In Transnistrien könnte Putin bald eine zweite Front eröffnen. Der Druck auf die freie Welt steigt, ihre Kampfkraft jedoch nicht in ausreichendem Maße.
Gestern Abend verschaffte der Essener Correctiv-AfD- und Russland-Experte Marcus Bensmann dem immer von sich überzeugten, aber selten durch tiefe Analysefähigkeiten auffallenden SPD-Politiker Ralf Stegner eine kurze Lektion in Geschichte. Nachdem Stegner sagte, auch in Zeiten von Bedrohungen und Krisen könne nicht einfach eine „Blut, Schweiß und Tränen“-Rede gehalten werden, wies Bensmann ihn darauf hin, dass es mit dem britischen Premier Winston Churchill ein demokratischer Politiker war, der die von Stegner zitierte „Blut, Schweiß und Tränen“-Rede hielt. Er tat es, als er 1940 die Regierung übernahm und den Briten klar machte, dass die Politik seiner Regierung daraus bestehen würde, das nationalsozialistische Deutschland zu schlagen, denn nur so könne die Freiheit Großbritanniens gesichert werden: „Sie fragen: Was ist unser Ziel? Ich kann es Ihnen in einem Wort nennen: Sieg – Sieg um jeden Preis, Sieg trotz allem Schrecken, Sieg, wie lang und beschwerlich der Weg dahin auch sein mag, denn ohne Sieg gibt es kein Weiterleben.“ Er habe nichts zu bieten außer Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß.
Bensmann sieht Europa heute angesichts der russischen Bedrohung wieder der Gefahr ausgesetzt, Freiheit, Demokratie und Wohlstand zu verlieren. Im Gespräch mit den Ruhrbaronen fordert er die Umstellung auf Kriegswirtschaft, um gegen Russland bestehen zu können.
Ruhrbarone: Sie haben gestern bei Lanz mit Ralf Stegner über die Ukrainepolitik der Bundesregierung diskutiert. Teile der SPD, neben Stegner fällt einem dazu noch Mützenich ein, scheinen die Lage im Gegensatz zu FDP und Grünen nicht verstanden zu haben. Riskieren diese Politiker die Sicherheit und Demokratie in Europa und Deutschland?
Marcus Bensmann: Wenn wir als Deutsche und Europäer nicht verstehen, dass Putins Krieg gegen die Ukraine ein Angriff auf die Freiheit und Sicherheit von Deutschland und Europa ist, riskieren wir alles, was wir nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende des Kalten Krieges aufgebaut haben. Ja, wenn die verantwortlichen Politiker und Politikerinnen von der SPD, Grünen und FDP, aber auch der Union das Moment des Handels verpassen, gefährdet das unsere Sicherheit und Freiheit.
Ruhrbarone: Während Stegner und Mützenich weiter auf Verhandlungen setzen, wird nach dem „Hilferuf“ aus Transnistrien an Moskau, dem abtrünnigen Teil der Republik Moldau, eine weitere Front immer wahrscheinlicher. Was würde ein Einmarsch Russlands in Transnistrien bedeuten?
Bensmann: Erst einmal ist zu verstehen, dass Russland schon vor Putin versuchte, die ehemaligen Sowjetrepubliken, die nach Freiheit und Unabhängigkeit strebten, über die Inszenierung von „frozen conflicts“ diese Länder weiter unter russischer Kontrolle zu halten. Nur die Staaten, die es schafften, unter den Nato-Schutzschirm zu kommen, wurden davor bewahrt. Die beste Impfung gegen „frozen conflicts“ ist die Mitgliedschaft in der NATO gewesen. Das wurde bei Georgien und der Ukraine verpasst. Mit dem sogenannten und von Moskau inszenierten Hilferuf aus Transnistrien hat nun Putin alle Möglichkeiten in der Hand. Er kann zuschlagen, sobald Europa und Deutschland weiter Schwäche zeigen. Das kann heute sein, das kann in einem halben Jahr sein. Putin hat mit Transnistrien ein zweites Damoklesschwert über uns aufgehängt.
Ruhrbarone: Was muss jetzt getan werden, um Putin zu stoppen?
Bensmann: Wir müssen eine Kriegswirtschaft aufbauen und der Ukraine alles geben, was sie braucht, sowohl militärisch als auch finanziell, damit sie die russische Armee in der Ukraine besiegen kann. Nur wenn Putin im Kreml mit der unabdingbaren Entschlossenheit von Deutschland und Europa konfrontiert ist, nur dann besteht die Chance, dass wir ihn zu Verhandlungen zwingen können. Es gibt nur eine rote Linie: Europa darf nicht in die Hände Russlands fallen.
Ruhrbarone: Macht es in so einer Situation Sinn, wenn die Bundesregierung militärische Optionen wie die Taurus-Lieferung oder auch die nur theoretische Option des Einsatzes von Bodentruppen ausschließt? Der Osteuropa-Historiker Jan Claas Behrends sagt: „Niemand gewinnt einen Krieg, der dem Gegner laufend sagt, was er garantiert nicht macht.“ Wie reagiert Putin auf Schwäche und Zögerlichkeit?
Bensmann: Genau das ist das Problem: Wir dürfen Putin nicht immer signalisieren, was wir nicht tun wollen, sondern müssen ihm zeigen, dass wir unsere Freiheit verteidigen werden, mit allem, was wir haben. Wir müssen raus aus dem Ansatz darüber nachzudenken, welche Schritte könnten Putin provozieren, hin zur Strategie, wie können wir Russland maximal eindämmen. Die Haltung der Bundesregierung, immer etwas auszuschließen, ist falsch. Und besonders falsch ist es, sich auf offener Bühne mit Frankreich darüber zu zerstreiten.
Ruhrbarone: Bei Lanz sagten Sie gestern, wenn Putin die Ukraine besiegt, würde Europa von Russland dominiert. Wie würde sich Ihrer Ansicht nach dann das Leben für die Menschen verändern? Was wären die Konsequenzen?
Bensmann: Das Horrorszenario: Russland besiegt die Ukraine, Trump zieht sich von Europa zurück. Dann wird Russland die baltischen Staaten, Polen und Moldau bedrängen, gleichzeitig über ihre politischen Handlanger AfD und Wagenknecht in Deutschland, FPÖ in Österreich und Wilders in den Niederlanden wieder versuchen, die Energieabhängigkeit von russischem Gas, Öl und Kohle wiederherzustellen, und dann den politischen Raum so zu dominieren, dass auch der politische und wirtschaftliche Gegner in Europa und Deutschland bekämpft werden. Wie sie es machen, hat Russland schon gezeigt: Die Giftmorde in Großbritannien, der Tiergartenmord und die Ermordung des russischen Überläufers in Spanien. Die Menschen in Deutschland und Europa werden ihre Freiheit, ihre Sicherheit und ihren Wohlstand verlieren.