Ein eher unbekanntes Kapitel der 1000 Jahre ist die Etablierung der sogenannten Stadt- und Landwachen durch den Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei Heinrich Himmler, deren Gründung und Tätigkeiten bisher noch nicht so sehr im Fokus der Forschung standen. Ich bin darauf eher zufällig bei Recherchen für ein anderes Thema im Haller Stadtarchiv gestoßen.
Von unserem Gastautor Thomas Weigle
Das Naziregime war von Anfang an ein Polizeistaat, der ein sehr wachsames Auge auf seine Bürger hatte. Vor allem aber auf seine tatsächlichen und vermeintlichen Gegner. Auch Straftäter durften nicht auf Milde hoffen, die Todesstrafe, die die Republik zuvor nur selten vollstreckte, kam ungehemmt zur Anwendung.„Gewalt und Mord gegen die Gegner des Regimes wurden jetzt vom Staat toleriert und von Goebbels Propagandamaschine ermutigt. Nationalsozialistische Zeitungen brüllten die Botschaft heraus, dass Verbrecher und Verräter den Tod verdienten und trommelten für die Tatsache, dass das Regime mit dieser Drohung ernst zumachen gedachte. Rund um die regulären Scharfrichter gab es SA-und SS-Männer, Gestapo-Agenten und andere, die Menschen willkürlich hinrichteten, sie auf der Straße zusammenschlugen und töteten, sie bei vorgeblichen Fluchtversuchen erschossen oder sie in den Gefängnissen und Konzentrationslagern…folterten und umbrachten,“ Morde in Lagern konnte die Justiz so gut wie nicht aufklären, Hitler verbot tw. sogar entsprechende Ermittlungen„Bestrafungen bis hin zur Todesstrafe wurden mit einem immer mehr schwindenden Maß an formeller juristischer Rechtfertigung an immer weiteren Kreisen der in ihrer Definition devianten Bevölkerung vollzogen.“
Am 3.September 1939 ermächtigte Hitler die Sicherheitspolizei zur Liquidierung von Personen, die sich der „Wehrkraftzersetzung, der kommunistischen Propaganda, des Hortens oder der Sabotage“ schuldig gemacht hatten. Diese Delinquenten waren in KZs zu verbringen und, wenn Himmler persönlich zustimmte, hinzurichten, so der britische Historiker Richard Evans in „Rituale der Vergeltung,“,S824 ff.
Am 12.10.39 empört sich Goebbels in seinem Tagebuch über Gerüchtemacher und möchte sie bei „Habhaftmachung“ ins KZ bringen lassen (Tagebücher, 3.Band S.1328). „Der Ausschuß“ muss laut Goebbels unschädlich gemacht werden und im Kriege muss die Todesstrafe verschärft werden, denn „die asozialen Elemente sollen nicht für eine spätere Revolution konserviert werden. Sie bedrohen immer den Staat.“(Goebbels Tagebücher, S.1465) Dass der arische Hinkefuß natürlich v.a. auch die Juden als augenblickliche und zukünftige Adressaten der mörderischen Politik der Nazis im Blick hatte, muss nicht besonders betont werden, spielt aber für das vorliegende Thema kaum eine Rolle, da die jüdischen Deutschen im Reich, damit auch in Westfalen, so gut wie vollständig bereits in den Osten deportiert und teils schon ermordet waren. Lediglich für Rüstungszwecke gab es noch scharf über- und bewachte jüdische (Zwangs)Arbeiter.
Natürlich erstreckten sich die Terrormaßnahmen ab 1939 auch gegen die Millionen von Juden, Kriegsgefangenen, Zwangs-und Fremdarbeitern. Besonders rechtlos waren Russen und Polen gestellt. Diese Massen an „Fremdvölkischen“ stellten die professionellen und kaum von humanitären Skrupeln geplagten Überwachungskräfte von Polizei, Wehrmacht, SA und SS vor personelle Probleme. Je weiter der Krieg voranschritt und die Verlustzahlen stiegen,desto mehr erwies sich die Sicherheitslage im Reich als gefährdet, zumal auch viele Bombengeschädigte aus den Großstädten in ländliche Gebiete evakuiert wurden. Hinzu kam, dass sich wohl Teile der ländlichen Bevölkerungen nicht an die strengen und herabwürdigenden Bestimmungen zum Umgang mit Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern aus Polen und der SU hielten. So war es z.B. untersagt, diese Menschen am Esstisch mit der Familie zu verköstigen.
Alarmiert beobachten die Behörden auch, „dass den Polen und Ostarbeitern bei weiten Fahrstrecken Räder zur Verfügung gestellt worden waren.“ Deshalb müsse aus „staatspolizeilichen Gründen die Überwachung intensiviert werden.“Beziehungen zwischen Einheimischen und Ostarbeitern waren streng verboten und führten gewöhnlich zur Hinrichtung des Ostarbeiters. So wurde „der polnische Landarbeiter Jan Szczykutowicz am 25.März 1942 in Brockhagen-Patthorst auf Anordnung des Reichsführers SS erhängt. Anlässlich der Hinrichtung wurden den dort zusammengetriebenen polnischen Arbeitern in ihrer Muttersprache nochmals ihre umfangreichen Pflichten vorgehalten.. Mehr als 7 Millionen ausländische Arbeiter in der Spitze im Reich ließen die Herren in Berlin unruhig werden. Insbesondere die Zwangsarbeiter aus dem Osten waren den Naziherren suspekt, sie wurden bei kleinsten Vergehen hart bestraft.Da diese bei der Nahrungsmittelversorgung weit hinten standen, oftmals schwer hungerten, war es nur natürlich, dass sie durch unbefugte Wegnahme von Lebensmitteln auffielen. Die Strafen, auch für andere Vergehen, waren barbarisch, Schläge, Verbringung in ein KZ, Hinrichtung(s.o.)
Der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, befahl daher im Jänner 1942 die Gründung von Stadt- und Landwachten:
„1.Die Verwendung zahlreicher Kriegsgefangener im Inland bildet auf dem flachen Lande eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, gegen die die notwendigen Vorkehrungen beschleunigt getroffen werden müssen.
Durch die Maßnahme soll zugleich die Polizei entlastet werden…
2. Die Landwacht…übernimmt unter Führung der Gendarmerie den Schutz der Bevölkerung gegen entwichene Kriegsgefangene und andere Personen, die im Herumtreiben die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden.“
…..
„4. Die Männer der Landwache sind nach den landesgesetzlichen Bestimmungen zu Hilfspolizeibeamten zu bestellen.“ Sie unterlagen somit den Schutzbestimmungen der einschlägigen Gesetze bei Ausübung ihrer Tätigkeit, die als „kurzfristiger Notdienst“ definiert wurde. Zum Dienst sollten nur „rüstige, nach Möglichkeit waffenkundige Männer jeden Alters in Betracht“ gezogen werden. Diese sollten aber nur mit Waffen aus Privatbesitz ausgestattet werden. „Die Ausgabe von Dienstwaffen und Munition für diesen Zweck hat grundsätzlich zu unterbleiben.“ Als Zeichen ihrer Aufgabe trugen die Landwachtmänner eine Armbinde mit der Aufschrift „LANDWACHT.“Auch wurden für diese ehrenamtliche Tätigkeit keine „Ausfälle an Lohn oder eigenem Arbeitsverdienst“ erstattet, ebenso wurde „für die Benutzung eigener Fahrräder oder Krafträder“ keine Entschädigung gezahlt. Allerdings waren sie zum Tragen von Waffen berechtigt und in späteren Anweisungen war die Aufforderung zum Schusswaffengebrauch, deutlich formuliert (s.u.).
Nachdem also im Januar 1942 die Aufstellung von Stadt-und Landwachten vom Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei offiziell den Behörden verkündigt worden war, erhielt die Stadt Halle erstmals unter dem Datum 28.1.1942 vom Regierungspräsidenten (RP) in Minden Anweisung entsprechend tätig zu werden. In dem Schreiben heißt es unter anderem, dass „die Stärke des Landwachtpostens in jedem Ort mindestens 5 Mann (1Führer und 4 Mann) betragen“ soll.. Der RP empfiehlt jedoch, dass „ in besonders gelagerten Fällen, z.B. in der Nähe von Gefangenenlagern, größeren Wäldern oder sonstigen wichtigen Objekten, die Landwachtposten bis zu 1 Führer und 9 Mann zu verstärken.“ Da das Telefonnetz seinerzeit nur dünn geknüpft war, legte der RP Wert darauf, dass wenigstens ein Mann, möglichst der Führer, einen entsprechenden Anschluss besaß.
Da mittlerweile v.a. durch die ungünstiger werdende Kriegslage der Arbeitskräftemangel noch spürbarer geworden war, sollten Appelle, Übungen und Ausbildung an der Waffe in arbeitsfreien Zeiten stattfinden.( Schnellbrief vom 17.1.1942) In der am 11.8.1942 erlassenen Dienstanweisung heißt es: Es ist streng darauf zu achten,, daß die Landwachtmänner ihrer beruflichen Arbeit nicht mehr als notwendig entzogen werden.“ „
Auf dem Gebiet der heutigen Stadt Halle wurden laut Schreiben des Landrates vom 29.5. 1942 in Halle neun Landwachtposten eingerichtet. Einer für die Stadt Halle und acht für die damals noch eigenständigen heutigen Haller Ortsteile.
Befriedigt bemerkt der Landrat im November 1942 dass im Kreis Halle insgesamt 347 Landwachtmänner verzeichnet sind.. Er ersucht außerdem um sofortige Prüfung und Äußerung, ob darüber hinaus bei eintretender Gefahr eine weitere Verstärkung der Polizei durch SA, SS, NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps, T.W.) notwendig erscheint.“ Dies scheint doch auf eine gewisse Gefährdungslage oder zumindest Beunruhigung hinzudeuten.
In der umfangreichen „Dienstanweisung für die Landwacht“ vom 11.8 1942 wird den Landwachtmännern jedenfalls zur Pflicht gemacht, auch ohne Anruf auf flüchtenden bzw. entflohene Kriegsgefangene von der Waffe Gebrauch zu machen., so heißt es u.a.: „In allen Fällen muß die Waffe so nachdrücklich angewandt werden, daß der volle Erfolg – die Festnahme oder die Unschädlichmachung des Festzunehmenden – gewährleistet ist.“
Aber ihm wird auch mitgeteilt, dass er „bei der Führung und der Handhabung seiner Waffe besondere Vorsicht“ walten lassen solle. In einem späteren Schreiben wird darauf hingewiesen, dass angesichts der angespannten Kriegslage jede „fremdvölkische Arbeitskraft“ gebraucht werde, deshalb solle die Schusswaffe nur als ultima ratio eingesetzt werden. Die Quadratur des Kreises also.
Schwer auf Trab hielten die Behörden, hier die Gestapoleitstelle Münster, abgeworfene Flugblätter der Alliierten, in denen die deutschen Arbeiter aufgefordert wurden, sich mit den Zwangs-und Fremdarbeitern gegen Hitler, Göring und Goebbels zu solidarisieren, denn die Naziführung sei der gemeinsame Feind.
Auch wenn F.J. Degenhardt in „Zündschnüre“ von gemeinsamen und heroischen Sabotagehandlungen von deutschen und ausländischen Arbeitern romanhaft schreibt, so sind diese Ausnahme geblieben, denn der deutsche Arbeiter war durchaus für nazionalistische Propaganda anfällig. Hinzu kam die strikte Überwachung, die Nazis waren im Verlauf des Krieges immer schneller mit harten und unmenschlichen Strafen zur Hand, Todesurteile wg „Wehrkraftzersetzung“, „Heimtücke“ u.a. wurden quasi am laufenden Band ausgeworfen und meist vollstreckt.
Einzelne Gauleiter planten den Aufbau einer Organisation, die neben SS und Polizei hätte treten sollen.Sie wollten die Stadt/Landwacht als Keimzelle einer ihnen unterstellten Polizeitruppe. Solchen Planungen erteilte Himmler im Posener Schloss im Oktober 1943 bei seiner berüchtigten Rede vor Reichs-und Gauleitern, bzw am Tag zuvor schon vor SS-Führern im dortigen Rathaus eine glatte Absage.
Vielen Volksgenossen erschien der „Führerstaat“ wie aus einem Guss, auch im Nachhinein mag es oberflächlich betrachtet, so erscheinen. Das war er aber nicht. Er war eine Ansammlung sich gegenseitig bekämpfender Personen,Organisationen Reichsbehörden, die alle um die Gunst des „Führers“ buhlten. Vor allem die Gauleiter, die allein von der Gunst Hitlers abhingen, regierten als „kleine Führer“ nach Lust und Laune überall hinein, dazu kam Korruption auf allen Ebenen durch die Nazifunktionäre. Hitler wiederum traf in diesem personellen und organisatorischem Durcheinander selten eindeutige Entscheidungen. Dies ließ Goebbels immer wieder verzweifeln, wie man seinen Tagebüchern entnehmen kann,scheute sich sein Führer doch v.a. in der zweiten Kriegshälfte nach der Vernichtung der 6.Armee in Stalingrad, die von Goebbels vorgeschlagenen Maßnahmen zur totalen Kriegsführung, in aller Gänze zu genehmigen.
Selbst die SS war nicht der monolithische Block, wie er dem Außenstehenden erscheinen mag. Sie war ein Konglomerat miteinander rivalisierender Hauptämter.Hinzu kamen Unterschlagungen und Beutezüge von in den KZs tätigen SS-Offizieren und Sturmmännern. Nicht zu vergessen ist auch die Auseinandersetzung zwischen SA und SS, die mit dem Massaker an Röhm und seinen Gefolgsleuten zwar seinen Höhe-, aber nicht Endpunkt hatte. Der Einfluss der SA war damit nicht zur Gänze verschwunden, v.a. auf lokaler Ebene war die SA ein wichtiger Faktor, wie ich bei diversen Recherchen im HALLER KREISBLATT und im Stadtarchiv Halle feststellen konnte.
Im September 1944 waren die Stadt-und Landwachten Geschichte. Durch Führerbefehl wurden sie im September 1944 in den Volkssturm eingegliedert. So unterstanden sie auch weiterhin Himmler, der ja dem Volkssturm vorstand. Planspiele,die der Mindener RP anordnete, in denen Gefährdungsszenarien durchgespielt wurden, waren im Kreis Halle erfolgreich. So wurde es vom Amtsbürgermeister und dem Landrat nach oben gemeldet.
Die Alpträume der Nazi Sicherheitsschergen wurden im Kreis Halle zumindest erst nach der Befreiung Realität,als befreite Kriegsgefangene und Fremdarbeiter u.a. die Haller Schnapsbrennerei plünderten. Allerdings sollen auch Haller Bürger daran beteiligt gewesen sein. Überall im gewesenen Reich ist von Plünderungen,auch durch nicht wenige Deutsche, berichtet worden, da jedwede staatliche Autorität mit Hitlers Tod und dem Einzug der alliierten Truppen für kurze Zeit, oft nur wenige Stunden, in einem Machtvakuum verschwunden war.
Die hier beschriebene reichsweite Landwacht hatte aber nichts mit der gleichnamigen, vom SS-Gruppenführer Odilo Globocnik, dem Leiter der „Aktion Reinhard“ und zeitweiligen Herrn über die Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka, gegründeten Landwacht im polnischen Zamosc zu tun, die von der SS ausgebildet wurde.Deren Aufgabe war die Vertreibung der polnischen Bevölkerung und die Partisanenbekämpfung.
Dieser Artikel wird in veränderter Form auch im virtuellen Heimatmuseum HALLER ZEITRÄUME erscheinen.
Schöner Artikel, den wir teilen werden. Kleiner (professioneller) Hinweis: "Fremdarbeit" ist ein Begriff aus der Nazizeit. Alle Menschen, die für Deutschland Zwangsarbeit leisten mussten, waren Zwangsarbeitende, egal, woher sie kamen. Ihre Freiräume und Möglichkeiten unterschieden sich nach den Rassengesetzen der Nazis.
https://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/ns-zwangsarbeit/227269/begriffe
@Doku Zwangsarbeit Danke für die freundliche Kritik. Was die Begriffe angeht, habe ich diese aus den Akten des Haller Stadtarchivs übernommen.