboten, es wird sich zeigen, wie viel der Punkt gegen 96 letztendlich wert war. Der Auftritt von Torschütze Assan Quédraogo macht zumindest spielerisch etwas Mut. Das ist auch nötig, denn das Restprogramm der Schalker hat es unter anderem mit Düsseldorf und Fürth und den Wundertüten aus Nürnberg und Rostock durchaus in sich. Mir fehlt es im Schalker Spiel nach wie vor an der ordnenden Hand, an Struktur und echter positionsbezogener Qualität. Stürmer auf der Zehn, Zentrale auf Außen – das wirkt alles konfus und unreif. Und deshalb fürchte ich auch, dass So4 bis zum Schluss zittern wird.

Max Eberl agiert beim FC Bayern dynamisch | Foto: wikipedia / Muffutz / CC BY-SA 3.0 de

Peter Hesse: Statt sich gegen den 1. FC Heidenheim aus der Krise zu schießen und selbstbewusst in das Duell mit dem FC Arsenal im Viertelfinale der Champions League zu gehen, ließ sich der FC Bayern eine 2:0-Führung aus der Hand nehmen und verlor mit 2:3 gegen Aufsteiger Heidenheim. Bayern München liegt weit hinter den eigenen Erwartungen zurück und Thomas Tuchel gibt sehr oft eine tragische Figur ab.

Thommy Junga: Interessant finde ich, welche Dynamik die Figur Max Eberl jetzt in all die kleinen Baustellen beim Rekordmeister bringt. Jungspund Alfonso Davies fordert 20 Millionen Euro per anno für die nächsten Jahre, Eberl kanzelt ihn direkt mal öffentlich ab. Ebenso Wackelverteidiger Dayot Upamecano, dessen relativierenden Selbstbetrachtungen der neue Sportvorstand mal direkt kassiert. Hier steckt jemand sein Revier ab. Etwas, das Thomas Tuchel in München nie gelungen ist. Man kann also als Trainer auch zu kommunikativ sein. Der spröde Patos des ständigen Trainingsanzuges, die Demut vor der Individualität der Herren Nationalkicker – das hat sich erstaunlich schnell abgenutzt. Seit den unerfüllten Transferwünschen Tuchels wirkt dieser unfrei und getrieben, entnervt und wie schon sagtest: tragisch. Stets nach an der Mannschaft, aber selten nah am Erfolg. Die Mannschaft scheint sich kein bisschen weiterentwickelt zu haben und tritt solidarisch genauso gehemmt auf wie ihr Übungsleiter. Das wird eine hochspannende Trainersuche sein, die Max Eberl derzeit betreibt. Da würde ich gern mal Mäuschen spielen.

Julian Nagelsmann zeigt beim DFB die Richtung an | Foto: wikipedia / Steffen Prößdorf / CC BY-SA 4.0

Peter Hesse: Julian Nagelsmann setzt im EM-Team mehr auf hungrige Herausforderer, als auf potenzielle Querulanten. Mit dieser Argumentation hatte er auch schon die Streichung vermeintlich fixer EM-Fahrer wie Mats Hummels und Leon Goretzka aus seinem März-Kader begründet, denen er die Rolle als Backup-Spieler nicht zutraute. Die Erfolge in Frankreich (2:0) und gegen die Niederlande (2:1) gaben ihm schnell recht. Die Mannschaft hat ohne Zweifel toll gespielt – wie sieht es bei dir aus, freust du dich auf die EM?

Thommy Junga: Ja, ich bin froh mal wieder ein Turnier konsumieren zu dürfen, ohne dass mir dabei ständig der Jubel im Hals stecken bleibt. Die Stadien und die sonstige Infrastruktur stehen parat, niemand muss ständig den Kontinent wechseln, um zum Hotel zu kommen. Aus deutscher Sicht keimt da auch bei den Komplett-Fremdlern so etwas wie ein zartes Pflänzchen der Verbundenheit mit dem Team, der einstige Not-Nagelsmann eint nun die Gemüter auf dem Platz und auf den Rängen. Ich finde es gut, dass er ein paar Typen einplant. Das kann der Identifikation nur zuträglich sein. Man darf wirklich gespannt sein auf das Turnier und auf die Stimmung in unserem derzeit so miesepetrigen Lande. Unter den derzeitigen sportlichen Voraussetzungen ist für die DFB-Elf jeder Ausgang denkbar. Mögen die Spiele beginnen!

 

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Werbung