“Die neue Bundesregierung muss schnellstmöglich eine KI-Strategie entwickeln”

Sahin Albayrak, Leiter vom Dai-Labor

 Künstliche Intelligenz ist eine der wichtigsten Schlüsseltechnologien. Der Berliner Informatikprofessor Sahin Albayrak fordert, dass die künftige Bundesregierung eine KI-Strategie entwickelt.

Europa startete im März 2000 in das neue Jahrhundert mit Optimismus und großen Ambitionen. Auf einem Sondergipfel in Lissabon hatten die europäischen Staats- und Regierungschefs ein Programm verabschiedet, das zum Ziel hatte, die Europäische Union innerhalb von zehn Jahren „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt zu machen.“ Ein Vierteljahrhundert ist eine lange Zeit. Die damals gesetzten Ziele gerieten in Vergessenheit. Viel Mühe, sie zu erreichen, hatte man sich ohnehin nicht gegeben, und Europa hat längst seine Strategie geändert. Man möchte nun nicht mehr technologisch führend sein, sondern dem Rest der Welt vorschreiben, wie sie Technik zu nutzen haben. Auf den meisten Computern und Smartphones läuft heute Software aus den USA, nur der Unternehmenssoftware-Anbieter SAP und der Musikdienst Spotify sind auf dem Weltmarkt erfolgreich, allerdings eher kleine Fische. Die Marktkapitalisierung von SAP lag nach Angaben von Statista Anfang dieses Jahres bei 319 Milliarden Dollar, die von Spotify bei 123 Milliarden. Die Top drei weltweit spielen in einer anderen Liga: Chiphersteller Nvidia kommt auf eine Marktkapitalisierung von 3500 Milliarden, Apple auf 3400 Milliarden und Microsoft auf 3200 Milliarden.

Auch wenn es um Künstliche Intelligenz (KI) geht, eine der wichtigsten Zukunftstechnologien, sieht es nicht besser aus. „Alle wichtigen KI-Sprachmodelle der westlichen Welt stammen aus den Vereinigten Staaten“, stellt die FAZ fest. KI ist eine der Schlüsseltechnologien der Zukunft. Sie wird fast alle Bereiche des Lebens und Wirtschaftens verändern: In der medizinischen Forschung, bei der Entwicklung von Fusionsreaktoren, dem autonomen Fahren, der Kriegsführung, der Softwareentwicklung und in vielen anderen Bereichen wird sie ein entscheidender Faktor sein. Experten erwarten zudem, dass es in wenigen Jahren KI-Systeme geben könnte, die klüger als Menschen sind. Sam Altman, der Chef von OpenAI, geht davon aus, dass ChatGPT-5 smarter als er sein wird.

Die Europäische Union will den Abstand verringern. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hat auf dem KI-Gipfel in Paris verkündet, dass die Europäische Union 20 Milliarden Euro aus ihrem Haushalt für die Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) in Europa bereitstellen will. Viel Geld, aber im Vergleich zu den Summen, die in den USA investiert werden, eine eher bescheidene Summe. Allein bis Juni dieses Jahres will Microsoft 80 Milliarden in KI investieren. KI kommt auch in den Bundestagswahlprogrammen von CDU, SPD, Grünen und FDP vor. Die Bedeutung wurde zumindest formal erkannt, auch wenn Zukunftstechnologien im Wahlkampf keine Rolle spielten.

Vielleicht wird die neue Bundesregierung sogar so etwas wie eine KI-Strategie entwickeln, denn an der fehlte es nach Ansicht von Sahin Albayrak, Professor für Informatik an der Technischen Universität Berlin und Gründer des dortigen Distributed Artificial Intelligence Laboratory (DAI-Labor), bislang: „Deutschland hat als Land keine klare KI-Strategie entwickelt“, sagt Sahin Albayrak im Capital Beat. „Für den erfolgreichen Einsatz von KI sind viele Daten, eine leistungsfähige Infrastruktur und hochqualifizierte Fachkräfte erforderlich.“

Die neue Bundesregierung müsse schnellstmöglich eine umfassende KI-Strategie entwickeln: „Diese Strategie sollte mehrere Bereiche abdecken: Erstens die Grundlagenforschung für KI-Entwicklung. Zweitens branchenspezifische KI-Strategien für Sektoren wie Automobilindustrie, Energie, Gesundheit, Sicherheit und die Arbeitswelt der Zukunft.“

Es müssten auch spezialisierte KI-Zentren entstehen, die große Reallabore aufbauen und branchenspezifische KI-Software-Stacks entwickeln. Diese sollen dann zur Entstehung von Ökosystemen beitragen und die Technologie greifbar machen. Denn es sei auch wichtig, die Menschen mitzunehmen: „Die Erlebbarkeit ist entscheidend, da sie unsere Gesellschaft auf die Zukunft vorbereitet. Menschen können so erkennen, welchen Nutzen KI für sie bringt. Gleichzeitig können Unternehmen inspiriert und beraten werden, wie sie KI-Anwendungen am besten nutzen.“

Deutschland müsse zudem für internationale Investoren attraktiver werden. „Wir müssen sie überzeugen, hier zu investieren, und gleichzeitig globale Kooperationen eingehen.“

Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits auf Capital Beat

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