Unsere Autoren Tommy Junga und Peter Hesse schauen vor dem 10. Spieltag nach Bayern, Berlin, Dortmund, Leverkusen und in Liga Zwei zu Hannover 96. Denn eins ist ja sonnenklar im Spiel um Tore, Punkte, Meisterschaft: Hast du den Ball, brauchst du Struktur. Und da gibt es derzeit doch den einen oder anderen Verein, wo Anspruch und Wirklichkeit deutlich auseinanderklaffen.
Peter Hesse: Hi Tommy! Borussia Dortmund befindet sich mal wieder im Krebsgang. Nach einem sehr guten Spiel mit stabiler Abwehrleistung und stabilem Aufbäumen in der zweiten Halbzeit, haben sich die Schwarzgelben wirklich gut gegen den FC Bayern am vergangenen Samstag geschlagen. In der Champions League gegen Sevilla kamen wieder zu viele Ungenauigkeiten ins Spiel, jetzt muss der BVB zum Tabellenführer Union Berlin. Werden Sie da unter die Räder kommen?
Tommy Junga: Es ist genau wie du sagst: die Borussia bleibt vorerst beständig unbeständig. Viel zu häufig läuft man nach schwächeren Phasen in den Partien Rückständen hinterher oder kassierst noch Tore. Das kostet Kraft und zerrt am Nervenkostüm. Da musst du dich auf Automatismen und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten verlassen können – beides ist bei der neu zusammengestellten Truppe nur eingeschränkt vorhanden. Die Befürchtung, die Partie gegen Union könnte in die Hose gehen ist also nicht ganz unbegründet. Selbstvertrauen und Spirit betreffend sind die Berliner derzeit das Gegenmodell der Schwarzgelben. Letztendlich wird das Ergebnis wahrscheinlich aber maßgeblich davon bestimmt werden, wie Terzic das vertikale Spiel der Eisernen in den Griff bekommt – vielleicht derzeit die noch größere Herausforderung als ein Spiel gegen Bayern, denn die haben ja scheinbar auch arg mit sich selbst zu kämpfen.
Peter Hesse: Ungewohntes Bild beim FC Bayern. Mit vier Siegen, vier Unentschieden und einer verlorenen Partie steht der Rekordmeister nur auf Platz drei der Tabelle. Wird das Nagelsmann arbeitslos machen? Und dürfen wir uns schon jetzt auf ein kongeniales Egomanen-Duo namens Olli Kahn & Thomas Tuchel an der Säbener Straße freuen?
Tommy Junga: Gegenfrage: wer war denn der letzte Nichtegomane auf der Bank oder den Vorstandssesseln in München?
Peter Hesse: ich glaube Gerd Müller und Hermann Gerland als Trainer-Duo bei den Bayern-Amateuren…
Tommy Junga: Na gut… Aber ob ein Thomas Tuchel dem spröden Charme einer Bayernofferte erliegen würde, weiß ich nicht. Aber die Vorstellung ein ernsthaftes Gespräch mit Hassan Salihamidzic führen zu müssen, da fröstelt es vermutlich nicht nur mich. Bevor wir aber das Fell des nicht erlegten bayerischen Bären verteilen: noch heißt der Bayern-Trainer Nagelsmann und das ist – Stand jetzt – das Beste, was der Liga passieren konnte. Es ist nur schwer vorstellbar, dass der FCB bis Saisonende in Abhängigkeit von der Form eines Leroy Sané oder den bemühten Auftritten des fremdelnden Sadio Mane stabil punkten wird. Und auch ein weiterer 80-Millionen-Abwehrrecke hat die – zumindest in der Liga – wackelige Bayernabwehr noch nicht zum gewünschten Bollwerk werden lassen. Nagelsmann träumt den Fußball wild und wenig positionstreu. Das hat bei RB gut geklappt, weil die dieses Kontergen haben. Die Bayern haben in der Liga immer den Ball. Hast du den Ball, brauchst du Struktur. Da hapert‘s noch.
Peter Hesse: Fliegen wir mal weiter zum Tollhaus Niedersachsen! Das Landgericht Hannover hat in einer mündlichen Verhandlung im Fall um die Abberufung von Martin Kind als Geschäftsführer der ›Hannover 96 Management GmbH‹ durch den Stammverein zugunsten des Mehrheitsgesellschafters entschieden. Damit darf der 78-Jährige Hörgeräte-Mogul uneingeschränkt weiter für die 96er arbeiten. Wenn das so weiter geht, wird dann die 50+1 Regel als nächstes gekippt?
Tommy Junga: Meine erste Reaktion war auch sofort dieses Gefühl, dass da ein erheblicher Schritt eines schleichenden Prozesses vollzogen wurde, wir uns auf weitere gefasst machen müssen. Vor Gericht und auf hoher See ist man bekanntlich in Gottes Hand. Hier zeigen sich wieder die Probleme dieser Ausgliederungs- und Umwandlungsverfahren. Nicht alles was Recht ist, ist auch sinnvoll. Für das Umfeld der 96er ist das natürlich zudem ein emotionaler Abnabelungsprozess: Martin Kind ist Samariter und Sonnenkönig gleichermaßen.
Peter Hesse: Xabi Alonso dreht gerade viele Knöpfe bei den Pillendrehern. Er war als defensiver Mittelfeldspieler beim FC Liverpool, Real Madrid und dem FC Bayern München schon immer ganz vorn: ein trainingsfleißiger Athlet, der seine Übungen wie ein fleischgewordener Medizinball beherzt hat. Genau so hat man ihn jetzt auf der Leverkusener Trainingsbank gesehen: mit heißem Herzen und mit viel taktischem Feingefühl. Ist das Team vom Bayerkreuz jetzt doch wieder ein kommender Kandidat für die Champions League?
Tommy Junga: Mit der Verpflichtung von Xabi Alonso ist Bayer 04 ein erfreuliches Risiko eingegangen. Erfreulich, weil etwas Input aus dem spanischen Fußball der Liga absolut nicht schaden kann. Der Leverkusener Kader ist technisch fraglos versiert, sodass dieser Trainer seine taktischen und spielerischen sicher umsetzten können sollte. Es bleibt allerdings auch ein erhebliches Risiko, denn bisher stehen mit der C-Jugend von Real Madrid und der zweiten Mannschaft von Real Sociedad nicht unbedingt belastbare Referenzen auf dem Tisch. Leverkusen ist und bleibt immer ein Kandidat für die vorderen Plätze. Richtig spannend wird da das Frühjahr, wenn die halbe Truppe Katar in den Knochen hat und dann eine Serie braucht.
Peter Hesse: Kommen wir mal zum Big City Club, die alte Tante Hertha, wo ihr Mäzen Windhorst wie ein gerne-großer Kapitalist mit den Millionen nur um sich wirft. In Vietnam wollte Mr. Windhorst im Jahr 1994 einen Wolkenkratzer bauen lassen, da war er gerade 18 Jahre alt und hatte keinerlei Erfahrung mit Projekten dieser Art. Ganze 55 Stockwerke sollte dieses Gebäude in die Luft ragen. Ein gigantisches Vorhaben, das nie fertiggestellt wurde. Es blieb nur eine Idee. Seine Ambitionen als Hertha-BSC-Mogul haben einen ähnlich ambitionierten ›Luftschloss-Charakter›, oder?
Tommy Junga: Hertha und ihr Mäzen Lars Windhorst arbeiten unablässig am eigenen Klischee. Das hat ja schon satirische Züge. Immer wenn du denkst: ‚scheint sich ja beruhigt zu haben, da in Berlin‘, dann beauftragt Windhorst ein israelisches Detektiv-Büro mit Spionageangriffen auf den Klubpräsidenten. Würdest du das irgendwo als Drehbuch einreichen, würden sie dich zurecht auslachen. Angefangen mit der 80-Tage-Reise mit Klinsmann und dessen kuriosen Abgang, den mittlerweile gut 300 Millionen ziemlich nutzlos verballerten Euros und nicht zuletzt dieser ungebremst in der Öffentlichkeit gewaschenen dreckigen Vereinswäsche. Das ist schon kein Luftschloss mehr, das ist ein Kartenhäuschen. Ich denke, es dauert nicht mehr lang und es heißt: Lars has left the building.