„Die PunkToo-Bewegung ist keine Opferhilfe, sondern ein zerstörerisches System mit sehr viel Macht“

Farin Urlaub bei einem Konzert 2013 Foto: Kuebi Lizenz: CC BY-SA 3.0


Vor vier Jahren rief Diana Ringelsiep den Hashtag #punktoo ins Leben. Seit Anfang 2021 gibt es auf Facebook und Instagram gleichnamige Accounts. Dort werden sogenannte Outcalls veröffentlicht. Dies können kleine Texte oder Links zu Indymedia mit ausführlicheren Schilderungen sein. Auf diesen Accounts wird Personen, besonders Frauen und selbsternannten Transpersonen (FLINTA) eine Möglichkeit geboten, sexuelle Übergriffe zu schildern und die Täter an den Pranger zu stellen. Eine gutgemeinte Sache, möchte man meinen.

Das Problem daran ist, die Schilderungen werden ungeprüft und ohne jede Möglichkeit der Rechtfertigung, ja oft sogar ohne Kenntnis der Beschuldigten Cis-Männer (biologische Männer, die auch Männer sein wollen) grundsätzlich als wahr angenommen werden. Der Beschuldigte wird dann unmittelbar der Lynchjustiz der hysterischen Menge preisgegeben. Jeder kann dort irgendetwas behaupten. Und das ist auch so gewollt. Diana Ringelsiep argumentierte im vorigen Jahr bei Deutschlandfunk Kultur, dass die Unschuldsvermutung nicht gelten darf (!), da ja so dem Opfer eine Schuld gegeben würde. Diese Argumentation, die die Moderatorin einfach unkommentiert stehen lässt, entbehrt nicht nur jeder Logik, sie hebelt das wichtigste Grundprinzip der Justiz komplett aus. Wozu das führt, wird jetzt mehr und mehr sichtbar.

Entsprechend Ringelsieps seltsamer Einstellung zur Justiz werden bei PunkToo das Neutralitätsgebot und die Unschuldsvermutung bewusst ignoriert. Und weil lediglich moralisch verwerfliches Verhalten der beschuldigten Personen, das strafrechtlich meist nicht relevant ist, angeprangert wird, bietet diese Plattform jedem die Möglichkeit, ganz unkompliziert einen Rachefeldzug in die Tat umzusetzen. Konkret werden Veranstaltungsorte, Veranstalter, Bands, politisch aktive Gruppen und Einzelpersonen aus dem Umfeld massiv unter Druck gesetzt, die Beschuldigten zu canceln und sich von diesen zu distanzieren. Mit Verweis auf die Artikel auf Indymedia oder direkt bei PunkToo wird vor den Personen gewarnt. Was schließlich nicht nur zu Hausverboten und sozialer Ächtung führt, auch Plattenverträge, Konzerte und jegliche Form der Zusammenarbeit werden aufgekündigt. Jeder der eine Verteidigung der Beschuldigten auch nur versucht, wird mundtot gemacht. Er wird auf social Media blockiert und Kommentare werden konsequent gelöscht. Schließlich werden Verteidiger oder Unterstützer als Täterschützer gebrandmarkt und wegen ihrer Kontaktschuld auch den entsprechenden Methoden dieser Form der sozialen Lynchjustiz ausgesetzt. Mir liegen dazu mehrere Berichte von falsch beschuldigten Personen vor, die entsprechende Erfahrungen gemacht haben.

Dass ein einvernehmlicher Kuss in der Jugend nach anderthalb Jahrzehnten dazu führt, dass alles was man sich aufgebaut hat, zerstört wird, dass die Familie schließlich zerrüttet ist und das eigene Ansehen massiv leidet, sollte zu denken geben. Wem nützt so etwas? Opfern sexualisierter Gewalt? Ich glaube kaum. Denn nachdem offensichtlich wurde, wie viele Fälle der Outcalls übertrieben oder schlicht falsch waren, leidet die Glaubwürdigkeit der wirklichen Opfer sexualisierter Gewalt enorm. Zum Thema Denunziation in der Punkszene schrieb ich bereits einen Text, in dem ich auch PunkToo schon erwähnte.

Diana Ringelsiep ist Musikjournalistin und mit Ronja Schwinkowski, der Geschäftsführerin der Plastic Bomb GmbH, die ein gleichnamiges Fanzine und einen Shop für Tonträger und Merchandise-Artikel, betreibt, zusammen Herausgeberin des Buches “Punk as F*ck“, in dem es um die schlechte Behandlung von FLINTA-Personen in der Punkszene geht. Es ist ein Buch also, das davon lebt, dass es eben diese “schlechte Behandlung“ auch wirklich gibt. PunkToo ist sozusagen ein wichtiger Promoting-Faktor für ihr Buch.

Am Beispiel des Videos von Diana Ringelsiep zu Farin Urlaub kann man ihre Doppelmoral gut aufzeigen. Hierin echauffiert sie sich über Farin Urlaub, der das Soloprojekt von Flake, dem Keyborder der Band Rammstein unterstützt. Ob jetzt Künstler wie Farin Urlaub oder Flake Dreck am Stecken haben oder nicht, dieses Video von Ringelsiep treibt die Denunzianten-Kultur in der Punkszene wieder einmal auf die Spitze. Ringelsiep, die sich als Musikjournalisitin und Punkerin versteht, hält hier eine anmaßende Standpauke, eine Belehrung in Sachen “Opferschutz“, die schlicht unerträglich ist. Zudem bezeichnet sie Flake fälschlich als Drummer, was viel über ihre journalistischen Fähigkeiten aussagt. Ihre Doppelmoral wird deutlich, wenn man bedenkt, dass sie ihre Dokumentation “Millennial Punk“ für die ARD mit Niko Hamm zusammen produziert hat. Dem Niko Hamm der als Geschäftsführer des Konzertteams NRW, seit Jahren die Rammstein Konzerte in NRW veranstaltet. Für ihre Punk-Doku, die im Übrigen nur ihre einseitige Sicht auf den Punk wiederspiegelt, so werden große Bands wie Feine Sahne Fischfilet oder Die Kassierer gar nicht erst erwähnt, waren Hilfe und Kontakte von Hamm gut genug. Und jetzt, wo die Doku gezeigt wurde, kann man beim Thema Rammstein ja nochmal so richtig schön auf die Kacke hauen und die Mär vom bösen weißen Cis-Mann weiterspinnen. Ihre Rechtfertigung, die Arbeiten an der Dokumentation begannen vor einer Zusammenarbeit mit Hamm, ist völlig unglaubwürdig, wenn man bedenkt, dass Nico Hamm auch schon 2019 Konzerte für Rammstein organsiert hat. Aber was macht man nicht alles für Aufmerksamkeit und Geld.

Farin Urlaub, Flake und den anderen prominenten Größen macht so ein Hetz-Video wahrscheinlich nicht viel aus. Aber weniger bekannte Künstler, die sich mit Herzblut in der Punkszene engagiert haben, werden durch derartige Hetze sozial zerstört und ihrer Existenz beraubt. Viele zu Unrecht Beschuldigte schweigen. Oft fehlt die Energie und das Geld für juristische Auseinandersetzungen. Den Rechtsweg zu gehen, ist in der Punkszene zudem verpönt. Wenn sich die öffentlich Verleumdeten zu Wehr setzen, werden sie weiter diffamiert und es wird nun gegen sie gehetzt, weil sie Vater Staat um Hilfe bitten. So erging es auch der Punkband Feine Sahne Fischfilet. Für die völlig aus der Luft gegriffenen Vorwürfe gegen den Sänger wurde eigens eine Website namens “Niemand muss Täter sein“ eingerichtet. Die häufigen Verweise von PunkToo auf diese Seite könnten hier auf eine Zusammenarbeit hindeuten. Da allerdings keinerlei greifbare Wahrheit hinter den diffusen Anschuldigungen gegen den Sänger steckte, veranlasste man durch richterliche Verfügung erfolgreich die Löschung der Seite. Wie nervenaufreibend und kostenintensiv so etwas ist, kann man sich vorstellen. Feine Sahne Fischfilet erzählten in einem Interview mit dem Ox-Fanzine die Geschichte aus ihrer Sicht. Trotz der erwiesener Maßen falschen Anschuldigungen wurde aber weiter zu Protesten gegen die Band aufgerufen , Lieder, die sich gegen den angeblichen Täter richten, vermarktet, die Rechtsprechung und deren Nutzung infrage gestellt, auch von PunkToo.

Die von Diana Ringelsiep initiierte PunkToo-Bewegung ist leider keine Opferhilfe, sondern ein zerstörerisches System mit sehr viel Macht. Renommierte Szenegrößen und -plattformen attestieren PunkToo eine Wichtigkeit und vergrößern die Bekanntheit. Davon profitieren die Betreiberinnen. Bedauerlicherweise ist PunkToo ein Hetzportal, das mit der MeToo-Bewegung außer dem Namen nichts gemein hat. Es ist eine Plattform für Denunziation geworden, die unter dem Deckmantel, Opfern eine Möglichkeit zu bieten, sich gegen sexuelle Übergriffe zu wehren, jegliche juristischen Spielregeln konsequent verneint, was mittlerweile sehr viel Schaden angerichtet hat. Diana Ringelsiep ist sich nicht zu schade daraus Kapitel zu schlagen. Ihre Doppelmoral kann sie dabei jedoch kaum noch vertuschen.

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